"Wir befinden uns in einer Umbruchphase". Jeannot Krecké au sujet de la compétitivité de l'économie luxembourgeoise

Paul Lenert: Herr Wirtschaftsminister, in welcher Verfassung befindet sich die Luxemburger Wirtschaft zur Zeit?

Jeannot Krecké: Einer Wirtschaft, die mit einem Wachstum von rund vier Prozent expandiert, geht es unter dem Strich gut. Dieses Wachstum ist aber unterschiedlich verteilt. Es gründet für 2005 vor allem auf der positiven Geschäftsentwicklung im Finanzsektor. Auch in Bereichen wie dem e-commerce gibt es gute Impulse. Vereinzelte Schwierigkeiten gibt es im Handel, der in starker Konkurrenz zum grenznahen Ausland steht. In Branchen des verarbeitenden Gewerbes, also der Industrie, geht es dagegen weniger gut. Hier befinden wir uns in einer Umbruchphase, die andere Länder schon hinter sich haben.

Paul Lenert: Können Sie das konkreter erläutern?

Jeannot Krecké: Es gibt eine Reihe von Gütern mit verhältnismäßig niedriger Wertschöpfung, für die sich Luxemburg als Produktionsstandort immer weniger eignet. TDK ist ein typisches Beispiel. Solche Waren können in Zukunft wegen der Kosten weder hier noch sonst irgendwo in Europa hergestellt werden. Wir werden zunehmend in eine Situation geraten, in der Luxemburg als potenzieller Wirtschaftsstandort für eine ganze Reihe von Aktivitäten keine attraktive Adresse mehr sein wird. Gleichzeitig müssen wir versuchen, die Wertschöpfung von Produkten, die noch hierzulande gefertigt werden, deutlich zu erhöhen.

Paul Lenert: Können Sie ein Beispiel nennen?

Jeannot Krecké: Nehmen wir das Beispiel TDK. Wir sind nicht mehr in der Lage, DVDs zu wettbewerbsfähigen Preisen herzustellen. Europa bleibt jedoch ein wichtiges Absatzgebiet von solchen Produkten. Unser Ziel ist es deshalb, in Luxemburg den europäischen Hauptsitz des japanischen Konzerns und den Logistikbereich für den europäischen Vertrieb zu verstärken. Wir bemühen uns aber auch mit Erfolg um die Forschungsprojekte, die dieses Unternehmen betreibt. Ich gehe davon aus, dass wir in der nächsten Zeit auch in anderen Unternehmen derartige Reorientierungen vornehmen müssen.

Paul Lenert: Bedeutet das das Ende der klassischen Industrieproduktion in Luxemburg?

Jeannot Krecké: Wir wollen unsere industrielle Ausrichtung beibehalten. Die industrielle Produktion muss deshalb ergänzt werden um andere Bereiche, die der eigentlichen Herstellung von Industriegütern vor- oder nachgelagert ist. Im Klartext: Die Industrielandschaft Luxemburgs wird sich in den nächsten Jahren einschneidend verändern. Das heißt nicht zwangsläufig, dass Arbeitsplätze verloren gehen. Sie werden eher durch andere ersetzt.

Paul Lenert: Ein Ziel der Tripartite war die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Luxemburger Nationalwirtschaft. Inwiefern sind wir aus Ihrer Sicht diesem Ziel einen Schritt näher gekommen?

Jeannot Krecké: Wir sind dem Ziel mit Sicherheit ein Stück näher gekommen. Für mich ist es wichtig, dass es letztlich zu einem Konsens gekommen ist, auch wenn nicht jeder in diesem Kompromiss das Resultat zurückfindet, das er sich ursprünglich vorgestellt hat. Das trifft auch für den Wirtschaftsminister zu. Wichtigster Punkt ist aber, dass einige Reformen beschlossen wurden. Wichtig ist auch, dass nach den monatelangen Diskussionen jetzt Ruhe einkehrt. Was das Land nicht gebrauchen könnte, wären endlose Debatten. Wir müssen jetzt wieder konkret mit arbeiten anfangen und uns auf die Zukunftsaktivitäten konzentrieren, die wir entwickeln möchten. Die Wirtschaft weiß nun, wo genau es in nächster Zeit hingeht. Die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen stehen vorhersehbar fest. Wir müssen den Aufbruch, den die Tripartite ermöglicht hat, konsequent nutzen.

Paul Lenert: Welche neuen Argumente kann der Wirtschaftsminister nach der Tripartite mit auf seine Promotionsreisen nehmen, wenn er ausländische Investoren nach Luxemburg locken möchte?

Jeannot Krecké: Wir hatten ein einigermaßen günstiges Umfeld. Über das beschlossene Reformpaket ist es zu weiteren Verbesserungen gekommen. Wir sind zwar nicht in allen Punkten Weltbester. Aber man kann auch Erster bei der Tour de France werden, ohne jede einzelne Etappe gewinnen zu müssen. Immerhin konnten wir uns zu einem Reformpaket durchringen, ohne einen Sozialkonflikt auszulösen. Wir können dem Ausland zeigen, dass wir ein reformfähiges Land sind, in dem wir im Gegensatz zu vielen anderen Staaten keine Ressourcen für Sozialkonflikte vergeuden. Auch das ist ein Argument!

Paul Lenert: Ist die Lösung, die in der Indexfrage zurückbehalten wurde, aus der Sicht des Wirtschaftsministers ein guter Wurf?

Jeannot Krecké: Die Lösung ist zunächst eine gute Sache für die Sanierung der öffentlichen Finanzen. Sie ist freilich auch von Nutzen für die Wirtschaft, weil durch die Verzögerungen die Lohnmasse um 2,5 Prozent niedriger ausfallen wird im Vergleich zu einer unveränderten Situation. Das ist nicht zu unterschätzen. Die Wirtschaft erhält zudem eine bessere Planungssicherheit, da die Erfallsdaten der Indextranchen sozusagen bereits jetzt feststehen oder abzusehen sind. Die Arbeitgeber müssen auf jeden Fall nicht mit der Sorge leben, dass es vielleicht zwei Tranchen in einem Jahr gibt. Ich wünsche mir, dass jetzt Ruhe in dieses Dossier kommt.

Paul Lenert: Stichwort Inflation. Hier heißt es, der Wirtschaftsminister sei besonders gefordert, um die hausgemachte Inflation in den Griff zu bekommen. Über welche Instrumente verfügen Sie denn überhaupt, um die Preistreiberei zu bekämpfen?

Jeannot Krecké: Eines ist klar, der Wirtschaftsminister macht diese Inflation nicht. Übermäßige Teuerung entsteht an vielen Stellen. Davon sind auch andere Ministerien betroffen. Wenn der Handel seine Preise erhöht, hat der Wirtschaftsminister nichts damit zu tun.

Darüber hinaus muss man wissen, dass Preiskontrollen wie zu früheren Zeiten heute infolge verschiedener europäischer Rechtsprechungen nicht mehr erlaubt sind. Mein Vorgänger hat deshalb das Preisamt abgeschafft und durch das Konkurrenzrecht ersetzt.

Gerade die Maßnahmen, die uns dieses neue Instrument gibt, müssen wir voll zum Einsatz kommen lassen. Wir müssen uns dennoch mit einigen Branchen beraten, wie wir dort die Preise besser in den Griff bekommen, indem wir herausfinden, welche Rigiditäten möglicherweise den Selbstkostenpreis oder Einkaufspreis antreiben. Wir müssen den Hebel dort ansetzen, wo er notwendig ist.

Paul Lenert: Ihre Bilanz der Diversifikation der Wirtschaft fällt eher nüchtern aus?

Jeannot Krecké: Es ist komplizierter geworden. Aber wir scharren zum Beispiel im Dienstleistungssektor immer noch neue Arbeitsplätze, die auch in Verbindung mit der Industrie stehen. Dennoch: Die Frage der Wettbewerbsfähigkeit ist sehr wichtig geworden, da wir insbesondere durch die EU-Osterweiterung zusätzliche Konkurrenz von zehn neuen Ländern erhalten haben. Diese wollen unter den gleichen Bedingungen auf dem EU-Binnenmarkt tätig sein. Wenn sich morgen ein Investor aus den USA oder Asien in Europa niederlassen möchte, stehen ihm zehn zusätzliche Länder zur Auswahl. Diese Standorte sind in verschiedenen Punkten wettbewerbsfähiger. Das ist nicht zu unterschätzen. Die Diversifikationspolitik ist also nicht einfacher geworden. Das Umfeld ist rauher geworden. Jedoch muss ich feststellen, dass Luxemburg noch gute Karten besitzt, wenn eine Firma wie Delphi ankündigt, dass sie hier ausbauen will.

Paul Lenert: Was bedeutet das für die aktive Bevölkerung?

Jeannot Krecké: Wir müssen uns in Europa bewusst werden, dass die Zeiten, in denen man sich den Wunsch erfüllen konnte, an dem gleichen Arbeitsplatz in den Ruhestand zu treten, wo man vielleicht ins Berufsleben gestartet war, definitiv vorbei sind. Die Menschen werden ihren Job im Laufe ihre Karriere wechseln müssen. Das wird eine Umstellung. Die Situation, wie wir sie in der Vergangenheit kannten und schätzten, ist nicht mehr haltbar.

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