Ständig auf Reformkurs. Mars Di Bartolomeo au sujet de la réforme de la psychiatrie

Laurent Graaff: Im Tageblatt vom 11. Mai zeigten Sie sich erbost über das Bild, das wir in "Patienten klagen an" (Revue 19/2006) über die Psychiatrie skizziert haben.

Mars Di Bartolomeo: Als Gesundheitsminister konnte ich die gemachten Vorwürfe nicht auf mir sitzen lassen. Zumal mir unterstellt wird, dass ich als Oppositionspolitiker nicht davor zurückgeschreckt hätte, mit dem Finger auf dieses Thema zu zeigen, ich nun aber als verantwortlicher Minister anders handeln würde. Vorab möchte ich eines klar stellen: Unsere Psychiatrie ist reformbedürftig. Dieser Prozess hat eingesetzt. Das war immer eine meiner Prioritäten.

Laurent Graaff: Was werfen Sie uns vor?

Mars Di Bartolomeo: Es wurden Sachverhalte von früher mit heute vermischt. Der Artikel ist einseitig und geht von Prämissen aus, die so nicht mehr gegeben sind. Dies beanstande ich auch bei einzelnen Darstellungen in dem Gutachten der Menschenrechtskommission. In den letzten anderthalb Jahren hat sich viel getan. Und genau dem wurde nicht oder nur ungenügend Rechnung getragen. Eine solch unnuancierte Darstellung ist kontraproduktiv zu dem, was gegenwärtig passiert.

Laurent Graaff: Eine Reihe von Patienten haben Vorwürfe gegen das CHNP erhoben. An wen sollen sich die Betroffenen richten?

Mars Di Bartolomeo: Wir haben Strukturen geschaffen, wo sich Patienten beschweren können, wenn sie das Gefühl haben, dass ihnen Unrecht passiert ist. Seit September gibt es eine Anlaufstelle innerhalb des Gesundheitsministeriums. Denkbar ist auch, dass sich Marc Fischbach, der Ombudsmann, dieser Fälle annimmt.

Laurent Graaff: Diesen Menschen fehlt aber Jegliches Vertrauen zu solchen Instanzen.

Mars Di Bartolomeo: Die Vorwürfe sind schwerwiegend und müssen auf ihren Wahrheitsgehalt hin kontrolliert werden. Dabei darf nichts unter den Teppich gekehrt werden. Ich will nicht ausschließen, dass es in Bereichen wie der Psychiatrie zu Vorfällen gekommen ist, doch statt zu verallgemeinern, sollte man konkret werden. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Strukturen besser bekannt werden.

Laurent Graaff: Sie haben die Reform der Psychiatrie zu einer ihrer Prioritäten erklärt. Kann man daraus schließen, dass In den vergangenen Jahren zu wenig unternommen wurde?

Mars Di Bartolomeo: Es gab Zeiten, da wurden Mauern eingerissen. Es gab aber auch Zeiten, in denen Reformen weniger schnell durchgeführt wurden. Meines Erachtens nach hat sich in Luxemburg, seit 1992 mein Freund Johny Lahure die Haefner-Studie vorlegte, vieles verändert.

Laurent Graaff: Welche Reformen haben Sie bislang in die Wege geleitet?

Mars Di Bartolomeo: Ich habe zunächst die Rössler-Studie in Auftrag gegeben. Ein erster entscheidender Schritt war die Dezentralisierung der akuten Psychiatrie. Seit Juli 2005 werden die akuten Fälle nicht mehr im CHNP betreut, sondern in Krankenhäusern.

Dadurch bekommen psychisch Kranke den gleichen Status wie andere Kranke. Zudem wurde in den vier implizierten Krankenhäusern eine Reihe von Spezialabteilungen geschaffen. Es wurden Tageskliniken eröffnet. Mittlerweile gibt es im Kirchberger Spital eine Jugendpsychiatrie mit einer Tagesklinik. Dann wurde eine Anlaufstelle im Ministerium geschaffen, wobei ich mich frage, warum dies nicht schon eher, wie vom Gesetz vorgesehen, passiert ist. Wir haben zudem eine Arbeitsgruppe, die mittlerweile alle Bereiche begreift, eingesetzt, um den Reformprozess zu begleiten.

Laurent Graaff: Welche Rolle wird das Ettelbrücker CHNP in Zukunft spielen?

Mars Di Bartolomeo: Ich gehe davon aus, dass das Personal im CHNP bereit ist, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Seine Hauptaufgabe wird in der langfristigen Rehabilitation liegen.

Lange wurde die Psychiatrie in Luxemburg lediglich mit dem CHNP identifiziert. Heute ist das CHNP eine von vielen Strukturen. Das Angebot hat sich aber nicht nur räumlich verändert und diversifiziert: Ein akut psychisch Kranker wird heute nicht mehr in ein Asyl oder, wie es im Volksmund hieß, ins «Geckenhaus» eingeliefert, sondern in ein Krankenhaus.

Laurent Graaff: Was passiert mit den Langzeltpatienten in Ettelbrück?

Mars Di Bartolomeo: Wir werden neue Infrastrukturen schaffen. Klar ist, dass diese Patienten nicht ohne Betreuung auskommen. Das Building, das für ein vergangenes Bild der Psychiatrie steht, wird mittelfristig abgerissen. Das CHNP hat ein vielseitiges Entwicklungskonzept aufgestellt, das begutachtet und schrittweise realisiert wird.

Laurent Graaff: Wo besteht Handlungsbedarf?

Mars Di Bartolomeo: Der akute Bereich ist weitgehend neu gestaltet. Ergänzt wird er durch spezialisierte Strukturen für Kinder und Jugendliche. Der Regierungsrat hat grünes Licht für eine neue Tagesklinik in Esch und eine spezialisierte Struktur für Jugendliche gegeben, die im Gefängnis, mangels Alternativen fehl platziert waren. Im außerklinischen Bereich geht es um den Ausbau der betreuten Wohnstrukturen und ein angepasstes Angebot an Heimpflegediensten. Wichtig erscheint mir, dass die Menschen, die in therapeutischen Werkstätten sind, möglichst den Weg zurück auf den ersten Arbeitsmarkt finden.

Laurent Graaff: Worin liegt der Schlüssel zum Erfolg?

Mars Di Bartolomeo: Die finanziellen Mittel sind zum Großteil da. Die Bereitschaft ebenfalls. Die einzelnen Akteure müssen sich an einen Tisch setzen, damit die Zusammenarbeit so optimal wie möglich funktioniert. Der Patient muss in Zukunft dorthin orientiert werden, wo ihm am besten geholfen werden kann, deshalb sind nahtlose Übergänge unerlässlich.

Laurent Graaff: Dafür müssen sich die Denkweisen der Akteure ändern. Oder?

Mars Di Bartolomeo: Es werden unterschiedliche Philosophien aufeinander prallen. Dem blicke ich zuversichtlich entgegen. Das Ergebnis muss so sein, dass das Bestmögliche für den Patienten herauskommt. Die Strukturen sind schließlich für den Kranken da und nicht umgekehrt.

Laurent Graaff: Welche Rolle soll unsere Gesellschaft dabei spielen?

Mars Di Bartolomeo: Die gesellschaftliche Haltung gegenüber Menschen, die solch komplexe Krankheiten haben, muss sich verändern. Die Bedingungen hierfür sind sehr gut, denn wir werden uns zusehends bewusst, dass psychische Probleme immer häufiger auftreten. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer einmal in seinem Leben solche Probleme hat, liegt bei 50 Prozent. Wird man sich dessen bewusst und sind die Behandlungsorte so, wie man sich das vorstellt, wird dies zur Entstigmatisierung der Psychiatrie beitragen. Es reicht jedenfalls nicht, Konventionen zu unterschreiben und neue Gesetze zu machen. Jeder Einzelne ist gefordert, sich mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen. Die Mauern in unseren Köpfen müssen eingerissen werden!

Laurent Graaff: Stichwort Gesetzgebung. Was muss sich auf dieser Ebene ändern?

Mars Di Bartolomeo: Unsere Einweisungsprozedur entspricht nicht mehr dem Zeitgeist. Es wurde zwar häufig und viel darüber diskutiert, passiert ist nichts. Auch die Einweisungsprozedur wird sich in absehbarer Zeit ändern. Wir müssen den demokratischen Grundrechten der Patienten besser Rechnung tragen. Hier hat eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aus unserem Ministerium und der Justiz ausgezeichnete Arbeit geleistet. Diese Reform kommt schnell.

Laurent Graaff: Wie lange dauert es noch bis dieser Prozess abgeschlossen sein wird?

Mars Di Bartolomeo: Für die nächsten fünf Jahre stehen die Schwerpunkte bis Ende des Jahres in einem Aktionsprogramm fest. Dann sehen wir weiter. Die Psychiatrie muss sich ohnehin ständig reformieren, schließlich verändert sich die Gesellschaft mit allen ihren Problemen ebenfalls fortwährend. Ich halte nicht viel von einer "one-shot"-Reform und halte einen permanenten Reformprozess, der alle Akteure einbezieht, für effizienter.

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