Asselborn verlangt weitere Reformen in der Türkei. Jean Asselborn au sujet de la réunion du Conseil Affaires générales et relations extérieures

Klaus Remme: Am 3. Oktober vergangenen Jahres hat die EU feierlich Aufnahmeverhandlungen mit der Türkei beschlossen. Danach wurde es ruhig. Das heißt nicht, dass man untätig war. Es folgte ein komplizierter Rechtsabgleich zwischen beiden Verhandlungspartnern, der Monate in Anspruch nahm. Heute nun sollen die Verhandlungen beginnen. Das Ganze ist ein kompliziertes Werk, das sich über Jahre hin erstrecken wird. 35 Kapitel sind es genau, doch schon vor diesem ersten gibt es Probleme. Im Mittelpunkt steht einmal mehr die Zypern-Frage.

Am Telefon ist jetzt Jean Asselborn, Außenminister von Luxemburg. Guten Morgen Herr Asselborn!

Jean Asselborn: Guten Morgen!

Klaus Remme: Nikosia, das haben wir gerade gehört, hat also ernste Bedenken. Sind die inzwischen ausgeräumt?

Jean Asselborn: Nein, so schnell geht das nicht. Ich würde trotzdem sagen, es ist nichts Dramatisches, nichts Ungewöhnliches, was jetzt passiert. Die Botschafter haben keine Einigung erzielt. Wir Minister kommen heute zusammen und wir werden sehen, wie wir uns und in welche Richtung wir uns zusammen mit Zypern bewegen werden.

Klaus Remme: Der türkische Außenminister Gül hat gedroht, er werde ohne einheitliche Linie der EU gar nicht erst ins Flugzeug steigen. Wissen Sie, ob er kommt oder nicht?

Jean Asselborn: Der arme Mann! Das war schon am 3. Oktober so. Jedes Mal wenn er nach Luxemburg kommen will oder soll, dann haben die Türken ein Problem. Ich habe das verstanden am 3. Oktober. Er hat abgewartet, bis er ins Flugzeug gestiegen ist. Dann wurde es Mitternacht, bis wir fertig waren. Ich hoffe, dass das heute zügiger geht.

Klaus Remme: Das heißt also noch ist nicht klar, ob er kommt?

Jean Asselborn: Nein, das ist nicht klar, aber Ihre Frage ist ja auch eine politische Frage. Ich glaube nach wie vor - und das müssen wir klarstellen - es war richtig, was wir am 3. Oktober gemacht haben, am Verhandlungstisch feststellen die Verträglichkeit der Interessen zwischen der Europäischen Union und den 25 Mitgliedsländern. Und geostrategisch: Ich war letzte Woche in den USA und bin dort einem sehr einflussreichen Senator begegnet, der diametral dem entgegensetzt, was die Meinung der Bush-Administration ist, ganz klar sich eingesetzt hat und gesagt hat, der nahe Osten, der mittlere Osten ist ein Ganzes. Iran, Irak, Israel, Palästina gehört alles zusammen. Wenn man dann geostrategisch schaut, geographisch auch nur schaut, die Türkei liegt politisch genau als Verbindungsglied zwischen uns und dieser Region und die Türkei im 21. Jahrhundert kann sehr viel helfen, wenn es eine europäische Türkei ist.

Dass das alles schwierig ist, dass das 10, 15 Jahre dauern wird, das wissen wir alle. Es werden noch viele Rückschläge kommen, es werden viele taktische Varianten gespielt werden auf beiden Seiten. Sie haben das ganz richtig in Ihrem Vorspann gesagt. Wir haben jetzt das erste Kapitel von 35. Also noch 34 mal, wenn wir heute ausschließen, kann ein Veto eingelegt werden. Das wird also extrem schwierig werden, aber Sie wissen ja auch, dass die Kommission für dieses erste Kapitel Forschung und Wissenschaft grünes Licht gegeben hat.

Klaus Remme: Herr Asselborn, ich will noch mal kurz bei den Ausgangsbedingungen für den heutigen Tag bleiben. Wir haben es ja gehört: Auslöser ist die Weigerung der Türkei, die Republik Zypern anzuerkennen. Ist die Anerkennung von Partnerländern nicht eine Mindestvoraussetzung für Verhandlungen?

Jean Asselborn: Ja, aber wir wissen, dass 2004 Europa diese Last auf sich genommen hat, eine Insel, die nicht geeint ist, aufzunehmen. Sie wissen: Die Wiedervereinigung Zyperns ist Sache der UNO. Das ist ein schwieriger Prozess von Vornherein gewesen. Ich glaube, dass das, was Zypern macht, taktisch sehr gewagt ist. Ich verstehe, wenn Zypern sagt, die Türkei hat keine Anstrengungen gemacht. Das Ankara-Protokoll wurde nicht im Parlament ratifiziert. Auch vor allem bei der Deklaration vom 21. September 2005, die Anerkennung aller Länder, haben wir keine Fortschritte gemacht. Es wurden auch keine Fortschritte gemacht, was die freie Zirkulation der Güter und auch des Transports über die Schifffahrt angeht. Die Türkei sagt im Gegenzug, unterstützt von zum Beispiel den Engländern - das wissen Sie -, dass Fortschritte in dieser Materie nur auf türkischer Seite zu erwarten sind, wenn wirklich auch Fortschritte bei den Beitrittsverhandlungen zu erwarten sind. Also das ist ein Spiel, wo es extrem schwierig ist, jetzt den Durchblick zu haben.

Klaus Remme: Herr Asselborn, Ankara hat die Ausweitung der Zollunion unterschrieben, aber nicht umgesetzt. Können die Verhandlungen beginnen, wenn das so bleibt?

Jean Asselborn: Ich glaube, dass wir in dieser Frage sehr präzise sein sollten. Heute haben wir Kapitel 25, Forschung in Wissenschaft. Wir könnten ein positives Zeichen den Türken geben.

Zweitens: Im Herbst 2006 - und Sie haben das auch angedeutet - wird der Reformprozess kritisch analysiert und da wird es nicht nur positive Punkte herauszustreichen geben. Dann muss für den Herbst Bewegung in der Substanz erfolgen. Sonst sind wir glaube ich komplett blockiert. Hier muss Ankara Bewegung ins Spiel bringen.

Klaus Remme: Und wenn das ausbleibt, was dann?

Jean Asselborn: Dann kommt das, was auch vorgesehen ist, dass zum Beispiel in dieser Deklaration, die ich Ihnen genannt habe, vom September '05 der Prozess, der Dialog, der Verhandlungsprozess gestoppt werden kann. 2006 wird in dieser Frage Ankara-Protokoll, Anerkennung all dessen, was damals auf der Tagesordnung stand - so ist das festgehalten worden -, ein Bericht gemacht und dann wird daraus eine politische Entscheidung zu nehmen sein. Die Türken wissen das ganz genau!

Klaus Remme: Das heißt die Verhandlungen könnten auf Eis gelegt werden, bevor sie eigentlich losgegangen sind?

Jean Asselborn: Das ist alles nicht unmöglich. Ich sage Ihnen noch einmal: Geopolitisch gesehen, auch im Interesse der Europäischen Union, wäre es im Vorteil auch von Zypern, auch von Griechenland. Und da gibt es ja auch positive Zeichen; die zwei Außenminister haben miteinander geredet, dass man das nicht so weit kommen lassen darf. Darum muss man Druck machen auf die Türkei. Man muss allerdings auch mit Zypern reden, ob sie taktisch richtig liegen mit dem, was sie jetzt unter Botschaftern festgehalten haben.

Klaus Remme: Ankara will Schiffen aus Zypern ja nur dann Zugang erlauben, wenn der türkische Teil der Insel eigene Handelsbeziehungen zur EU aufnehmen darf. Kann die EU hier Zugeständnisse machen?

Jean Asselborn: Nein. Ich glaube wir sollten nicht drei Schritte miteinander hier machen. Der erste Schritt ist jetzt, was wir heute zu entscheiden haben. Dann der zweite Schritt ist ganz klar, dass Bewegung kommen muss auf türkischer Seite was die Schifffahrt anbelangt, was die Zollverträglichkeit anbelangt. Hier muss ein ganz deutliches Zeichen der Türkei zuerst erfolgen.

Klaus Remme: Jenseits der Zypern-Frage wird Ankara vorgeworfen, der Reformeifer habe nach dem 3. Oktober, also dem Beschluss, Verhandlungen zu führen, spürbar nachgelassen. Teilen Sie diese Meinung?

Jean Asselborn: Ja, das ist vielleicht der allerwichtigste Punkt. Die Türken haben Wahlen. Die Türken müssen sich auch innenpolitisch in ihrer Debatte entscheiden, ob sie sich den Werten der Europäischen Union annähern wollen. Das ist notwendig, Menschenrechte, Minderheitsrechte, dieser ganze Reformprozess auch im Strafrecht, all das muss zügig voran gehen. Sonst sind wir in der Substanz blockiert und das wäre sehr, sehr schlimm und negativer als diese Zypern-Frage, die einmal gelöst werden muss.

Klaus Remme: Glauben Sie also der Reformeifer hat nachgelassen?

Jean Asselborn: Es gibt Anzeichen, dass die Analyse, die gemacht wird auch von der Kommission, in dieser Richtung gehen könnte.

Klaus Remme: Und welche Folgen würde das haben?

Jean Asselborn: Das würde schwerwiegende Folgen haben, denn dann wäre diese Anstrengung, die wir ja in Europa machen, um die Werte in der Türkei, die demokratischen Werte auf die Linie der Europäischen Union zu bringen, auf jeden Fall zu diesem Zeitpunkt gestoppt.

Klaus Remme: Der Außenminister von Luxemburg Jean Asselborn. Herr Asselborn, vielen Dank für das Gespräch!

Jean Asselborn: Bitte, bitte!

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