Jean-Claude Juncker au sujet du Conseil européen de Bruxelles

Susanne Conrad: Vom Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel ist uns jetzt ein echter Alteuropäer zugeschaltet, Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker. Guten Tag Herr Juncker.

Jean-Claude Juncker: Guten Tag.

Susanne Conrad: Nach der schweren Krise im vergangenen Jahr, wie geht es dem Patienten Europa denn heute?

Jean-Claude Juncker: Ach, man bemüht sich redlich.

Susanne Conrad: Man bemüht sich redlich. Die Verfassung in ihrem ursprünglichen Entwurf, ist sie denn überhaupt noch zu retten, und wenn ja, wie? Wie stellen Sie sich lebensrettende Massnahmen jetzt vor?

Jean-Claude Juncker: Wir brauchen Institutionen in der Europäischen Union die funktionieren - Rat, Parlament, Kommission und andere. Die müssen neu sortiert und neu zugeordnet werden. Wir brauchen eine klare Kompetenzaufteilung: was machen die Nationalstaaten, was macht die Europäische Union. Wir brauchen eine personell gestärkte europäische Aussenpolitik, wir brauchen stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitiken.

All dies wurde im sogenannten Verfassungsvertrag aufgeschrieben und auch einstimmig von den Staats- und Regierungschefs 2004 verabschiedet. Frankreich und die Niederlande haben Nein gesagt, 16 haben Ja gesagt. Wir werden die nächsten beiden Jahre brauchen, damit eine Brücke geschlagen werden kann zwischen den einen und den andern, wobei die Initialzündung von den Franzosen und den niederländischen Freunden kommen muss. Die müssen sagen, wie wir den Ausweg aus der unverkennbaren, latent anhaltenden europäischen Krise finden.

Susanne Conrad: Nun erleben wir in Deutschland gerade während der Fussballweltmeisterschaft was Emotionen positiv bewegen können. Die Menschen sind optimistisch, fühlen sich verbunden miteinander. Ist das nicht eine Dimension die Europa fehlt, also diese emotionale Komponente? War nicht gerade der Verfassungsentwurf viel zu kompliziert und verkopft?

Jean-Claude Juncker: Ich mag das was ich zur Zeit in Deutschland sehe, weil ich es fast geniesse, dass die Deutschen sich selber wieder mögen, so wie sie dies zur Zeit tun. Aber ein europäisches Volk im Sinne wie deutsches Volk, französisches oder luxemburgisches Volk gibt es nicht. Das europäische Volk ist egentlich die Addierung nationaler Völker, und dort sind Gefühlsaufwallungen in diesem europäischen Kontext wesentlich schwieriger zu gestalten, oder zu provozieren, im guten Sinne des Wortes.

Aber wenn wir über die Europäische Union oder die europäische Einigung immer nur reden wie Bänker darüber reden, wie Wirtschaftler darüber reden, wie Professoren darüber reden, wie Politiker sehr oft darüber reden, dann können die Menschen ja auch überhaupt nicht gefühlsmässig diese Europäische Union annehmen. Nein, nein, wir müssen deutlich machen, dass in Europa 2+2 nicht 4 sondern 5 ist, dass wir alle Gewinner sind, auch nationale Gewinner sind, wenn wir zusammen arbeiten. Wir regieren Europa nicht gegeneinander, wir müssen Europa als Regierungschefs miteinander und füreinander regieren. Wir brauchen alte Projekte in Europa. Krieg und Frieden ist eine nicht auf ewige Zeit ausgestandene Frage, und wir brauchen neue Projekte, die die Europäer wieder stolz auf Europa machen, und die vor allem junge Menschen wieder mit der Europäischen Union versöhnen.

Beispielsweise, dass wir uns als Europäer, auch wenn wir dies alleine tun müssten, uns vornehmen in den nächsten 3 Jahrzehnten Hunger und Armut aus der Welt zu vertreiben, dies wäre ein grosses europäisches Projekt. Solange jeden Tag 25000 Kinder den Hungertod sterben, solange hat Europa seine Aufgabe nicht erledigt. An derartige weitreichende, fast planetarische Zielsetzungen müssen wir uns als Europäer heranwagen, unsere eigene Küche in Ordnung halten und das Haus auch für andere bewohnbar machen.

Susanne Conrad: Jean-Claude Juncker, der luxemburgische Premierminister und Vollbluteuropäer zur Zukunft der EU. Ich bedanke mich für dieses Gespräch nach Brüssel. Danke, Herr Juncker.

Jean-Claude Juncker: Vielen Dank.

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