"Man muss nicht ängstlich sein". Mady Delvaux-Stehres au sujet de la réforme de l'éducation nationale

Ines Kurschat: Frau Ministerin, stecken Sie fest?

Mady Delvaux-Stehres: Warum?

Ines Kurschat: Es gibt Stimmen, auch aus Ihrer Partei, die sagen, Sie hätten zu viele Reformen angepackt und jetzt steckten Sie fest.

Mady Delvaux-Stehres: Es stimmt, es sind mehrere Projekte, an denen ich zurzeit arbeite. Am Ende soll es aber ein Ganzes ergeben. Es reicht nicht, nur einen Stein im Mosaik zu ändern.

Ines Kurschat: Was bedeutet das konkret?

Mady Delvaux-Stehres: Für die Primärschulen brauchen wir ein Gesetz, um einen neuen, zeitgemäßen Rahmen zu schaffen. Das ist im Sekundarschulbereich so nicht nötig. Die zweite Ebene betrifft die Inhalte. Das reicht von der Vorschule über die Primärschule bis hin zum Sekundarunterricht. Da geht es in erster Linie darum. Basiskompetenzen für die verschiedenen Fächer und Jahrgangsstufen festzulegen. Stehen gesetzlicher Rahmen und Inhalte, braucht es schließlich noch Menschen, die das Ganze umsetzen.

Ines Kurschat: Sie haben in den vergangenen Wochen die verschiedenen Lyzeen im Land besucht – eigentlich um den Bericht des Europarats zum Sprachenprofil vorzustellen. Aufgrund Ihrer Ankündigung, die Arbeitzeit der Lehrer neu zu regeln, hat es dann mehrere Gesprächsabbrüche gegeben. Haben Sie die Reformbereitschaft der Lehrer überschätzt?

Mady Delvaux-Stehres: Es waren nur drei Schulen, die dem Aufruf der Gewerkschaften gefolgt waren, wegen der Verhandlungen zur Tâche Gespräche mit mir zu boykottieren. In den anderen Begegnungen tauchte eine Frage besonders häufig auf: Wie kann man Schüler motivieren, zu lernen? Ich verstehe das als Einsicht und Bereitschaft, etwas an der Schule verändern zu wollen. Dass die Arbeitszeitgestaltung ein schwieriger Punkt sein würde, war klar: Schließlich geht es um die Arbeitsbedingungen der Lehrer.

Ines Kurschat: Von der Intersyndicale kommen wieder versöhnliche Töne. Aber ist die Verhandlungsmasse wirklich größer geworden?

Mady Delvaux-Stehres: In erster Linie geht es darum, zu definieren, was genau zur Arbeit eines Lehrers gehört. Dass sie mehr umfasst, als nur Unterricht zu halten, darüber sind wir uns einig. Wir versuchen nun, den neu entstandenen Handlungsspielraum mit Inhalt zu füllen.

Ines Kurschat: Die Gewerkschaften sind scheinbar bereit, drei Punkte zu verhandeln: zum einen die Definition der Missionen der Lehrer. Was die Arbeitszeit betrifft, steht die Lettre ministerielle zur Disposition, und auch die Regelungen zur Remédiation sollen überdacht werden.

Mady Delvaux-Stehres: ...und die verpflichtende Weiterbildung.

Ines Kurschat: Das Papier, das Sie Anfang Mai an die Gewerkschaften verschickten, sah außerdem eine Neudefinition der Koeffizienten vor, die Regelung zur Anciennité sollte ebenfalls diskutiert werden. Offenbar kommen Sie damit nicht an.

Mady Delvaux-Stehres: Wir stehen mitten in den Verhandlungen. Es ist positiv, dass wir über Inhalte reden. Mich freut auch, eine Bereitschaft bei den Gewerkschaften festzustellen, über ganz unterschiedliche Punkte zu diskutieren. Es ist nicht so, dass die Lehrer sagen, es sei nichts reformbedürftig. Sie weisen nur auf die Schwierigkeiten hin, die mit Reformen verbunden sind.

Ines Kurschat: Bei der Lettre ministerielle geht es um eine Arbeitsstunde respektive zwei Zeitstunden, die verbindlich zur Weiterbildung genutzt würden. Bildungsexperten, wie die Kanadierin Jacqueline Caron oder der Deutsche Wolfgang Edelstein, halten du Weiterbildungspflicht für Lehrer ohnehin für selbstverständlich.

Mady Delvaux-Stehres: Das denke ich auch. Für mich ist es evident, dass regelmäßige Weiterbildung heutzutage zur Tâche der Lehrer dazu gehört. Darüber gibt es eigentlich nichts zu diskutieren. Tatsächlich bilden sich auch viele Lehrer weiter.

Ines Kurschat: Aber worin? Obwohl vieles darauf hindeutet, dass besonderer Nachholbedarf im didaktisch-methodischen Bereich besteht, werden gerade diese Angebote eher schlecht besucht.

Mady Delvaux-Stehres: Das stimmt, das ist ein Problem. Allerdings geht es hier auch um die pädagogische Freiheit. Der Lehrer ist bisher für seinen Unterricht und seine Klasse ganz allein verantwortlich. Ich möchte den Teamgeist stärken. Der Lehrer ist auch Teil einer Gemeinschaft.

Ines Kurschat: Gesprächsbereitschaft haben die Gewerkschaften zudem bei der Remédiation angedeutet. Gehört die Förderung von schwachen Schülern nicht genauso zum normalen Auftrag eines Lehrers dazu?

Mady Delvaux-Stehres: Auch da müssen wir die Verhandlungen abwarten. Ich meine aber, dass bei der Remédiation ein großer Teil zur normalen Tâche gehören sollte. Die Mission des Lehrers besteht nicht darin, allein auf den Unterrichtsstoff zu schauen, sondern darauf, was für Fähigkeiten ein Schüler hat oder nicht. Sicher ist der Lehrer Meister über die Methoden, die er einsetzt. Das impliziert aber, dass er zuvor eine Diagnose erstellt hat, und die ist eine ganz individuelle Angelegenheit.

Ines Kurschat: Sie haben die Arbeitszeitdiskussion mit einem Papier zum Lehrerprofil begonnen. War das klug?

Mady Delvaux-Stehres: Das werden wir sehen. Von Leuten vom Terrain bekomme ich beide Rückmeldungen: Die einen finden es gut, die anderen eher nicht. Mir tut es jedenfalls nicht leid, denn die Idee, dass Profil und Tâche zusammen gehören, finde ich weiterhin kohärent.

Ines Kurschat: Sie wurden später intern für Ihre Vorgehensweise kritisiert: Indem Sie den Gewerkschaften zugestanden, die Schulen selbst über die Arbeitszeitdiskussion zu informieren, hätten Sie sich das Heft aus der Hand nehmen lassen – ein Fehler, weshalb Sie heute in der Defensive seien.

Mady Delvaux-Stehres: Ob ich in der Defensive bin, sollen andere einschätzen. Eine Gewerkschaft repräsentiert ihre Leute. Ich kann ihr doch nicht verbieten, ihre Mitglieder zu informieren! Ich habe gesagt, mich nicht öffentlich zu äußern. Das wurde mir später von verschiedenen Leuten vorgeworfen. Aber es war ein Versprechen und daran halte ich mich. Dass es nicht einfach werden würde, mit den Gewerkschaften zu verhandeln, war von vornherein klar.

Ines Kurschat: Die Gewerkschaften mahnen schon seit Jahrzehnten eine bessere Personalpolitik an. Erfolglos, denn das Ministerium stellt weiterhin Chargés d'éducation ein. Müssen Sie für Fehler gerade stehen, die Ihre Vorgänger zu verantworten haben?

Mady Delvaux-Stehres: Das Problem der Personalknappheit ist wirklich schwierig. Jeder, der mit öffentlichen Geldern umgeht, egal in welchem Bereich, muss rechtfertigen, wozu er sie verwendet und sollte sie so effizient wie möglich einsetzen. Das gilt auch für den Bildungsbereich. Das Luxemburger Schulsystem hat im Grunde zwei Probleme: Zum einen haben wir bereits ein relativ teures Schulwesen. In Luxemburg kommen auf einen Primärschullehrer 15 Schüler, der OECD-Durchschnitt liegt bei 21,4. Im unteren Zyklus des Sekundarunterrichts hat Luxemburg eine Quote von 19,4, während der Durchschnitt der OECD bei 23,7 Schülern pro Lehrer liegt. Wir sind also recht großzügig. Hinzu kommt, dass wir uns in einer anderen Situation befinden als unsere Nachbarländer: Um uns herum wird aufgrund der demografischen Entwicklung Personal abgebaut, in Luxemburg aber steigt die Schülerzahl. Gleichzeitig rekrutieren wir zu wenig Lehrpersonal.

Ines Kurschat: Dafür ist das Ministerium doch selbst verantwortlich.

Mady Delvaux-Stehres: Wir haben die Quote, was die Einstellung neuer Lehrer angeht, heraufgesetzt. Das Ministerium hat sie aber nie ausschöpfen können. Bei vielen Kandidaten, die sich zum Concours meldeten, wurde gesagt, sie seien nicht gut genug – und später kommen dann die Gewerkschaften zu uns und klagen, es gebe nicht genug Leute. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Ich bin auch für eine hohe Qualität in der Schule, aber man muss den Concours in Frage stellen können – was wir jetzt ja auch tun.

Ines Kurschat: Eines Ihrer zentralen Reformvorhaben ist es, mehr Teamteaching und Zusammenarbeit in die Schulen zu bringen. Sie sind zudem die erste Bildungsministerin, die nun schon zwei Ganztagsschulen im Modellversuch auf die Schiene gesetzt hat. Es ist allgemein bekannt, dass solche pädagogischen Ansätze mehr Geldkosten und auch mehr Personal.

Ja. Deshalb müssen wir unbedingt effizienter werden. Ich will eigentlich in der Schule nicht sparen, aber die Mittel müssen effizienter eingesetzt werden. Wenn wir mehr und bessere Betreuung anbieten wollen, müssen wir fragen, wie das gehen kann.

Ines Kurschat: Was meinen Sie mit effizient?

Mady Delvaux-Stehres: Wir sind Weltmeister im Durchfallen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Klassenwiederholung eine sehr teure Maßnahme ist, die außerdem wenig bringt. Wenn wir die Mittel freisetzen könnten, die wir zurzeit für das Sitzenbleiben ausgeben, und sie für eine gute Remédiation ohne Durchfallen verwenden würden, hätten wir schon viel erreicht.

Ines Kurschat: Sie stehen nicht nur wegen der Tâche unter Druck. Ein anderes Thema, das derzeit für viel Aufregung sorgt, sind die geänderten Promotionskriterien. Lehrer meinen, dies führe zu einem "Nivellement vers le bas". Obwohl die Neuregelung noch nicht zur Anwendung gekommen ist, haben Sie eingeräumt, die Reform zu überdenken. Wird Ihre Idee nicht verstanden?

Mady Delvaux-Stehres: Eigentlich sind die Promotionskriterien Flickschusterei. Im Grunde geht es um die Bewertung an sich – und alles, was nicht funktioniert, wird nun darauf abgeschoben. Ich bin noch immer der Meinung, dass man punktuelle Schwächen kompensieren können muss.

Das geht auch im Ausland. Wenn es tatsächlich zu Missbrauch kommt, muss man das Instrument vielleicht überdenken. Die Kritik ist aber zugleich ein Zeichen für ein großes Unbehagen in der Schule. Ich hoffe, ich bekomme vermittelt, dass man das Benotungssystem insgesamt ändern muss.

Ines Kurschat: Inwiefern?

Mady Delvaux-Stehres: Durch einen Unterricht, der auf Kompetenzen statt auf einer reinen Wissensabfrage beruht. Dafür müssen wir zunächst definieren, welche Basiskompetenzen jeder Schüler am Ende eines Schuljahrs haben soll. Die sind dann auch nicht zu kompensieren.

Ines Kurschat: Konsequenterweise müsste das Abschlussexamen in den neuen Kompensationsmodus einbezogen werden. Ein entsprechender Vorschlag von Ihnen liegt beim Staatsrat. Parteigenossen befürchten, dass bei einer Annahme des Textes wütende Lehrer erst recht blockieren und die LSAP-Reformpolitik zum Erliegen kommen könnte.

Mady Delvaux-Stehres: So ängstlich muss man nicht sein. In dem von mir vorgelegten Vorschlag ist eine Minimalnote enthalten, das ist ein Unterschied zum jetzigen Reglement. Die Kompensationsmöglichkeiten sind also klar eingeschränkt.

Ines Kurschat: Vor einem Jahr fragte das Land Sie, ab es für einen Mentalitätswechsel in den Schulen eine neue Lehrergeneration brauche. Damals wichen Sie einer Antwort aus. Was sagen Sie heute?

Mady Delvaux-Stehres: Es ist vielleicht nicht ganz falsch. Es gibt aber auch viele Schulen im Land, die sich entwickeln und interessante Projekte gestartet haben. Da ist eine neue Dynamik entstanden, auch wenn sie noch nicht im ganzen Land gleich verteilt ist. An einigen Schulen wird viel diskutiert, an anderen nicht.

Ines Kurschat: Meinen Sie denn, dass das Gros der Lehrer Ihre Reformvorstellungen inzwischen wenigstens besser versteht?

Mady Delvaux-Stehres: Ich hoffe es. Mir geht es da wie dem Lehrer in der Schule: Man erklärt etwas. Was dann aber wirklich hängen bleibt, weiß man nicht.

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