"Von Anfang an mit Mittal geredet". Jeannot Krecké au sujet du projet de fusion entre Arcelor et Mittal Steel

Maryse Lanners: Herr Wirtschaftsminister, monatelang hat Arcelor sich gegen Mittal gewehrt. Nun kommt es doch zur Hochzeit. Wer hat gesiegt?

Jeannot Krecké: Ich sehe es als eine Einigung von zwei Firmen, die quasi gezwungen waren, zu heiraten: Die eine, weil eine Anfrage vorlag, die sie schlecht abwehren konnte, die andere, weil sie wusste, dass sie Arcelor unbedingt für ihre Zukunft brauchte. Beiden blieb letztendlich keine Wahl.

Maryse Lanners: Allerdings scheint unklar, ob Arcelor Mittal gekauft hat, oder umgekehrt.

Jeannot Krecké: Wenn Mittal Arcelor gekauft hätte, müsste Mittal mehr Prozente in der Aktiengesellschaft halten. Die alten Arcelor-Teilhaber halten jedoch über 50 Prozent. Wie sich das entwickeln wird, weiß man nicht. Es wurde festgehalten, dass die Familie Mittal während der ersten fünf Jahre nicht versuchen wird, über 45 Prozent zu wachsen. Für mich handelt es sich um einen Fusion von zwei gleich starken Partnern.

Maryse Lanners: Sind Sie zufrieden mit dem Deal?

Jeannot Krecké: Anfangs hatte die Regierung die Option des "stand alone" von Arcelor befürwortet. Als dies nicht mehr möglich war, war das Ziel, einen Partner zu suchen, bei dem Luxemburgs Interesse abgesichert sein würde. Die neue Firma wird nach dem Modell von Arcelor ausgerichtet. Andernfalls hätten wir unsere Zustimmung nicht gegeben. Wir können uns zufrieden zeigen, denn die Jobs in den Arcelor-Werken bleiben gesichert und wir haben den Sitz und das Hauptquartier des bei weitem größten Stahlkonzerns der Welt in Luxemburg. Aber ich muss zugeben, dass Severstal ebenfalls eine Möglichkeit gewesen wäre, die Sinn gemacht hätte.

Maryse Lanners: Über 400 Millionen Euro wird der Staat bei der Fusion kassieren. Werden Aktien verkauft?

Jeannot Krecké: Nein. Wir tauschen Arcelor-Aktien gegen Mittal-Aktien plus 12,55 Euro in bar pro Aktie. Dies ist ja eine der Möglichkeiten, die bei dieser Fusion vorgesehen ist. Der Staat besitzt rund 36 Millionen Arcelor-Aktien. Mit wie viel Prozent er letztendlich noch an der neuen Firma beteiligt sein wird, hängt davon ab, wie viele Aktionäre sich an der Aktion beteiligen werden. Wir rechnen damit, dass der Staat 2,7 Prozent behält. Das Geld, das dabei herausspringt, soll zum größten Teil in die Zukunft unserer Wirtschaft investiert werden.

Maryse Lanners: Arcelor hat sich stets sehr abschätzend gegenüber Mittal geäußert und noch Werbeanzeigen geschaltet, die eine Allianz mit Severstal als die bessere Option priesen, als der Deal längst gelaufen war. Wurden Arcelor und die Regierung von den Aktionären überrumpelt?

Jeannot Krecké: Nein. Die Tendenz hat sich abgezeichnet. Es begann damit, dass die Märkte nicht verstanden, wieso erst Aktien ausgegeben werden für Severstal und dann sofort eine Rückkaufaktion gemacht werden sollte. Der Hintergrund dieses Verteidigungsmechanismus war ja bekannt. Das zweite war die Option, dass 50 Prozent aller Aktionäre in einer Generalversammlung dagegen stimmen müssten, um Severstal zu verhindern. Das wurde in der internationalen Geschäftswelt nicht akzeptiert. Die Märkte begannen in Richtung Mittal zu gehen, in der Hoffnung auf eine weitere Verbesserung des Angebots. Dazu kam eine heftige anti-russische Kampagne in der angelsächsischen Presse. All dies hat eine Stimmung erzeugt, die dazu führte, dass das Arcelor-Management sich bereit erklärte, mit Mittal zu reden.

Maryse Lanners: Dann ging plötzlich alles sehr schnell. Eine komplette Kehrtwende innerhalb von etwa zehn Tagen.

Jeannot Krecké: Die Investmentbanker, die uns berieten, hatten uns vorhergesagt, dass es in 90 Prozent der Fälle ganz plötzlich - innerhalb eines Wochenendes - zu einer Wende kommt.

Für den normalen Bürger ist dieser rabiate Wechsel natürlich schwer nachvollziehbar, zumal er keine Kenntnisse über die Gepflogenheiten in der internationalen Businesswelt hat. Auch die Regierung ist nicht permanent mit Fusionen und Derartigem konfrontiert. Auch für uns war es eine neue Welt. Deshalb müssten wir uns beraten lassen.

Maryse Lanners: Unverständlich ist die Kehrtwende doch vor allem, weil eine Allianz mit Mittal monatelang als nationale Katastrophe dargestellt wurde. Es wurden Emotionen geschürt. Die Politik gab sich leidenschaftlich anti-Mittal. War das ein Fehler?

Jeannot Krecké: Nein. Die Politik hat die emotionelle Beziehung des Landes mit der Arcelor-Vorgängerin Arbed reflektiert. Problematisch war, dass andere Länder dies nicht verstanden. Deshalb musste ich kurzfristig nach Indien reisen, um Luxemburgs Haltung zu begründen. Wir haben es geschafft, der internationalen Presse zu erklären, dass wir ein sehr enges Verhältnis zu dieser Stahlindustrie haben. Anschließend haben wir die Emotionen zurückgeschraubt, weil wir wussten, dass wir die Entwicklungen nicht maßgeblich steuern konnten.

Dennoch war die vehemente Reaktion richtig, weil sie dazu beigetragen hat, dass Herr Mittal sich Fragen stellte. Ich habe ja nicht erst gestern begonnen, mit ihm zu reden, sondern ich tat es von Anfang an. Herr Mittal wusste, dass er dies nicht gegen den geballten Widerstand der Politik durchboxen könnte.

Maryse Lanners: Waren das die Aktionen, die Sie hinter den Kulissen führten und von denen der Staatsminister im Parlament sprach?

Jeannot Krecké: Ich habe nicht nur mit Mittal geredet, sondern auch mit Mordaschow. Ich habe ihn zum ersten Mal Ende Februar gesehen. Da hat noch niemand von ihm geredet. Ich war selbst in Tscherepovetz. Auch später habe ich ihn ein paarmal getroffen. Auch mit anderen möglichen Partnern haben ich und meine Mitarbeiter geredet.

Maryse Lanners: Alle aus dem Osten?

Jeannot Krecké. Nein, aus verschiedenen Teilen der Welt. Die Regierung hat sich jedesmal eingeklinkt, wenn Arcelor ernsthafte Gespräche mit möglichen Partnern führte. Wir haben ihnen unsere Anliegen vorgetragen. Das war meine Hauptmission. Ich habe mit etlichen geredet. Auch der Premier und Luc Frieden haben dies getan.

Maryse Lanners: Haben Sie gemeinsam mit Arcelor sondiert?

Jeannot Krecké: Nein, wir haben das selber gemacht, freilich in Absprache mit Arcelor. Aber wir haben unsere eigene Verantwortung genommen. Die Interessen der Arcelor und die des Landes liegen sehr nahe beieinander, aber sie sind nicht identisch. Deshalb mussten wir uns ein eigenes Bild machen.

Maryse Lanners: Freitag, der 27. Januar war der Tag, an dem Mittal seine Pläne bekannt machte und das Land in Schock versetzte. Wie erinnern Sie sich an diesen Tag?

Jeannot Krecké: Donnerstags hatte ein Lobbyist von Herrn Mittal versucht, mich zu erreichen. Es hatte nicht geklappt. Freitags morgens rief Georges Schmit, unser Vertreter im Arcelor-Verwaltungsrat, mich an und sagte, Mittal Steel wolle Arcelor kaufen. Mittal wollte mit mir reden. So erfuhr ich es. Dann haben sich die Ereignisse überschlagen.

Maryse Lanners: Der Premier war in Afrika. Sie haben die Presse informiert. Es herrschte Weltuntergangsstimmung.

Jeannot Krecké: Arcelor war komplett unterbewertet. Wir wussten, dass so etwas kommen könnte. Aber niemand hatte gleich an Mittal Steel gedacht. Und an eine feindliche Übernahme.

Wir nahmen Kontakt auf mit den Regierungen aus Belgien, Frankreich und Spanien. Ziemlich schnell spitzte sich die Entwicklung gefährlich zu. Das Argument der verschiedenen Betriebskulturen wurde schlecht aufgenommen. Indien legte das Doppelbesteuerungsabkommen, das ich ein Jahr zuvor wiederbelebt hatte, und das für uns sehr wichtig ist, auf Eis. Ich musste schnell nach Indien reisen.

Maryse Lanners: Hat die indische Regierung Druck auf Luxemburg ausgeübt?

Jeannot Krecké: Die indischen Politiker waren ziemlich aggressiv, die Presse ganz fürchterlich. Ich ließ mich von einem indischen Kommunikationsspezialisten beraten, der mir Interviews organisierte. Ich konnte mich vor Anfragen kaum erwehren, die gesamte indische Presse interessierte sich für Luxemburg. Wir konnten die Stimmung umdrehen. Dem Industrieminister versicherten wir, dass wir das Gesetz über die öffentlichen Kaufangebote (OPA) nicht so eng formulieren würden, dass eine Übernahme unmöglich wäre.

Im Gegenzug versprach die indische Regierung, dem Doppelbesteuerungsgesetz zuzustimmen. Kürzlich habe ich den indischen Industrieminister an sein Versprechen erinnert. Es kamen positive Signale.

Maryse Lanners: Wie ist Ihr Kontakt mit Lakshmi Mittal und seinem Sohn? Wie schätzen Sie beide Männer ein?

Jeannot Krecké: Sie ergänzen sich. Der Sohn ist der komplette und moderne Manager. Er ist ein hochkarätiger Mann, der enorm viel weiß und viel Erfahrung hat, obwohl er erst 32 Jahre alt ist. Sein Vater ist eher der Kommunikator, ein charmanter Mann, der die großen Visionen und Strategien entwickelt. Und der die Kontakte hat.

Maryse Lanners: Mittal hat Zusicherungen bezüglich des Standortes Luxemburg gegeben. Kann man ihm vertrauen?

Jeannot Krecké: Ich bin überzeugt, dass er sich daran hält, auch weil er weiß, dass es wichtig ist, sich die Standortregierung nicht auf den Pelz zu laden.

Maryse Lanners: Gleichzeitig haben Sie Sympathien für Severstal nicht verheimlicht. Was wäre in dieser Optik besser gewesen?

Jeannot Krecké: Unsere Spezialisten sagten uns, das industrielle Modell von Severstal sei näher an dem der Arcelor. Die Integration wäre einfacher gewesen.

Maryse Lanners: Russland ist keine Demokratie, der Ursprung von Alexej Mordaschows Reichtum unklar. All dies hätte die Regierung nicht abgeschreckt?

Jeannot Krecké: Beim Ursprung von Herrn Mordaschows Reichtum haben wir nichts Verdächtiges entdeckt. Generell hat die Luxemburger Regierung sich in den vergangenen Monaten verstärkt um Partnerschaften mit Russland bemüht. Ich habe eine Reihe Unternehmer getroffen, die in Luxemburg investieren wollen und die, meiner Ansicht nach, anständige Leute sind.

Maryse Lanners: Welche geostrategischen Auswirkungen hat der Deal mit Mittal?

Jeannot Krecké: Er ist wichtig für unsere Entwicklung in Asien und besonders in Indien. Im Gegenzug mache ich mir große Sorgen über die Reaktionen aus Russland.

Maryse Lanners: Welche Lehren ziehen Sie aus dem Fall Arcelor/Mittal?

Jeannot Krecké: Wir leben in einer komischen Welt. Sie entspricht nicht unbedingt meinen Vorstellungen, aber wir müssen verstärkt damit leben. Wenn Luxemburg seine Rolle weiter spielen will, müssen wir uns mit erfahrenen Beratern, Kommunikationsspezialisten und Juristen umgeben. Ich hoffe, dass ein Teil des Geldes, das wir durch den Aktientausch bekommen, dazu genutzt wird.

Maryse Lanners: Gibt es andere Betriebe, die den Appetit von "global players" wecken könnten?

Jeannot Krecké: Es dürften noch einige Operationen kommen, das hört ja nicht auf. Das ist meine Schlussfolgerung.

Maryse Lanners: Und die Erkenntnis einer politischen Hilflosigkeit in der globalisierten Wirtschaft?

Jeannot Krecké: Nein, das glaube ich eben nicht. Natürlich bestimmt die Politik nicht alles. Aber man darf sie nicht unterschätzen. Diese Leute haben die Politik nicht beiseite geschoben, weil sie wissen, dass sie die Unterstützung der Politik brauchen. Es geht nicht um Prozente in der Aktiengesellschaft, sondern um das Gewicht, das man hat als Regierung, die von der Mehrheit des Volkes unterstützt wird.

Wir haben auf Vieles eingewirkt und konnten Vieles zum Positiven wenden.

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