Mit einem neuen Vertrag aus der Verfassungskrise? Nicolas Schmit au sujet du traité établissant une Constitution pour l'Europe

Guy Kemp: Sie plädieren für einen neuen Vertrag über das Funktionieren der EU-Institutionen. Ist damit der EU-Verfassungsvertrag gestorben?

Nicolas Schmit: Ich will erst einmal klar machen, dass ich hundertprozentig zur EU-Verfassung stehe. Wie so oft in der Politik muss man Realist sein, um zu verstehen, wann etwas möglich, schwierig oder gar unmöglich ist. Betrachte ich das politische Umfeld, dann sehe ich große Schwierigkeiten den Verfassungsvertrag, so wie er jetzt vorliegt, von 27 Ländern ratifizieren zu lassen. Es hängt nicht nur an den beiden Ländern, in denen das Referendum negativ ausfiel, sondern auch an jenen neun Ländern, die noch nicht ratifiziert und ebenfalls ein Referendum vorgesehen haben.

Wir haben uns darüber hinaus vorgenommen bis 2008 eine Lösung zu präsentieren und wir wollen vermeiden, dass wir uns bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament noch immer in einer Blockadesituation befinden. Daher sollten wir über Lösungen nachdenken, die uns vielleicht keine vollständige Zufriedenheit geben, jedoch uns erlauben, die Substanz und damit die wesentlichen Reformen der Verfassung zu retten, die dieser Text im ersten Teil enthält, damit diese noch vor 2009 in Kraft treten können.

Guy Kemp: Bedeutet das nicht ein "Rosinenpicken"?

Nicolas Schmit: Nein. Rosinenpicken würde bedeuten einige Elemente des Textes zu übernehmen, etwa nur den Außenminister und andere Elemente dabei ausschließen. Hier geht es darum, den größten Teil der Substanz zu erhalten. Dies ist möglich da der Text bereits von allen Ländern unterzeichnet wurde. Wohl ist der Text dann kein Verfassungstext mehr, sondern eine Änderung der bestehenden Verträge. Damit erhält Europa zwar in diesem Stadium keine Verfassung aber eine ganze Reihe institutioneller Verbesserungen wie etwa die Erweiterung der qualifizierten Mehrheit.

Guy Kemp: Was würde dieser Vertrag sonst noch enthalten?

Nicolas Schmit: Praktisch alles aus dem ersten Teil des derzeitigen Verfassungstextes. Eben von der Erweiterung der qualifizierten Mehrheit, über die verstärkte Zusammenarbeit, den Ratspräsidenten, die Möglichkeit von Bürgerinitiativen bis hin zum europäischen Außenminister, nach dem während der Libanon-Krise jeder gerufen hat. Alles zusammengefasst hat man den ersten Teil der Verfassung, zwar nicht als Verfassung, sondern als Verbesserung des institutionellen Räderwerks der Union.

Hinzu kommt die Charta der Grundrechte der Union, die ich als wesentlich betrachte. Wir können durchaus die Charta ohne die Verfassung haben. Ich bin der Meinung, dass Europa sich auf Grundwerten gründen muss und ich glaube es gibt keinen besseren Ausdruck für diese Grundwerte als das, was in der Charta steht.

Guy Kemp: Wie groß ist die Chance, dass es nicht mehr zu Neuverhandlungen kommen wird, etwa wegen der Anzahl der EU-Kommissare?

Nicolas Schmit: Die Frage der Kommission habe ich nicht angeschnitten, da diese auch laut Verfassungstext sich erst ab 2014 ändern wird. Ich gehe davon aus, dass bereits nach 2009 etwas kommen muss. Es ist eine Herangehensweise in zwei Etappen: Erst einmal einen neuen Vertrag, damit die Substanz der Verfassung gerettet wird.

Die zweite ist ein neues Zusammenkommen nach 2009. Ich rede nicht gerne von einer Konstituante. Praktisch sollte aber die Europawahl für eine Diskussion genutzt werden, um Europa eine neue Verfassung zu geben. Ich habe die Idee einer europäischen Verfassung nicht aufgegeben, will aber realistisch bleiben und erst gewisse notwendige und dringende Reformen machen.

Guy Kemp: Also keine Neuverhandlungen?

Nicolas Schmit: Nein. Der Deal muss so sein, dass nichts neu verhandelt wird. Jedes Land hat den vorliegenden Text unterzeichnet. Es geht also nicht, dass die Regierungen dies neu verhandeln. Es geht darum der Substanz des vorliegenden Textes eine neue Form zu geben, nicht als Verfassung, sondern als Vertrag, der die aktuellen Verträge reformieren soll. Mit Neuverhandlungen werden wir in diesem Stadium nie zu einem Ende gelangen.

Guy Kemp: Der Ausweg aus einer Pattsituation?

Nicolas Schmit: Das ist eigentlich ein Plädoyer für diese Methode. Wir sind uns bewusst, dass den Franzosen nicht der gleiche Text zu einem neuerlichen Referendum vorgelegt werden kann. Also müssen wir etwas ändern. Gleichzeitig sagen jene, die den Text bereits ratifiziert haben, dass sie nichts ändern wollen. Daher glaube ich, dass durch eine Änderung der Präsentation, der Form und der Natur des Textes der aktuelle Text ersetzt werden kann.

Guy Kemp: Wie entgeht man dabei einem neuen Referendum?

Nicolas Schmit: Wir haben hierzulande ein Referendum abgehalten, da wir der Überzeugung waren, dass mit der Verfassung ein wichtiger Schritt im europäischen Integrationsprozess getan wird. Nun gehen wir einen Schritt zurück, sprechen nicht mehr von einer Verfassung, sondern einem Vertrag, auch wenn dieser die institutionellen Reformen der Verfassung übernimmt.

Für uns ist die Frage einfach, da die Wähler die Substanz der Verfassung bereits angenommen haben. Da es sich hier aber nur um eine Änderung der bestehenden Verträge handelt, so wie Nizza eine Änderung des Amsterdamer Vertrages war, sehe ich nicht die absolute Notwendigkeit, dies zu einem Referendum vorzulegen.

Guy Kemp: Wer sind die Verbündeten auf diesem Weg?

Nicolas Schmit: Es handelt sich hier um meine persönlichen Ideen. Wir können nicht sagen, wir wollen eine Debatte über Europa in Luxemburg, verschweigen aber jene Frage, die sich viele Bürger nach dem Referendum stellen: was geschieht mit dem Verfassungstext. Wir können uns nicht vor dieser Frage drücken.

In Frankreich kommen gewisse Ideen auf, nicht nur von Herrn Sarkozy. Jo Leinen (Vorsitzender des Verfassungsausschusses im Europäischen Parlament) hat ähnliche Ideen. Auch der Präsident des Europäischen Parlaments, Josep Borrell, mit dem ich Gespräche geführt habe, teilt zu 99 Prozent diese Auffassungen mit mir. Es gibt eine ganze Reihe von Leuten die sagen, es ist an der Zeit laut nachzudenken. Und das habe ich getan.

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