Nicolas Schmit: "Ein Glücksfall für Europa". Le ministre délégué aux Affaires étrangères au sujet de la Présidence allemande du Conseil de l'UE

Marc Glesener: Herr Schmit, der deutsche EU-Ratsvorsitz soll Europa aus der Krise führen. Welches sind in Ihren Augen die wesentlichen Herausforderungen, an denen Kanzlerin Angela Merkel gemessen wird?

Nicolas Schmit: Da gibt es eine ganze Reihe von konkreten Dossiers, die der Ratsvorsitz anpacken muss. Besonders wichtig ist es allerdings, atmosphärisch etwas zu bewirken. Sehen Sie, wenn man den jüngsten Eurobarometer-Zahlen Glauben schenkt, haben immer mehr Bürger Schwierigkeiten mit der Richtung, die der Integrationsprozess genommen hat. Genau hier muss die deutsche Ratspräsidentschaft ansetzen. Sie muss die Europäer davon überzeugen, dass die Richtung für das gemeinsame Projekt stimmt. Vor diesem Hintergrund ist es in meinen Augen ein Glücksfall, dass nun ausgerechnet die Deutschen den Vorsitz in der Union haben.

Marc Glesener: Was führt Sie zu dieser Aussage?

Nicolas Schmit: Der Umstand, dass mit Deutschland ein großes und eines der wichtigsten Partnerländer überhaupt für sechs Monate an der Spitze der EU stehen wird. Wenn Deutschland sein fundiertes europäisches Engagement und sein starkes politisches Gewicht in die Waagschale wirft, kann das die EU durchaus weiterbringen. Auf allen Gebieten.

Marc Glesener: Auch in der Verfassungsfrage? Alle Blicke sind auf Berlin gerichtet. Kann Deutschland in dieser Frage aber überhaupt etwas bewirken?

Nicolas Schmit: Deutschland stand sozusagen am Ursprung des Verfassungsprojekts. Das ist eine durchaus positive Grundvoraussetzung für das, was nun kommen soll. Ich gehe davon aus, dass Deutschland die EU in der Verfassungsfrage näher an eine Lösung heranführen wird.

Marc Glesener: Schützenhilfe gibt es von Luxemburg und Spanien. Beide Länder starteten im Dezember eine Konzertierungsinitiative der Länder, die dem Vertrag bereits zugestimmt haben. Ende des Monats, genauer gesagt am 26. Januar, findet ein Ministertreffen in Madrid statt. Weshalb dieser Vorstoß?

Nicolas Schmit: Es ist an sich nichts Außergewöhnliches, wenn sich in der EU in bestimmten Fragen bestimmte Länder konzertieren. Wir hielten es für angebracht, dass nun auch die Staaten sagen, wie sie sich die Zukunft vorstellen, die das Vertragswerk bereits angenommen haben. Das ist eigentlich eine ganz logische Sache. Oder sollten ausgerechnet diejenigen schweigen müssen, die Ja zum Text gesagt haben?

Marc Glesener: Aber hätte diese Initiative nicht eigentlich vom Ratsvorsitz ausgehen müssen? Deutschland soll sich um einen Fahrplan für die Verfassung bemühen, nicht Spanien und Luxemburg.

Nicolas Schmit: Ich sehe kein Konkurrenzverhalten gegenüber der Präsidentschaft. Es geht ja auch nicht darum, Länder auszuschließen. Nein, wir sind im gewissen Sinne ein Supporterclub für den Ratsvorsitz. Unser Ziel sollte es sein, die Konturen dessen zu definieren, was an Substanzelementen des bestehenden Vertrages erhalten werden muss.

Marc Glesener: Eine Neuverhandlung des gesamten Vertragswerks schließen Sie also von vornherein aus?

Nicolas Schmit: Im Falle von Neuverhandlungen dürfte es extrem schwierig werden, einen Konsens zu finden. Demnach ist das kaum der richtige Weg.

Marc Glesener: Sie sprachen zu Beginn unseres Gesprächs von konkreten Dossiers, denen sich die deutsche Seite annehmen muss. An welche Dossiers dachten Sie?

Nicolas Schmit: In erster Linie an all die Fragen, die die Konsolidierung des Aufschwungs in der EU betreffen. Der Ratsvorsitz kann hier entscheidende Impulse liefern. Darüber hinaus scheint es mir wichtig, die soziale Dimension Europas stärker und konkreter hervorzustreichen. Zum Beispiel dadurch, dass die Blockadehaltung in Sachen Arbeitszeitregelung überwunden werden kann. Das wäre ein konkreter Schritt, der auch die Bürger von Europa überzeugen könnte.

Marc Glesener: Und die außenpolitischen Herausforderungen für die kommenden Monate? Welche sind hier die Schwerpunkte?

Nicolas Schmit: Ich denke da vor allem an die Lage in Nahost. Dort ist die EU stark gefordert. Auch besonders dadurch, dass sich die amerikanische Seite auf den Irak fokalisiert. Damit sind die Europäer mehr denn je am Zug. Angesichts dessen, was eine weitere Destabilisierung in Nahost geopolitisch auslösen kann, muss sich die EU mit allen Mitteln auf diplomatischem Weg für eine dauerhafte Friedenslösung einsetzen. Ein weiterer außenpolitischer Schwerpunkt dürfte in den kommenden Wochen und Monate der Balkan, sprich die Zukunft des Kosovo sein. Ein anderes Thema bleiben die Beziehungen mit Russland. Moskau ist ein unverzichtbarer Partner für die EU. Und das nicht nur in Fragen der Energieversorgung.

Marc Glesener: Stichwort Balkan: Die Erweiterung der EU Richtung Osten war Thema beim letzten EU-Gipfel. Die Menschen in der EU sind nicht gerade erweiterungseuphorisch. Muss die Politik da nicht umdenken?

Nicolas Schmit: Man muss feststellen, dass die Öffentlichkeit in der EU erweiterungsmüde ist. Das sollte aber nicht als Fatalität hingenommen werden. Die Politik muss den Menschen das Wieso und Weshalb der Erweiterungsstrategie besser erklären. Wobei man in Sachen Erweiterung als EU nicht die Flucht nach vorne ergreifen darf.

Marc Glesener: Damit sprechen Sie die Aufnahmefähigkeit der EU an, oder?

Nicolas Schmit: Ja. Europa muss strukturell und politisch in der Lage sein, neue Partner überhaupt aufnehmen zu können. Deshalb plädierten wir als Luxemburger auch in Brüssel immer wieder dafür, die Erweiterung und Vertiefung Europas nicht voneinander zu trennen. Eine Erweiterung soll und darf die EU schließlich nicht schwächen.

Marc Glesener: Sehen die deutschen Partner das auch so?

Nicolas Schmit: Die Position Deutschlands ist sehr nahe an unserer dran. Beitrittskandidaten dürfen nicht vergrämt werden. Nur darf man bei alldem die wirklichen Kapazitäten der EU nicht verkennen.

Marc Glesener: Es besteht der Verdacht, dass einige der engagiertesten Erweiterungsbefürworter im Endeffekt weniger Europa wollen.

Nicolas Schmit: Es ist absolut berechtigt, die Frage zu stellen, was bestimmte Länder überhaupt wollen.

Marc Glesener: Was Erweiterungskommissar Verheugen in Sachen Kommissarsposten will, das steht fest. Er möchte den kleinen Mitgliedstaaten ihren Vertreter in Brüssel nehmen. Was halten Sie von Verheugens jüngstem Vorstoß?

Nicolas Schmit: Ach wissen Sie, das sind unterm Strich Aussagen, die keinem etwas bringen. Es handelt sich um eine Provokation, die die Findung echter Lösungen nicht einfacher macht. Solche Lösungen brauchen wir jedoch in der EU. Das hat nämlich im Grunde etwas mit der Funktionsfähigkeit Europas zu tun, die auch der Verfassungsvertrag stärken sollte.

Marc Glesener: Im März wird in Berlin der 50. Jahrestag der Rom-Verträge begangen. Was erwarten Sie zum Jubiläum? Kann dieser Jahrestag Europa weiterbringen?

Nicolas Schmit: Das wird sich in Berlin herausstellen. Das Jubiläum wird den EU-Spitzen die Gelegenheit geben, sich auf die Grundfeste der europäischen Integration zu besinnen. Das Ganze soll in einer gemeinsamen Erklärung der 27 münden, die pünktlich zum Jahrestag in Berlin publik gemacht wird.

Dernière mise à jour