Jean-Claude Juncker: "Kein globales Klimabündnis ohne Europa"

d'Wort: Herr Premierminister, der EU-Gipfel unternimmt einen neuen Anlauf im Sinne einer konsequenteren Klimaschutzpolitik. In Anbetracht seiner negativen Kioto-Bilanz, und auch der von Ihnen gemachten Kritiken über die umweltpolitischen Versäumnisse der vergangenen Jahre, dürfte Luxemburg bei den Diskussionen wohl eher auf Zurückhaltung bedacht sein, oder?

Jean-Claude Juncker: Meine Kritik war dahingehend, dass in den vergangenen Jahren und Jahrezehnten, und nicht nur in Luxemburg, sondern europaweit, die Schärfe der Klimaschutzproblematik kollektiv weitgehend unterschätzt wurde. Erst im vergangenen Jahr setzte sowohl bei den politische Handelnden als auch bei großen Teilen der Öffentlichkeit eine Bewusstseins- und Meinungsbildung um die Problematik des Klimaschutzes ein. Beim Gipfel werden wir uns nun unbedingt auf ein europaweites, wenn auch national noch abzustimmendes verbindliches Konzept zur Senkung der Kohlendioxidemissionen und einer stärkeren Nutzung alternativer Energien einigen müssen.

d'Wort: Woher kommt denn diese plötzliche Einsicht der Politik? Immerhin warnen eminente Klimaforschungsinstitute schon sehr viel länger vor einer mittel- bis langfristigen unausweichlichen Klimakatastrophe.

Jean-Claude Juncker: Wenn die führenden Wissenschaftler der Welt zu dem Schluss kommen, dass der Klimawechsel zu 95 Prozent durch menschliches Einwirken verschuldet ist, dann hat man das ernst zu nehmen. Es ist von der Wirtschaftspolitik in der EU, und auch in Luxemburg, jahrelang so dargestellt worden, als handle es sich hier um Hirngespinste einer in ihrer Analyse fehlgeleiteten grünen Sensibilität, und der vorherrschende Diskurs, dass man es beim Klimawechsel vornehmlich mit normalen zyklischen Erscheinungen zu tun habe, bewirkte, dass die Politik, in Europa und in Luxemburg, sich ungenügend mit dem Phänomen beschäftigt hat. Es handelt sich hier somit um ein kollektives Versagen der Politik. Die dichte Zusammenballung von vielen autorisierten Meinungen verschiedenster Herkunft hat eben zu dieser plötzlichen Einsicht geführt. Menschen sind nun einmal so, dass sie auf einmal wahrnehmen, was sie zuvor beharrlich ignorierten. Ich hoffe, dass das auch einmal mit den Themen Hunger und Armut in der Welt der Fall sein wird, wo man seit 50 Jahren weiß, was zu tun ist und was wir in Luxemburg übrigens gemacht haben.

d'Wort: Wie zuversichtlich sind Sie denn, dass diese politische Einsicht beim Gipfel auch zu konkreten und verbindlichen Maßnahmen führen wird? Kann man eine Einigung auf eine gemeinsame Strategie erwarten?

Jean-Claude Juncker: Nun ja, verschiedene Länder sind in der Vergangenheit Verpflichtungen eingegangen, über deren Ausmaß sie damals wohl nicht bis zur letzten Konsequenz nachgedacht haben. Das trifft zum Beispiel auf Luxemburg zu...

d'Wort: Unsere Kioto-Verpflichtung zur 28-prozentigen Senkung der CO2-Emissionen bis 2012...

Jean-Claude Juncker: Sie sagen es. Ich denke, dass eine Einigung beim Gipfel auf eine Reduktion der CO2-Emissionen um 20 Prozent und eine entsprechende Heraufsetzung des Anteils der erneuerbaren Energien möglich ist. Das ist für Luxemburg eine schwierige Herausforderung, weil eine solche Steigerung alternativer Energienutzung ganz einfach nicht möglich ist. Wir haben bereits eine maximale Ausnutzung wassergetriebener Energiequellen. Wir sind am Maximum angekommen. Deshalb habe ich mit der belgischen Regierung verhandelt und abgemacht, dass Luxemburg im Rahmen der Energiewende und im Hinblick auf die gesteigerte Nutzung alternativer Energiequellen sich an Windmühlenprogrammen im belgischen Meer beteiligen wird. Ich verlange, dass unserem Land diese Investitionen in der Nordsee, die wir in unserem Land nicht tätigen können, dann auch von der EU-Kommission als alternative Energiequelle gutgeschrieben werden. Ähnlich kann ich mir auch eine Zusammenarbeit mit den Niederlanden oder Deutschland vorstellen. Das Klimaproblem ist ein globales, also auch ein global europäisches.

d'Wort: Wäre es in diesem Fall dann nicht einfacher, gleich europäische Projekte zu lancieren, statt sie national bzw. territorial festzuschreiben?

Jean-Claude Juncker: Ich wünsche mir, dass wir ein verbindliches Ziel im Klimaschutz für Europa festlegen und uns dann bemühen, Europaprojekte und nicht nur nationale Projekte zu entwicklen. Jene Länder, die, wie in dem für Luxemburg beschriebenen Fall, nicht dazu in der Lage sind, nationale Projekte zu realisieren, müssen dies auf dem Territorium anderer Länder tun können. Natürlich muss auch das, was auf dem nationalen Territorium machbar ist, voll ausgeschöpft werden.

d'Wort: In der EU werden lediglich 15 Prozent der Treibhausemissionen ausgestoßen. Für 85 Prozent ist der Rest der Welt verantwortlich. Wie sehen Sie die Möglichkeiten, dass die EU zum Motor eines neuen weltweiten Klimabewusstseins wird?

Jean-Claude Juncker: Aus vielen Gesprächen mit Politikern aus anderen Teilen der Welt weiß ich nur, dass wenn Europa, als reichster Kontinent, sich dieser Aufgabe nicht stellt, die anderen Partner nicht mitmachen werden. Wir brauchen ein weltweites Klimabündnis. Ohne Europa ist ein solches nicht denkbar, und der andere reiche Partner USA wird sich in dem Fall auch nicht beteiligen, auch wenn es dort eine wachsende Tendenz gibt, verstärkte klimapolitische Verantwortung zu übernehmen. Al Gore ist ein Beispiel dafür. Wenn die EU aber mitmacht, wird ein solcher Druck auf die Entscheidungsträger in den USA entstehen, dass diese sich dem nicht verschließen können. Die aufstrebenden Regionen der Welt, wie China und Indien, werden dem folgen müssen. Mit dem Wohlstand wächst auch dort dann die Sorge um die Umwelt. Also: Wenn Europa vor dieser wichtigen Zukunftsaufgabe demissioniert, dann wird diese sicher in der ganzen Welt nicht gelöst werden... Wir haben demnach eine wichtige Pionier- und Führungsrolle zu übernehmen.

d'Wort: Und dieses Bewusstsein ist bei allen EU-Partnern gleichmaßen vorhanden?

Jean-Claude Juncker: Natürlich muss man Verständnis dafür haben, dass einzelne, noch neue Länder dem wirtschaftlichen Fortschritt und der wirtschaftlichen Aufholjagd eine gewisse Priorität einräumen. Diese Länder werden wir von der Notwendigkeit eines verstärkt klimakonformen Wachstums überzeugen müssen.

d'Wort: Bei diesem Gipfel geht es aber auch um die Lissabon-Agenda und damit um das Streben nach mehr Wachstum. Besteht hier kein Widerspruch zum Klimanspruch?

Jean-Claude Juncker: Keineswegs. Es ist überholt zu meinen, dass eine Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz nur mit Kompromissen in der Klimapolitik einhergehen kann. Ein nachhaltiger wirtschaftlicher Erfolg entsteht nur in der Verbindung mit der Bekämpfung des Klimawechsels.

d'Wort: Ist es nicht so, dass die von Ihnen angesprochene dichte Ballung von Einsicht vornehmlich von der Wirtschaft und deren Rentabilitätslogik ausging und die Politik sich auch in diesem Fall nur treiben ließ?

Jean-Claude Juncker: Es ist schon beinahe grotesk, in einem Moment, wo die Politik ihre normative Kraft wiederentdeckt und der Wirtschaft, z.B. der Automobilindustrie, neue Verhaltensweisen vorschreiben will, behaupten zu wollen, die Politik laufe der Wirtschaft nach.

d'Wort: Welchen Raum nimmt übrigens die Nuklearenergie bei den Überlegungen im Kreis der 27 hinsichtlich einer neuen Klimapolitik ein?

Jean-Claude Juncker: Die Experten streiten sich darüber, inwieweit die Nuklearenergie zur alternativen Energie gerechnet werden kann. Als Politiker bin ich skeptisch angesichts der Perspektive einer Notwendigkeit von über 400 Atomzentralen weltweit, wollte man die Klimaziele über den nuklearen Weg erreichen. Im Übrigen sehe ich hierfür nicht den nötigen demokratischen Rückhalt bei den Menschen.

d'Wort: Wie will man Russland als Partner in die Reduktionsstrategie der EU und ein weltweites Klimabündnis einbinden?

Jean-Claude Juncker: Die Beziehungen zu Russland spielen sich hier auf dem diplomatischen Feld der Energielieferungs und -abnahmegarantien ab. Insofern plädiere ich für eine Verhandlung mit Russland auf gleicher Augenhöhe. Es ist für mich aber ebenso evident, dass eine aufstrebende Industrienation wie Russland sich ebenfalls an einem weltweiten Klimabündnis beteiligen muss. Ich erinnere daran, dass es europäischem Einfluss zu verdanken ist, dass Moskau das Kioto-Protokoll nicht nur unterzeichnete, sondern ebenfalls ratifizierte.

d'Wort: Das Thema EU-Verfassung...

Jean-Claude Juncker: ... wird beim Gipfel nur am Rande behandelt werden. Wir werden allenfalls über einzelne Elemente der "Berliner Erklärung" zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge beraten. Ich würde mir wünschen, dass bei dieser Erklärung auch an die großen Erfolge des Europäischen Einigungsprozesses erinnert wird, wie z.B. den Euro.

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