"Den Bürgern wieder Vertrauen vermitteln". Le ministre délégué aux Affaires étrangères et à l'Immigration, Nicolas Schmit, au sujet du 50e anniversaire des traités de Rome

Tageblatt: Werden die 27 EU-Staaten es mit ihrer Erklärung über die Zukunft Europas in Berlin schaffen, bei den EU-Bürgern Herz und Verstand wieder für die europäische Integration zu begeistern?

Nicolas Schmit: Seien wir doch etwas bescheiden. Die Begeisterung, so notwendig sie auch ist bei den europäischen Bürgern, und die Rückgewinnung ihrer Herzen kann man nicht alleine mit einer Erklärung erreichen. Es ist ein Ansatz und daher ist es wichtig, dass diese Erklärung die richtigen Botschaften vermittelt und sie für die Bürger verständlich ist.

Ich erwarte nicht, dass durch diese Erklärung eine "Europhorie" entsteht. Dazu bedarf es mehr. Die Erklärung von Berlin muss ein neuer und guter Ansatz dazu sein.

Tageblatt: Warum wurde diese Erklärung notwendig?

Nicolas Schmit: Wenn ein großer Geburtstag gefeiert wird, dann ist es wichtig, jeden daran zu beteiligen. Der 50. Jahrestag wird zu einem Zeitpunkt gefeiert, in dem Europa, wie die Zeitschrift The Economist sagt, in einer Midlife-Crisis steckt. Daran ist ja manches nicht so falsch. Die Erklärung von Berlin gibt eine Botschaft, die zurück in die Vergangenheit blickt. Sie erinnert daran, welches die Fundamente des europäischen Integrationsprozesses sind, an die Werte, die uns Europäer verbindet. Sie bietet aber auch einen Ausblick in die Zukunft, auf die großen Herausforderung für Europa in einer Welt im Wandel.

Damit soll den Bürgern auch Vertrauen vermittelt werden, dass wir, nach dem Motto der Feier, zusammen fähig sind, die großen Probleme, die die Welt uns stellt, zum Vorteil der europäischen Bürger zu meistern. Diese Botschaften müssen von dieser Erklärung ausgehen. Es ist ein Ansatz, die Erklärung kann jedoch nicht gewisse Zweifel und bestehende Sorgen aus der Welt schaffen. Dazu brauchen wir konkrete Politik.

Tageblatt: Kommen wir also zur Politik. Reicht es aus, die Europäer um die existenziellen Herausforderungen zu scharen, die der Klimawandel und die europäische Energieversorgung darstellen, um auch die europäische Idee weiter zu fördern?

Nicolas Schmit: Ich würde dazu sagen, es ist notwendig, aber nicht ausreichend. Notwendig, da alle Umfragen in Europa zeigen, dass sich der Klimawandel in den Köpfen der Europäer festgesetzt hat als eine große Sorge um den Wohlstand und die Sicherheit für die künftigen Generationen, nicht nur in Europa, sondern weltweit. Ich glaube, es hat sich eine gewisse planetarische Solidarität im Bewusstsein der Bürger entwickelt, was positiv ist. Wir wissen alle, dass wir, Europäer, eine große Verantwortung in diesem Bereich haben. Denn wir müssen uns eingestehen, dass wir zum Teil mitschuldig am Klimawandel sind, durch unseren Lebenswandel, durch unser Wirtschaftssystem. Wir haben daher auch eine große Verantwortung in der Behebung der Ursachen des Klimawandels. Dazu wurden beim letzten EU-Gipfel Akzente gesetzt, durch die Europa sich eine Leader-Stellung gegeben hat. Hier kann nicht ein Land alleine handeln, wir müssen solidarisch europäisch vorgehen.

Damit ergeben sich Möglichkeiten, ein technologischer Wandel, aber auch eine Modernisierung der Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Europa hat hier die Gelegenheit, andere große Akteure mit einzubeziehen, die USA wie auch die aufstrebenden Wirtschaftsnationen. Die Europäer haben damit die Möglichkeit, eine wichtige Rolle international, aber auch intern, zu spielen. Es ist jedoch auch ein guter Ansatz, zu zeigen,dass Europa fähig ist, große Herausforderung solidarisch anzugehen.

Tageblatt: Aber reicht das?

Nicolas Schmit: Das reicht nicht. Wir können Europa nicht nur anhand des Klimawandels wieder ankurbeln. Andere Fragen sind wichtig, in denen eine europäische Politik gebraucht wird. In diesem Sinne könnte der Klimawandel ein positives Signal geben, dass wenn der politische Wille da ist, es möglich ist, zu Resultaten und Entscheidungen zu kommen. Das Gleiche gilt etwa auch für die soziale Dimension. Wie stellt sich Europa den sozialen Folgen der Globalisierung? Ich denke dabei aber auch an Bereiche wie die Forschung, technische Innovationen. Auch hier müsste Europa solidarischer vorgehen und seine Fähigkeiten bündeln. Das Problem der Einwanderung müssen wir gemeinsam angehen. Oder den Kampf gegen die Kriminalität, bei dem noch ein altes Denken vorherrscht, das an den eigenen Landesgrenzen halt macht, wenn es um die Wahrung der Sicherheit geht. Auch in diesen Bereichen braucht Europa Resultate.

Tageblatt: Die bisherigen EU-Erweiterungen wurden mit der Wahrung von Frieden und Stabilität in Europa begründet. Wie sollen die nächsten Erweiterungen begründet werden?

Nicolas Schmit: Die nächsten möglichen Erweiterungen gehen um Länder im Balkan. Und es gibt wohl keine andere Region in Europa, für die das Argument des Friedens und der Stabilität bessere Anwendung findet als die Staaten vom Balkan. Wir verhandeln mit Kroatien, ein ehemaliges Land aus Ex-Jugoslawien ist bereits in der Europäischen Union: Slowenien. Um den Balkan weiter zu stabilisieren, ist auf Dauer ein Beitritt dieser Länder ein unumgänglicher Prozess.

Wir müssen dies jedoch sehr stark mit der Bedingung verknüpfen, dass die Werte der Europäischen Union, die Ideen von Frieden, Demokratie, regionaler Zusammenarbeit, von Respekt der Minderheiten und der Diversität in einer Gesellschaft fest in den politischen Systemen und den Gesellschaften dieser Länder verankert sind. Eine Erweiterung, bei der nicht darauf geachtet wird, würde neue Risiken mit sich bringen. Man sollte nicht der Illusion erliegen, dass allein durch die Erweiterung oder den Beitritt diese Probleme überwunden wären. Wir müssen daher aus dem Beitrittsprozess ein starkes Instrument machen, damit sich die europäischen Werte in diesen Gesellschaften und in den Köpfen der Menschen ausbreiten. Dieser Prozess bietet eine klare Perspektive, verlangt jedoch von diesen Ländern ebenso klare Verpflichtungen.

Tageblatt: Wie viel Vertiefung bedarf es, damit die EU mit ihren Erweiterungen funktionsfähig bleibt?

Nicolas Schmit: Ich glaube schon, dass wir ein gewisses Maß an Vertiefung brauchen, um die letzten Erweiterungen besser zu meistern. Wir haben es eigentlich verpasst, die Reform der Entscheidungsprozesse, vielleicht auch der Politiken, so weit voranzutreiben, um die Erweiterung um immerhin zwölf Länder besser zu verdauen. Daher ist die Frage eines neuen Vertrages in der Folge des gescheiterten Verfassungsvertrages immer noch eine wichtige Frage auf der europäischen Tagesordnung.

Wir können nur hoffen, dass der deutsche EU-Ratsvorsitz im Juni einen Fahrplan vorlegt, der es uns erlaubt, aus dieser Blockadesituation zu herauszukommen. Ich glaube, man muss die meisten der institutionellen Reformen im Verfassungsvertrag als ein Minimum dessen betrachten, was wir brauchen, um eine Europäische Union mit 27 und mehr Staaten funktionsfähig zu halten. Um auch jenes zu ermöglichen, was wir vorhin angeschnitten haben: um ein effizientes Europa der Resultate zu erhalten.

Wenn wir das erreichen wollen, dürfen wir uns nicht durch die Einstimmigkeit blockieren. Wenn wir Europa auf der internationalen Bühne stärken wollen, dürfen wir nicht mit 27 verschiedenen Stimmen sprechen. Wenn wir international Gewicht haben wollen, insbesondere bei der Lösung von Konfliktsituationen, dann brauchen wir Mittel, um dies zu tun. Diese Elemente sind im Verfassungsvertrag vorgesehen und sie dürfen nicht in einem künftigen Vertrag fehlen.

Tageblatt: Bedarf es nicht eines harten Kerns in der Europäischen Union, einiger Länder, die sich als "Laboratorium" einer weitergehenden Integration anbieten?

Nicolas Schmit: Ich würde sagen, es ist wahrscheinlich, dass diese Option in einem gewissen Stadium notwendig sein wird. So wie sie im Übrigen in der Vergangenheit immer dazu gedient hat, Europa in wesentlichen Bereichen weiterzubringen.

Ich beginne mal bei der deutsch-französischen Aussöhnung und dem deutsch-französischen Motor, der Europa oft dabei geholfen hat, voranzukommen. In anderen Zeiten hatten wir die Benelux-Staaten, die auch immer wieder dazu beitrugen, europäische Ideen weiterzubringen. Dann haben wir das Beispiel von Schengen, ohne das wir kaum so schnell den freien Personenverkehr in Europa bekommen hätten. Und selbstverständlich die Wirtschafts- und Währungsunion. Wenn wir damals auf alle zwölf Staaten hätten warten müssen, wir hätten heute den Euro noch nicht. Wir mussten zu jener Zeit in einer Gruppe von Ländern enger zusammenarbeiten, um Fortschritte zu erzielen. Daher ist das eine Methode, die man nicht unbesonnen einsetzen soll. Doch wenn in Europa ein Bedarf besteht, dass verschiedene Länder in wichtigen Bereichen schneller voranschreiten wollen, dann ist das eine positive Entwicklung. Klar ist jedoch, dass es die bessere Variante ist, wenn alle 27 beteiligt sind.

Ich bin jedoch der Meinung, dass das unterschiedliche Vorgehen in Europa, wenn es gut gemeistert wird, wenn es auf den fundamentalen Prinzipien der europäischen Integration beruht und offen ist für jeden, Europa immer zum Vorteil gereicht hat.

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