Jean Asselborn: "Wort Verfassung vergessen". Le ministre des Affaires étrangères au sujet du traité constitutionnel

Standard: Die Berliner Erklärung der Regierungschefs ist voll von hehren Worten, aber es ist wenig von der krisenhaften Lage der EU die Rede. Warum diese Schönfärberei?

Jean Asselborn: Der Zweck war, dass wir ein positives Signal geben wollten, dass Europa auch in schwierigen Zeiten fähig ist, im Konsens eine wichtige Deklaration zur Zukunft zu verfassen. Und es war wichtig, das Jahr 2009 als Zieldatum für einen neuen Basisvertrag zu nennen.

Standard: Warum kann man den Bürgern nicht reinen Wein einschenken? Das erhöht vermutlich die Akzeptanz.

Jean Asselborn: Die Probleme sind der Preis nach einer gewaltigen Erweiterung um zwölf Länder. Trotzdem ist es ein Erfolg, was in Europa erreicht wurde. Das, was wir nicht geschafft haben, sind zwei Sachen: Erstens, diesen Basisvertrag fertig zu bringen und uns Strukturen zu geben, die es ermöglichen, integrierte Politik zu machen, die wir alle brauchen.

Standard: Und das Zweite?

Jean Asselborn: Es ist vielleicht verloren gegangen, sichtbar zu machen, was der große Sinn der europäischen Konstruktion, der Friedensprozess, ist. Da müssen wir Politiker uns sicher kritisch hinterfragen, das mag unsere Schuld sein, weil wir zu stark das Theatralische in den Vordergrund stellen, weniger die Substanz.

Standard: Hat man sich mit der Behauptung, eine europäische Verfassung zu kreieren, nicht einfach übernommen?

Jean Asselborn: Wenn dieser Verfassungsvertrag in allen 27 Ländern von den Parlamenten ratifiziert worden wäre, dann wäre das durchgegangen. Aber in Frankreich und den Niederlanden hat man beim Referendum Nein gesagt. Man muss sehen, dass ein Referendum ein sehr komplexes Instrument ist, wo das Umfeld eine große Rolle spielt. Ich habe bei Frankreich gesehen, dass dort vor allem innenpolitische, parteipolitische Fragen viel stärker im Vordergrund waren als die europäischen Fragen.

Standard: Wie kommt man da jetzt raus aus dieser Krise?

Jean Asselborn: Politik braucht jetzt vor allem Mut. Wir kommen da raus. Ich bin nach Berlin sehr optimistisch. Man sollte das jetzt so wenig wie möglich zerreden und die deutsche Präsidentschaft Ende Juni ihre Vorschläge auf den Tisch legen lassen. Es gibt noch sieben Staaten, die nicht ratifiziert haben und zwei, die Nein gesagt haben. Bei den sieben Ländern gibt es drei Kategorien: Portugal, Dänemark, Irland, Schweden, dort ist die Zustimmung machbar. Dann gibt es zwei schwierige mit Tschechien und Polen. Schließlich bleibt Großbritannien, das bis ganz zum Schluss übrig bleiben wird bei der Zustimmung. Das ist ein Faktum.

Standard: Das Hauptproblem sind Frankreich und die Niederlande.

Jean Asselborn: Was Frankreich und die Niederlande betrifft, sehe ich sehr positiv, wie die Sache dort debattiert wird. Ich sage auch nicht mehr Verfassung, ich sage Basisvertrag. Im Französischen ist der Unterschied zwischen traité/Vertrag bzw. constitution/Verfassung auch nicht so groß. In den Niederlanden beginnt eine neue Debatte mit einer neuen Regierung. Warten wir also ab, es gibt deutlich positive Zeichen.

Standard: Was ist der nächste Schritt?

Jean Asselborn: Ich denke, es ist praktisch schon beschlossen, dass die Regierungskonferenz bis Ende Dezember 2007 unter portugiesischer Ratspräsidentschaft abgeschlossen wird. Dafür muss das Mandat im Juni definiert werden. Das Zieldatum 2009 ist wichtig. Bis dahin müsste ein ratifizierter Text vorliegen.

Standard: Soll der bestehende Vertragstext neu formuliert, adaptiert werden?

Jean Asselborn: Sicher ist, dass alle Länder aufeinander zugehen müssen. Auf Details will ich hier nicht eingehen. Aber es gibt Wege, wie man sich relativ rasch einigen könnte. Wenn man ein Jota am bestehenden Vertrag ändert, dann müssten alle EU-Staaten neuerlich ratifizieren. Eines sollte man aber machen, man sollte das Wort Verfassung vergessen. Es wird ein Basisvertrag sein, ein traité fondamental, wie immer man das nennen will. Entscheidend ist die Substanz.

Standard: Was ist der Grund für ihren Optimismus bezüglich Frankreich?

Jean Asselborn: Alle Parteien, alle wichtigen Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten, sprechen sich für bessere Strukturen aus, mehr integrierte Politik in der EU. Alle wollen, dass Frankreich eine wichtige Rolle spielt.

Standard: Was ist, wenn der zweite Anlauf misslingt?

Jean Asselborn: Das wäre für mich eine Katastrophe. Dann ist Europa seiner Aufgabe nicht gewachsen. Dann feierten wir zwar goldene Hochzeit, müssen aber sehen, dass wir lange nicht erwachsen sind.

Standard: Die USA wollen einen Raketenschild in Europa aufstellen. Droht eine neue Spaltung?

Jean Asselborn: Ich würde angesichts großer historischer Unterschiede niemals den Polen oder den Tschechen vorschreiben wollen, was sie in der Raketenfrage tun oder lassen sollen. Aber die Raketenfrage ist zuerst eine politische Frage, dann erst eine militärische. Wir haben den Vertrag von Nizza. Darin steht schwarz auf weiß, dass alle wichtigen außenpolitischen und verteidigungspolitischen Fragen solidarisch in der EU behandelt werden müssen.

Standard: Wie wird die Beziehung zu Russland tangiert?

Jean Asselborn: Die Räume sind klar definiert. Es gibt in der Nato den Nato-Russland-Rat. Für mich ist völlig klar, dass dieses Thema auch dort diskutiert werden muss. Wenn sich zeigen sollte, dass wir diesen Raketenschild für unsere Sicherheit aufbauen sollen, für die Sicherheit Europas wie auch Russlands und Amerikas, dann sollten wir das gemeinsam beschließen. Diese Diskussion muss geführt werden. Wenn das nicht notwendig ist, muss man den Mut haben zu sagen: Nein, das ist das Falsche. Als Luxemburg 2005 die Ratspräsidentschaft innehatte, haben wir wirklich alles getan nach dem Irakkrieg, die Beziehungen zwischen Europäern und Amerikanern wieder mitaufzubauen. Beide müssen ihre Energien zusammenbringen, um viele große Probleme der Welt zu lösen. Es gibt nicht das alte und das neue Europa. Wir müssen erstens solidarisch sein, und zweitens den Reflex haben, dass wir gut mit den Amerikanern zusammenarbeiten wollen, und umgekehrt verlangen wir das von den Amerikanern.

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