"Wir können auch anders." La ministre de l'Éducation nationale et de la Formation professionnelle, Mady Delvaux-Stehres au sujet du plan d'action pour le réajustement de l'enseignement des langues

d'Land: Frau Ministerin, im Sprachenaktionsplan räumen Sie der Kommunikation zwischen Ministerium und Lehrern einen großen Stellenwert ein. Was ist schiefgelaufen?

Mady Delvaux-Stehres: Beim Reflexionspapier zum Nouveau cadre pour TEST gab es sicherlich ein Kommunikationsproblem. Das kam ein bisschen wie aus heiterem Himmel und hat entsprechende Missverständnisse produziert. Das wollte ich so nicht noch einmal. Ansonsten geht es mir darum, eine direktere Kommunikation zu den Leuten aus der Praxis herzustellen.

d'Land: Beim Aktionsplan setzen Sie auf eine neue Form der Kommunikation. Indem Sie sich an die Schule direkt wenden, sind Ihre ersten Ansprechpartner aber nicht mehr die Gewerkschaften, sondern die Lehrer. Trauen Sie der Repräsentativität der Gewerkschaften nicht?

Mady Delvaux-Stehres: Es geht mir nicht darum, die Repräsentativität der Gewerkschaften zu hinterfragen, sondern um eine möglichst breite Kommunikation. Keiner weiß besser, was in den Schulen passiert, als die Lehrer selbst. Ich möchte deshalb, dass die Profis aus den Schulen den "Lead"' bei der Umsetzung des Aktionsplans übernehmen. Dafür brauchen sie aber zunächst eine Plattform, auf der sie sich äußern können.

d'Land: Sie schlagen unter anderem Regionalkonferenzen vor. Was wollen Sie damit erreichen?

Mady Delvaux-Stehres: Mit dem Nouveau Cadre bin ich in jede Schule gegangen - und musste hinterher feststellen, dass der Aufwand, 27 Lyzeen und 18 Primärschulen zu besuchen, allein physisch kaum zu bewältigen war. Wenn Schulen künftig in Regionalkonferenzen gemeinsam über einen Text beraten, ist das auch deshalb sinnvoll, weil sie dann gleichzeitig die Positionen der Nachbarschulen kennen lernen. Interessant wäre außerdem, die regionalen Konferenzen jeweils vom Schultyp her unterschiedlich zusammenzusetzen: So würden Lehrer aus dem technischen Sekundarunterricht mit Kollegen aus dem klassischen diskutieren. Im flämischen Belgien wird das systematisch gemacht, um so die Vernetzung innerhalb des Schulsystems zu fördern.

d'Land: Nun ging es doch bei der vehementen Kritik der letzten Jahre nicht bloß um ein Vermittlungsproblem: Bestehen nicht vielmehr inhaltliche Differenzen?

Mady Delvaux-Stehres: Ja, sicher. Wenn so viele Menschen über ein Thema diskutieren, gibt es immer verschiedene Meinungen. Irgendwann muss man aber trotzdem auf einen gemeinsamen Nenner kommen.

d'Land: Die Gewerkschaften begrüßen grundsätzlich den Sprachenaktionsplan. Allerdings werfen Sie Ihnen vor, nur einen vagen Rahmen formuliert zu haben.

Mady Delvaux-Stehres: Die Arbeitsgruppen, welche die Kompetenzen definieren, können das nicht ohne einen übergeordneten Rahmen. Den setzt der Aktionsplan. In der Primärschule kommen die Arbeitsgruppen gut voran. Auch für die 8e und für das Ende des unteren Zyklus liegen erste Vorschläge auf dem Tisch. Die Kompetenzsockel müssen aber anschließend noch validiert werden. Das soll im nächsten Jahr geschehen. Ich suche derzeit Schulen, die interessiert wären, über "tests étalonnes" zu prüfen, wie realistisch und exakt die vorgeschlagenen Kompetenzsockel tatsächlich sind.

d'Land: Wie steht es mit der Zusammensetzung der Arbeitsgruppen ? Haben Sie auch die Gewerkschaften gefragt?

Mady Delvaux-Stehres: Alle wurden aufgefordert, mitzumachen. Ein Risiko der Arbeitsgruppen ist jedoch, dass sich dort in erster Linie diejenigen Lehrer zusammenfinden, die ohnehin eine ähnliche Meinung haben. Es muss aber auch Leute geben, die skeptisch sind. Meine Bitte deshalb an die Kritiker: Meldet euch, macht mit!

d'Land: Beim Erstellen von Kompetenzen braucht es neben praktischer Erfahrung auch didaktisches und methodologisches Fachwissen. Das ist laut Europarat in Luxemburg eher dünn gesät.

Mady Delvaux-Stehres: Darum möchte ich zusätzlich ein Fachgremium, in dem auch anerkannte ausländische Experten mitarbeiten. Sie sollen uns begleiten und regelmäßig mit uns gemeinsam Bilanz ziehen, wo wir stehen und wie es weitergeht. Eines ist sicher: Wir erfinden hier ja nichts Neues. Alle europäischen Länder sind dabei, Fortschritte in punkto Sprachen zu machen. Wir waren immer stolz auf unsere Mehrsprachigkeit. Da können wir es uns nicht leisten, den Anschluss zu verpassen.

d'Land: Der Europarat unterscheidet verschiedene Kompetenzbereiche. Neben dem Schriftlichen sollen das Mündliche, das Lese- und das Hörverständnis dazu kommen. Was ist der Vorteil davon?

Mady Delvaux-Stehres: Wir haben eine lange Tradition des Schriftlichen. Sprache besteht aber aus mehr: Man muss auch lesen, schreiben und verstehen können. In den Lernstandserhebungen in der Primärschule haben wir festgestellt, dass unsere Schüler bereits ab der 2. Klasse ein Problem mit dem Leseverständnis haben. Sie können zwar Texte lesen, aber sie verstehen sie nicht. Wir müssen also verstärkt in das Verstehen investieren.

d'Land: Die Gewerkschaften sind offensichtlich mit der Unterscheidung in drei Noten einverstanden. Die Apess besteht aber darauf, das Schriftliche müsse mehr Gewicht bekommen. Andere sagen dagegen, das Schriftliche würde seit langem überbewertet. Wer hat Recht?

Mady Delvaux-Stehres: Niemand hat hundertprozentig Recht. Im Ministerium arbeitet eine Gruppe an neuen Bewertungsformen, von dort wird demnächst ein Vorschlag kommen. Es scheint mir klar, dass beim klassischen Abitur andere Gewichtungen gelten können als im Technique.

d'Land: Sie haben doch schon einen Vorschlag gemacht. Demnach soll das Schriflliche 3/6 der Gesamtnote ausmachen, das Verstehen 2/6 und das Mündliche 1/6. In anderen Ländern fordern Gewerkschaften, das Primat des Schriftlichen ganz aufzuheben und alle Kompetenzen gleich zu gewichten.

Mady Delvaux-Stehres: Da habe ich einen konservativen Vorschlag gemacht. Ich bin mir dessen bewusst.

d'Land: Wäre es nicht klüger, mehr zu verlangen und nicht von Anfang an Minimalforderungen zu stellen?

Mady Delvaux-Stehres: Wenn das Schriftliche nicht mehr allein maßgebend ist, ist das schon viel. Aber wie gesagt, die hohe Gewichtung des Schriftlichen gilt vielleicht für das klassische Gymnasium, im Technique sieht das möglicherweise anders aus. Wir beraten derzeit noch über andere, flexiblere Modelle. Mehr will ich jetzt dazu nicht sagen.

d'Land: Sie wollen am traditionellen Zeugnis und am 60-Punktesystem festhalten. Gleichzeitig fördern Sie Projekte wie das Neie Lycee oder Eis Schoul, die ohne klassische Noten auskommen wollen. Wie passt das zusammen?

Mady Delvaux-Stehres: Wenn ich sagen würde, wir schaffen die Noten ab, würde im ganzen Land über nichts anderes mehr gesprochen werden. Man muss in Etappen vorgehen. Sicher ist, dass etwas an der Bewertung geändert werden muss. Evaluation ist kein Selbstzweck und ich möchte daher nicht, dass sich darauf fokussiert wird. Deshalb unterstütze ich Schulen mit alternativen Modellen - es ist das Ergebnis, das zählt.

d'Land: Sind Ziffernnoten mit dem Sprachenkompetenzrahmen, wie ihn der Europarat vorsieht, überhaupt vereinbar?

Mady Delvaux-Stehres: Noten zeigen stets nur die Leistungen eines Kindes im Verhältnis zu seinen Klassenkameraden. Das ist nichts anders als ein Ranking und fördert die Selektion zwischen guten und schlechten Schülern. Insofern reflektiert das Bewertungssystem die Mentalität unseres selektiven Schulsystems. Mir geht es darum, die unterschiedlichen Stärken und Schwächen eines Schülers so präzise wie möglich benennen zu können - und eine Evaluation zu bekommen, die auch den Fortschritt dokumentiert. Da genügt eine einfache Ziffernnote nicht.

d'Land: Wenn die Lehrer neben traditionellen Noten neue Formen der Evaluation durchführen sollen (Textzensuren als "Beilage" zur Notenzensur, d. Red.), führt diese Zweigleisigkeit nicht zu einer Überlastung der Lehrkräfte?

Mady Delvaux-Stehres: Eine Sorge teile ich: Es darf nicht darum gehen, möglichst viele Tests zu machen. Schon heute beklagen sich Lehrer darüber, zu viele Prüfungen verbessern zu müssen. Allerdings sind es die Programmkommissionen selbst, die definieren, wie viele Prüfungen gemacht werden. Ich würde die Testeritis gerne zur Diskussion stellen.

d'Land: Das Pilotprojekt im unteren Zyklus des technischen Sekundarunterricht (Proci) hat gezeigt, dass es klare Strategien braucht, um benachteiligten Schülern zu helfen. Der Sprachenaktionsplan nennt aber kaum Maßnahmen speziell für die Schwachen. Keine Ideen ?

Mady Delvaux-Stehres: Wenn ich eine Lösung hätte, würde ich sie morgen drakonisch durchsetzen. Ich meine, wir müssen so früh wie möglich ansetzen. Wie wichtig die Frühförderung ist, weiß man ja auch aus der Fachliteratur und aus dem Ausland. Ich erwarte mir viel vom Beobachtungsbogen im Kindergarten, damit wir so früh wie möglich herausbekommen, wo wir ansetzen können. Auch die geplante Laborschule Eis Schoul wird diesbezüglich hoffentlich Erkenntnisse bringen.

d'Land: Im Rahmen des Proci planen Sie, die Schüler nach der achten Klasse wieder in verschiedene Gruppen einzuteilen. Ist die klasseninterne Differenzierung angesichts der großen Heterogenität mancher Klassen also doch nicht machbar?

Mady Delvaux-Stehres: Der Vorschlag stammt nicht von mir, sondern kommt aus der Proci-Arbeitsgruppe, wo er von einer Mehrheit der Schulen getragen wird.

d'Land: Und was ist Ihre persönliche Meinung dazu?

Mady Delvaux-Stehres: Ich denke, man sollte die Kinder so lange wie möglich zusammen lassen. Aber ich könnte auch damit leben, schon in der 9e mit der Orientierung zu beginnen. Man könnte in der 8e prüfen, wie der jeweilige Stand ist und die 9e dann nutzen, um verstärkt auf die jeweils gewünschte Ausbildung hin zu fördern. So könnte jemand, der in den Einzelhandel will, gezielt auf die dortigen schriftlichen und mündlichen Anforderungen in Deutsch und Französisch hin lernen.

d'Land: Aber damit ziehen Sie die Orientierung noch ein Jahr vor - obwohl Pisa insbesondere die frühe Orientierung angeprangert hat.

Mady Delvaux-Stehres: Ja, das ist der Schönheitsfehler.

d'Land: Aber ein sehr großer! Pisa hat noch etwas gezeigt: Wie wichtig es ist, dass zwischen verschiedenen Schulstufen Möglichkeiten zum Überwechseln besteht.

Mady Delvaux-Stehres: Wir haben festgestellt, dass die Durchlässigkeit unseres Systems größer ist, wenn in einer Schule alle drei Schulzweige vertreten sind. Deshalb sollen künftig in jeder Schule, die neu gebaut wird, im unteren Zyklus alle Filières - classique, technique und préparatoire - angeboten werden. In Redingen, Dommeldingen, im Nordstad-Lycee und in Esch-Belval wird das auch wieder der Fall sein.

d'Land: Man bekommt den Eindruck, Sie trauen sich nicht, strukturelle Reformen zu machen. Weder haben Sie die Mehrgliedrigkeit des Schulsystems infrage gestellt, noch die frühe Orientierung abgeschafft, die hierzulande bereits nach der sechsten Klasse beginnt.

Mady Delvaux-Stehres: Ich habe kein Mandat für strukturelle Reformen. Mein Auftrag lautet, die Berufsausbildung zu reformieren, das 1912-Gesetz zu überarbeiten, den Sprachenunterricht neu zu überdenken. Das ist das, was das Regierungsprogramm vorsieht.

d'Land: ... das Ihre Partei mit ausgehandelt hat und das man ändern kann.

Mady Delvaux-Stehres: Ich bin immer noch davon überzeugt, dass strukturelle Reformen sinnvoll wären. Ich glaube aber nicht, dass wir diese den Schulen zumuten können, wenn die materiellen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Die Schülerzahlen steigen weiter, wir haben alle Mühe, sie unterzubringen, gleichzeitig fehlt es uns weiterhin an Lehrpersonal. Das erschwert es den Lehrern, zusätzliche Anforderungen umzusetzen. Um große Strukturreformen durchzuführen, ist das ein denkbar schlechter Zeitpunkt.

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