"In schwieriger Mission unterwegs". Le ministre de l'Intérieur et de l'Aménagement du territoire, Jean-Marie Halsdorf, au sujet de la planification communale

Télécran: Premierminister Jean-Claude Juncker hat in seiner Rede zur Lage der Nation an die Ziele des "Integrativen Verkehrs- und Landesplanungskonzepts" erinnert und schickt Sie damit auf Werbetournee. Ist das ein Wiederbelebungsversuch?

Jean-Marie Halsdorf: Ich treffe mich in den sechs IVL-Regionen mit den jeweiligen Gemeindevertretem, weil wir als Regierung überzeugt sind, dass IVL noch immer aktuell ist. IVL ist ein von der Politik gestaltetes Planungsmodell für den Standort, aber auch Lebensort Luxemburg. Grundannahme ist ein jährliches Wirtschaftswachstum von vier Prozent, was bedeutet, dass zusätzliche Arbeitsplätze entstehen - für Grenzgänger oder eben Menschen, die im Land wohnen können, wenn wir entsprechend planen. Führt man den Gedankengang weiter, landet man bei der Frage der Mobilität und auch der Feststellung, dass die derzeit zu starke Konzentration der Wirtschaftsansiedlung auf das Zentrum falsch ist. Die dezentrale Ausrichtung mit drei Polen (Luxemburg-Stadt, Esch und Nordstad) und sechs Planungsregionen ist und bleibt eine richtungweisende strategische Entscheidung.

Télécran: Welche Hauptbotschaft wollen Sie vermitteln?

Jean-Marie Halsdorf: Dass es weiter geht. Dass wir integrativ denken müssen. Dass IVL notwendig ist. Ich sag' das noch zehn Mal. Es ist notwendig. Wenn wir gern unsere Zukunft langfristig und nachhaltig planen wollen, die Lebensqualität, die bemerkenswert hoch ist, halten wollen, wenn wir weiterhin in diesem Land Arbeitsplätze finden wollen, müssen wir IVL-konform denken, planen und handeln. Es wird immer wichtiger, territoriales Denken zu entwickeln, etwas, was auch die EU anstrebt, als "cohésion territoriale" - denn der Raum verbindet ja das Soziale mit dem Wirtschaftlichen.

Télécran: Was sagen Sie Kritikern, die IVL für tot halten?

Jean-Marie Halsdorf: Die Realität seit der IVL-Ausarbeitung im Jahr 2003-2004 zeigt klar, dass Luxemburg sich stärker denn je in einem Pendlerszenario bewegt. Rein zahlenmäßig sind wir aufgrund des starken Wachstums wenigstens schon bei dem Szenario für 2009 angekommen. Das stellt unser Land vor immer neue Herausforderungen. Ich will vor Ort präsent sein und erklären, dass und wie wir mit IVL weiterkommen. Ich werde auch nochmals die Umsetzung der vier sektoriellen Pläne - Gewerbegebiete, Grünlandschaften, Transport, Wohnungsbau - vorstellen, die im Laufe des Jahres 2008 in die Prozedur gehen können, d. h. sie werden auf den Prüfstand von Ministerrat, Staatsrat und den Gemeinden gehoben.

Télécran: Haben die Gemeinden sich bisher in punkto Landesplanung ein bisschen taub gestellt?

Jean-Marie Halsdorf: IVL hat ein Kernproblem.

Jeder versteht aufgrund der komplexen Materie etwas anderes darunter. Das ist ein politischer Denkprozess, der integrativ ist und neuartig. Wir vernetzen wichtige Planungen rund um Wohnen und Arbeiten. Da kann man nicht Einzelteile herausnehmen. Aber das geschieht. Ein Beispiel: Die Gemeinde Leudelingen verfügt über einen Bahnanschluss. Doch macht sie das noch nicht IVL-tauglich. Denn Leudelingen liegt in der "zone verte interurbaine", die zwischen Zentrum und Süden Freiraum lassen soll. Das ist ein IVL-Ziel, der Landschaftserhalt. Leudelingen kann also zwar wachsen, aber nur beschränkt. Das gleiche gilt für Alzette-Gemeinden. Da sind Konventionen mit bestimmten Gemeinden nötig -Absprachen zu Themen wie Parken, öffentlichem Transport und Wohnungsbau etwa. Das gilt auch rund um den Flughafen mit Contern, Schüttringen, Niederanven, Sandweilerund der Stadt Luxemburg.

Télécran: IVL ist ein politisches Modell. Wie können Sie die Papiervorlagen in die Praxis umsetzen?

Jean-Marie Halsdorf: Indem wir uns zum Beispiel ganz konkret bemühen, aus dem Pendlerszenario herauszukommen. Der "Pacte logement" mit den Gemeinden wird mit Sicherheit ein Stück dazu beitragen, dem Einwohnerszenario näher zu kommen. Als Landesplaner müssen wir prüfen, wie sich die Bauentwicklung mit dem Sektorialplan Wohnen verträgt. Sicherlich sind aber noch Probleme zu lösen. Es erschwert etwa landesplanerische Vorhaben, wenn der Staat, der Zonen ausweisen will, nicht an die entsprechenden Grundstücke herankommt. Was habe ich davon, wenn ich weiß, dass es landesplanerisch Sinn macht auf Roost - neben der neuen Luxlait - eine Industriezone anzusiedeln, aber der Grund und Boden gehört einem Bauern, der sich erst vor zehn Jahren dorthin ausgesiedelt hat und nicht verkaufen will. Selbstverständlich hat der Bauer seine Rechte. Aber wir als Landesplaner kommen nicht weiter. Da muss sich die Politik Mittel geben. Wir riskieren sonst den Stillstand. Landesplanung darf nicht nur in der Theorie begrüßt werden und regelmäßig an der Realität scheitern.

Télécran: Viele Gemeinden gehen nur zögerlich an ihre Pflicht heran, neue Bebauungspläne auszuarbeiten. Welche Folgen kann dies haben, mit Blick auf das Stichdatum 7. August 2010?

Jean-Marie Halsdorf: Mit Esch/Sauer hat erst eine Gemeinde ihren Plan d'aménagement général (PAG) gemäß den Vorgaben von 2004 überarbeitet und mit Remich durchläuft eine zweite Gemeinde derzeit den Instanzenweg. Andere befinden sich momentan im Stadium der Ausarbeitung. 60 Gemeinden haben bislang noch überhaupt keinen Vertrag mit einem Planungsbüro abgeschlossen. An sie kann ich nur appellieren, ihre Hausaufgaben zu machen. Viele Gemeindeväter und -mütter tun sich noch ein bisschen schwer, weil das Gesetz von 2004 eine neue Philosophie mit sich bringt. Ich bin aber zuversichtlich, dass es klappt. 2010 erscheint mir noch ein realistischer Zeitpunkt, zumal in Ausnahmen eine Verlängerung bis 2011 möglich ist.

Télécran: Sie kündigen gleichzeitig aber auch eine Reform des 2004er Gesetzes und der Ausführungsbestimmungen an. Welche Korrekturen streben Sie an?

Jean-Marie Halsdorf: Das Landesplanungsgesetz und das kommunale Flächennutzungsgesetz sollen nachgebessert werden, weil sich in der Praxis eine Reihe von Unzulänglichkeiten herausgestellt haben und auch einige rezente Gerichtsurteile hier Handlungsbedarf aufgezeigt haben. So soll etwa die Liste der befugten Planungsbüros durch eine Reihe von Kriterien ersetzt werden, welche die Planer künftig erfüllen müssen. An der generellen Philosophie des Gesetzes halten wir aber fest.

Télécran: Tatsache bleibt aber, dass Landes- und Gemeindeplanung nur zäh von statten geht. Wem fehlt es an gutem Willen?

Jean-Marie Halsdorf: Es mangelt meiner Auffassung nach keinem an gutem Willen. Ich würde eher sagen, dass integrative Landesplanung Neuland ist und eine komplexe Materie noch dazu. Nur zum Vergleich: Gemeinden brauchen zur Abänderung eines bestehenden Bebauungsplanes schon drei bis vier Jahre. Mein Ministerium muss gänzlich ohne Erfahrungswerte gleich vier neuartige primäre, landesweite Sektorialpläne anfertigen. Das fordert von allen Höchstleistungen. Jeder gibt sein Maximum. Aber es braucht seine Zeit.

Télécran: Welche Aufgabe kommt dem Landesplanungsausschuss unter seinem neuen Präsidenten Jean Goedert zu?

Jean-Marie Halsdorf: Der Ausschuss soll den Spagat machen zwischen der Landesplanung und der Gemeindeplanung. Er muss prüfen, ob die kommunalen Vorhaben mit den Zielen der Landesplanung konform sind. Deshalb ist die Kommission auch so multidisziplinär besetzt. Ein zweiter Aspekt ist, falls gewünscht, die Beratung der Kommunen im Vorfeld der PAG-Planungen.

Télécran: Die Territorialreform ist Gegenstand von Beratungen einer Spezialkommission des Parlaments. Dort scheint sich die Diskussion im Kreis zu drehen. Keiner traut sich eine Entscheidung zu treffen, ob erst die Kompetenzen zu regeln sind, oder die Gemeinde-Finanzen oder die Frage der Fusionen. Was ist Ihre Meinung?

Jean-Marie Halsdorf: Ich wiederhole das, was ich seit jeher sage. Die Grundfrage jeder Debatte muss lauten: Wie hat eine Gemeinde im 21. Jahrhundert zu funktionieren? Was sind ihre Basisaufgaben? Erst wenn ich diese Frage der Kompetenzen geklärt habe, kann ich mich mit dem Gemeindehaushalt befassen. Sobald es um die Frage der Umsetzung geht, kommt automatisch die Personalfrage hinzu. Hier taucht dann auch der Moment auf, sich zu fragen, ob nicht eine Fusion mit Nachbargemeinden angebracht wäre. Nachzulesen sind meine Überlegungen zu modernen Gemeinden in meinem "Concept intégratif pour une réforme territoriale et administrative du Grand-Duché de Luxembourg". Zu finden ist der Text über die Internetseiten www.mi.etat.lu.

Télécran: Stichwort Fusionen - welches Ziel streben Sie an?

Jean-Marie Halsdorf: Vorab sei gesagt, dass wir eine Charta unterschrieben haben, die besagt, dass die Gemeindeautonomie immer gilt. Das heißt die Bürger können selbst über den Weg eines Referendums entscheiden, ob sie einen Zusammenschluss wollen oder nicht. Ich bin selbst ein Anhänger von "bottom up - top down" und befürworte Lösungen, die auf guten Kompromissen beruhen. Mir ist klar, dass man Fusionen nicht erzwingen, sondern nur im Einverständnis mit den Kommunalpolitikern und Bürgern herbeiführen kann. Es geht ja darum, dass diese Leute ihre Motivation nicht verlieren. Denn Gemeindepolitik spielt in Luxemburg, das nur zwei Ebenen der politischen Entscheidungen kennt, im Gegensatz zu anderen Ländern, eine weitaus wichtigere Rolle. Ein lehrreicher Blick zurück in die Geschichte der Gemeinden zeigt, dass sich vorsichtiges Vorgehen empfiehlt. Andererseits muss aber auch klar sein, dass im 21. Jahrhundert Gemeinden moderne Dienstleistungsunternehmen geworden sind. Da reichen die Basisaufgaben, wie sie im Postkutschenzeitalter für Gemeinden festgelegt worden sind, nicht mehr aus. Ich will die Gemeinden aus dem 19. ins 21. Jahrhundert führen.

Télécran: Trifft Ihr Werben für Fusionen denn auf Gegenliebe bei Kommunalpolitikern?

Jean-Marie Halsdorf: Durchaus. Was konkrete Fusionspläne angeht, so führe ich gern ein paar Beispiele an: Clerf, Heinerscheid und Munshausen halten im Herbst ein Referendum zum Thema Fusion ab. Zwischen Hosingen und Consthum laufen seit kurzem Gespräche. Esch/Sauer und Heiderscheid bewegen sich ganz konkret in Richtung Fusion. Die Gemeinde Neunhausen lotet zurzeit drei Möglichkeiten aus, mit Wahl, Rambrouch, Esch/Sauer und Heiderscheid. Gespräche laufen auch zwischen Eschweiler und der Fusionsgemeinde Kiischpelt. Zur Zusammenarbeit bereit sind auch die Gemeinden Fischbach, Heffingen, Nommern und Fels. Ferner wollen Simmern und Tüntingen enger zusammenarbeiten.

Télécran: Welche Größe erscheint Ihnen angemessen für eine gut funktionierende Luxemburger Gemeinde im 21. Jahrhundert?

Jean-Marie Halsdorf: Da bleibe ich bei meiner Idee von einer modernen Gemeinde mit 3000 Einwohnern. Bis heute hat mir da auch noch keiner überzeugend widersprochen. Sicherlich kann es ja nach Art der Region - ob urban, rurban oder rural - noch gewisse Nuancen geben. Aber 3000 ist eine gute Richtschnur. Ich hätte gerne starke Gemeinden. Denn jeder Bürger, egal wo er wohnt, hat das gleiche Anrecht auf kommunale Basisdienstleistungen und dies zu einem vergleichbaren Preis-Leistungsverhältnis. Dazu gehören die Kinderbetreuung und das Schulangebot ebenso wie die Straßeninfrastruktur und die Wassernetze.

Télécran: Können nicht Syndikate alle Funktionen der nötigen Zusammenarbeit zwischen Gemeinden gut erfüllen?

Jean-Marie Halsdorf: Warum entstanden so viele Syndikate in letzter Zeit, an die 80 sind es bis heute? Als Antwort der Gemeinden seit den 1970er Jahren auf die Modernisierung unserer Welt. Damals stellten die Kommunalpolitiker fest, dass sie den wachsenden Anforderungen alleine nicht immer gerecht werden können. Zwangsfusionen, wie sie damals angedacht wurden, erwiesen sich in der Praxis als nicht zielführend. Da suchte und fand die Politik den Weg der Zusammenarbeit über Syndikate - deren deutsche Bezeichnung Zweckverband übrigens am besten ausdrückt, wozu sie dienen, nämlich einem konkreten Zweck. Syndikate sind nicht auf alle Probleme die richtige Antwort. In manchen Bereichen - etwa Wasser, Abwasser, Müllentsorgung - ist ein Syndikat die beste Lösung. Optimal wird es, wenn der Zusammenschluss regional und national klappen würde.

Télécran: Gemeindepolitikerbeklagen sich, das Gemeindegesetz beschränke ihren Handlungsspielraum. Ist es nicht mehr zeitgemäß?

Jean-Marie Halsdorf: In der Verfassung sind die öffentlichen Aufgaben einer Gemeinde, die ihre vorrangige Mission bleiben werden, verankert. Diese Verfassung verbietet Gemeinden kommerzielle Aktivitäten, was durchaus zu verstehen ist. Wirtschaftliche Unternehmungen können auch zu finanziellen Verlusten führen. Das Risiko darf eine Gemeinde nicht eingehen, die ihre Basisdienste zu leisten hat. Wir haben aber aufgrund von EU-Recht neue Auflagen, die Luxemburg erfüllen muss, da sind auch die Gemeinden gefordert, etwa im CO2 -Bereich. Hier sind Überlegungen aufgekommen, kommerzielle Elemente mit einfließen zu lassen. Ich sehe durchaus einen gewissen Spielraum. Ich denke da etwa an den Bereich erneuerbare Energien. Geregelt werden muss dies dann über den Weg eines Gesetzes.

Dernière mise à jour