"Schulreformen im Schatten von Pisa und Pirls". Mady Delvaux-Stehres au sujet de la rentrée scolaire

Tageblatt: Das Schuljahr 2006/2007 liegt hinter uns. Was waren für Sie die bildungspolitischen Highlights?

Mady Delvaux-Stehres: Erst einmal bin ich froh, dass es uns gelungen ist, das ganze Reformpaket für die Grundschule zu schnüren. Die Regierung hat der Vorlage zugestimmt. Das freut mich sehr. Dieses Projekt lag mir besonders am Herzen, ich habe viel darin investiert.

Gefreut hat mich auch, dass der "Bac international" gut angelaufen ist und die Vorbereitungen für einen englischsprachigen internationalen Lehrgang in der öffentlichen Schule vorankommen. Auch dieses Anliegen liegt mir stark am Herzen, weil ich davon ausgehe, dass die öffentliche Schule ein differenziertes Bildungsangebot benötigt.

Es freut mich auch, dass das Schengen-Lyzeum am 27. August den Betrieb aufgenommen hat. Froh bin ich auch über die Akzeptanz des Aktionsplans zur Neugestaltung des Sprachunterrichts. Neben den Strukturen liegen mir auch die Inhalte besonders am Herzen. Die Strukturen verändern, reicht nicht. Wir müssen auch die Inhalte für eine moderne Schule definieren. In diesem Zusammenhang laufen die Diskussionen über die Kompetenzen gut.

Tageblatt: Hinter uns liegt auch die Neudefinition des Lehrauftrags. Der Vereinbarung waren schwierige Verhandlungen vorausgegangen.

Mady Delvaux-Stehres: Ja, aber ich bin froh, dass wir zu einer Einigung gekommen sind, dass etwas dabei herausgekommen ist. Das Ziel besteht ja darin, mehr Kinder auf einem höheren Niveau zu qualifizieren. Erst einmal müssen wir festlegen, was Schüler auf dem Weg dorthin wissen müssen. Es geht ja nicht nur um ein Diplom. Sie brauchen auch Kompetenzen, um im Leben und im Beruf bestehen zu können. Das wäre die Programmdiskussion. Daneben müssen wir die Bedingungen schaffen, damit dies ermöglicht wird. Das ist sicherlich der schwierigere Teil. Gesetze verabschieden ist schwierig, Inhalte definieren auch. Danach erst geht es an die Umsetzung. Hier werden Einsatz, Motivation und Professionalität der Lehrkräfte benötigt, damit das Unternehmen gelingt. Vor diesem Hintergrund bin ich über das Abkommen froh, zumal es uns gelungen ist, mehr Zeit für die Schule herauszuschlagen. Mit der Umsetzung betreten wir Neuland. Wir müssen die verfügbare Zeit bestmöglich nutzen.

Wichtig für die Umsetzung ist auch der Bereich Weiterbildung. Hier müssen wir einen starken Einsatz bringen, um Ausbilder zu finden, die eine Fortbildung anbieten, die der Schule konkret etwas bringt. Das ist schwierig, weil nicht alle die gleichen Voraussetzungen im Bereich der Schulentwicklung mitbringen. Wir können also nicht allen die gleiche Fortbildung anbieten. Sie muss auf die verschiedenen Schulen zugeschnitten sein. Das wiederum setzt eine interne Bedarfsanalyse in den einzelnen Schulen voraus.

Tageblatt: Die Neudefinition des Lehrauftrags für den Sekundarunterricht ist unter Dach und Fach. In der geplanten Grundschulreform scheint ein ähnlicher Ansatz vorhanden. Ist damit weiterer Ärger vorprogrammiert?

Mady Delvaux-Stehres: Das großherzogliche Reglement über die Aufgaben des Grundschullehrers sieht praktisch alles vor. Der Lehrauftrag ist lediglich nicht quantifiziert. Neben den Unterrichtsstunden werden die anderen Aufgaben des Lehrers aufgeführt: Konzertation, Elternarbeit, Verbesserungen ...

Nun weiß ich, dass es bereits viele Schulen mit Projekten gibt. Wenn aber nun mit dem neuen Gesetz Schulentwicklungspläne für alle Schulen eingeführt werden, um Schüler angemessener betreuen zu können und ihnen eine bessere Qualifikation zu ermöglichen, heißt das, dass man die nötige Zeit für Absprachen finden muss. Das ist zeitintensiver als reines Unterrichten.

Tageblatt: Sie gehen dabei aber nicht von größeren Schwierigkeiten aus?

Mady Delvaux-Stehres: Oh, nichts wird leicht. Bei Grundschullehrern ist die Diskussion in dem Sinn schwieriger, weil sie Forderungen mit Blick auf eine angemessene Einstufung im öffentlichen Dienst stellen. Das müssen wir zuerst klären, bevor wir über andere Dinge reden können.

Tageblatt: Wie schätzen sie die Perspektiven ein, um zu einem zufriedenstellenden Ergebnis zu kommen? Im öffentlichen Dienst scheint wohl eher eine vorsichtige Haltung zu überwiegen?

Mady Delvaux-Stehres: Ich habe Verständnis für diese Haltung, da ein Präzedenzfall befürchtet wird, der eine Lawine von Gehälterforderungen nach sich ziehen könnte. Diese Frage muss in den nächsten Wochen auf Regierungsebene geklärt werden.

Tageblatt: Irgendwie sitzen sie zwischen den Stühlen! Sie haben den Anspruch, die Schule zu reformieren und werden durch die Forderungen der Lehrerverbände gebremst.

Mady Delvaux-Stehres: Ja, das stimmt mich traurig. Eigentlich will ich über die Schule diskutieren. Irgendwie fühle ich mich als Geisel. Lange standen die Inhalte im Rahmen der Gespräche mit den Gewerkschaften im Vordergrund. Nun sind es die Gehälterforderungen.

Tageblatt: Wenden wir uns wieder den Inhalten und Strukturen zu. Die geplante Grundschulreform setzt verstärkt auf die ersten Schuljahre und will die Früherziehung mit in die Kompetenzlogik einbeziehen. Wie muss man sich diesen Ansatz konkret vorstellen?

Mady Delvaux-Stehres: Mehr als der formale Ansatz liegt mir die Kontinuität in der Erziehung am Herzen. Das Wesen des Kindes verändert sich nicht von der Früherziehung zur Vorschule bzw. von der Vorschule zur Primärschule. Es geht folglich darum, eine Kontinuität aufzubauen. Es wurde ja auch lange über die Kompetenzen in der Vorschule diskutiert, dazu gehört auch die Früherziehung. Es werden also Kompetenzen festgelegt, auf die dann in der Primärschule aufgebaut werden kann. Das heißt aber nicht, dass es ein Aufnahmeexamen für die Primärschule geben wird.

Wir arbeiten mit einem Beobachtungsbogen, der uns als Methode erlaubt, die Kompetenzen der Kinder zu ermitteln und zu verfolgen. Hierbei geht es um Sprache, Bewegung, soziales Verhalten, Kreativität, logisches Denken und Motorik. Sollten Probleme festgestellt werden, muss das Kind gezielt gefördert werden. Das setzt eine bessere Beobachtung der Kinder in der Vorschule voraus. Das halte ich für wesentlich. Für mich gehört die Früherziehung dazu. Das heißt aber nicht, dass wir Kinder nun unter Druck setzen müssen, um ein Ziel zu erreichen. Die große Neuerung besteht darin, dass der Zugang zum ersten Schuljahr nicht wie bislang am Alter, sondern an der Entwicklung des Kindes festgemacht wird. Die Schule soll dabei zwei Gefahren aus dem Weg gehen. Zum einen soll vermieden werden, dass Probleme nicht wahrgenommen werden, andererseits dürfen Kinder mit fortgeschrittenen Kompetenzen nicht in ihrer Entwicklung gebremst werden. Die Konsequenz wäre Langeweile, fehlende Motivation und der Verlust der Freude am Entdecken. Beide Risiken gilt es zu vermeiden. Das ist besonders bei kleineren Kindern wichtig.

Tageblatt: Natürlich setzt dies genügend Betreuungsstrukturen auf Gemeindeebene voraus. Die Kommunen sollen per Gesetz verpflichtet werden, Früherziehung anzubieten. Bislang gibt es in den Kommunen recht unterschiedliche Angebote.

Mady Delvaux-Stehres: Hier müssen wir Normen aufstellen. Es reicht ja nicht, ein Gesetz zu verabschieden. Wir müssen auch realistisch bleiben und den Gemeinden eine Chance geben, progressiv entsprechende Angebote aufzubauen. Einige haben mehr vorgesorgt als andere. Es geht aber nicht darum, Kommunen mit Aufgaben zu erschlagen, die sie nicht schaffen können.

Zusammen mit dem Familienministerium sind wir dabei, Konzepte auszuarbeiten, die Kommunen angeboten werden können. Mit Auffangstrukturen allein ist es ja nicht getan. Wenn wir uns am Prinzip des Schulerfolgs orientieren wollen, müssen auch im Rahmen der Betreuung Angebote geschaffen werden, die auf dieses Ziel hinarbeiten. Ich denke dabei an Remediation und ein Zusammenspiel von Lehrern und Erziehern, von Schul- und Betreuungspersonal.

Sogar in den wenigen Ganztagsschulen, die wir haben, ist dies nicht so einfach. Diese Zusammenarbeit zählt zu den identifizierten Problemfeldern. Hier muss inhaltlich daran gearbeitet werden, um alle Betroffenen zufriedenstellen zu können. Das heißt auch, dass Grenzen abgebaut werden müssen.

Es gibt sie nicht, diese Trennung zwischen dem einen und dem anderen. Sicherlich gibt es verschiedene Strukturen, die aber durch Übergänge miteinander verbunden sein müssen. Das neue Grundschulgesetz sieht auch den Ausbau des Dialogs mit den Eltern vor. Das ist ein Schlüssel des Erfolgs. Es müssen Berührungsängste abgebaut werden, Lehrer müssen einsehen, dass dies für sie keine verlorene Zeit ist. Wir müssen es fertigbringen, alle Schulpartner einzubinden, ohne dass es zu viel Zeit in Anspruch nimmt. Wir brauchen einen Mentalitätswandel.

Tageblatt: Wie sehen Sie künftig die Rolle des Erziehers im schulischen Kontext? Wird es in allen Schulen Erzieher geben?

Mady Delvaux-Stehres: Diese Frage muss in Zusammenhang mit den Schulprojekten bzw. Schulentwicklungsplänen gesehen werden. Zuerst müssen wir uns über ein gemeinsames Projekt Gedanken machen und sehen, wo Erzieher zum Einsatz kommen können. Wir stellen im Rahmen des Gesetzes über die Schulpflicht auch Erzieher in Lyzeen ein. Auch hier wird deren Aufgabe an Projekten festgemacht.

Es gibt unheimlich viele Nachfragen von Schulen. Jede neue Schule wird auch Erzieher bekommen. Meine Sorge bleibt die Komplementarität zwischen beiden Rollen, zwischen Lehrern und Erziehern. Es geht nicht darum, Erzieher bloß als Feuerwehr einzusetzen, wenn es irgendwo nicht klappt. Von Pilotprojekten erwarte ich mir viel.

Hier findet eine Evaluation und Reflexion in der Schule statt. Es darf nicht sein, dass Erzieher sagen, sie hätten mit der Schule nichts zu tun, während die Schule davon ausgeht, dass Erzieher die Problemfälle bewältigen. Deshalb ist die Teamfähigkeit so wichtig. Für mich ist sie der Schlüssel."

Tageblatt: Was haben Sie sich für das kommende Schuljahr vorgenommen. Wo liegen für Sie die Herausforderungen?

Mady Delvaux-Stehres: Im nächsten Jahr wird es verstärkt um die Inhalte gehen. Wir müssen Nägel mit Köpfen machen. Es liegen viele Vorschläge von Arbeitsgruppen zur Definition von Kompetenzniveaus vor.

Im kommenden Schuljahr sollen die Kompetenzsockel in verschiedenen Primärschulen getestet werden. Das gilt auch für die Zeugnisse. Auch im Sekundarunterricht gibt es eine Reihe von Schulen, die auf 7e-Niveau bereit sind, neben klassischen Zeugnissen eine nuancierte Evaluation nach Kompetenzen vorzunehmen. Das gilt für die Sprachen, für Mathematik und jene Fächer, die startbereit sind.

Im Anschluss daran sollen Schlussfolgerungen gezogen werden, bevor das Modell allgemein eingeführt werden kann. Uns steht auch eine schwierige Diskussion über Stundenpläne bevor. Dabei geht es u.a. um mehr Gewicht für Naturwissenschaften auf der Unterstufe der Lyzeen. Es gibt bereits entsprechende Projekte im 'Kolleisch' und im Ettelbrücker 'Lycee technique'.

Die großen Events werden die Schülervergleichsstudien Pirls und PISA sein. Mit PISA haben wir bereits Erfahrungen gemacht. Pirls dagegen ist neu. Bislang haben wir noch nie an einer Evaluation der Primärschule teilgenommen.

Ein weiteres Highlight wird eine neue Konvention mit der Uni Luxemburg sein. Abgesehen von Forschungsprojekten wird das Hauptaugenmerk auf der Evaluation liegen. Im Herbst wird in diesem Zusammenhang ein Gesetz über die Reorganisation des Script vorgelegt. Neben den Bereichen Innovation und Weiterbildung wird die 'Agence de qualite' im Gesetz verankert. Die Qualitätsagentur organisiert zwar die Evaluation, führt sie aber selbst nicht durch.

Die Evaluation des Luxemburger Schulsystems wird von der Uni Luxemburg durchgeführt. Im Herbst wird es dazu weitere Details geben. Im Herbst wird es auch Gesetze für die Lehrbeauftragten im Primär- und im Sekundarunterricht geben. Konzeptuell bereitet diese Aufgabe zwar keine Freude, dafür aber viel Kleinarbeit.

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