Jean-Claude Juncker au sujet du sommet de Lisbonne

Bayerischer Rundfunk: Am Telefon der Radiowelt kann ich jetzt einen Mann begrüßen, der in seinem Land so ein Referendum mit Erfolg durchgeführt hat und der so in etwa der einzige europäische Politiker sein dürfte, an dessen hundertprozentigem Europäertum noch nie jemand gezweifelt hat, Jean-Claude Juncker, der Ministerpräsident von Luxemburg. Guten Morgen, Herr Ministerpräsident.

Jean-Claude Juncker: Grüß Gott.

Bayerischer Rundfunk: Womit rechnen Sie? Wird es eine Einigung geben heute oder morgen in Lissabon?

Jean-Claude Juncker: Es wird eine Einigung in Lissabon geben, weil es eine Einigung auch geben muss. Es muss jetzt genug der Nabelschau und des Selbstmitleides sein. Europa muss seine Entscheidungsfindungen effizienter gestalten und wir müssen Europa zum Durchstarten und zum Abheben bringen. Deshalb muss dieses Vertragswerk jetzt gelingen.

Bayerischer Rundfunk: Man hat den Eindruck, dass sich die Stimmung in Europa im Laufe von zwei Jahren total gewandelt hat, so ähnlich wie das mit den Aufs und Abs der Konjunktur geht. Vor zwei Jahren, eine tiefe Krise und der größte Europapessimismus, jetzt diese Zuversicht. Wie erklären Sie sich das?

Jean-Claude Juncker: Die Krise, von der viele sagen es wäre keine Krise, war insofern nützlich, dass sie alle doch wachgerüttelt hat und uns vor Augen geführt hat - sowohl den Regierenden als auch den öffentlichen Meinungen in Europa - dass wir, wenn wir Europa von der Stelle bringen möchten, wenn wir den europäischen Platz am Tisch der Welt garantieren wollen, uns in Bewegung setzen müssen, weil die Welt eben nicht stehen bleibt. Wir müssen effizienter entscheiden, wir brauchen institutionelle Reformen, wir brauchen politische Inhalte, die die Menschen verstehen, die die Menschen annehmen, weil sie notwendig sind und weil sie sehr oft mit ihrem tagtäglichen Leben etwas zu tun hat. Es besteht Übereinstimmung darüber, dass wir ein tieferes, aber auch ein den Menschen wieder näher zu bringendes Europa brauchen.

Bayerischer Rundfunk: Herr Ministerpräsident, rechnen Sie noch mit Schwierigkeiten seitens der polnischen Regierung, da wird ja am Wochenende gewählt?

Jean-Claude Juncker: Ich rechne damit, dass die polnischen Freunde versuchen werden ein Maximum an Ioannina-Gedankengut in den neuen Vertrag einfließen zu lassen. Ioannina ist diese Regelung, die, falls bei einer Abstimmung mit Mehrheit das Abstimmungsresultat nur knapp verhindert werden kann, es denjenigen die dagegen waren als Möglichkeit einräumt noch einige Zeit abzuwarten und die anderen dann zu weiterem Nachdenken zu zwingen. Ich hätte nicht gerne, wenn diese Formel, dieses Primärrecht in den Vertrag geschrieben würde, weil wenn diese Formel angewandt wird, dann käme dies einer Wiedereinführung der Einstimmigkeitsregeln dort gleich wo wir jetzt in 40 Feldern Mehrheitsentscheidungen einführen. Es ist nicht gut, wenn dieses Ioannina-Tor zu oft geöffnet wird. Dies wird Durchzug in europäischen Fluren provozieren.

Bayerischer Rundfunk: Sehen Sie in der Verärgerung der Italiener über die Kürzung ihrer Sitze im europäischen Parlament eine ernste Gefahr?

Jean-Claude Juncker: Ich war am letzten Freitag in Rom, habe mit meinem Freund Romano Prodi darüber geredet. Wenn diese Frage heute nicht in Lissabon entschieden wird, dann ist noch nicht sehr viel Porzellan zerbrochen, dann können wir dies auch später tun. Wenn allerdings um den Tisch herum die Meinung aufkäme, es müsse jetzt unbedingt entschieden werden und Italien müsse unbedingt heute in Lissabon nachgeben, dann wird es Probleme geben. Prodi wird es nicht an der Zahl der Parlamentarier scheitern lassen, aber dann sollte man ihm versprechen, dass man auf diese Frage später zurückkommt.

Bayerischer Rundfunk: Sehen Sie denn, wenn jetzt alles glatt geht in Lissabon, dann noch ernsthafte Gefahren aus künftigen Ratifizierungsvorgängen in einzelnen Ländern drohen?

Jean-Claude Juncker: Die sehe ich immer. Ich bin jemand der in Sachen Europa keine Illusionen zu verlieren hat, weil ich mir keine Illusionen mache. Es wird immer, auch in den nächsten Monaten, wenn die Ratifizierung ansteht, in einzelnen Staaten zu politischen Gesamtgemengelage kommen, wo man versucht die Regierung in Bedrängnis zu bringen, Regierung, die diesen Vertrag ratifizieren möchte, wo irgendetwas in der breitesten Öffentlichkeit passiert, was dann so thematisiert und parlamentarisiert wird, dass Unfälle passieren können. Ich wünsche mir das nicht, ich hoffe es nicht.

Ich werde helfen alles zu tun, damit dem nicht so ist, weil hier geht es um Europa, nur um Europa und das betrifft uns alle, alle Länder, alle Staaten, alle Völker und dann sollte man sich nicht wegen der Verärgerung eines Momentes an Europa rächen. Das ist in Frankreich und in den Niederlanden zur Genüge getan worden, das hat gereicht.

Bayerischer Rundfunk: Das sagt Jean-Claude Juncker aus dem europäischen Kernland Luxemburg am Telefon der Radiowelt. Herr Ministerpräsident, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.

Jean-Claude Juncker: Ja, grüß Gott.

Bayerischer Rundfunk: Auf Wiederhören.

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