Jean-Claude Juncker au sujet du projet de traité réformateur

Deutschlandfunk: Am Telefon begrüsse ich jetzt Jean-Claude Juncker, Premierminister Luxemburgs, der heute ebenfalls in Lissabon erwartet wird. Guten Morgen, Herr Juncker.

Jean-Claude Juncker: Guten Morgen.

Deutschlandfunk: Herr Juncker, geplant war die EU-Verfassung ursprünglich mit Fahne, Hymne und allem was dazu gehört. Jetzt steht ein Paragraphenwerk zur Abstimmung, Änderungsvertrag genannt. Mit welchen Gefühlen reisen Sie jetzt nach Lissabon? Ist da noch so etwas wie Begeisterung? Oder ist es schlicht Ernüchterung?

Jean-Claude Juncker: Ich verliere über Europa meine Illusionen nie, weil es hat mir nie Illusionen gemacht. Deshalb reise ich nach Lissabon nicht in freudiger Erwartung - die wurde enttäuscht nach dem "Nein" der Franzosen und den Niederländern zum Verfassungsvertrag - sondern mit Zuversicht. Wir müssen es diesmal schaffen. Wir haben nicht das Recht noch einmal zu scheitern.

Deutschlandfunk: Aber Begeisterung hört sich anders an.

Jean-Claude Juncker: Also ich bleibe ein begeisterter Europäer, aber mir wäre es Recht gewesen, wenn der Verfassungsvertrag - so wie wir ihn unterzeichnet hatten und wie er im Übrigen auch in Luxemburg per Volksreferendum angenommen wurde - wenn es bei dem Text geblieben wäre, aber Gott sei Dank bleibt es jetzt bei diesem Reformvertrag, bei diesem Abänderungsvertrag den wir jetzt auf den Weg schicken. Es ist so, dass die Substanzelemente des Verfassungsvertrages erhalten bleiben. Die Institutionen werden neu aufgestellt, wir können effizienter, schneller, besser und tiefer regieren. Wir kriegen eine Grundrechtcharta an die Hand. Das soziale Europa wird gestärkt. Der Kampf gegen das grenzüberschreitende Verbrechen wird wesentlich einfacher werden. Es passiert vieles in diesem Reformvertrag, aber eben nicht alles was hätte passieren müssen, damit die Dinge in Europa endgültig dingfest gemacht werden können.

Deutschlandfunk: Aber unterm Strich würden Sie sagen, die Handlungsfähigkeit der Union wird mit diesem Änderungsvertrag gesichert und auch ein weiterer Schritt in Richtung mehr Demokratie wird gegangen. Ein Schritt der auch ausreicht?

Jean-Claude Juncker: Schritte in Richtung Demokratie reichen nie aus. Aber was wir in diesem Reformvertrag, so wie es auch im Verfassungsvertrag angedacht war, als demokratisch zusätzliche Legitimationsmasse kriegen, das ist schon erheblich. Neben der Tatsache, dass es ein europäisches Bürgerbegehren geben kann - wo gibt es das in der Welt, dass es länderübergreifende, grenzüberschreitende Bürgerbegehren gibt? - wird es auch so sein, dass wir in etwa 40 Feldern wo heute mit Einstimmigkeit entschieden werden muss, in Zukunft mit Mehrheit entscheiden müssen und zwar mit einer Mehrheit, dass das Zusammenwirken von Ministerrat und von europäischem Parlament - also vom direkt gewählten europäischem Parlament - zustande kommt.

Europa wird effizienter, Europa wird demokratischer. Dadurch allein wird es nicht besser. Die europäische Politik muss jetzt mit ihrer Nabelschau aufhören und muss wirklich durchstarten. Die Welt wartet nicht auf Europa. Die Zeit und Geschichte laufen immer schneller. Wir müssen uns sputen.

Deutschlandfunk: Herr Juncker, einige Länder haben kräftig an dem Vertrag herumgefuhrwerkt: da gibt es Ausstiegsklauseln aus der Grundrechtecharta die Sie eben schon gerade angesprochen haben, in der Innen- und Justizpolitik geht Grossbritannien beispielsweise eigene Wege. Ist das jetzt das Europa der zwei Geschwindigkeiten?

Jean-Claude Juncker: Nein, das ist noch nicht das Europa der zwei Geschwindigkeiten. Obwohl diese Systematik der sich ständig zahlenmässig erweiternden Opting-out-Klauseln anfängt, das gesamte Vertragswerk auf Dauer, falls dem nicht Einhalt geboten wird, brüchig zu machen. Länder wie Grossbritannien, die immer wieder Sonderklauseln für sich beanspruchen und sie auch nutzen, die immer wieder aussteigen möchten via Opting-out-Klauseln aus gemeinsamen Politiken müssen selbst wissen, dass die so etwas werden wie Teilmitglieder. Grossbritannien ist zu wichtig um nur noch Teilmitglied in Europa sein zu können.

Deutschlandfunk: Das heisst die Länder schaden sich selbst?

Jean-Claude Juncker: Man sollte nie so arrogant und vermessen sein, anderen Ländern Vorschriften zu machen, besonders wenn man es nicht mal schafft sein eigenes Land anständig zu regieren. Aber ich finde schon, wer am europäischen Tisch so sitzen möchte, dass er wirklich Einfluss hat, wer über diesen Einfluss, den man am europäischen Tisch ausübt, in der Welt Einfluss ausüben möchte, mit Europa und nicht ohne Europa, der tut auf Dauer nicht gut daran, zu zickig zu sein wenn es um europäische Fortschritte und Vertragsverbesserungen geht.

Ein Land wie Grossbritannien braucht eigentlich Opting-out-Klauseln. Und wenn es welche braucht, sollten sie so in den neuen Vertrag geschrieben werden, dass sie auch jederzeit rückgängig gemacht werden können, ohne dass wir Vertragsänderungen bräuchten und ohne dass wir in ein schwieriges Ratifikationsverfahren dann wiederum eintreten müssten weil Grossbritannien, Polen und andere jetzt aus ihren Opting-out-Klauseln, was ich wünschte, aussteigen müssen.

Deutschlandfunk: Im Junigipfel in Brüssel wartete die polnische Seite mit unerwarteten Nachforderungen auf. Rechnen Sie auch jetzt wieder mit neuen Überraschungen von dieser Seite?

Jean-Claude Juncker: Ich glaube nicht, dass es sehr erhebliche Überraschungen geben wird. Es ist bekannt, dass Polen einen Generalanwalt beim europäischen Gerichtshof wünscht. Das scheint mir kein nicht unangemessener Wunsch zu sein. Und Polen möchte die sogenannte Ioannina-Klausel im Primärrecht verankern via Einschreibung in den Vertrag oder via Protokoll. Andere wiederum, wie auch ich, sind der Meinung, bei aller Notwendigkeit die es gibt den polnischen Freunden die Garantie an die Hand zu nehmen, dass sich gegen ihren Willen diese Ioannina-Klausel, die Mehrheitsentscheidung im Rat es sehr schwieriger macht, falls Polen und andere sie nicht wünschen, bei allem Verständnis dafür, dass Polen diese Garantie braucht, darf es nicht so sein, dass durch die Ioannina-Hintertür die Einstimmigkeit de facto wieder eingeführt wird. Die Einstimmigkeit, die wir jetzt in vielen Bereichen abschaffen möchten und die wir durch qualifizierte Mehrheitsentscheidungen abgelöst möchten - wenn diese Ioanninatür zu oft geöffnet wird, dann wird es Durchzug in der europäischen Küche geben und das tut den Köchen nicht gut.

Deutschlandfunk: Herr Juncker, wenn der Vertrag jetzt so beschlossen wird wie geplant, ist dann damit zu rechnen, aus Ihrer Sicht, dass der Vertrag auch in allen 27 Mitgliedsländern dann ratifiziert wird?

Jean-Claude Juncker: Dies täte mich sehr wundern wenn es unterwegs nicht Schwierigkeiten gäbe. Ich hoffe allerdings sehr, dass diese Schwierigkeiten nie so gross sein werden, dass ein Mitgliedsland nicht zustimmen könnte. Aber dass wir noch spannende Ratifikationsdebatten haben werden, dass wir noch spannende, leidenschaftliche Auseinandersetzungen um das Thema Europa herum in einigen nationalen Öffentlichkeiten und in einigen nationalen Parlamenten haben werden, das glaube ich schon. Europäische Dinge sind nie einfach wenn sie auf den Punkt gebracht werden.

Deutschlandfunk: Aber, Herr Juncker, ein Scheitern würden Sie auch nicht ausschliessen?

Jean-Claude Juncker: Ich schliesse ein Scheitern aus weil ich mir denke, dass sowohl Regierungen wie Parlamente, wie auch öffentliche und veröffentlichte Meinungen begriffen haben, dass wir uns einen weiteren europäischen Rückschlag nicht erlauben können. Ich wiederhole mich. Die Welt geht weiter, die Zeit läuft schnell. Wir können nicht auf den Zuschauerrängen der Weltpolitik Platz nehmen. Wir müssen mitspielen.

Deutschlandfunk: Herr Juncker, die EU verändert ihr Gesicht. Es soll demnächst in Zukunft einen Präsidenten des europäischen Rates geben, der eben die europäische Union repräsentiert. Sie selbst sind dafür im Gespräch. Können Sie sich diesen Job vorstellen?

Jean-Claude Juncker: Ich kann mir vor allem nicht vorstellen, dass ich derartige Fragen beantworte bevor der Job überhaupt geschaffen ist. Jetzt machen wir die Regierungskonferenz, bringen die zu Ende, dann wird dieser Vertrag ratifiziert und Postenbesetzung kommt später. Mich interessiert die Identität der Sachen die der EU-Präsident machen würde, nicht unbedingt die Identität eines Präsidenten von dem ich nicht weiss welche Sachen und welche Politvorhaben er hätte.

Deutschlandfunk: Aber reizen würde Sie diese Aufgabe schon?

Jean-Claude Juncker: Es reizt mich vor allem jetzt diese Frage nicht zu beantworten.

Deutschlandfunk: Jean-Claude Juncker war das, Premierminister Luxemburgs zum EU-Gipfel in Lissabon. Herzlichen Dank für das Gespräch.

Jean-Claude Juncker: Danke schön, tschüss.

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