Lucien Lux: "Niemand ist ohne Klima-Verantwortung"

Tageblatt: Als Transportminister kennen Sie die wirtschaftlichen und wettbewerbstechnischen Befindlichkelten einer zwischen kollektiven und individuellen Ansprüchen mehr denn zerstrittenen Branche, die Sie als Umweltminister auch noch ausbremsen müssen. Wie bekommt man diesen Spagat hin?

Lucien Lux: Indem man die Akteure davon überzeugt, dass wir alle in einem Boot sitzen.

Tageblatt: Hoffentlich nicht an Bord der Titanic?

Lucien Lux: Der Vergleich ist nicht einmal von der Hand zu weisen. Nur wissen wir heute vom Eisberg ...

Tageblatt: ... dessen Spitze wir bereits erkennen können. Sie haben eben den 10. Umweltpreis der Industrie übergeben. Haben die Unternehmer die Botschaft verstanden?

Lucien Lux: Auch wenn wir in der Zielsetzung verschiedentlich eine andere Intensität verspüren, kann ich mich aber über mein bisheriges Zusammenspiel mit Wirtschaft und Industrie nicht beklagen. Doch auch als offensive Sturmspitze kann ich nur Flanken ins Netz setzen, die mir passgenau zugespielt werden.

Tageblatt: Industrie und Wirtschaft beklagen sich stets über die lange und schwierige Prozedur beim Kommodo-Inkommodo-Prozess. Wie kann man dem beikommen?

Lucien Lux: Wir haben jetzt, trotz numerus clausus bei der Einstellung von Staatsbeamten, einen neuen Ingenieur eingestellt. Damit dürfte die Prozedur schneller und einfacher zu gestalten sein. Daneben haben wir noch den Helpdesk des gut funktionierenden CRTE, des beratenden Kompetenzzentrums für technischen Umweltschutz, den die kleinen und mittleren Unternehmen nur zu nutzen brauchen.

Tageblatt: Wissen Sie, was ein 80-jähriger afrikanischer Stammeshäuptling in seinem Federschmuck und ein 8-monatiger Europäer in seinen schmucken Pampers - übrigens mit Bic, Maggi, Frigidaire und Gillette ein weiterer Markenname, der zur allgemein gültigen Bezeichnung des Objektes wurde - gemeinsam haben?

Lucien Lux: Nein.

Tageblatt: Sie haben beide gleich viel Papier verbraucht. Doch Witz beiseite, dafür ist das Thema zu ernst. Wie verteilt sich der Ausstoß des so genannten "Zäregas" in der Weltgemeinschaft?

Lucien Lux: Natürlich liegt Afrika mit zwei Tonnen pro Kopf und Jahr am Ende des Feldes. In Burkina Faso ist es sogar nur eine Tonne. China setzt fünf Tonnen frei, Tendenz enorm schnell steigend. Die Europäische Union liegt 'nur' bei zehn Tonnen, was sich mit der Industrialisierung der neuen Mitglieder natürlich auch erhöhen dürfte. Nordamerika mit den USA und Kanada schlägt mit 25 Tonnen pro Einwohner und Jahr natürlich alle Rekorde.

Tageblatt: Und Luxemburg?

Lucien Lux: Ja, das hätte ich ja glatt vergessen. Luxemburg als kleines industrialisiertes Land mitten in Europa führt das Feld mit 30 Tonnen pro Einwohner und Jahr an.

Tageblatt: Wie gut, dass der Luxemburger mit seinem üppigen Fuhrpark nicht gleichzeitig in all seinen Autos fahren kann! Doch im Ernst: Ist das mit oder ohne Tanktourismus?

Lucien Lux: Ohne Tanktourismus. Der macht zusätzliche 17 bis 18 Tonnen aus, die aber bekanntlich nicht alle bei uns in die Luft gejagt werden.

Tageblatt: Doch sitzen wir in dieser Frage nicht alle in einem Boot?

Lucien Lux: Sicher, doch muss jeder seine Hausaufgaben zur Lösung dieses ernsthaften Problems, wie es der Begriff bereits andeutet, bei sich zuhause machen. Da muss jeder, mit Blick auf das Ganze, seine inländischen Einsparungspotenziale wie Verkehr, öffentlicher Transport, Gebäudesanierung, Industrie, Energieeffizienz, alternative Kraftstoffgewinnung usw. ausschöpfen.

Tageblatt: Ihnen wird vorgeworfen, den öffentlichen Schienenverkehr mit Steuergeldern auf umweltfreundlichen Kurs zu steuern.

Lucien Lux: Wissen Sie, wir Politiker werden von Menschen gewählt, die morgen einen anderen wählen können, doch nur sehr schwer davon zu überzeugen sind, im Interesse der Allgemeinheit, zu der sie ja auch gehören, von ihren lieb gewonnenen Gewohnheiten Abstand zu nehmen. Das ist nun einmal so. Damit muss man leben, und hier besonders die Umweltminister der Entwicklungsländer, die in absehbarer Zukunft unpopuläre Entscheidungen treffen müssen, wenn der Zug der Menschheit denn nicht entgleisen soll.

Tageblatt: Zurück zu unseren Hausaufgaben. Was steht Luxemburg noch alles bevor?

Lucien Lux: Wenn wir auf das angestrebte Minus von 28 Prozent bei den CO2-Emissionen kommen wollen, müssen wir mit flexiblen Mechanismen und innovativen Projekten arbeiten. Daneben müssen wir uns an dem Kioto-gerechten internationalen Emissionshandel beteiligen, zu dem das kleine Luxemburg keine Alternative hat. Dass dieser Emissionshandel Regeln und Kontrolle braucht, liegt auf der Hand. Das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), der Weltklimarat der Vereinten Nationen, muss seine Aufgabe einer gerechten Umverteilung wahrnehmen, auch wenn man sich vorstellen kann, dass dies kein leichtes Unterfangen ist.

Tageblatt: Vor allem wenn man sich das System anschaut, mit dem die Regierenden der USA es immer wieder fertig bringen, mit ihrer neokolonialistischen Machtpolitik an die UN-Stimmen der armen Länder zu kommen. Doch wollen wir wegen solcher Pannen nicht in Pessimismus verfallen: Ist dies nicht auch eine Chance, um endlich ein globales Regulierungs- und Kontrollsystem einzuführen?

Lucien Lux: Sicher hat der Kioto-Prozess neben seinem vorrangigen Ziel der Treibhausgasverminderung auch andere Herausforderungen zu bewältigen. Ich denke da z.B. an eine gerechtere Verteilung der Rohstoffressourcen auf einer Erde, die allen gehört.

Tageblatt: Nach dem Prinzip, dass über Milliarden Jahre gewachsene fossile Energieträger nicht nur den Menschen gehören, die an ihren Quellen geboren wurden, und den neokolonialistischen Kapitalisten, die sich die finanziellen Mittel geben, diese Quellen anzuzapfen?

Lucien Lux: Das klingt nach Utopie. Nein, für mich persönlich ist der Kioto-Prozess, der in einem Monat auf Bali fortgesetzt wird, auch der Ansatz einer wirtschaftlichen Chance für die Industrie, denn meine Überzeugung bleibt es, dass mittel- bis langfristig nur die Firmen wettbewerbsfähig bleiben, die den globalen Klimawandel und den lokalen Umweltschutz ernst nehmen. Auch könnte daraus eine neue Kultur der Bewertung der natürlichen Ressourcen wie Wasser und Luft entstehen, die für den Menschen lebensnotwendig sind. Denn mit diesem Prozess bekommt die Luftverschmutzung endlich einen Preis.

Tageblatt: Denn den Wert von Wasser und Luft bekommt der Mensch langsam aber sicher zu spüren. Ein Temperaturanstieg zwischen 1,8 und 4,0 Grad C und ein Anstieg des Meeresspiegels zwischen 18 und 59 Zentimetern bringen dem Menschen einerseits extreme Hitzewellen und andererseits verheerende Überschwemmungen, das sind von Wissenschaftlern an die Wand projizierte Horrorszenarien. Wie können die Gesetzgeber, die ja beim Rauchverbot und beim Bestrafen von Alkohol am Steuer sehr fix sind, dies meistern?

Lucien Lux: Die Politik kann das vielleicht alleine schultern, aber nicht stemmen. Doch bei all diesen Szenarien, über deren Pertinenz man trefflich und zeitraubend streiten kann, ist etwas nicht von der Hand zu weisen: Das Problem ist hausgemacht und kein Mensch, egal welchen Platz er in der Gesellschaft einnimmt, kann sich in Sachen Klimawandel aus der Verantwortung reden.

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