"Keiner geht freiwillig". Jean-Louis Schiltz au sujet de la relation entre coopération au développement et migration

d'Wort: Zwischen den Politikfeldern Entwicklungszusammenarbeit und Migration gibt es deutliche Berührungspunkte. Sie grenzen sich aber auch von einander ab. Entwicklungszusammenarbeit und Migration sind eng miteinander verbunden. Konnten beim rezenten EU-Afrika-Gipfel neue Wege aufgezeichnet werden?

Jean-Louis Schiltz: Der Gipfel kann insgesamt als Beginn einer neuen Partnerschaft gewertet werden. Es ist eine Partnerschaft unter Gleichgestellten. Einer der acht Schwerpunkte, die zurückbehalten wurden, betrifft die Bereiche Mobilität, Migration und Beschäftigung. Ziel ist es, einerseits mehr und bessere Arbeitsplätze in den afrikanischen Ländern zu schaffen und andererseits die Migrationsströme zu kontrollieren. Dabei soll auch verhindert werden, dass diejenigen, die sich auf den Weg machen, ausgebeutet werden. Außerdem sollen Anreize für Migranten geschaffen werden, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren wollen.

d'Wort: Sind Kooperation und Migration zwei Seiten einer Medaille?

Jean-Louis Schiltz: Man muss zwar stets im Auge behalten, dass es Verbindungen zwischen den beiden Bereichen gibt und ich will auch nicht bestreiten, dass sich Kooperationspolitik und Migrationspolitik zum Teil überschneiden. Die eine Politik muss der anderen Rechnung tragen. Beide Politikfelder müssen abgestimmt werden, damit sie kohärent sind. Man darf allerdings nicht behaupten, Entwicklungshilfepolitik sei gleich Migrationspolitik. Entwicklungszusammenarbeit kann immer nur ein Teil der Antwort auf die Migrationsproblematik sein. Bei der Kooperation muss die Bekämpfung der Armut erstes Ziel bleiben. Die Millenniumsziele müssen im Vordergrund bleiben. Gleichzeitig darf die Entwicklungspolitik die Augen aber nicht vor der Realität der Migration verschließen. Wenn wir die Armut bekämpfen und Perspektiven schaffen, entziehen wir langfristig der Migration den Nährboden. In diesem Zusammenhang will ich daran erinnern, dass diejenigen, die ihre Heimat verlassen, dies nicht aus Spaß an der Freude tun. Sie sind vielmehr gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, weil sie keine Perspektiven haben. Unsere Vorfahren, die vor etwa 130 Jahren ausgewandert sind, haben ihre Heimat auch nicht aus reiner Abenteuerlust verlassen. Sie haben alles hinter sich gelassen, weil sie hier keine Chance mehr gesehen haben. Die Geschichte der Menschheit war immer von Wanderbewegungen geprägt. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Deshalb bin ich gegen jede Politik, die sich dafür ausspricht, Mauern hochzuziehen, seien diese Mauern nun real oder virtuell. Um es kurz zu machen: Die Antwort auf die Frage der Migration ist sehr vielschichtig. Sie liegt sowohl im Bereich der Kontrolle und der Regulierung der Migrationsbewegungen als auch im Bereich der Bekämpfung der illegalen Immigration. Es ist nicht zuletzt aber auch eine Frage der Integration. Die Entwicklungspolitik ist in meinen Augen allerdings der nachhaltigste Bereich, weil dadurch vor Ort Perspektiven geschaffen werden. Alles, was wir zur Zeit in Westafrika im Rahmen der Alphabetisierung, der Berufsausbildung, der Eingliederung in den Arbeitsmarkt, aber auch im Bereich der Mikrofinanzen tun, ist ein Teil der Antwort auf die Frage der Migration.

d'Wort: Die Menschen wollen heute Perspektiven, Entwicklungshilfe ist aber per se eine recht langwierige Angelegenheit. Kommt dies nicht der Quadratur des Kreises gleich?

Jean-Louis Schiltz: Entwicklungsarbeit ist sicherlich kein rasantes Geschäft. In einigen Fällen kann man kurzfristig etwas bewirken; einem jungen Menschen, der lesen und schreiben kann, kann man etwa über Programme zur Eingliederung in die Berufswelt helfen. Beispielsweise über Mikrokredite. Insgesamt ist die Entwicklungszusammenarbeit aber mittel- oder langfristig angelegt. Wenn wir aber jetzt nichts tun, dann ist das, was wir heute fast täglich an menschlichen Katastrophen im Zusammenhang mit der Migration erleben, nur ein fader Vorgeschmack auf das, was uns in zehn bis 20 Jahren an Elend erwartet. Deshalb müssen wir jetzt handeln.

d'Wort: Die Migrationsbewegung hin nach Europa ist nur die Spitze des Eisbergs. Die größten Bewegungen finden innerhalb Afrikas selbst statt ...

Jean-Louis Schiltz: Auf dem afrikanischen Kontinent gibt es zwei Arten von Bewegungen. Zum einen die Land-Stadt-Bewegung und dann die Migration zwischen den einzelnen Ländern und Regionen. Durch die Landflucht spitzen sich die Probleme in den Städten zu. Die Wanderbewegung zwischen den einzelnen Staaten ebenfalls ausgelöst durch Perspektivlosigkeit - kann die oft ohnehin angespannte Lage in einigen Regionen verstärken. So sind beispielsweise viele Menschen aus Burkina Faso und aus Mali an die Elfenbeinküste gezogen und ab einem bestimmten Moment hat sich die Krise dort zugespitzt und auf einmal spielte die Nationalitätenfrage eine nicht unbedeutende Rolle.

d'Wort: Im Kontext der Migration stellt sich auch das Problem des "brain drain" ...

Jean-Louis Schiltz: Das stimmt. Oft sind es die besten Köpfe, die Afrika verlassen. In Birmingham oder in Manchester gibt es beispielsweise mehr malawische Ärzte als in Malawi selbst. In einigen Bereichen, wie etwa dem Gesundheitssektor, will man die Abwanderung der Fachkräfte verhindern, in anderen Bereichen bestehen hingegen Tendenzen, qualifizierte Mitarbeiter nach Europa zu holen, dies im Kontext der so genannten "migration circulaire". Es gibt sicherlich einige positive Ansätze bei der "migration circulaire", ich sehe aber nicht, wie man das Ganze in der Praxis umsetzen kann. Man hat es hier mit individuellen Schicksalen zu tun, und ich sehe im Moment nicht, wie man das organisatorisch zufrieden stellend regeln könnte.

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