Jubiläum für Juncker. Le Premier ministre au sujet de ses 25 ans de gouvernement

d'Wort: Wenn Sie auf Ihr politisches Wirken zurückblicken: Gibt es so etwas wie die "Methode Juncker"?

Jean-Claude Juncker: Es gibt die "Luxemburger Methode". Sie besteht aus der Fähigkeit, einen Riecher für Entwicklungen zu haben und der Eigenschaft, dem anderen mit Respekt zu begegnen und zuzuhören. Daraus leitet sich die Konsensfindung ab, ohne in blinden Konsensualismus zu verfallen. Man muss zusammenführend tätig sein. Das bedeutet für mich, Politik von dem Standpunkt aus zu machen, dass ich die Menschen mag. Das hat auch mit meinem christlichen Menschenbild zu tun. Ich begegne ihnen aber auch in aller Offenheit und sage, was ich denke. Und ich bilde mir ein, Grundstimmungen früh zu erkennen. Die persönliche Methode setzt sich demnach aus dem Mögen der Menschen, der Notwendigkeit, Dinge zu tun, und der Hoffnung, dass diese Dinge richtig sind, zusammen. Es geht darum, jeden vor seine Zukunftsverantwortung zu stellen.

d'Wort: Wie hat sich im Laufe der 25 Jahre die Politikgestaltung verändert?

Jean-Claude Juncker: Die Politik ist einerseits einfacher, andererseits komplizierter geworden. Sie ist insofern einfacher geworden, als die Probleme, die wir Anfang der 80er-Jahre zu lösen hatten, außergewöhnlich dramatisch waren. Das Land steckte mitten in der Stahlkrise. Der gewaltige Strukturwandel bedeutete eine enorme Herausforderung. Der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt hat seither kontinuierlich abgenommen und die Bedeutung des Finanzsektors zugelegt. Durch die Vielfalt an sozialen Begleitmaßnahmen haben wir die Stahlkrise ohne Massenentlassungen bewältigt. Das ist einmalig. Im Vergleich zu den Herausforderungen von damals erscheinen die Probleme von heute um ein vielfaches einfacher. Gleichzeitig ist die Politik heute aber komplizierter, weil sie verästelter geworden ist. Es gab in den letzten 25 Jahren Wechsel von enormer Tragweite. Die Berliner Mauer ist gefallen. In der Folge sind 23 neue Staaten entstanden. Diese mussten wir dauerhaft auf dem politischen Radarschirm verankern. Das Zusammenleben in Europa hat sich dadurch stark verändert. Europäische Geschichte und europäische Geografie mussten zusammengeführt werden. Auch der rasante technologische Fortschritt hat dazu geführt, dass die Politik komplizierter geworden ist. Diese gewaltigen Veränderungen in die nationale und europäische Politik einfließen zu lassen, ohne dass die Menschen auf der Strecke bleiben, stellt eine Herausforderung dar, die es so vor 25 Jahren nicht gab.

d'Wort: Bei einer persönlichen Zwischenbilanz drängt sich die Frage nach dem größten politischen Erfolg bzw. Misserfolg auf.

Jean-Claude Juncker: Erfolg und Misserfolg halten sich die Waage. Als Misserfolg würde ich die Tatsache werten, dass es mir bis dato nicht gelungen ist, die Rentenproblematik mit dem Risiko der Rentenmauer plausibel zu erklären. Erfolg? Ein paar gute Gesetze wie der Kündigungsschutz oder die Pflegeversicherung, die trotz Widerständen, von denen heute niemand mehr etwas wissen will, eingeführt wurde. Bei liebäugelnder Selbstbetrachtung werte ich es als Erfolg, auch nach 25 Jahren bei den Menschen im Land ein hohes Vertrauen zu genießen.

d'Wort: Sie haben Ihre politische Laufbahn mit 28 Jahren relativ früh begonnen. Haben Sie das "normale" Berufsleben nie vermisst?

Jean-Claude Juncker: Ich bedauere schon, dass ich sehr jung in die Regierung gekommen bin. Auch wenn mir das niemand abkauft. Aus heutiger Sicht hätte ich mir gewünscht, zunächst eine berufliche Karriere, etwa als Anwalt, eingeschlagen zu haben. Diese Erfahrung fehlt mir heute. Ich bin zu früh im Leben Chef geworden. Ich weiß aber auch, dass ich etwas anderes hätte tun können. Und ich weiß, dass ich jederzeit etwas anderes tun kann.

d'Wort: Beschleicht einen nach so vielen Jahren im politischen Rampenlicht nicht manchmal das Gefühl, den Bettel einfach hinzuschmeißen?

Jean-Claude Juncker: Doch. Wenn Druck und Stress in einem wichtigen Dossier zunehmen und ich an die Geringschätzung für die Arbeit des Politikers denke, kommt schon mal der Gedanke auf, es einen anderen tun zu lassen. Ich leide unter dem Vorurteil, dass wir Politiker mit unserem Tun nur persönliche Interessen verfolgten. Das empfinde ich als eine Beleidigung. Derartige Unterstellungen haben die Politiker nicht verdient. Das hat nichts mit Anerkennung zu tun, sondern mit Verdrehen von Absichten.

d'Wort: Sind Sie manchmal amtsmüde?

Jean-Claude Juncker: Amtsmüdigkeit verspüre ich keine. Gewisse Ermüdungserscheinungen kann ich bisweilen jedoch nicht abstreiten.

d'Wort: Welches sind die markantesten Persönlichkeiten, denen Sie im Laufe Ihrer Laufbahn begegnet sind?

Jean-Claude Juncker: Zu den Persönlichkeiten, die mich nachhaltig geprägt haben, gehört Pierre Werner. Er war ein Staatsmann, der sich stark mit den großen Zukunftsfragen auseinandergesetzt hat. Luxemburg als Finanzplatz, das ist sein persönliches Werk. Auch hat er die Idee der Währungsunion vorangetrieben. Jacques Santer war ebenfalls ein Vorbild. Er hat Politik und Menschlichkeit auf einen Nenner gebracht. Jean Spautz und Jean Dupong haben mich beeinflusst. Vor allem Jean Spautz hat dazu beigetragen, dass ich in die Politik gefunden habe. Er hat mich mit der christlichen Soziallehre bekannt gemacht.

d'Wort: Das Arbeitsministerium, wo Sie während 17 Jahren wirkten, war Ihre große politische Liebe. Gibt es ein anderes Ressort, das Sie gerne einmal geführt hätten?

Jean-Claude Juncker: Das Arbeitsministerium ist und bleibt mein Lieblingsressort. Das Gesundheitsministerium hätte mich auch interessiert. Die Kombination Arbeits- und Finanzminister war manchmal schwierig, hat aber vieles möglich gemacht. Arbeits-und Gesundheitsminister wäre mir am liebsten gewesen. Leider hat sich die Gelegenheit nie geboten.

d'Wort: Wenn Sie die Möglichkeit hätten, einen Beschluss allein durch- und umzusetzen, welcher wäre das?

Jean-Claude Juncker: Es macht mich krank, wenn ich daran denke, dass weltweit jeden Tag 25.000 Kinder an Hunger sterben. Und es belastet mich, dass in Europa, aber auch in Luxemburg, viele Kinder in Armut leben oder von Armut bedroht sind. Wenn ich ganz allein entscheiden könnte, würde ich ein Gesetz erlassen, das sicherstellt, dass niemand Angst haben muss, in Armut zu leben. Es wird aber ein Traum bleiben, denn obwohl wir ein gutes soziales Netz haben, wird es immer Menschen geben, bei denen die staatlichen Maßnahmen nicht greifen.

d'Wort: Hierzulande werden die wichtigen politischen Weichenstellungen seit dem Ende der 70er-Jahre in der Tripartite vorbereitet. Ist der Stellenwert des einstigen Kriseninstrumentes heute noch gerechtfertigt?

Jean-Claude Juncker: Die Tripartitc ist und bleibt eine Konsensfabrik. Es ist gewiss eine anstrengende Angelegenheit, diesen Weg der Entscheidungsfindung zu beschreiten. Ich kann aber nicht erkennen, was schlecht daran sein soll, wenn man sich im Vorfeld parlamentarischer Entscheidungen mit den Sozialpartnern verständigt. Demokratie ist nach meinem Verständnis mehr, als Debatten zwischen politischen Parteien. Im Übrigen haben Tripartite-Beschlüsse die Abgeordnetenkammer noch nie so verlassen, wie sie eingereicht worden sind. Wir sollten uns auch vor Augen halten, dass wir im Ausland für dieses Modell bewundert werden. Hierzulande sehen wir die Dinge indes lieber etwas kritischer.

d'Wort: Kommen wir zurück zum Arbeitsministerium. Als Sie das Ressort 1999 übergaben, zählte Luxemburg 5.351 Erwerbslose. Im Oktober 2007 sind 9.651 Menschen auf Arbeitssuche. Was ist schief gelaufen?

Jean-Claude Juncker: Dass die Arbeitslosenquote damals niedriger war, ist nicht mein Verdienst. Seither hat es viele ökonomische Verschiebungen gegeben. Allerdings bleibt die Arbeitslosigkeit in Luxemburg im europäischen Vergleich nach wie vor recht niedrig. In Ländern, wo die Quote niedriger ist, sind Maßnahmen ergriffen worden, die ich für Luxemburg nie wollte: Mehr befristete Arbeitsverträge, mehr Leiharbeit, Billiglöhne... Die Menschen müssen vom Lohn ihrer Arbeit leben können, das hat etwas mit Menschenwürde zu tun. Sie brauchen auch Sicherheit. Es bringt nichts, wenn die Statistik gut ist, die Bedingungen für die Arbeitnehmer aber schlecht.

d'Wort: Sie waren junger Minister, als eine Anschlagserie das Land in Atem hielt. Auch mehr als 20 Jahre danach sorgt die "Bommeleeer"-Affäre für Schlagzeilen. Wie erlebten und erleben Sie diesen Fall?

Jean-Claude Juncker: Diese ganze Geschichte berührt mich heute mehr als zur Zeit der Geschehnisse selbst. Sie gehört zu den höchst betrüblichen Beobachtungen meiner Amtszeit. Die Nicht-Aufklärung bereitet mir Sorgen, umso mehr, als sich langsam aber sicher eine Art Zersetzungsatmosphäre breit macht, so als ob die Nicht-Aufklärung gewollt sei.

d'Wort: Sie haben sich stets ausgiebig mit der europapolitischen Entwicklung beschäftigt. So gelten Sie als einer der Väter des Euro...

Jean-Claude Juncker: ... also bei den vielen Vätern, die dem Euro nachgesagt werden, kann man die Mutter nur bedauern. Ich bezeichne mich lieber, zusammen mit dem Euro, als einziger Überlebender des Maastricht- Vertrages.

d'Wort: Gut. Aber haben Sie bei der Einführung geglaubt, dass der Euro sich so prächtig entwickeln wird?

Jean-Claude Juncker: Vom Ansatz her, und das sollte man nicht vergessen, ist der Euro die Fortsetzung europäischer Friedenspolitik mit anderen Mitteln. Monetär betrachtet wurde das Vorhaben einst belächelt. Und heute? Zum 1. Januar 2008 werden 15 EU-Länder den Euro haben. Wir haben es zur stärksten Währung geschafft und die Leute klagen darüber. Nehmen wir Luxemburg. Ich will gar nicht ausmalen, was wir in den letzten Monaten durchzustehen gehabt hätten, wenn es die Währungsunion mit Belgien noch gäbe.

d'Wort: Ein anderer europäischer Höhepunkt war das Referendum zum Verfassungsvertrag im Juli 2005. Damals müssen Sie sich über den Ausgang doch sehr sicher gewesen sein - schließlich haben Sie Ihr politisches Schicksal mit dem Ja-Wort zum Verfassungsvertrag verknüpft.

Jean-Claude Juncker: Ich war mir von Anfang an, seit Herbst 2003, bewusst, dass es knapp werden würde. Und genau aus diesem Grund habe ich mein politisches Schicksal mit der Abstimmung verknüpft. Wenn die Luxemburger am 10. Juli 2005 mit Nein gestimmt hätten, hätten wir heute nicht den Reformvertrag, der die Essenz des Verfassungsvertrags gerettet hat. Die Idee der Reform wäre an dem Tag gestorben, an dem Luxemburg mit Nein gestimmt hätten. Und wir wären für das Scheitern mitverantwortlich gemacht worden. Dieses Risiko war zu hoch.

d'Wort: Nun hat die EU keinen Verfassungsvertrag bekommen, sondern soll einen Reformvertrag erhalten. Und Sie werden als aussichtsreicher Kandidat für das neue Präsidentenamt gehandelt. Werden Sie Luxemburg demnächst Richtung Brüssel verlassen?

Jean-Claude Juncker: Ich nehme unbeleidigt zur Kenntnis, dass mein Name fällt, wenn es um das neue Amt des Präsidenten geht. Ich halte es allerdings nicht für angebracht, über die Besetzung des Postens zu spekulieren.

d'Wort: Und wen sehen Sie als Ihren potenziellen Nachfolger?

Jean-Claude Juncker: Es gibt im Augenblick keine Veranlassung, dass ich mir darüber Gedanken mache. Sollte sich diese Frage irgendwann trotzdem stellen, weiß ich, was zu tun ist - vorausgesetzt, die CSV stellt den Regierungschef.

d'Wort: Abschließend zwei persönliche Fragen. Inwieweit hat der Autounfall von 1989 Ihr Leben verändert?

Jean-Claude Juncker: Der Unfall hat zu einem Normalisierungsschub geführt. Ich denke auch, dass ich etwas nachsichtiger geworden bin. Durch solche Ereignisse lernt man aber auch zu schätzen, wie gut es einem eigentlich geht.

d'Wort: Und wie schaltet Jean-Claude Juncker vom politischen Alltagsgeschehen ab?

Jean-Claude Juncker: Ich lese sehr viel und ich höre unendlich viel Radio. Zum Flippern komme ich leider immer weniger. Ich bin ein flippernder und lesender Radiomensch. Deshalb bin ich auch besser informiert, als all diejenigen, die nur fernsehen.

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