"Behinderung als Bereicherung". Marie-Josée Jacobs au sujet de la Convention internationale sur les droits des personnes handicapées

Luxemburger Wort: Frau Jacobs, Luxemburg hat die UN-Behindertenrechtskonvention am 30. März 2007 unterzeichnet. Wann wird sie ratifiziert?

Marie-Josée Jacobs: In Zusammenarbeit mit dem Außenministerium arbeiten wir auf die Ratifizierung hin. Um herauszufinden, inwiefern die nationale Gesetzgebung konventionskonform ist, wird zurzeit zusammen mit anderen Ministerien eine Bestandsaufnahme vorgenommen. Es wird überprüft, welche Gesetze fehlen, welche abgeschafft oder abgeändert werden müssen. Ziel ist die Schaffung eines einzigen, umfassenden Rahmengesetzes, das alle rechtlichen Belange zusammenschließt. Erst nach Abschluss dieser Bestandsaufnahme kann das Abkommen ratifiziert werden.

Luxemburger Wort: Was sind in den großen Zügen die Inhalte des Abkommens?

Marie-Josée Jacobs: Die Konvention definiert sich als zusätzliches Instrument zu den bereits bestehenden Menschenrechtskonventionen und konzentriert sich verstärkt auf behindertenspezifische Aspekte. Sie dient vor allem dem "Empowerment" der Menschen, mit Behinderungen. Ihr Recht auf ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben, auf eine eigene Familie, auf Bildung, Beschäftigung, auf Teilhabe am öffentlichen und kulturellen Leben, auf sozialen Schutz, auf Schutz vor Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung sind nicht nur gesetzlich verankert, sondern werden dank der Konvention nun auch mit wirksamen Durchsetzungsinstrumenten verknüpft.

Luxemburger Wort: Der Staat muss also dafür sorgen, dass die Rechte von behinderten Menschen gewährleistet sind und eingehalten werden.

Marie-Josée Jacobs: Ja, die Konvention definiert klare Ansprüche an den nationalen Staat, insbesondere was die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte angeht. Artikel 13 beispielsweise macht den Anspruch auf gleichberechtigten Zugang zur Justiz geltend. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass dieses Recht umgesetzt wird.

Luxemburger Wort: Wer wird die Einhaltung der Vertragsbestimmungen kontrollieren?

Marie-Josée Jacobs: Als Kontrollmechanismus ist ein zwölfköpfiger Ausschuss vorgesehen. Wer Mitglied dieses Ausschusses wird, ist noch unklar. Die Frage ist, ob wir ein völlig neues Monitoring-Organ schaffen oder ob sich der Ausschuss aus Mitgliedern bereits bestehender Gremien wie "Info-Handicap" und dem "Conseil supérieur pour personnes handicapées" zusammensetzen wird.

Luxemburger Wort: Luxemburg wird auch das Zusatzprotokoll ratifizieren. Was ist der Inhalt dieses Protokolls?

Marie-Josée Jacobs: Das Zusatzprotokoll sieht ein internationales Beschwerdeverfahren vor. Ein internationaler Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen analysiert Beschwerden von Einzelpersonen oder Personengruppen, deren nationale Rechtsbehelfe ausgeschöpft sind.

Luxemburger Wort: Dem Begriff "Menschenwürde" wird häufiger als in anderen Menschenrechtskonventionen Rechnung getragen. Werden Menschen mit Behinderungen in ihrer Würde nicht genügend respektiert?

Marie-Josée Jacobs: Bisher wurden Behinderungen fast ausschließlich als defizitär angesehen. Behinderte Menschen können bestimmte Dinge nicht so bewerkstelligen wie Nicht-Behinderte. Unter dem Aspekt des Defizits sah sich die Gesellschaft in der Rolle des Mildtäters und wollte wieder gut machen, was die Natur oder das Leben den Menschen auferlegt oder weggenommen hatte. Die Gesellschaft maß sich bislang an, die Bedürfnisse von Behinderten definieren zu können. Glücklicherweise ist das kollektive Bewusstsein dabei, sich diesbezüglich zu wandeln.

Luxemburger Wort: Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Partizipation behinderter Menschen sind die Kernpunkte der Konvention.

Marie-Josée Jacobs: Richtig, wir leben heute verschiedene Paradigmenwechsel. Das Leitmotiv "Wir sind nicht behindert, unsere Umwelt behindert uns" trifft den Nagel auf den Kopf. Wenn Menschen mit Behinderungen verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen fernbleiben, dann liegt das nicht zuletzt daran, dass wir unsere Lebensräume nicht "behindertenfreundlich" organisieren. Ich denke z. B. an die Zugänglichkeit von öffentlichen Gebäuden oder im öffentlichen Transport. Info-Handicap arbeitet zusammen mit dem "ordre des architectes" und Akteuren aus dem Baugewerbe damit beim Bau von Gebäuden den spezifischen Bedürfnissen von Behinderten Rechnung getragen wird.

Luxemburger Wort: Die Konvention spricht von gleichberechtigter sozialer Inklusion. Wofür steht dieser Begriff?

Marie-Josée Jacobs: Soziale Inklusion bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigten Zugang zu Arbeit, Bildung, Kultur, Politik usw. haben. Nicht die Behinderten müssen in unsere bestehenden Strukturen passen, sondern unsere Strukturen müssen so gestaltet werden, dass alle Menschen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Wenn wir inklusiv denken und handeln, richtet sich unser Blick nicht mehr auf die Behinderung der Menschen, sondern auf ihre Kompetenzen.

Luxemburger Wort: Damit Menschen ihre Rechte einfordern können, müssen sie sie kennen. Auch muss sich ein ziviles Akzeptanz-Bewusstsein entwickeln. Wie sehen Ihre Pläne diesbezüglich aus?

Marie-Josée Jacobs: Im Herbst dieses Jahres wurde eine Arbeitsgruppe einberufen, die sich aus Personen mit Behinderungen, aus Organisations- und Ministeriumsvertretern zusammensetzt. Sie hat den Auftrag, ein "Kommunikationsinstrument" auszuarbeiten, das die Menschen über ihre in der Konvention definierten Rechte informieren soll. In den vergangenen Jahren hat mein Ministerium laufend Projekte unterstützt, die als Ziel hatten, die Zivilgesellschaft für die Belange von Menschen mit Behinderungen zu sensibilisieren. Als Beispiel möchte ich "Euregio for all" anführen, ein Projekt, das sich mit der Zugänglichkeit und der Integration von behinderten Menschen in der Arbeitswelt befasst. Die "Robbesscheier" in Munshausen und die Nightrider-Businitiative von Sales Lentz sind weitere gelungene Projekte. Um das zivile Akzeptanz-Bewusstsein zu fördern, initiiert das Ministerium auch weiterhin Projekte.

Luxemburger Wort: Wie wird dieses "Kommunikationsinstrument", das die behinderten Menschen über ihre Rechte aufklären soll, aussehen?

Marie-Josée Jacobs: Das Kommunikationsinstrument wird so konzipiert, dass sowohl blinde, gehörlose als auch Personen mit Lernschwierigkeiten sich über ihre Rechte informieren können.

Luxemburger Wort: Würden Sie folgenden Satz von Info-Handicap kurz kommentieren: "Nicht behindert zu sein, ist kein Verdienst, sondern ein Geschenk, das uns jederzeit genommen werden kann"?

Marie-Josée Jacobs: Jeder von uns kann von heute auf morgen durch Krankheit oder Unfall seine Gesundheit verlieren. Das passiert fast täglich und ist an sich schon schlimm genug. Noch schlimmer wäre ein zusätzlicher gesellschaftlicher Ausschluss aufgrund infrastruktureller Barrieren. Wir sollten deshalb alles daransetzen, den behinderten Menschen von heute den Weg zu allen Bereichen zu ebnen, denn vielleicht kommt uns das eines Tages selbst zugute.

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