Jean-Claude Juncker sur le prochain Conseil européen, les 19 et 20 mars 2009, à Bruxelles

Sabine Beckmann: Massenarbeitslosigkeit, soziale Krise in Europa, wie kommen Sie zu diesen düsteren Aussichten?

Jean-Claude Juncker: Ich habe eine Frage beantwortet, in der "Welt" glaube ich, und die Frage lautete: Wovor haben Sie Angst?

Und ich habe gesagt, ich hätte Angst vor einer sozialen Krise. Falls wir die Finanz- und Wirtschaftskrise nämlich nicht in den Griff kriegen – ich glaube schon, dass wir sie in den Griff kriegen – dann verlängert sich diese Finanz- und Wirtschaftskrise in eine soziale Krise hinein, das ist meine Sorge. Dann würden wir Massenarbeitslosigkeit kriegen, die Arbeitslosenstände steigen ohnehin. Es kommt zur Absenkung von Löhnen, weil viele Menschen kurzarbeiten, dies ist der Stoff aus dem soziale Krisen entstehen.

Sabine Beckmann: Sie warnen ja sogar davor, dass das Vertrauen in die politischen Systeme deutlich zurückgeht. Womit rechnen Sie?

Jean-Claude Juncker: Das ist auch wahr, das ist meine zweit-grösste Sorge, weil die machtradikalen Lösungen sich in den letzten Jahren durchgesetzt haben, weil wir uns immer mehr abgekehrt haben von den Grundtugenden, und den Kardinaltugenden der sozialen Marktwirtschaft, zweifeln die Menschen am System. Was an Gefahrenmoment auf uns lauert, macht man in den beiden Worten Sozialkrise und Systemkrise am besten fest. Das müssen wir verhindern.

Sabine Beckmann: Das heisst, Sie rechnen damit, dass möglicherweise die extremen Parteien gestärkt werden?

Jean-Claude Juncker: Wenn wir den Absturz in die soziale Krise nicht verhindern können, und wenn wir nicht wieder schnell zu den Grundregeln der sozialen Marktwirtschaft zurückkehren, dann werden die politischen Ränder gestärkt. Die bringen es fertig, aus einer immer komplizierteren Welt einen einfachen Vorgang zu machen, und ihn so zu beschreiben, und dann einfache Lösungen vorzuschlagen. So war es immer, so könnte es diesmal auch sein.

Sabine Beckmann: Gelten Ihre Befürchtungen denn für alle EU-Länder, oder wird es die osteuropäischen Länder härter treffen?

Jean-Claude Juncker: Meine Befürchtungen gelten für alle Länder, und meine Befürchtungen muss ich insofern wieder einfangen indem ich sage, dass wir dabei sind genau das zu verhindern, was ich als Gefahrenmoment beschrieben habe, nämlich die soziale Krise und die Systemkrise.

Wir bringen überall in Europa breit angelegte Konjunkturprogramme ans Laufen, insgesamt zwischen 3,4% und 4% des europäischen Bruttosozialproduktes. Dies gilt sowohl für West- als auch für Mittel- und Osteuropa. Wenn diese Programme wirken, und diese Programme werden nach und nach ihren Impakt auf die Arbeitsmärkte und das reale Wirtschaftsleben zeigen, dann verhindern wir den Absturz in die Krise.

Das ist natürlich besonders ausgeprägt der Fall, wenn wir von den Schwierigkeiten reden die Länder in Ost- und Mitteleuropa haben, wobei ich mich sehr dagegen wehre, die Staaten Mittel- und Osteuropas als einen Block innerhalb der Europäischen Union zu begreifen, den man gesondert und besonders behandelt müsste. Das sehe ich nicht so, weil jedes Land seine eigenen Probleme, seine spezifischen Probleme hat, die sollte man Land für Land behandeln.

Sabine Beckmann: Gerade in Osteuropa stehen einige Länder vor dem Staatsbankrott. Die EU will diesen aber nicht gesondert helfen. Wie geht das zusammen? Sie warnen vor dramatischen Entwicklungen, wollen aber auch nicht eingreifen.

Jean-Claude Juncker: Wenn ein Staat in Mittel- und Osteuropa vor dem Staatsbankrott stünde, dann würden wir selbstverständlich eingreifen. Ich habe ja gesagt, dass man nicht eine pauschale Lösung für Mittel- und Osteuropa entwerfen kann, weil die spezifischen Situationen der Länder in Betracht zu ziehen sind.

Aber wir haben ja Ungarn geholfen, wir haben ja Lettland geholfen, wir sind dabei ein Programm für Rumänien zu schnüren. Die Europäische Union lässt doch niemanden hängen. Solidarität wird geübt und praktiziert, wobei allerdings der Hinweis darauf notwendig ist, dass jedes Land zuerst versuchen muss sich selbst zu konsolidieren, bevor man sich an die europäische Solidarkräfte wendet. Solidarität ist keine Einbahnstrasse, man muss selbst etwas tun, und dann wird einem geholfen.

Sabine Beckmann: Sie debattieren aber auch eine gemeinsames Konjunkturpaket in der EU, 5 Milliarden Euro für Breitband- und Energieprojekte. Was erwarten Sie? Was muss mindestens beim EU-Gipfel herauskommen?

Jean-Claude Juncker: Es wird darum gehen, dass wir bei diesem EU-Gipfel noch einmal sehr deutlich machen, dass wir in Sachen Finanzmarktregulierung Fortschritte brauchen. Wir brauchen eine Verdichtung der Finanzmarktregulierung, wir brauchen eine Regelung der Fragen die Ratingagenturen und die Hedgefunds betreffend. Dies muss klargestellt werden.

Es geht nicht darum, zusätzliches Geld auf den Tisch zu legen, das ist das, was die Amerikaner zurzeit von uns verlangen. Es geht darum, durch die Verdichtung des Regelwerkes dafür zu sorgen, dass sich eine derartige Finanzkrise so nicht wiederholen kann.

Und dann wird man im Rahmen dieser Diskussionsrunde noch einmal deutlich machen, dass wir 3,4% bis 4% des Bruttosozialproduktes für Konjunkturprogramme zur Verfügung stellen, und innerhalb dieses Rahmens muss dann darüber geredet werden, welche Summe, welches Volumen die Europäische Union als solche aus dem EU-Haushalt abzweigen wird um den eigentlich ureigenen europäischen Anstrich dieses Gemeinschaftsprogrammes zu gewähren.

Sabine Beckmann: Besten Dank. Jean-Claude Juncker, Premier- und Finanzminister Luxemburgs über den bevorstehenden EU-Gipfel.

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