"So rasch wie möglich aus der Rezession". Nicolas Schmit sur le Conseil européen et les préparations du sommet du G20

Tageblatt: Reichen die bisher von den EU-Staaten aufgelegten Konjunkturprogramme, um gegen die Krise vorzugehen?

Nicolas Schmit: "In der letzten Ratssitzung der EU-Finanz- und Wirtschaftsminister wurde entschieden, dass Europa nicht bereit ist, zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen. Das ist ja eine Forderung der USA. Aber nicht nur der USA, denn auch europäische Ökonomen sagen, dass die Unterstützung in Europa nicht ausreichen wird.

Es muss jetzt sichergestellt werden, dass jene Gelder, die in der EU bereit gestellt werden, schnell an den richtigen Stellen investiert werden. Es wäre nicht gut, jetzt noch schnell einen neuen Konjunkturplan nachzuschieben. Dadurch erschiene das bisher Beschlossene unglaubwürdig. Wir müssen jedoch auch flexibel bleiben und beobachten, wie sich die Situation entwickelt. Wenn in sechs Monaten die rezessiven Tendenzen weiter andauern, muss es möglich sein, über eine Verlängerung oder Verstärkung des Konjunkturpaketes nachzudenken. Das scheint mir in dieser Phase etwas verfrüht.

Im Vergleich zeigt sich, dass die Europäer zwar weniger machen als die Amerikaner. Durch die großen Unterschiede zwischen Amerika und Europa, wo der Sozialstaat ganz anders entwickelt ist als in den USA, sind die Differenzen doch nicht so groß."

Tageblatt: Das heißt, es ist nicht nur eine Frage des Geldes?

Nicolas Schmit : "Die Frage ist jetzt, wie wir wieder Vertrauen in die Wirtschaft bringen. Wie bringen wir es fertig, den Kreditfluss wieder herzustellen. Das hängt mit dem Vertrauen der Konsumenten, aber auch der Investoren zusammen. Wir müssen jetzt so rasch wie möglich wieder aus dieser Rezession herauskommen. Es wäre dramatisch, wenn dies den Amerikanern relativ schnell gelingen und die Europäer sich während einer längeren Zeit in einer Rezession befinden würden. Ich bin aber nicht davon überzeugt, dass es diesem Gipfeltreffen gelingen wird, eine starke Botschaft des Vertrauens auszusenden, von der sich auch die Bevölkerung in der EU überzeugen lässt."

Tageblatt: Was soll Ihrer Meinung nach mit jenen fünf Milliarden Euro getan werden, die die Europäische Kornission als Konjunkturhilfe bereitstellt?

Nicolas Schmit : "Diese fünf Milliarden retten uns nicht. Dieser Zauber jedoch, der um diese fünf Milliarden veranstaltet wird, reflektiert ein wenig den allgemeinen Zustand der EU. Dieses Geld stammt aus dem europäischen Budget und sollte in eine Reihe von Zukunftsprojekten fließen, wie etwa in Breitbandinfrastrukturen oder in Energienetze. Ich finde es ziemlich jämmerlich, dass wir uns nicht auf dieses Paket einigen können. Voi; allem, da es sich nicht um zusätzliche Gelder handelt, sondern um Mittel, die hauptsächlich nicht im Bereich der Landwirtschaft gebraucht werden und die wir jetzt für andere Zwecke nutzen wollen, die Europa für die Zeit nach der Krise in eine bessere Position bringen sollen.

Die USA investieren mit ihrem Programm erheblich in neue Technologien und in alternative Energien. Es ist nicht verständlich, dass wir dies nicht auch in Europa tun sollen. Das stimmt mich auch extrem pessimistisch im Hinblick auf die kommenden Verhandlungen über den mehrjährigen EU-Haushalt für die Jahre nach 2013."

Tageblatt: Der Europäische Rat bereitet auch den G2O-Gipfel vor. Welche Regeln sollen für den internationalen Finanzmarkt aufgestellt werden?

Nicolas Schmit.: "Die EU ist in dieser Sache in einer guten Position. Es wurden Fortschritte gemacht in den verschiedensten Bereichen: bei den Ratingagenturen, was die Kreditfähigkeiten der Banken anbelangt, bei einem Frühwarnsystem, um Krisen besser und früher zu entdecken ... in dem Bericht Larosière ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen enthalten, die wir nun in den G2O einbringen. Die USA und die anderen Akteure müssen mitmachen, wobei die Europäer eine Führungsrolle übernehmen müssen. Diese Krise ist eine Krise der Regulierung, will heißen, wir brauchen bessere Regeln."

Tageblatt: Wird Luxemburg in Brüssel Unterstützung von den europäischen Teilnehmern am G2O-Gipfel erhalten, damit das Land nicht doch noch nach dem 2. April auf einer schwarzen Liste steht?

Nicolas Schmit: "Wir haben ja das getan, was von uns erwartet wurde. Das war, gemeinsam mit anderen, ein ganz klares Zeichen zu setzen. Wir haben anerkannt, dass es eine internationale Entwicklung in eine Richtung gibt, in der das Bankgeheimnis zumindest stark abgeschwächt wird. Ich sehe daher jetzt keine Gründe mehr, Luxemburg mit anderen weiter auszuschließen. Ich zähle daher auch auf eine gewisse europäische Solidarität. Wir habe diese unter Beweis gestellt, wir hoffen, dass diese Solidarität erwidert wird."

Tageblatt: Wird auch etwas gegen die Gier in der Finanzbranche unternommen, die im Übrigen zunehmend auch in der Realwirtschaft ausgemacht wird?

Nicolas Schmit.: "Diese Krise ist zudem eine Krise der Verteilung des Reichtums zwischen Kapital und Arbeit. Als guter Keynesianer muss ich sagen, dass dies nicht nur eine soziale, sondern auch eine wirtschaftliche Frage ist. Wir müssen also auch hier ein neues Gleichgewicht herstellen, zum Ersten.

Zum Zweiten, die Gier und das System: Es reichen nicht gut gemeinte Deklarationen und Wünsche, um das System unter Kontrolle zu bringen. Wir brauchenn da zwei Aspekte: eine stärkere Kontrolle der Gehälter und ein Ende des Bonussystems, das komplett absurd ist, da es punktuell übertriebene Gewinne belohnt und Verluste neutral behandelt werden.

Auch die Gier und eine unheimliche Risikobereitschaft haben uns in diese Krise geführt. Wir brauchen daher nicht unbedingt selbst auferlegte Verhaltensregeln, sondern eine höhere Besteuerung von übertrieben hohen Gehältern."

Tageblatt: Stimmt der Eindruck, dass die Fliehkräfte in der Union angesichts der Krise zugenommen haben?

Nicolas Schmit.: "Die nationalen Reflexe sind stärker geworden, was in Zeiten, in denen die nationalen Budgets belastet werden, verständlich scheint. Das 'Jeder für sich' war vor allem während der Bankenkrise zu beobachten. Unter dem Einfluss der Krise wird die gemeinschaftliche Herangehensweise eher geschwächt und das Zwischenstaatliche, wo die Großen den Ton angeben, wird gestärkt.

Das ist nicht gut für die Solidarität in der Union. Es darf nicht sein, dass unter dem Vorwand der Zugehörigkeit zu den G2O sich einige Staaten eine spezielle Rolle in der EU zugestehen."

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