"Auf dem Weg zurück zur Normalität", Luc Frieden au sujet de l'avenir de la place financière luxembourgeoise

Luxemburger Wort: Ihr Ausblick für 2008 war vorsichtig. Heute wissen wir, dass die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise tiefe Spuren in den Bilanzen der Banken hinterlassen hat. Ist das Schlimmste überstanden oder kommt das dicke Ende erst noch?

Luc Frieden: Wir können eine gewisse Rückkehr zur Normalität feststellen, was nicht bedeutet, dass die Krise bereits überstanden ist. Auch nach 2009 werden wir die Folgen vor allem bei den Steuereinnahmen noch spüren. Von der Normalität im Bankgeschäft sind wir vor diesem Hintergrund noch weit entfernt.

Luxemburger Wort: Es wurde viel von "toxischen Wertpapieren" gesprochen. Haben die Banken in Luxemburg ihre giftigen Assets in den Bilanzen im Griff?

Luc Frieden: Auf Grundlage der uns vorliegenden Informationen von der CSSF war das Volumen der toxischen Wertpapiere bei den Luxemburger Banken proportional zu anderen internationalen Geldhäusern nicht sehr groß. Zweitens wurde ein Großteil provisioniert. Ich sehe auf Basis dieser Informationen keine weiteren systemischen Risiken.

Luxemburger Wort: Ohne den Eingriff des Luxemburger Staates bei Dexia und Fortis hätten sich schlimme Folgen für die Volkswirtschaft ergeben. Warum war die Hilfe notwendig?

Luc Frieden: Wir waren in einer dramatischen Situation, in der die Banken unter Liquiditätsschwierigkeiten und einem großen krisenbedingten Vertrauensbruch gelitten haben. Staaten mussten eingreifen, weil sich erstens kein privater Investor finden ließ, der in derselben Geschwindigkeit wie eine Regierung intervenieren konnte. Zweitens wollten wir schwere soziale Folgen im Land vermeiden. Es galt außerdem, Sparer und Kunden vor einem Zusammenbruch ihrer Bank sowie des Finanzsystems als Ganzes zu schützen.

Luxemburger Wort: Ist das Vertrauen in das Bankensystem inzwischen wiederhergestellt?

Luc Frieden: Ich meine, dass das Bankensystem in großen Linien wieder normal funktioniert. Wann das Vertrauen der Kunden nicht in die Banken selbst, sondern vielmehr in die Finanzprodukte zurückkommt, ist schwer zu sagea Die Verbraucher sind sehr vorsichtig geworden, in was sie investieren. Es werden jedoch keine Gelder mehr massiv abgezogen wie im Oktober vergangenen Jahres. Hätten die Regierungen nicht eingegriffen, wäre das Vertrauen nicht zurückgekehrt.

Luxemburger Wort: Hätten die Regierungen dann nicht gleich wie in Island die Banken verstaatlichen sollen?

Luc Frieden: Es gab in der Tat viele Stimmen, die für eine Verstaatlichung waren. Doch das Finanzsystem funktioniert nicht, wenn der Staat sämtliche Banken besitzt. Die Intervention der Staaten muss daher eine außerordentliche Maßnahme bleiben. Sobald der Markt wieder normal funktioniert und Vertrauen wieder da ist, sollten sich die Regierungen auch wieder zurückziehen. Nur durch verschiedene Akteure kann man im Interesse der Kunden auch wettbewerbsfähige Unternehmen haben. Was Luxemburgs Banken betrifft, braucht der Staat zudem keine zweite Staatsbank.

Luxemburger Wort: DexiaßlL hat eine Staatsgarantie erhalten, zusätzliches Geld, das über eine Wandelanleihe zur Verfügung steht, jedoch noch nicht angerührt. Ist das ein Zeichen, dass es wieder gut läuft?

Luc Frieden: Die Staatsgarantie Luxemburgs in Höhe von 4,5 Milliarden Euro, von der die DexiaßlL Gebrauch macht, ist vergleichbar mit dem Wert, mit dem sich die öffentliche Hand am Kapital der BGL beteiligt hat. Beide Banken wurden in gleicher Weise unterstützt. Die Wandelanleihe, die dem Staat die Möglichkeit gibt, ins Kapital der DexiaßlL einzusteigen, ist von der Bank bisher nichtgebraucht worden.

Luxemburger Wort: Wird der Staat noch Aktionär von Dexia und werden die Konditionen neu verhandelt?

Luc Frieden: Aus Sicht der Bank ist das Geld der Wandelanleihe in Höhe von 375 Millionen Euro derzeit nicht notwendig, daher werden auch die Konditionen nicht neu verhandelt. Wir halten unser Angebot aufrecht. Wenn es nicht gebraucht wird, ist das auch in Ordnung. Im Herbst wird genau analysiert, was weiter passiert.

Luxemburger Wort:Wie sehen vor dem Hintergrund kräftig sinkender Einnahmen die Budgetplanungen für 2010 aus?

Luc Frieden: Man muss davon ausgehen, dass es vor allem bei der Körperschaftssteuer auf Grund der schwierigen Situation im Bankensektor zu substanziellen Einbußen kommen wird. Das bedingt für 2010 eine strikte Ausgabenpolitik. Andererseits darf das Defizit, von dem wir auch für 2010 ausgehen, nicht über die Drei-Prozent-Marke hinauswachsen. Die Haushaltsaufstellung für kommendes Jahr wird extrem schwierig.

Luxemburger Wort: Für die Zukunft des Finanzsektors sind neue Ideen wichtig. Was sind die wichtigsten legislativen Schritte, die anstehen?

Luc Frieden: Wir müssen versuchen, die Produktpalette des Luxemburger Finanzplatzes weiter zu verbreitern und international zu stärken. Wir brauchen nicht unbedingt viele neue Gesetze. Wir brauchen in verschiedenen Bereichen und bei bestehenden Aktivitäten auf den internationalen Markt angepasste Rechtsrahmen. Das haben wir in der Vergangenheit erfolgreich gemacht und damit Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen.

Luxemburger Wort: In welchen Bereichen sind Anpassungen notwendig?

Luc Frieden: Es gibt eine ganze Reihe von Bereichen wie Social Responsible Investments, Mikrofinanz oder Islamic Finance. Ich sehe auch eine große Zukunft im Private Banking und im Fondsgeschäft, weil es dort noch viel internationales Potenzial gibt. Ich hoffe, dass die neue Regierung wieder einen Minister einsetzt, der einen großen Teil seiner Zeit für die Entwicklung des Finanzplatzes nutzt, so wie wir das in den letzten zehn Jahren gemacht haben. Mit dieser Politik haben wir in den vergangenen fünf Jahren 12 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Ich hoffe, dass diese Politik im Interesse der Wirtschaft unseres Landes fortgesetzt wird.

Luxemburger Wort: Ist der Optimismus angesichts vielen kritischer Stimmen über die Zukunft des Finanzplatzes und kräftigem Gegenwind aus dem Ausland gerechtfertigt?

Luc Frieden: Wenn wir uns intensiv um den Finanzplatz kümmern, ist der Optimismus mehr als gerechtfertigt. Es gibt in der Welt viel Geld, das irgendwo verwaltet werden muss. In Europa gibt es vor allem rein national ausgerichtete Finanzplätze. Luxemburgs Stärken wie eine internationale Produktpalette, Erfahrung, Vielsprachigkeit und Multikulturalismus sowie schnelle Entscheidungen konnten bislang nirgends kopiert werden. Der Finanzplatz wurde schon vor zehn Jahren totgeredet. Stattdessen ist er stetig gewachsen. Jetzt haben wir eine schwere Krise, die vieles verändern wird. Wenn wir uns anstrengen, können wir nicht nur gestärkt aus der Krise herauskommen. Luxemburg wird einen großen Finanzplatz behalten.

Luxemburger Wort: Lässt sich die Abhängigkeit der Luxemburger Wirtschaft vom Finanzgeschäft verringern?

Luc Frieden: Es mag die Auffassung geben, dass sich die Leistung des Finanzplatzes für die nationale Wirtschaft durch andere Bereiche , ersetzen lässt. Ich halte das für unrealistisch. Es ist wichtig, in neue Technologien zu investieren oder die Logistiksparte auszubauen. Diese Sektoren können jedoch nie die gleiche Anzahl von Arbeitsplätzen bieten oder die Milliarden an Steuereinnahmen leisten. Wir brauchen die Diversifikation der Wirtschaft, Unterstützung von Handwerk und Handel oder von neuen Technologien sowie Forschung. Gleichzeitig brauchen wir aber einen starken und gut überwachten Finanzplatz, auch um diese Entwicklung zu begleiten.

Luxemburger Wort: Die Welt nach der Krise wird eine andere sein. Wie kann Luxemburg die internationalen Entwicklungen wie etwa eine zentrale Aufsicht oder schärfere Regeln mit beeinflussen? Droht Überregulierung?

Luc Frieden: Es besteht die Möglichkeit der Überregulierung aus der Sorge heraus, die Risiken besser einschätzen zu müssen. Ich teile die Ansicht der G-20, dass jeder Finanzakteur, jedes Finanzprodukt und jeder Finanzmarkt reguliert werden muss. In den nächsten Monaten muss genau analysiert werden, welche Produkte nicht genügend überwacht wurden. In Luxemburg haben wir gut geregelte Finanzaktivitäten. Daher können wir konstruktiv an den internationalen Bemühungen zur Regulierung von bislang weniger überwachten Märkten und Produkten mitarbeiten. Ich mache mir keine Sorgen um zu viele Gesetze aus Brüssel. Wir haben unsere Anpassungsfähigkeit bereits oft unter Beweis gestellt. Außerdem sitzen wir mit am Tisch, um eine mögliche Überregulierung, die wirtschaftliche Aktivitäten abwürgen könnte, zu verhindern.

Luxemburger Wort: Ein schwieriges Dossier, das auf die künftige Regierung zukommt, ist die Ausweitung der Zirissteuerrichtlinie. Wie ist Luxemburgs Position?

Luc Frieden: Luxemburg ist einverstanden mit einer Ausweitung der Anwendungsgebiete der Richtlinie unter der Bedingung, dass es nicht zu einem automatischen Informationsaustausch kommt und dass über die Steuersätze diskutiert wird. Der abgemachte Steuersatz betrifft bisher nur die Zinsen. Wird die Anwendung ausgedehnt, muss man auch über den Steuersatz sprechen.

Luxemburger Wort: Seit dem G-20-Gipfel von London ist der Informationsaustausch auf Anfrage als internationaler Standard deklariert worden. Was hat sich dadurch verändert?

Luc Frieden: Die Europäische Union sollte sich dieser Entwicklung anpassen und diesen Standard statt des alten akzeptieren. Viele Staaten haben jedoch den automatischen Informationsaustausch. Es wird sehr schwierig, diese Länder von etwas anderem zu überzeugen. Luxemburg und Österreich stehen in dieser Frage ziemlich isoliert da.

Luxemburger Wort: Warum hat Luxemburg nicht schon vor Jahren den OECD-Standard akzeptiert?

Luc Frieden : Wir hatten das nicht gemacht, weil wir die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes gegenüber anderen Standorten nicht verschlechtern und einen Kapitalabfluss aus Europa verhindern wollten. Erst als auch andere Staaten wie die Schweiz oder Österreich, aber auch Singapur und Hongkong bereit waren, den Schritt zu gehen, konnten wir uns anschließen, ohne dass der Finanzplatz gegen-über der Konkurrenz ins Hintertreffen gerät.

Luxemburger Wort: Luxemburg hat durch die Diskussion über "graue Listen" einen enormen Imageschaden erlitten. Lässt sich das wieder ausbügeln?

Luc Frieden: Das durch die Listen entstandene Imageproblem ist nicht anhaltend, weil das Gros der Kunden die Existenz dieser Listen spätestens im Herbst vergessen hat. Bis heute hat Luxemburgs Finanzplatz deswegen zudem kaum Kunden verloren. Der Schaden ist größer in der Darstellung internationaler Medien als in der Meinung der Klientel. Es wird eine der großen Aufgaben der nächsten Regierung sein, noch intensiver im Ausland zu erklären, was Luxemburg ist.

Luxemburger Wort: Kann Luxemburgs Finanzplatz langfristig ohne Bankgeheimnis überleben?

Luc Frieden: Der Ansatz der Diskussion über das Bankgeheimnis ist total falsch. Wir brauchen in Europa eine Diskussion über Datenschutz, Berufsgeheimnis und Schutz der Privatsphäre. Wir müssen uns darüber einigen, welches die besten Instrumente sind, um Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Luxemburg ist gegen Steuerhinterziehung. Das System der Quellensteuer, der Informationsaustausch auf Anfrage sowie internationale Rechtshilfe sind die effizientesten Instrumente, um gegen Steuerdelikte vorzugehen. Wir bedauern, dass andere Staaten darüber überhaupt nicht diskutieren wollen. Sie versuchen stattdessen, mit ideologisch gefärbten Aussagen ihre nationalen Märkte abzuschotten. Die größte Gefahr für Luxemburg besteht in der Re-Nationalisierung von Märkten. Luxemburg ist für einen funktionierenden europäischen Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen. Kunden müssen die Wahl zwischen Finanzprodukten aus verschiedenen Ländern haben.

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