"Intelligent sparen". Le Premier ministre, Jean-Claude Juncker au sujet du sommet européen

Luxemburger Wort: Herr Staatsminister, werden Sie als Luxemburger Premier, als Präsident der Eurogruppe, oder in beiden Funktionen beim Wirtschaftsgipfel in Brüssel dabei sein?

Jean-Claude Juncker: An diesem Treffen, bei dem es um die künftige wirtschaftliche Strategie der EU geht, werde ich als Luxemburger Regierungschef teilnehmen. Aus Sicht des Chefs der Eurogruppe will ich aber meine Kommentare in die Entscheidungsfindung mit einfließen lassen. ¦

Luxemburger Wort: Die Lissabon-Strategie, die jetzt ersetzt werden soll, hat ihre Ziele verfehlt. Woran lag dieser Misserfolg? Wohl kaum allein an der Finanz- und Wirtschaftskrise?

Jean-Claude Juncker: Die Lissabon-Strategie erstreckte sich über einen Zeitraum, während dem wir Perioden starken wirtschaftlichen Wachstums verzeichnen konnten. Heute können wir nur noch von diesen Wachstumsraten träumen. Die Zeiten des wirtschaftlichen Hochs wurden nicht für die Strukturreformen genutzt, derer es bedurft hätte, um aus der Europäischen Union den wettbewerbfähigsten Teil der Welt zu machen. Wir finden in Europa immer gute Aufgaben, um uns vor Reformen zu drücken. Ist das Wirtschaftswachstum stark, führen wir keine Reformen durch, weil ja das Wachstum stark genug ist. Kollabiert das Wachstum aber, so wie das zurzeit der Fall ist, dann ist die Lage auf einmal so schwierig, dass wir uns eine demokratische Anstrengungs-Überdehnung wie etwa Strukturreformen nicht zumuten wollen.

Luxemburger Wort: Also wurde eine große Chance verpasst?

Jean-Claude Juncker: Die Chance wurde verpasst, und wir müssen die aktuelle Situation nutzen, um die richtigen Weichen zu stellen. Es gilt, Exit-Strategien aus den Verschuldungs- und Defizit-Spiralen zu finden, ohne die aufkeimenden Sprossen wirtschaftlicher Erholung gleich wieder zu zertreten. Die budgetären Stimuli müssen behutsam aus dem Wirtschaftskreislauf entfernt, und nicht abrupt von hundert auf null heruntergeschaltet werden, sonst wird der Motor abgewürgt.

Luxemburger Wort: Statt jetzt eine groß angelegte Strategie bis 2020 zu entwerfen, wäre es nicht angebracht, sich erst mit dem Naheliegenden zu beschäftigen: Sparen und Haushalte sanieren?

Jean-Claude Juncker: Das ist genau die Exit-Strategie, die wir in Umrissen beim Europäischen Rat im Dezember 2009 festlegten. Es geht darum, keine weiteren Schulden mehr anzuhäufen. Das gilt für jedes Land der Eurozone, auch für Luxemburg. Ich kann nur den Kopf schütteln wenn ich sehe, wie einige Verhandlungspartner der Regierung die Tendenz haben, die finanzielle Situation des Staates zu verharmlosen. Das Leitmotiv für die nächsten Jahre heißt sparen - jedoch intelligent sparen! Nicht sparen, um das Wirtschaftswachstum zu knebeln, sondern um den Haushalt wieder ins Lot zu bringen.

Luxemburger Wort: Als Sie vor kurzem Ihr neues Mandat als Präsident antraten, erklärten sie, die Eurogruppe müsse ein gewichtiges Wort bei der Ausarbeitung der EU-2020-Strategie mitreden. Ist dies gelungen?

Jean-Claude Juncker: Ich werde meine Kollegen am Donnerstag daran erinnern, dass den Staaten der Eurogruppe eine besondere Koordinierungspflicht zukommt, und dass die Eurogruppe in die Formulierung der Detailbeschlüsse, die ja erst nach diesem Gipfel losgetreten werden sollen, aufs Engste eingebunden wird.

Luxemburger Wort: Welches sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Pfeiler, auf denen die neue Strategie beruhen soll?

Jean-Claude Juncker: Eine der wesentlichen Ursachen, warum die Lissabon-Strategie nicht in vollem Umfang zum Erfolg führte, liegt in der Vielzahl der Prioritäten und der Leitlinien, an denen" sich die Wirtschaftspolitik ausrichten sollte. Wir haben 24 Prioritäten in der Lissabon-Strategie, so wie sie 2005 überprüft wurde, festgehalten. Ich zähle zu denen, die der Meinung sind, wir sollten uns auf fünf Prioritäten konzentrieren. Diese sollten an diesem Donnerstag beschlossen, und im März genau festgelegt werden. Danach geht es darum, die fünf Prioritäten national umzusetzen. Jedes Land nach seinem Entwicklungsstand, seinen Notwendigkeiten und seinen Spezifizitäten. Statt 24 großen europäischen Zielsetzungen nur fünf nationale.

Luxemburger Wort: Die Ziele müssen aber allen Ländern gemeinsam sein?

Jean-Claude Juncker: Nein, es gibt Unterschiede. Zum Beispiel: ein Land, das schon über ein Forschungsbudget verfügt, das höher als drei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts liegt, braucht in dem Bereich keine zusätzlichen Anstrengungen zu machen, sondern kann ein anderes Ziel auswählen. Ein Land wie Luxemburg, in dem die Armutsbekämpfung zwar wichtig ist, aber nicht so dringend wie in einigen weniger entwickelten Mitgliedern der EU, braucht dieses Ziel nicht. Jedes Land soll sich fünf Ziele setzen, die auf seine Situation passen. Diese Ziele werden in Zusammenarbeit zwischen den Regierungen des betreffenden Landes, der Kommission, und den Regierungen der anderen Mitgliedsländer festgelegt.

Luxemburger Wort: Was wären denn fünf passende Prioritäten für Luxemburg?

Jean-Claude Juncker: Wie gesagt, sie müssen gemeinsam mit der Kommission und den Partnern definiert werden. Ohne Zweifel dürften aber Forschung und Entwicklung, sowie die Anhebung der Beschäftigungsquote zu unseren Zielsetzungen zählen, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Luxemburger Wort: Was soll mit den Ländern geschehen, die sich nicht an die Beschlüsse halten?

Jean-Claude Juncker: Wir brauchen einen kollektiven Druck seitens der Kommission und der Regierungen der Partnerländer auf die Regierung, die sich nicht an die Substanz und an das Tempo der gemeinsam getroffenen Vereinbarungen hält. In einem regelmä-ßigen, kritischen Kreuzverhör müssen wir uns auf die Umsetzung dieser Ziele verständigen. Ohne den gleichen Druck wie beim Stabilitätspakt aufzubauen, sollte es analog dazu eine Berichts- und Rechtfertigungspflicht geben.

Luxemburger Wort: Das von der OECD prognostizierte Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent jährlich wird nicht ausreichen, um das europäische Sozialmodell zu finanzieren. Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? Sollten die Europäer ihr Sozialmodell herunterschrauben?

Jean-Claude Juncker: Das wäre der falsche Weg. Er würde zu einer flächenbrandartigen sozialen Krise führen. Das Wachstumspotenzial ist zu niedrig, um das Sozialmodell zu halten, und es ist auch zu niedrig, um in den nächsten Jahren genügend Arbeitsplätze zu schaffen. Zudem reicht es nicht für den Erhalt unserer Alterssicherungssysteme. Aus diesem Grunde müssen wir all unsere Anstrengungen auf die Anhebung des Wachstumspotenzials richten. Diese Notwendigkeit ergibt sich auch für Luxemburg. Unser Wachstumspotenzial kommt arg lädiert aus der Finanz- und Wirtschaftskrise heraus. Deshalb gilt es, in jedem Land darüber nachzudenken, welche Wachstumshemmnisse es gibt. Diese sind von Land zu Land verschieden.

Luxemburger Wort: Vor ein paar Tagen trafen sich die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Präsident, um eine "Agenda 2020" zu beschließen. Preschen die Großen vor, und müssen die Kleinen zuschauen, wie über ihre Köpfe hinweg Tatsachen geschaffen werden?

Jean-Claude Juncker: Ich erschrecke nicht jedes Mal, wenn Deutschland und Frankreich sich an einen Tisch setzen und darüber reden, wie ihrer Meinung nach die Agenda 2020, um die es ja auch bei dem anstehenden Gipfeltreffen, sowie im März und im Juni gehen wird, aussehen soll. Andere Regierungen vollziehen ähnliche Übungen, wenn auch mit weniger Aufheben. Ich kriege keine Gänsehaut, wenn sich Deutschland und Frankreich in einer wichtigen Frage einig sind. Bislang haben die Europäer mehr darunter gelitten, wenn sie sich nicht einigen konnten, als wenn sie einer Meinung waren.

Luxemburger Wort: Die Stabilität der Eurozone ist in Gefahr. Sollte die EU Griechenland finanziell unter die Arme greifen?

Jean-Claude Juncker: Griechenland wird ein Thema bei dem anstehenden Treffen sein. Ich führe im Augenblick viele Gespräche, damit wir eine Antwort definieren können, die die Finanzmärkte überzeugen wird. Mit allen Euro-Finanzministern werde ich mich am Mittwoch telefonisch kurzschließen, um dann am Donnerstag den Gipfelteilnehmern den Vorschlag der Eurogruppe zu unterbreiten.

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