"Bankensektor nicht überregulieren". Le ministre des Finances, Luc Frieden, au sujet de la crise économique et financière

Finanz und Wirtschaft: Herr Minister, die verschiedensten Gremien prüfen, wie das Finanzsystem stabiler gemacht werden kann. Wie behalten Sie angesichts dieser Vielzahl von Initiativen den Überblick?

Luc Frieden: Die Initiativen sind eng miteinander verknüpft. Die Europäische Union spielt eine prägende Holle in der Diskussion. Insofern ist die Orientierung relativ einfach.

Finanz und Wirtschaft: Die Finanzbranche gehört bereits heute zu den am stärksten beaufsichtigten Wirtschaftszweigen. Braucht es vor diesem Hintergrund noch mehr Vorschriften?

Luc Frieden: Wir müssen aufpassen, den Bankensektor nicht überzuregulieren. Es gab jedoch Geschäfte, die zu wenig transparent waren. Hier müssen wir Gegensteuer geben. Ausserdem ist die Zusammenarbeit zwischen den Überwachungsbehörden auf europäischer und globaler Ebene besser zu koordinieren.

Finanz und Wirtschaft: Wie beurteilen Sie die Anstrengungen zur Festigung des Finanzsysteins? Gehen sie in die richtige Richtung?

Luc Frieden: Die Richtung stimmt. Es könnte allerdings schneller gehen, wobei zu berücksichtigen ist, dass Europa ein kompliziertes Gebilde ist. Die Abstimmung zwischen der EU-Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament braucht Zeit. Offen ist unter anderem die Regulierung von Derivaten. Wir warten auf den von der Kommission in Aussicht gestellten Aktionsplan und werden ihn wohlwollend prüfen.

Finanz und Wirtschaft: Die USA haben die Vorschriften zum Derivalgeschäft der Banken gegenüber der ursprünglich geplanten Version verwässert. Wird die FU weiter gehen?

Luc Frieden: Europa und Amerika müssen in Fragen der Finanzmarktregulierung weitmöglichst Hand in Hand gehen. Ein europäischer Alleingang ist nicht sinnvoll.

Finanz und Wirtschaft: Welchen Eindruck haben Sie von der neuen Regierung in Grossbritannien, das mit London über den wichtigsten europäischen Finanzplatz verfügt?

Luc Frieden: Einen positiven. Der neue britische Schatzkanzler George Osborne erwies sich in seinen ersten Wortmeldungen gegen-über der EU als fairer Mitspieler. Ich bin zuversichtlich, dass wir konstruktiv zusammenarbeiten.

Finanz und Wirtschaft: Was ist der volkswirtschaftliche Preis der verschärften Finanzmarktregulierung? Weniger Wachstum?

Luc Frieden: Das Gegenteil ist der Fall: Die Massnahmen werden das Wachstum stützen. Ohne Vertrauen in die Banken sind keine Investitionen und damit auch kein Wachstum denkbar. Vergessen wir nicht, dass das internationale Finanzsystem Ende 2008 vor dem Zusammenbruch stand. Derart gross war der Vertrauensverlust.

Finanz und Wirtschaft: Wie verhindern Sie, dass es zu einer Überregulierung kommt?

Luc Frieden: Wir müssen jede Massnahme sorgfältig auf Pro und Kontra überprüfen. Die Regulierung darf nicht dazu führen, dass das Bankengeschäft zu teuer wird. Wäre das der Fall, würde das Wachstum tatsächlich beeinträchtigt.

Finanz und Wirtschaft: Welche Massnahmen beabsichtigen Sie in Luxemburg? Werden Sie eine Bankensteuer einführen?

Luc Frieden: Unter der Voraussetzung, dass alle anderen es auch tun, ja. Der Ball liegt bei der EU -Kommission, Vorschläge auszuarbeiten. Die Bankensteuer ist jedoch nicht das zentrale Thema in der Verarbeitung der Finanzkrise. Sie dient lediglich dazu, die Banken zur Mitverantwortung zu ziehen. Die Banken sollen wie alle anderen ihren Beitrag zur Finanzierung der hohen Kosten leisten, die die Krise Staaten weltweit aufgebürdet hat.

Finanz und Wirtschaft: Erleichtert der Beschluss der Amerikaner, eine Bankensteuer einzuführen, die. Entscheidungsfindung in Europa?

Luc Frieden: Er macht es zweifellos einfacher, denn wir dürfen nicht zulassen, dass es zu einer Verlagerung der Kapitalströme kommt. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob mit einer Bankensteuer zusätzliche Staatseinnahmen erwirtschaftet werden sollen, sie dazu dient, risikoreiche Geschäfte zu erschweren, oder es darum geht, einen Fonds zur Finanzierung späterer Krisen zu bilden. Sie ist in der EU noch nicht abschliessend beantwortet worden.

Finanz und Wirtschaft: Erwarten Sie von der Schweiz, dass sie von ihren Banken ebenfalls eine Extrasteuer verlangt?

Luc Frieden: Das hängt davon ab, welches Ziel mit der Besteuerung verfolgt wird. Wird die Steuer auf internationale Finanzmarkttransaktionen erhoben, um die Spekulation 7.11 beschränken, scheint es mir unerlässlich, dass alle Finanzplätze mitmachen. Ist die Steuer indes zur allgemeinen Einnahmenbeschaffung gedacht, sollte es jedem Staat überlassen sein, ob er sie einführen will.

Finanz und Wirtschaft: Befürworten Sie eine Transaktionssteuer, oder reicht es, beispielsweise die Passiven von Banken zu besteuern?

Luc Frieden: Die Frage ist verfrüht. Erst müssen wir die möglichen Zielsetzungen und Auswirkungen der verschiedenen Steuermodelle untersuchen.

Finanz und Wirtschaft: In der EU werden derzeit verschiedene Banken einem Stresstest unterzogen. Auch in Luxemburg?

Luc Frieden: Betroffen sind 25 europäische Banken, die als systemrelevant gelten. Die 150 Banken in Luxemburg sind lediglich Töchter ausländischer Finanzinstitute. Insofern besteht für uns kein Handlungsbedarf.

Finanz und Wirtschaft: Welche Auswirkungen wird die Schuldenkrise haben? Stehen Europa Jahre einer schmerzhaften Haushaltkonsolidierung mit steigender Arbeitslosigkeit bevor?

Luc Frieden: Die Grundlage für mittelfristiges Wachstum sind gesunde Slaatsfinanzen. Anders lässt sich das Vertrauen von Investoren nicht gewinnen. Die jetzt lancierten Sparprogramme dürften keinen grösseren Schaden anrichten. Die während der Finanzkrise geschnürten Konjunkturpakete laufen ja erst 2011 aus, wenn die Konjunktur wieder Tritt gefasst haben dürfte.

Finanz und Wirtschaft: Der Euro hat sich im Zuge der Schuldenkrise deutlich abgewertet. Wann findet er zur alten Stärke zurück?

Luc Frieden: Diejenigen, die glauben, der Euro sei ein Produkt der Vergangenheit, irren. Ich bin zuversichtlich, dass die Eurozone ein stabiler Wirtschaftsraum bleiben wird sowohl was die Preisstabilität als auch was die I laushalts- und Wirtschaftspolitik anbelangt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass wir den Stabilitätspakt in guten und schlechten Zeiten anwenden.

Finanz und Wirtschaft: Wo erkennen Sie wirtschaftspolitisch weiteren Handlungsbedarf?

Luc Frieden: Wir müssen die Strukturreformen, besonders im europäischen Sozialversicherungsbereich, so schnell wie möglich hinbekommen.

Finanz und Wirtschaft: Wie viel Zeit bleibt Europa dafür?

Luc Frieden: Zwei Jahre. Sonst ist die nächste Krise programmiert.

Finanz und Wirtschaft: Drohen Europa wegen der Sozialversicherungsreformen noch höhere Steuern?

Luc Frieden: Europa darf nicht zu einem Hochsteuer-Wirtschaftsraum werden. Wir müssen sehr darauf achten, dass wir auf der Ebene der Sozialvcrsichcrungsbciträgc und Steuern vernünftige Sätze behalten. Europa steht heute mit anderen Weltregionen stärker im Wettbewerb als früher. In Luxemburg verfolgen wir seit Jahren den Ansatz, dass ein Staatshaushalt grundsätzlich durch Ausgabensenkungen und nicht durch Steuererhebungen konsolidiert wird. Dieses Prinzip sollte auch auf europäischer Ebene gelten.

Finanz und Wirtschaft: Haben Sie als Finanzminister einen Ratschlag für Anleger?

Luc Frieden: Ich bin ein sehr vorsichtiger Mensch. Das spiegelt sich in meiner Finanzpolitik wie auch in meinem Privatvermögen. Ich lege nur in Produkte an, die ich verstehe und die kein grosses Risiko bergen.

Finanz und Wirtschaft: Luxemburg ist wie die Schweiz ein Kleinstaat, hat solide Staatsfinanzen, kennt das Bankgeheimnis und verfügt über einen gewichtigen Finanzsektor. Sind die beiden Länder so etwas wie Zwillinge?

Luc Frieden: Wir fühlen uns der Schweiz eng verbunden. Die Verbundenheit geht weit über die Ansicht hinaus, dass die Privatsphäre von Bankkunden zu wahren ist.

Finanz und Wirtschaft: Auch Luxemburg ist dem Druck grosser Nachbarländer ausgesetzt. Wie gehen Sie damit um?

Luc Frieden: Es ist klar, dass Erfolg zu Neid führt. Luxemburg hat den europäischen Einigungsprozess jedoch immer als Weg gesehen, dass Probleme friedlich am Verhandlungstisch gelöst werden. Wir wollen mit unseren Nachbarn einen engen, freundschaftlichen Kontakt pflegen.

Finanz und Wirtschaft: Erleichtert eine EU-Mitgliedschaft die Verständigung?

Luc Frieden: Aus Luxemburger Sicht ganz sicher.

Finanz und Wirtschaft: Haben Sie und Ihre Partner in der EU noch Verständnis für den bilateralen Weg der Schweiz?

Luc Frieden: Keine Frage: Europa braucht die Schweiz, und umgekehrt. Der juristische Rahmen der Zusammenarbeit ist indes weniger wichtig als die Zielsetzung. Der bilaterale Weg läuft den gemeinsamen Interessen nicht zuwider - auch aus europäischer Sicht nicht. Er ist absolut akzeptabel.

Finanz und Wirtschaft: Trotzdem hätten Sie die Schweiz lieber in- als ausserhalb der EU?

Luc Frieden: Als Freund der Schweiz würde ich mir wünschen, dass sie eines Tages am grossen Tisch mitsitzen und mitdiskutieren kann. Aber die Frage der Mitgliedschaft muss einzig und allein das Schweizer Volk beantworten.

Finanz und Wirtschaft: Der Schweiz wird von gewissen Kreisen vorgeworfen, Rosinenpickerei zu betreiben. Teilen Sie diese Einschätzung?

Luc Frieden: Nein. Ich habe die Schweiz immer als verantwortungsvollen Partner wahrgenommen, wenn es um wichtige gesamteuropäische Themen ging. Dies gilt für meine frühere Arbeit als lustizminister wie auch aus meiner Sicht als Finanzminister.

Finanz und Wirtschaft: Eine strittige Frage ist, ob die Schweiz Steuerprivilegien fiir Holdinggesellschaften aufgeben muss. Nimmt der Druck aus der EU in dieser Angelegenheit zu?

Luc Frieden: Dieses Thema liegt auf dem Tisch. Doch man erreicht weder in der EU noch im Kontakt mit befreundeten Drittstaaten etwas mit Druck.

Finanz und Wirtschaft: In der Schweiz sorgte der Ton, in dem grosse EU-Länder ihre Forderungen in Steuerangelegenheiten erhoben, mehrfach für Entrüstung. Weshalb fehlt es immer wieder am nötigen Respekt?

Luc Frieden: Jemandem etwas aufzwingen zu wollen, ist einer mittel- und langfristigen Zusammenarbeit nicht dienlich. Das müssen auch die grossen EU-Länder lernen. Der französischen Finanzministerin Christine Lagarde und ihrem deutschen Kollegen Wolfgang Schäuble ist es indes gelungen, den richtigen Ton zu finden und auch mit uns Luxemburgern einen konstruktiven Dialog zu führen. Das begrüsse ich sehr.

Finanz und Wirtschaft: Die Schweiz überwies letztes Jahraus der Besteuerung von Zinserträgen 401 Mio. Fr. an EU-Länder, Luxemburg 170 Mio. €. Ist es Aufgabe eines Staates, für Drittländer Steuern einzutreiben?

Luc Frieden: Ich gebe zu, das ist ein un typischer Weg. Er ist jedoch die Konsequenz eines funktionierenden Binnenmarkts, zu dessen Prinzipien die Freizügigkeit des Kapitals zählt. Wenn ich EU-Bürger darin unterstütze, ihr Geld in Luxemburg anzulegen, muss ich ihren Heimatstaaten auch helfen, den Ertrag zu besteuern. Am liebsten wäre mir heute und damals bei der Einführung vor fünf Jahren gewesen, wir hätten uns auf eine einheitliche Abgeltungssteuer für ganz Europa geeinigt. Das würde dem Bürger erlauben, sein Geld dort zu investieren, wo er die beste Beratung und Rendite erhält.

Finanz und Wirtschaft: Eine Abgeltungssteuer wird auch von den Schweizer Banken gefordert. Hat sie eine Chance?

Luc Frieden: Wir haben in Luxemburg gute Erfahrung gemacht mit einer zehnprozentigen Abgeltungssteuer auf sämtlichen Kapitalerträgen von im Land ansässigen Personen. Sie erlaubte uns, das Bankgeheimnis intern zu bewahren. Der Schweizer Vorschlag ist interessant, doch gibt es keine Anzeichen, dass eine Mehrheit der EU-Staaten ihm zustimmen würde. Der Grund dafür ist, dass 25 von 27 Ländern in der Europäischen Union den automatischen Informationsaustausch haben. Trotzdem ist die Abgeltungssteuer eine Idee, die von den europäischen Finanzministern diskutiert werden muss.

Finanz und Wirtschaft: Ist die Einführung des automatischen Informationsaustausches in den verbleibenden EU-Staaten unvermeidlich?

Luc Frieden: Die Diskussion in der EU darüber bleibt schwierig. Wir werden einem automatischen Informationsaustausch aber erst zustimmen, wenn bewiesen ist, dass er besser funktioniert als das Modell der Quellenbesteuerung. Wir wollen auch Gewähr dafür, dass er nicht zu einer Kapitalflucht aus der EU führt.

Finanz und Wirtschaft: Was passiert, wenn Österreich das Bankgeheimnis aufgibt und Luxemburg in der EU allein auf weiter Flur steht?

Luc Frieden: Ich gehe nicht davon aus, dass Österreich seine Position ändert. Die Abschaffung der Zinsbesteuemng würde zudem Einstimmigkeit in der EU voraussetzen.

Finanz und Wirtschaft: UBS-Konzernchef Oswald Grübet forderte vor kurzem in einem Interview mit dem (Tages-Anzeigen, dass die Schweiz, Luxemburg und Österreich stärker kooperieren, um ihre Position gegenüber Deutschland zu verstärken. Arbeiten die drei Länder zu wenig zusammen?

Luc Frieden: Luxemburg steht in ständigem Kontakt sowohl mit der Schweiz als auch mit Österreich. Mit den Schweizer Bundesräten Hans-Rudolf Merz und Doris Leuthard verbindet mich eine berufliche und private Freundschaft.

Finanz und Wirtschaft: Und mit Deutschland?

Luc Frieden: Seit dem Amtsantritt von Bundesfinanzminister Schäuble hat sich die Zusammenarbeit zwischen allen deutschsprachigen Ländern verbessert. Wir diskutieren regelmässig in einem informellen Rahmen über Themen, die den Finanzmarkt betreffen. Das ist sehr hilfreich.

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