"Ein deutliches Zeichen". Le Premier ministre, président de l'Eurogroupe au sujet du prochain Conseil européen

Luxemburger Wort: Herr Premierminister, was sagen Sie zur Warnung von Standard & Poor's an Luxemburg?

Jean-Claude Juncker: Isoliert betrachtet erfüllt die Drohung, Luxemburgs Kreditwürdigkeit abzustufen, alle Charakteristika des Grotesken. Luxemburgs Haushaltsdefizite liegen in den Jahren 2011 und 2012 bei 0,5 respektive 0,7 Prozent. Der Verschuldungsstand bewegt sich um 20 Prozent. Wenn die Bonität eines Staates in Frage gestellt wird, der ein hauchdünnes Haushaltsdefizit aufweist und eine extrem niedrige Staatsschuld, sieht man, dass die Bewertung von S&P im Falle Luxemburg von irrationalen Überlegungen begleitet ist.

Luxemburger Wort: Nehmen Sie die Warnung ernst?

Jean-Claude Juncker: S&P identifiziert ein Problem. Die Eurozone verfügt bis heute nicht im vollen Umfang über die Mittel, um der Verschuldungskrise, in der sich einzelne Mitglieder der Eurozone befinden, beizukommen. Daraus zieht die Ratingagentur Schlussfolgerungen, dass die Stabilität der gesamten Eurozone bedroht wäre. Aus der Stabilisierungsbedrohung der Eurozone leitet S&P ab, dass die Bonität aller Mitgliedsstaaten der Eurozone unter verschärfte Überwachung gestellt werden müsste.

Luxemburger Wort: Was folgern Sie daraus?

Jean-Claude Juncker: Wenn man die Eurozone als Ganzes betrachtet, handelt es sich um ein deutliches Zeichen, dass wir den Europäischen Rat heute Donnerstag und morgen Freitag nutzen, um schlüssige Gesamtantworten zu formulieren und anzubieten.

Luxemburger Wort: Demnach gibt es kein Luxemburger Problem?

Jean-Claude Juncker: Die Finanzsituation des Luxemburger Staates kann nicht sorgenfrei betrachtet werden. Das Defizit des Zentralstaates ist höher als das Defizit der gesamtöffentlichen Finanzen. Aber eine Abstufung ist nicht gerechtfertigt.

Luxemburger Wort: Glauben Sie an Zufälle?

Jean-Claude Juncker: Man muss einen starken Glauben an die Unabhängigkeit von Ratingagenturen haben, um sich vorzustellen, dass es kein Zufall wäre, dass die Abstufung zwei Tage vor einem entscheidenden Europäischen Rat zu einem unpassenden und nicht nachvollziehbaren Moment erfolgt.

Luxemburger Wort: Was stört Sie dabei als Eurogruppe-Chef?

Jean-Claude Juncker: Gerade erst hat Italien ein weiteres Konsolidierungsprogramm ambitiösesten Zuschnitts auf den Weg gebracht. Irland hat weitere Konsolidierungsmaßnahmen angekündigt. In Portugal und Spanien werden die richtigen Schritte unternommen.

Luxemburger Wort: Und was leiten Sie daraus ab?

Jean-Claude Juncker: Ich plädiere seit drei Jahren dafür, dass wir das Monopol der drei US-amerikanischen Ratingagenturen dadurch brechen, dass wir eine europäische Ratingagentur errichten. Diese darf nicht von Regierungen geführt werden, die sich selbst werten würden.

Luxemburger Wort: Wie könnte das konkret vonstatten gehen?

Jean-Claude Juncker: Ich finde einen gewissen Gefallen am Gedanken, eine europäische Ratingagentur architektonisch an den Bestandteilen der deutschen Stiftung Warentest anzulehnen.

Luxemburger Wort: Ist der Vorschlag von EU-Kommissar Barnier gut?

Jean-Claude Juncker: Den Vorschlag von EU-Kommissar Michel Barnier betrachte ich mit so viel Sympathie, dass ich mir wünsche, dass im weiteren Verlauf der Behandlung durch Rat und Parlament eine weitere Einbettung der Ratingagenturen stattfindet.

Luxemburger Wort: Inklusive Rating-Aussetzung?

Jean-Claude Juncker: Im Falle außergewöhnlichen Stresssituationen eines Landes oder einer Region sollte Ratingagenturen eine integrale Bewertungsenthaltsamkeit vorgeschrieben werden können.

Luxemburger Wort: Sind die großen Summen, mit denen unter anderem Luxemburg für andere Euro-Staaten haftet, künftigen Generationen gegenüber verantwortlich?

Jean-Claude Juncker: Wie bei Lebenszyklen von Nationen verhält es sich auch bei der Europäischen Währungsunion: Es handelt sich um ein generationenübergreifendes Projekt. Wir probieren heute, Stabilität im Euroraum herbeizuführen, damit die Lebensbedingungen morgen besser sind. Es werden "Zukunftsinvestitionen" getätigt, von denen nicht nur die Generationen von heute profitieren, sondern auch die Generationen von morgen.

Luxemburger Wort: Auch wenn es für Steuerzahler teuer werden könnte?

Jean-Claude Juncker: Man kann nicht mit wissenschaftlicher Genauigkeit sagen, ob sich die virtuellen Haftungen, die einige Euro-Staaten, darunter auch Luxemburg, eingehen, später in der Realität auf Steuerzahler von heute und von morgen maximal belastend auswirken.

Luxemburger Wort: Das Problem ist also nicht existenzieller Natur?

Jean-Claude Juncker: Ich halte das langfristig nicht finanzierbare Renten- und Pensionssystem Luxemburgs für künftige Luxemburger Generationen für bedrohlicher als die sich im Zusammenhang mit der Schuldenkrise in der Eurozone ergebenden Verbindlichkeiten.

Luxemburger Wort: Wie sieht die Lösungsperspektive aus?

Jean-Claude Juncker: Die Hoffnung und der grundlegende Gedanke sind noch immer, dass durch Schutzmauern und Feuerschneisen die Endkatastrophe verhindert werden kann.

Luxemburger Wort: Worauf zielt der EU-Gipfel ab?

Jean-Claude Juncker: Alles, was wir unternehmen, sollte darauf ausgerichtet sein, vertragliche oder sekundarrechtliche Regelungen zwischen 27 Mitgliedsstaaten hinzubekommen. Gelingt das nicht, bin ich dafür, dass wir im Rahmen der Eurozone vertragsredhtliche oder sekundarrechtliche Änderungen suchen.

Luxemburger Wort: Im Notfall auch ohne London?

Jean-Claude Juncker: Ob zu 27 oder zu 17: Wir sollten keine Felder aufmachen, auf denen sich Großbritannien losgelöst , von der Gesamtdisziplin in Europa bewegen sollte. Zum Beispiel ist es nicht denkbar, dass wir innerhalb der Eurozone Regelungen zu Finanzdienstleistungen finden und dass London in Sachen Finanzdienstleistungen machen könnte, was im Interesse der City wäre und was sich nachteilig für andere Finanzzentren in Europa, darunter auch Luxemburg, auswirken würde.

Luxemburger Wort: Und bei der Sozialpolitik?

Jean-Claude Juncker: Es kann nicht sein, dass der Preis für eine Einbindung Großbritanniens in die Stabilitäts-Gesamtkonstitution mit einem erneuerten britischen Opt-Out bei der Sozialpolitik verbunden wäre.

Luxemburger Wort: Sollten sich die Euro-Staaten an Deutschland ein Beispiel nehmen?

Jean-Claude Juncker: Die holländischen, finnischen, spanischen, luxemburgischen, estnischen, slowakischen, slowenischen, maltesischen und zypriotischen Schulden sind niedriger als die deutschen Schulden. Die Kanzlerin weiß das. Deshalb wird sie falsch verstanden, wenn ihr unterstellt wird, sie würde eine Politik machen, wo alle am deutschen Finanzwesen genesen sollen.

Luxemburger Wort: Die Autoren der Rosskuren sitzen woanders?

Jean-Claude Juncker: Die Autoren der Auflagen, die Italien, Portugal und andere auferlegt bekamen, sind die EU-Kommission und die Eurogruppe.

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