"Die Deutschen denken, sie seien die einzig Tugendhaften". Jean-Claude Juncker au sujet du Conseil européen

SZ: Herr Premierminister, Sie haben am Freitag Geburtstag. Was wünschen Sie sich als Gipfel-Geschenk von Ihren Kollegen?

Jean-Claude Juncker: Ich wünsche mir, dass sie den Geist von Maastricht wieder auferstehen lassen. Dort haben wir am 9. Dezember 1991 den Euro aus der Taufe gehoben. Niemand hat uns zugetraut, dass wir das schaffen. Für uns war der Euro Friedenspolitik mit anderen Mitteln, sozusagen die Hefe im europäischen Teig.

SZ: Berlin und Paris drängen, den Vertrag gründlich zu reformieren. Sie auch?

Jean-Claude Juncker: Wir müssen das Regelwerk für den Euro stärken. Wenn das nur über eine Vertragsänderung geht, bin ich dabei. Ich verlange aber, dass das schnell und gut gemacht wird. Die Änderung muss begrenzt sein, sie darf weder eine langwierige Debatte noch langwierige Ratifizierungsprozesse nach sich ziehen.

SZ: Das klingt sehr technisch. Was genau haben Sie vor?

Jean-Claude Juncker: Wir haben es mit einer enormen Vertrauenskrise zu tun. Deshalb müssen wir die Welt davon überzeugen, dass ordentliches Haushalten ein dauerhafter Auftrag an alle Euro-Länder ist, und das müssen wir im Regelwerk festschreiben. Deshalb brauchen wir einen Automatismus beim Auslösen von Sanktionen. Ich bin froh, dass Berlin und Paris sich endlich auch in diese Richtung bewegen. Ich fand es übrigens manchmal schon komisch, dass Deutschland sich so fühlte, als sei es von Stabilitätssündern umringt. In den letzten drei Jahren gab es immer zwischen neun und elf Euro-Länder, die geringere öffentliche Schulden hatten als Deutschland. Insofern wundert es, dass die Deutschen denken, sie müssten als einzig Tugendhafte immer für die anderen zahlen. So ist es nicht.

SZ: Wie weit soll Brüssel künftig in nationale Haushaltspläne eingreifen dürfen?

Jean-Claude Juncker: Ich bin für ein maximales Einmischen Brüssels, aber nicht so, dass beispielsweise der Europäische Gerichtshof einen Haushalt qua Urteil annulliert. Es muss so sein, dass die Europäische Kornmission und die Euro-Staaten den Umfang vorschreiben und dass sie den warnenden Finger heben können, falls die Pläne gegen die Regeln verstoßen.

SZ: Brüssel darf auf die Haushaltspläne gucken, diese aber nicht genehmigen?

Jean-Claude Juncker: Es wäre überzogen, die Pläne genehmigen zu wollen. Sie dürfen mit kritischen Fragen belegt werden bis hin zur Aufforderung, den Haushalt nachzubessern. Man muss das nationale Budgetrecht der Parlamente beachten.

SZ: Sollte die Reform nicht mit allen 27 EU-Ländern klappen, dann wollen Paris und Berlin sie erst einmal mit den 17 Euroländern machen. Sie auch?

Jean-Claude Juncker: Meine Vorliebe gilt einer Vertragsergänzung, die alle 27 Staaten in vollem Umfang betrifft. Sollte das nicht möglich sein, müssen wir uns auf neue Regeln verständigen, die nur für die Euro-Zone gelten. Aber diese müssen offen sein für alle. Es darf nicht passieren, dass sich Großbritannien beispielsweise Sonderregeln für den heimischen Finanzmarkt einräumen ließe oder ein lasches Sozialrecht. Das darf nicht der Preis dafür sein, dass wir den Vertrag der 27 hinbekommen.

SZ: Deutschland drängt vor allem auf Sparen, aber hilft das allein wirklich?

Jean-Claude Juncker: Nein, das Thema Wachstumsstrategie ist der Haushaltskonsolidierung ebenbürtig. Der Europäische Rat will eine Wirtschaftsregierung sein, ist es aber de facto nicht, weil die Zeit fehlt, sich gründlich mit der Materie zu beschäftigen. Ich kann mich deshalb mit dem Gedanken anfreunden, dass sich die Chefs künftig einmal im Monat treffen.

SZ: Glauben Sie, das hilft? Wieso sollte mit der Wirtschaftsregierung gelingen, was seit Jahren nicht funktioniert?

Jean-Claude Juncker: Es ist einiges gelungen; nur das pompöse Ziel haben wir nicht erreicht, Europa zur weltweit führenden Wirtschaftsmacht auszubauen. Wenn es funktionieren soll, müssen sich die Großen auch die Mühe geben, sich um das Kleinteilige in Zypern, Malta oder Luxemburg zu kümmern. Europäische Wirtschaftspolitik ist das Bohren 27 dicker nationaler Bretter. Es reicht nicht, Ländern mitzuteilen, diesen Mindestlohn müsst ihr abschaffen oder diese Wochenarbeitszeit erhöhen. Man muss sich zuvor damit beschäftigen, warum die nationalen Regeln so sind wie sie sind und dann überlegen, was zu ändern ist. Wir wissen zu wenig übereinander, erheben aber den Anspruch, alles genau wirtschaftspolitisch zu koordinieren. Das geht nicht.

SZ: An diesem Donnerstag beginnt ein Gipfel, der das Prädikat entscheidend trägt. Noch kurz zuvor schlagen die Wogen hoch. Glauben Sie, dass das Treffen die Lage beruhigen kann?

Jean-Claude Juncker: Ja, wenn wir das Richtige tun.

SZ: Nämlich?

Jean-Claude Juncker: Auf der Tagesordnung stehen Punkte, die von vielen von angemahnt wurden, aber immer auf Widerstand stießen. Davon ist nun einiges abgeräumt. Auch Frankreich ist jetzt bereit, automatische Sanktionen zu akzeptieren. Es gab viele, die noch letzte Woche hart dagegen gekämpft haben, Banken und Versicherungen immer an Rettungsaktionen von klammen Euro-Ländern zu beteiligen. Der Euro-Raum wäre der einzige Raum der Welt gewesen, in dem private Gläubiger von vornherein an Verlusten beteiligt werden. Jetzt hat Deutschland zugestimmt, die Anleihen der Euro-Zone nach internationalem Recht auszugeben. Das heißt, private Gläubiger können sicher sein, dass es einen Schuldenschnitt wie in Griechenland nicht wieder geben wird. Wir haben auch gesagt, dass es falsch ist, beim permanenten Euro-Rettungsfonds alle Entscheidungen einstimmig zu treffen. Nun rücken auch Berlin und Paris davon ab. Diese Erkenntnisse hätten früher heranreifen können.

SZ: Also alles wird gut?

Jean-Claude Juncker: Wir müssen unsere Instrumente wie den permanenten Euro-Rettungsfonds flexibler, effizienter und reaktionsschneller machen. Das sind Signale an die Märkte, die Vertrauen schaffen.

SZ: Der Euro-Rettungsfonds ist von der Kreditwürdigkeit seiner Aktionäre abhängig - und diese ist bekanntermaßen fragil. Wäre es nicht überzeugender, wenn der Euro-Rettungsfonds die Europäische Zentralbank hinter sich hätte?

Jean-Claude Juncker: Es ist logisch, dass der Euro-Rettungsfonds an Bonität verliert, wenn diejenigen, die ihn finanzieren, selbst ihre Top-Bonität verlieren. Das Rettungsinstrument kann nicht besser seine Aktionäre. Wahr ist auch, dass noch nicht gänzlich geklärt ist, wie der Euro-Raum finanziell stabilisiert wird.

SZ: Vielleicht mit der Europäischen Zentralbank?

Jean-Claude Juncker: Die Europäische Zentralbank ist unabhängig, und das seit 1992. Das muss nicht immer wieder prominent in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Und weil die Notenbank unabhängig ist, sollten sich Premierminister und Finanzminister nicht zu ihrem Gebaren äußern. Wir haben eine Euro-Gruppe, da können wir reden, ohne die Unabhängigkeit zu verletzen. Die Europäische Zentralbank hat Reputation und Erfahrung genug, um zu wissen, was sie in einem bestimmten Moment zu muss.

SZ: Sie schlagen mit Kommissionspräsident Barroso und Ratspräsident Van Rompuy vor, den Euro-Rettungsfonds mit einer Banklizenz auszustatten.

Jean-Claude Juncker: Das ist eine interessante Überlegung, den permanenten Euro-Rettungsfonds als Kreditinstitut auszustatten. Wir stehen ihr positiv gegenüber, aber wir wissen, dass der Bundestag da ein Fragezeichen hat. Die Entscheidung muss auf dem Gipfel fallen. Ich halte es für falsch, sich hier apodiktisch einzumauern.

SZ: Fahren Sie optimistisch zum ihrem Geburtstags-Gipfel?

Jean-Claude Juncker: Ich halte die Gefechtslage für überschaubar, aber die Waffenschmiede muss noch viel Detailarbeit erledigen. 1991 haben wir in Maastricht Geschichte geschrieben. Das müssen wir heute wieder machen, damit wir die von damals nicht versenken.

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