"Keine ehrliche Diskussion" - Etienne Schneider au sujet de l'industrie au Luxembourg, du dossier Cargolux/Qatar Airways, de la compétitivité du Luxembourg et du secteur de la logistique

Luxemburger Wort: ArcelorMittal, Hyosung, Luxguard: Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit hagelte es Hiobsbotschaften.

Etienne Schneider: Der Start war hektisch. Ich hatte mir nicht erwartet, dass es gleich an allen Fronten brennen würde. Ich war erst einmal in der Schadensbegrenzung gefordert. Die eigentliche Arbeit des Wirtschaftsministers sollte darin bestehen, neue Wirtschaftsaktivitäten zu entwickeln.

Luxemburger Wort: Sind Sie mit Ihrer Arbeit als "Schadensbegrenzer" zufrieden?

Etienne Schneider: Bei Luxguard haben wir weit über 200 Stellen gerettet und bei ArcelorMittal haben wir der Konzernspitze - erstmals - Bedingungen abgerungen: Investitionen über 400 Millionen Euro sind schriftlich verankert worden. Verglichen mit Belgien oder Frankreich haben wir uns relativ gut aus der Affäre gezogen. Auch wenn wir nicht darüber zufrieden sein dürfen, dass ein Teil unserer traditionellen Industrie verschwindet, so ist doch wesentlich - wenn alle Investitionen getätigt sind -, dass der Stahlstandort Luxemburg langfristig abgesichert ist.

Luxemburger Wort: Sie sind stets um eine positive Darstellung der Dinge bestrebt. Glauben Sie weiterhin an den Industriestandort Luxemburg?

Etienne Schneider: Ja. Er muss sich nur neu erfinden, wie im Übrigen unsere gesamte Wirtschaft. Die vier Pfeiler unserer Diversifizierungspolitik - die Logistikbranche, der ICT-Bereich, die Öko- und Biotechnologien - reflektieren diesen Erneuerungsprozess. Das eigentliche Problem der Industrie gründet in ihrer Kostenstruktur und in der Tatsache, dass diese Bereiche nur einen geringen Mehrwert erzeugen bzw. Produkte fertigen, die überall auf der Welt hergestellt werden können. Es muss uns also gelingen, Betriebe mit hohem Mehrwert anzusiedeln, deren Standortkosten nicht ins Gewicht fallen. Die Industrie wird technologischer, die Arbeit verlangt nach höherer Qualifikation.

Luxemburger Wort: Und wer, wie so viele Stellensuchende, ein niedriges Qualifikationsniveau hat...

Etienne Schneider: ...für diejenigen bleibt die Logistikbranche als ein Auffangbecken. Wir dürfen uns aber nichts vormachen: Ohne adäquate Qualifikation kann man kaum noch auf dem Arbeitsmarkt bestehen.

Luxemburger Wort: Die Tatsache, dass sich Luxemburg mit ausländischen Wirtschaftspartnern schwer tut, vereinfacht Ihre Aufgabe nicht. Die geplatzte Partnerschaft Cargolux/Qatar Airways ist dafür ein Beispiel.

Etienne Schneider: Wir müssen uns wieder bewusst werden, dass Luxemburg ein Wirtschaftsstandort ist, der von ausländischem Kapital lebt. Also müssen wir sehr behutsam mit diesem Kapital umgehen und z. B. unser Steuerrecht verlässlich und konkurrenzfähig halten. Ausländische Betriebe sind aufgrund der Vorteile, die wir ihnen bieten, hier beheimatet. Der Fall Cargolux/Qatar Airways allerdings hat die Werbung für den Standort Luxemburg im Ausland nicht einfacher gemacht.

Luxemburger Wort: Die Stahlindustrie bleibt ein wichtiger Pfeiler. Welchen Standpunkt werden Sie bei der EU-Debatte am 12. Februar einnehmen?

Etienne Schneider: Ich reise nicht nach Brüssel, um "Mittal-Bashing" zu betreiben. Die Stahlindustrie, und damit die Gesellschaft ArcelorMittal, ist zu wichtig für Luxemburg. Ich will eine offene Debatte mit Herrn Mittal über die Stahlbranche in Europa. Das Problem ist doch, dass Mittal unilateral mit den einzelnen Staaten und Standorten Verhandlungen führt und dabei unterschiedliche Signale sendet. Europa muss aber auch aus seiner Lethargie erwachen und sich endlich eine europäische Industriepolitik geben. Nach meinem Dafürhalten kann ein Ansatz darin bestehen, Mindestnormen festzulegen, die Betriebe und Branchen, die in die EU exportieren, erfüllen müssen. Länder wie Deutschland stehen dem jedoch skeptisch gegenüber.

Luxemburger Wort: Hat Europa Angst vor der eigenen Courage?

Etienne Schneider: Die Europäische Union leidet an unzureichender Integration und ist sich der Stärke ihres Binnenmarktes mit 500 Millionen Bürgern nicht bewusst. Europa fehlt die globale Sichtweise, das globale Handeln.

Luxemburger Wort: Im Bereich der Stromliberalisierung gibt die EU auch keine gute Figur ab. Wo bleibt die Politik?

Etienne Schneider: Die Marktöffnung hat die Preise nicht gedrückt. Das ist ein totaler Misserfolg, der sich in erster Linie durch die Organisation der Strombörse erklärt. Die Politik kommt nicht umhin, gegenzusteuern. Davor aber muss sie sich dazu durchringen, den Fehler einzugestehen.

Luxemburger Wort: Hierzulande sind vor allem die Netzkosten hoch...

Etienne Schneider: ...die positive Kehrseite der Medaille ist eine sehr hohe Versorgungssicherheit. Unser Stromnetz ist äußerst leistungsstark, was wiederum ein gutes Standortargument darstellt. Daher macht auch die Sotel-Leitung nach Frankreich absolut Sinn.

Luxemburger Wort: Hierzulande steht im März eine Debatte über die Wettbewerbsfähigkeit an. Ist nicht schon alles gesagt worden?

Etienne Schneider: Diese Debatte über die Zukunft des Landes ist extrem wichtig. Wir befinden uns in der einmaligen Situation, nun schon fünf Krisenjahre in Folge zu erleben. Jetzt muss auch der Letzte erkannt haben, dass wir uns hinterfragen und Anpassungen vornehmen müssen. Meine Absicht ist es, jeden in die Pflicht zu nehmen. Wettbewerbsfähigkeit ist nicht ausschließlich Sache des Wirtschaftsministers. Auch wenn der Zeitpunkt wohl schlecht gewählt ist mit Sozialwahlen in diesem Herbst und Parlamentswahlen in 2014, so ist es doch bitter nötig, hier und jetzt zu handeln.

Luxemburger Wort: Erkennen Sie denn Handlungsbereitschaft bei der Opposition?

Etienne Schneider: Jeder soll seine Verantwortung übernehmen. Ich muss indes eingestehen, dass beispielsweise von der DP, die sich gerne den Mantel der Wirtschaftskompetenz umhängt, in den fünf Krisenjahren noch kein einziger Gesetzesvorschlag mit dem Ziel, die Krise zu überwinden, eingereicht worden ist. Das finde ich tragisch für diese Partei.

Luxemburger Wort: Und die Verantwortung der Koalition?

Etienne Schneider: Dadurch, dass der Wirtschaftsminister die Debatte gemeinsam mit dem Finanzminister initiiert, geben wir das Signal, dass wir als Koalition auftreten. Wir benötigen jetzt eine geschlossene Haltung und sollten im März das Politische ausklammern.

Luxemburger Wort: Wie soll danach die Gesetzgebung aussehen, die Sie aus dieser Debatte ableiten wollen?

Etienne Schneider: Es soll ein Sammelgesetz werden, das jene Punkte enthält, mit denen andere Gesetzgebungen modifiziert werden sollen. Es kann sich z. B. um Vereinfachungen der Commodo-Bestimmungen oder um sinnvolle Erleichterungen bei Umweltauflagen handeln. Schon das Drehen an einigen Stellschrauben kann die gesamte Wettbewerbsfähigkeit erhöhen.

Luxemburger Wort: Lösungen verlangen nach Flexibilität. Die Logistikbranche benötigt einen wettbewerbsfähigen Flughafen. Wie wollen Sie die Frage der Nachtflüge für alle Seiten zufrieden stellend lösen?

Etienne Schneider: Dieses Dossier hat mir sehr viel Kritik eingebracht. Fakt ist aber, dass Luxemburg an einem Punkt angelangt ist, wo wir uns nicht mehr in die eigene Tasche lügen können und als Politiker Themen vermeiden, aus Angst, Wählerstimmen zu verlieren. Ich will gar nicht mehr Nachtflüge zulassen, sondern dem Ist-Zustand Rechnung tragen. Meine Idee ist, von den 1500 Nachtflügen die wir heute haben, 1200 Flüge auszuschreiben und an die Fluggesellschaften zu verteilen. Die restlichen 300 Flüge sollen für etwaige Notfalle reserviert bleiben. Auf diese Weise sparen wir den Gesellschaften Kosten und beenden die heutige Praxis der kostspieligen Ausnahmen. Die Nachtflüge sind ein Beispiel aus der politischen Landschaft, das zeigt, dass wir nicht ehrlich diskutieren. Nehmen Sie den Hauptstadtbürgermeister. Indem Xavier Bettel polemisiert, dass ihn nur das Wohlbefinden seiner Bürger interessiert, ist er sich zwar deren Zustimmung gewiss, er hat jedoch nichts zur Lösung des Problems beigetragen.

Luxemburger Wort: Sie plädieren für die Begrenzung der Mandate auf zwei Amtszeiten. Kammerpräsident Laurent Mosar besteht auf einer Diskussion um das Ämterkumul. Wie steht es um die Bereitschaft für Änderungen?

Etienne Schneider: Ich erkenne kaum Bereitschaft. Von politischer Seite habe ich durchwachsene Reaktionen bekommen. Meiner Meinung nach kann die Begrenzung gewährleisten, dass ein Politiker im Interesse des Landes handelt und nicht mit Blick auf den nächsten Wahltermin agiert. Wenn heute von Politikverdrossenheit die Rede ist, kann ich das nachvollziehen. Wer hierzulande politisch an die Spitze gelangen will, benötigt nicht nur Interesse und Kompetenz. Er muss über mindestens 30 Jahre Volksfesterfahrung verfügen. Das ist grausam. Wir haben Stillstand an der Spitze. Dazu trägt auch das Ämterkumul bei. Das ist nicht gut für eine Demokratie. Ich bin im Gegenzug aber auch dafür, den Übergang Politik-Wirtschaft durchlässig zu gestalten.

Luxemburger Wort: Für Aufsehen gesorgt hat auch Ihre Aussage zum Wahlrecht für Nicht-Luxemburger.

Etienne Schneider: Mir geht es um das aktive Wahlrecht, das ausländische Mitbürger unter gewissen Bedingungen ausüben sollen. Wer die Staatsbürgerschaft annimmt, soll auch das passive Wahlrecht ausüben dürfen. Dann bleibt immer noch die Sprachenfrage. Wie soll man plausibel erklären, dass diejenige der drei offiziellen Sprachen, die Ausländern als am wenigsten nützlich erscheint, ausschlaggebend für den Pass ist? Wäre es nicht sinnvoller, sich zu verständigen, dass ein einbürgerungswilliger Ausländer eine offizielle Sprache beherrscht?

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