Interview de François Bausch avec le Luxemburger Wort

"Die beste Mobilität ist die, die man verhindert"

Interview: Luxemburger Wort (Claude Feyereisen)

Luxemburger Wort: François Bausch, Sie sind wohl der erste, wenn nicht sogar der einzige grüne Minister überhaupt, der eine Autobahn einweiht und den punktuellen Ausbau des Netzes auf drei Fahrbahnen auf den Weg bringt. Gleichzeitig wollen Sie die Bevölkerung aber zu einem grundsätzlichen Umdenken bei der Mobilität bewegen. Wie sind diese ach so unterschiedlichen Sichtweisen miteinander vereinbar?

François Bausch: Ich sehe da überhaupt kein Problem. Sie sprechen vom Klischee des grünen Politikers. Es ist aber nun einmal nicht so, dass man als Grüner aus Prinzip gegen alles ist. Ich will die Abkehr von der Fixierung auf ein bestimmtes Verkehrsmittel, nämlich auf das Auto, bewirken - zu Gunsten der Kombination mehrerer Verkehrsmittel. Die Bürger sollen sich künftig die Frage stellen, welche Möglichkeit der Fortbewegung für sie im Bedarfsfall die angemessenste, die günstigste ist. Wir müssen wegkommen von der Tendenz, mehr Verkehrsaufkommen mit mehr Straßen zu beantworten. Sie haben auch den Ausbau einzelner Autobahnabschnitte auf drei Fahrbahnen angesprochen. Das ist letztendlich auch notwendig, um Platz für die öffentlichen Verkehrsmittel zu schaffen. Es ist kein Widerspruch an sich, wenn ein grüner Minister auch Straßen baut.

Luxemburger Wort: Sie wollen, dass die berufstätige Bevölkerung beim täglichen Pendeln zwischen Wohnort und Arbeitsplatz auf das Auto verzichtet, lassen dabei aber außer Acht, dass die Arbeitsplatz -Ballungsgebiete nicht an das Bahnnetz angeschlossen sind. Zudem ist der Großteil davon auf dem Hauptstadtgebiet zu finden, wo die Verkehrslage in den Stoßzeiten besonders prekär ist ...

François Bausch: Das kommt daher, dass die Landesplanung seit jeher nicht ernst genommen und nicht konsequent durchgezogen wurde. Man baute zuerst die Infrastruktur für die Arbeitsplätze, einseitige Gewerbegebiete ohne Mischung von Wohnen und Arbeiten. Dann erst dachte man über die Mobilitätsfrage nach. Ich versuche jetzt, die Versäumnisse der Vergangenheit zum Teil wettzumachen - und diese Arbeitsplatz -Ballungsgebiete bestmöglich an das öffentliche Verkehrsnetz anzubinden. Das System mit dem Hauptbahnhof als zentralem Anlaufpunkt muss entflochten werden.

Luxemburger Wort: Die Fehler der Vergangenheit werden aber auch heute noch gemacht beim Megaprojekt Ban de Gasperich, das jetzt Cloche d'Or heißt, beispielsweise. Einen Bahnhof sucht man dort vergebens ...

François Bausch: Das Projekt Cloche d'Or wurde zwischen 2000 und 2003 so beschlossen, wie es derzeit umgesetzt wird. Der Promotor hat die Genehmigungen dafür erhalten. Daran kann ich nichts ändern. Ich habe aber darauf bestanden, die Tram schnellstmöglich dort anzusiedeln. Außerdem soll der Auffangparkplatz P&R Sud flächenmäßig verdoppelt werden, was bedeutet, dass die Fourri&e der Polizei verschwindet. Der P&R Sud wird künftig auch mit Schranken versehen werden, damit dort nur mehr die Pendler parken können. Eg geht um die Kombination von individueller Mobilität und öffentlichen Verkehrsmitteln. Der P&R Sud ist beispielsweise nicht für jene Bürger gedacht, die ihren Wagen dort kostenlos abstellen und sich dann mit dem Bus zum Flughafen Hahn shutteln lassen. Diese und andere Maßnahmen sollen dazu beitragen, dass ein Modal Split von 60/40 bis zum Jahr 2020/2021 auf dem Hauptstadtgebiet erreicht werden kann. Das bedeutet, dass 40 Prozent der Berufstätigen den öffentlichen Transport nutzen sollen.

Luxemburger Wort: Damit nicht genug! Im Ban de Gasperich stehen 120 000 qm residenzielle Nutzfläche für ca. 3 000 Bewohner 375.000 qm Fläche für ca. 20 000 Arbeitsplätze gegenüber. Wie stehen Sie zu diesem Ungleichgewicht?

François Bausch: Noch einmal: Der Ban de Gasperich wurde vor Jahren so beschlossen. Aber ja, die Kritik ist berechtigt. Wir müssen ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Wohn- und Arbeitsraum anstreben. Es muss mehr Wohnraum geschaffen werden. Auf der Cloche d'Or sind ja noch nicht alle Parzellen verplant. Wir werden den Bau von Wohnraum dort noch verstärkt fördern - im Interesse der Mobilität. Denn die beste Mobilität ist die, die man verhindert (lacht)! Wenn die Leute in der Nähe des Arbeitsplatzes wohnen und zu Fuß gehen können.

Luxemburger Wort: Die meisten Unternehmen, allen voran jene aus dem Dienstleistungssektor, wollen sich aber auch weiterhin unbedingt auf dem Hauptstadtgebiet niederlassen, wollen eine "Luxembourg" -Adresse haben. Wie wollen Sie hier ein Umdenken, eine "Dezentralisierung" bewirken?

François Bausch: Die Stadt Luxemburg wird das Zentrum wirtschaftlicher Aktivitäten bleiben, ihre Attraktivität ist weiterhin sehr hoch. Dennoch sind wir auch andernorts aktiv, beispielsweise in und um die Nordstad. Dort arbeite ich eng mit Staatssekretär Camille Gira zusammen. Wir wollen die Regierung überzeugen, für die Nordstad eine Entwicklungsgesellschaft ins Leben zu rufen, ähnlich der Agora, die auf der ehemaligen Industriebrache Belval tätig ist. Ohne eine Entwicklungsgesellschaft hat das Projekt Nordstad keine Chance. Dazu könnte dann auch der weitere Ausbau des Gewerbegebietes "Walebroch" zwischen Ettelbrück und Diekirch gehören. Auch die Mobilität wird dort ein Thema sein, beispielsweise wäre ein Großraumbus ähnlich dem Mettis in Metz denkbar, um die Passagiere bequem und zügig zwischen beiden Polen hin und herzubefördern. Dazu gehört auch die Modernisierung des Bahnhofs Ettelbrück, wo sich eine wirkliche urbanistische Chance bietet. Längerfristig bedeuten alle diese Maßnahmen eine Beruhigung des Verkehrs in den jeweiligen Zentren von Ettelbrück und Diekirch.

Luxemburger Wort: Zurück in die Stadt Luxemburg. Wie ist es eigentlich um die seinerzeit geplanten Peripheriebahnhöfe bestellt? Das Gesetz für die Gare de Howald wurde bereits im Dezember 2010 verabschiedet ... Und der Bahnhof Cessingen?

François Bausch: Der Bahnhof Howald kommt. Der Bahnhof Cessingen wird im Zeitraum 2021-2025 in Angriff genommen werden, der hat derzeit keine Priorität - im Gegensatz zum Bahnhof Howald. Um bei den Prioritäten zu bleiben: Bevor der Bahnhof Ces singen gebaut wird, widmen wir uns zunächst der Neugestaltung des Paul-Wurth-Areals. Dessen Masterplan sieht neben einer ausgewogenen Mischung von Wohnen und Arbeiten auch bereits eine Tramtrasse vor. Der Bahnhof Hollerich ist auch Bestandteil dieses Projektes, so dass dieser recht schnell den neuen Bedürfnissen angepasst wird.

Luxemburger Wort: Die Tram, oft missverstanden, ist der Hauptbestandteil des Mobilitätskonzeptes der Zukunft für die Berufspendler. Hätte man nicht das bestehende öffentliche Verkehrsangebot zunächst stark verbessern müssen, damit es für die Pendler attraktiv wird, und die Tram dann erst bauen?

François Bausch: Die Tram ist entscheidend für den Fortbestand des wirtschaftlichen Erfolgsmodells des Landes. Pro Jahr kommen im Schnitt rund 10.000 zusätzliche Arbeitsplätze und damit auch 10 000 Pendler hinzu. Den Vorgängerregierungen kann man als Entschuldigung für Versäumnisse auf diesem Gebiet zugestehen, dass diese Entwicklung so nicht vorhersehbar war. Es war aber auch vor 20 oder 30 Jahren schon falsch zu glauben, man bekäme dieses Wachstum alleine durch die Förderung der individuellen Mobilität in den Griff. Ich möchte jetzt beweisen, dass man Projekte, die für das wirtschaftliche Modell des Landes mitverantwortlich sind, zügig und parallel zu anderen umsetzen kann. Die Tram wird künftig das Rückgrat der Luxemburger Wirtschaft sein. Warum sonst wohl lassen sich bereits jetzt Unternehmen wie Ernst&Young, KPMG oder BGL PNP Paribas an der Tramstrecke nieder?

In naher Zukunft wird es nicht mehr nur um ein Verkehrsmittel gehen, sondern um die Kombination mehrerer Lösungen, um eine Mobilitätskette, deren Dreh- und Angelpunkte die neun geplanten Umsteigeplattformen (pöles d'&hange) sein werden.

Luxemburger Wort: Die Tram wird besonders von den Einwohnern der Hauptstadt sehr kritisch gesehen. Wie gehen Sie damit um?

François Bausch: Die Tram wird auch den Hauptstadtbürgern Vorteile bringen. Der Transitverkehr wird beispielsweise aus den einzelnen Vierteln verschwinden. Und die Busdienste können dann im Interesse der spezifischen Bedürfnisse der Einwohner optimiert werden. Bei allem Respekt für die Kritiker, aber es muss auch einmal gesagt werden, dass der Wohlstand der Gemeinde Luxemburg auf den Arbeitsplätzen fußt. Um diese dort zu halten beziehungsweise auszubauen, bedarf es adäquater Mobilität und eines entsprechenden Konzeptes. Aber diese Diskussionen sind normal, solche gab es auch in Metz bei der Einführung des Großraumbuskonzeptes Mettis. 

Luxemburger Wort: Aber hätten es nicht auch Großraumbusse wie der Mettis in Metz getan?

François Bausch: Nein, der Mettis ist für die Stadt Luxemburg keine Lösung. Busse wie der Mettis sind bei einer Einwohnerzahl von bis zu 100 000, vielleicht 110 000, angebracht. Die Tram hat sich als effizientes Transportmittel bei einer Einwohnerzahl zwischen 100 000 und 500 000 erwiesen, darüber kommt dann die U-Bahn. In genau dieser Spanne liegt die Stadt Luxemburg, die derzeit etwa 110 000 Einwohner zählt, deren Bevölkerung tagsüber aber auf 250 000, gar 300 000 Menschen anwächst. Für diese Größenordnung ist eine Straßenbahn das richtige Verkehrsmittel. Für die Tram sprechen obendrein die hohe Qualität des Transports, die hohe Frequenz der Bewegungen und die hohe Attraktivität der Wagen. Und, noch wichtiger, man benötigt keinen Fahrplan mehr! Abgesehen davon ist die Infrastruktur für einen Mettis-Bus nur unbedeutend weniger aufwandig als für eine Straßenbahn.

Luxemburger Wort: Aber auch der Tram wird man, ähnlich den städtischen Bussen, vorwerfen, zwischen 9 und 16 Uhr größtenteils leer zu fahren ...

François Bausch: Bei einer Straßenbahn sind Anpassungen an den jeweiligen Bedarf viel einfacher als bei den Bussen. Außerhalb der Stoßzeiten kann man beispielsweise einfach die Frequenz anheben, von drei auf fünf Minuten. Oder man fährt mit kürzeren Wagen. Bei aller Kritik bin ich davon überzeugt, dass die Tram später auch für innerstädtische Bewegungen genutzt werden wird. - außerhalb der Stoßzeiten.

Luxemburger Wort: Was verstehen Sie unter innerstädtischen Bewegungen?

François Bausch: Früher gab es nur das Bahnhofsviertel und die Oberstadt, nur dort spielte das Leben. Aufgrund der polyzentrischen Entwicklung der Hauptstadt ist das heute anders. Das Leben spielt immer noch in der Oberstadt und im Bahnhofsviertel, aber auch in Kirchberg und in Gasperich, später auch an der Place de l'Etoile, um nur diese Beispiele zu nennen. Ich kann mir also durchaus vorstellen, dass die Tram in der Mittagspause von Berufstätigen genutzt wird, um beispielsweise von Gasperich nach Kirchberg und wieder zurück zu fahren, um in ein bestimmtes Geschäft oder Restaurant zu gehen. Weil die Tram verfügbar, schnell und bequem ist. Und weil sie nicht vom restlichen Verkehrsaufkommen betroffen ist.

Luxemburger Wort: Es bleibt noch die Frage nach der tatsächlichen Kapazität der Tram. Sie sprechen von 450 Fahrgästen. Aber: 450 Fahrgäste auf einer Länge von 45 Metern und auf einer Breite von 2,5 Metern unterzubringen, bedeutet, dass sich vier Personen einen Quadratmeter teilen müssten. Das könnte eng werden, sehr eng ...

François Bausch: 450 Personen sind das absolute Maximum dessen, was möglich wäre. Aber selbst dann wäre das kein Problem. Man ist ja nicht lange drin. Denken Sie doch nur an die Metro in Paris! In den Stoßzeiten zwängen sich die Fahrgäste hinein, freiwillig! Minuten später sind sie ja wieder draußen. Bei der Tram wird das nicht anders sein. Da kann man etwas Gedränge schon einmal in Kauf nehmen (lacht). Das, also die Aufenthaltsdauer pro Fahrt, ist auch der Grund, weshalb so wenig Sitzplätze vorgesehen sind. Sollte das Gedränge eines Tages zu groß werden, können wir dann auch längere Wagen mit einem Fassungsvermögen von 600 Personen einsetzen.

Luxemburger Wort: Laut dem Strategiepapier "Mobil2o2o", aus dem dann das "MoDu" (mobilitd durable) wurde, das übrigens bis heute Bestand hat, soll bis zum Jahr 2020 ein Modal Split von 75/25 Realität sein. Ist dieses Ziel erreichbar?

François Bausch: Es ist erreichbar, wenn der geplante Um- und Ausbau des öffentli2 chen Verkehrsnetzes umgesetzt ist. Ein Anzeichen dafür sind die Züge, die bereits jetzt sehr voll sind. Die Eisenbahngesellschaft spricht von einem Wachstum des Passagieraufkommens von fünf bis sechs Prozent pro Jahr. Für uns ist das eine Herausforderung! Aber das Modal Split von 75/25 ist keine Utopie. Mit allem, was jetzt geplant ist, werden wir in den Ballungsgebieten ein Modal Split von 60/40 erreichen, der Landesdurchschnitt wird dann wie geplant bei 75/25 liegen. 2020 oder 2021 sollte dieser Realität sein.

Luxemburger Wort: Sie werden nicht müde zu behaupten, der Stellenwert des Autos nehme auch in der Luxemburger Gesellschaft ab. Worauf fußt diese Behauptung?

François Bausch: Es geht um die Frage, ob man im 21. Jahrhundert überhaupt noch ein Auto kauft. In meinen Augen geht die gesamte Entwicklung in Richtung des Carsharing in seinen unterschiedlichen Facetten. Man greift nur dann noch zum Auto, wenn man es wirklich braucht. Also kauft man nicht mehr zwangsläufig eines. Bei aller berechtigter Kritik, die das Unternehmen Über* über sich ergehen lassen musste, aber das Konzept ist genial! Und das autonome Fahren? Es wird unser Verhältnis zum Auto weiter verändern. Nachhaltig.

Luxemburger Wort: Das klingt aber nach einer Kampfansage an die Autofahrer ...

François Bausch: Die Urbanität nimmt zu. Die Landflucht ist auf dem Rückmarsch. Immer mehr Menschen wollen in der Stadt, im urbanen Raum wohnen. Der Platz dort ist knapp bemessen, insbesondere für den Individualverkehr. Das Verhältnis zum Auto wird ein anderes werden. Das Auto wird nur noch im Bedarfsfall angefordert und genutzt werden. Smartphones, Google, Apple und Co. werden diese Entwicklung nur noch beschleunigen. Via Smartphone wird sich binnen Sekunden das angemessenste Verkehrsmittel finden lassen. Man wird Mobilität kaufen, kein Auto - dank der Vernetzung von digitaler Welt und Fortbewegungsmöglichkeiten. Das Auto wird seinen Platz behalten und auch weiterhin eine Rolle spielen, aber eine andere als heute.

Luxemburger Wort: Wie soll das gehen?

François Bausch: Der Bedarf an Mobilität wird weiter steigen. Dadurch tun sich ganz neue Tätigkeitsfelder auf. Bus- und Bahnunternehmen werden Mobilitätsdienstleister werden. Aber auch die Autohersteller werden sich in diese Richtung entwickeln ... müssen. Die Autokonzerne haben den Trend längst erkannt und arbeiten daran - ebenso die Internet -Giganten Apple und Google. In naher Zukunft werden es sogar sie sein, die die Mobilität entscheidend mitbestimmen.

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