"Europa regierungsfähig halten", discours à l'occasion du "Dialogue politique sur l'Europe"

„Europa regierungsfähig halten“

"Europapolitischer Dialog" - Berlin

Vielen Dank meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich darf mich recht herzlich für diese Einladung nach Berlin bedanken. Reisen nach Berlin bilden immer, und sie hat sich voll gelohnt.

Ich weiß nicht so recht, was von mir erwartet wird, weil man mir hier den Arbeitstitel vorgibt „Europa regierungsfähig halten“. Redet man über technische Fragen - oder ist das eine politische Fragestellung. Weil ich es von Berufswegen gewohnt bin möglicherweise allen Erwartungen gerecht zu werden, werde ich mich vorsichtig an beide Teile des vermuteten inhaltlichen Zusammenhanges heranwagen.

Regierungsfähigkeit ist ja kein technisches Problem. Es wird in Europa nur so behandelt aber es ist kein technisches Problem. Regierungsfähigkeit in Europa ist ein elementar politischer Vorgang. Es heißt eigentlich, so verstehe ich Regierungsfähigkeit, das europäische Notwendige europäisch und national möglich zu machen. Und der, der das was Notwendig ist, möglich machen will, der muss sich sehr intensiv um Akzeptanz für alles was Europa betrifft bemühen.

Und Akzeptanz erreicht man eigentlich nicht dadurch, dass man Europa dauernd schlecht redet. Wer denkt, die Menschen für die Erweiterung, für andere Vorhaben dadurch begeistern zu können, dass er dauernd vorführt, dass auch jetzt schon nichts korrekt funktioniert darf sich nicht wundern, dass die Menschen sich von diesem Jahrhundertprojekt abwenden. Insofern bitte ich sehr herzlichst darum auch in einem Land in dem Larmoyanz zur nationaltragenden Tugend geworden ist, sich auch auf das zu besinnen, was wir eigentlich in den letzten Jahrzehnten geschafft haben, und das ist nicht wenig.

Europa hat viel geleistet und eigentlich mehr als viele sich das vorstellen konnten. Auf die Akzeptanz achten, heißt auch falsche Perspektivsetzung zu unterlassen. Zu lange haben wir „locker vom Hocker“ über die Vereinigten Staaten von Europa geredet und dadurch eigentlich die Menschen mehr verunsichert als Ihnen feste Bahnen vorgezeichnet. Wir sollten derartiges besonders dann unterlassen wenn wir selbst nicht wissen was wir eigentlich mit einer derartigen Vokabel meinen.

Auch jetzt gibt es viele die als Illusionsreisende unterwegs sind und auch den Kandidaten in Ost- und Mitteleuropa feste Beitrittsdaten, eigentlich mehr einreden wollen, als auf deren Forderungen, weil die gibt es in der Form überhaupt nicht, eingehen zu wollen. Einiges an Gerede einstellen was keinen Sinn macht, weil wir selbst nicht wissen was wir meinen wenn wir dies sagen. Versprechen nicht machen wenn wir sie nicht erfüllen können. Die Beitrittskandidaten in Ost- , Mittel- und Südeuropa ernst nehmen heißt nicht, ihnen Dinge in Aussicht zustellen, kurzfristig in Aussicht zustellen, die weder Sie noch wir leisten können.

Auf Akzeptanz achten, heißt auch gefährliche Perspektiven sofort widersprechen. Man darf diejenigen die eigentlich sich eher in Richtung einer europäischen Freihandelszone bewegen möchten, auch und vor allem nach dem Beitritt der Ost- und Mitteleuropäischen Länder nicht freie Bahn lassen. Eine Freihandelszone, selbst eine gehobene Freihandelszone wie sie manchen vorschwebt, ist ein zu simples Konzept für einen dramatisch komplizierten Kontinent. Deshalb sollte man hier Widerspruch sofort anmelden wenn perspektivlich sich als Endergebnis aus den Reden mancher so etwas wie Abrücken von der Idee der politischen Union und hineinsteigen in die europäische Freihandelszone ergibt.

Auf die Akzeptanz achten, heißt auch unnötige Debatten zu vermeiden. Zurzeit erleben wir eine völlig unnötige Debatte zwischen Groß und Klein, beispielsweise. Ich bin ja Vertreter eines Großherzogtums und habe trotzdem eine Vorstellung von kleinen Staaten. Und da mag sich manches ja vor der Kulisse großer Mitgliedsstaaten sehr mutig anhören. Das hört sich aber vor der Kulisse großherzogtümlicher Kleinstaaten, der kleinen Königreiche, wie es auch noch in Luxemburg gibt, nicht so Zuspruch bringen kann.

Ich muss mich entschuldigen ich habe mich sehr erkältet in Biarritz. Es hat die Kleinen kalt erwischt in Biarritz deshalb bin ich etwas verschnupft aus Biarritz zurückgekommen. Aber ich sag dem Bundesaußenminister, die Ansteckungsgefahr ist groß.

(Joschka Fischer (dazwischen): „Ich habe mich in Biarritz auch erkältet die Grossen hat es auch erwischt“).

Das nehme ich nicht ohne Zufriedenheit zur Kenntnis, dass es auch die Grossen erwischt hat.

Also diese Debatte ist unnötig sie ist deshalb unnötig weil sie den empirisch gewachsenen Gesamtzustand Europas in keinerlei Hinsicht gerecht wird. Grosse müssen vernünftig werden, Kleine auch und sich aufeinander zu bewegen. Wir haben ein Abendessen im Kreis der Regierungschefs gehabt das sehr gut war, notwendig war, über das jetzt alle möglichen Legenden gesponnen werden. Tatsache ist, wenn wir diese Auseinandersetzung die sehr militant geführt wurde nicht gehabt hätten und sie erst in Nizza gehabt hätten, hätten wir nie den Vertrag von Nizza erreicht sondern wahrscheinlich den von Göteborg. Und deshalb war diese Aussprache sehr hilfreich. Aber man sollte nicht so tun, als ob es einen Gegensatz zwischen Gross und Klein gäbe. Es gibt objektive Unterschiede, aber es hat in der europäischen Union diesen Gegensatz unter total ausgelebter Form nie gegeben.

Ich bin Mitglied des Ministerrates seit Ende 82, das ist zwar verrückt aber es ist so, und ich kann mich nicht an eine Abstimmung erinnern wo auf der einen Seite des Tisches die vier Grossen zum weltweitbewegenden Sprung in die europäische Zukunft hätten ansetzen wollen, und wo auf der anderen Seite des Tisches die Meute der kleinen Ladenbeißer sie daran gehindert hätten. So war es nie, und so wird es auch nie sein, sei es auch nur weil die vier oder fünf Grossen nie im selben Moment in die selbe Richtung zum selben Sprung ansetzten, so viel beißen können die Kleinen überhaupt nicht um dann alle noch zu erfassen.

Sich um Akzeptanz bemühen, heißt dann halt auch die richtigen Perspektiven aufzeichnen und dann sind wir schon bei dem Thema Kompetenzkatalog. Es macht sich die Einsicht breit eigentlich in allen Mitgliedsregierungen, dass der von deutscher Seite, auch vom Bundeskanzler geäußerter Wunsch, dieses Thema „ Kompetenzabgrenzung“ für die Zukunft zu thematisieren, durchsetzt. Ich höre da kaum noch Widerspruch, was nicht heißt, dass man nicht an dieser Frage weiterarbeiten sollte. Ich bin da sehr dafür, dass wir diese Kompetenzabgrenzung kriegen. Ich wäre noch freudiger gestimmt, wenn wir sie auch hinkriegen, weil es ist ja eine Sache zu sagen, das brauchen wir, eine andere Sache ist, das dann auch leisten zu können. Wenn wir hier im Raume über die Frage diskutieren werden wir sehr schnell feststellen, dass in diesem Raume keine zwei Personen sitzen, die das Thema genau in die gleiche Richtung bewegen möchten. Ich glaube, dass das eine sehr schwierige Debatte sein wird, wahrscheinlich wurde sie auch deshalb nie geführt weil jeder weiß, dass sie so schwierig ist. Wenn wir aber schwierige Debatten systematisch nicht führen, dann wird plötzlich eine Debatte über Europa geführt. Deshalb ist es mir lieber, Europa führt eine Debatte, wenn sie auch schwierig ist, über seine Kompetenzbereiche als, dass wir plötzlich von einer anti-europäisch artikulierender Debatte, mit allem was uns an Europa lieb ist, hinweggefegt werden.

Kompetenzabgrenzung heißt ja nicht, jedenfalls nicht in meinem Verständnis, dass wir jetzt, andere haben das ja versucht, das Ende der europäischen Geschichte im Sinne der europäischen Union dekretieren würden. Es muss immer so sein, dass wir auch dort wo wir keine originären Kompetenzen haben, die Mitgliedsstaaten in einem einvernehmlichen Arbeitsprozess sich darauf verständigen sich mit einer bestimmten Frage und einem bestimmten Themenbereich zu beschäftigen.

Die europäische Tür für alle Zeiten schließen, sie zuschlagen, nicht zuzulassen was heute nicht Erkennbar ist, hielt ich für einen perspektivlichen Fehler.

Ich bin ja bei zunehmenden Alter, und da stellt man dann plötzlich fest, dass man ein europäischer Veteran ist, neig ich ja schon dazu Anekdoten zu erzählen. Ich war dabei als 85 die einheitliche Akte beschlossen wurde. Es hat damals einen Riesenkrach mit der deutschen Delegation gegeben über die bloße Erwähnung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion im Jahre 85 in einem europäischen Vertrag. 91 haben wir dann einen Vertrag abgeschlossen wo die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion als Hauptbestandteil zukünftigen europäischen Wachsen und Werdens beschlossen wurde. 5 Jahre, vorher wollte die deutsche Seite davon überhaupt nichts hören, das heißt die Tür zuschlagen, zusperren, ist ein Weg den man nicht gehen sollte.

Aber, das was man tut genau beschreiben,
das Wie, wie etwas gemacht werden soll - ja,
das Wann - sollte man nach Möglichkeit nicht endgültig versuchen per Vertrag zu regeln,
das Ob – sollte man manchmal auch der Zeit überlassen.


Aber, dass man die Dinge so verriegeln muss, dass nicht jeder zu jedem Moment mit irgend einer Idee versuchen wird mehrheitsfähig in Europa agieren zu können. Das scheint mir auch wichtig. Dies ist ja nicht nur eine Frage der Kommission, es ist auch eine Frage der Mitgliedsstaaten. Es gibt wenig Beschlüsse die, die Kommission unbeeinflusst durch andere überhaupt treffen kann. Vieles wird ja der Kommission in die Schuhe geschoben was eigentlich in die Schuhe der Regierungen und der Mitgliedsstaaten gehört, und deshalb ist dieser Kompetenzkatalog wie ich finde ein vernünftiger Ansatz, um an die Dinge heranzugehen. Ich sehe nur noch nicht millimetergenau wie man dies tun könnte, und hätte auch nicht gerne, und wäre im übrigen sehr dagegen, dass man hier ein Junktim etablieren würde zwischen der Beitrittsfrage und der Reglung der Kompetenzabgrenzungsfrage. Das man vor dem ersten Beitritt in die Debatte einsteigen sollte, ja, aber man wird diese Debatte nicht zielorientiert zu Ende geführt haben können vor dem ersten Beitritt.

Wir sollten uns auch darauf besinnen keine Kräfte in der europäischen Union zu verzetteln sondern, dies ist in der Verlängerung der Kompetenzabgrenzungsfrage zu sehen, uns auf das Wesentliche konzentrieren. Das Wesentliche in Europa der nächsten Jahrzehnte wird sich um die Hauptfunktion staatlichen Wirkens herum organisieren. Währungspolitik, dort wo es sinnvoll ist, gemeinsame Wirtschaftspolitik, Außen- und Sicherheitspolitik, Innere Sicherheit, dies sind Kernbereiche zentraleuropäischen Handelns, auf die sollten wir uns konzentrieren und Abstand nehmen von der Reglungswut die europäisch deshalb geworden ist nicht nur weil die europäische Kommission dies so gewollt hätte, sondern auch weil viele Regierungen es so haben wollten. Mir ist es als Regierungschef pausenlos widerfahren, dass wenn ein Minister sich im Kabinett mit einer blendenden Idee nicht Gehör verschaffen kann, dass man nach 6 Monaten, 8 Monaten plötzlich mit einer europäischen Initiative gleichen Inhaltes befasst gibt, weil im Blutgruppenverfahren Umweltminister, Arbeitminister, Sportminister, Gesundheitsminister waren plötzlich in Brüssel europäischen Handlungsbedarf dort ausmachen wo sie bei der Anwendung nationalen Handlungsbedarfes eigentlich in ihren Kabinetten gescheitert sind.

Dass wir uns nicht auf das Wesentliche konzentrieren können, hat auch damit zu tun, historisch jetzt über Jahrzehnte betrachtet, dass es diese Kernaufgaben überhaupt noch nicht gab. Es wurde vieles in Europa angefasst, weil es nichts Wesentliches zu greifen gab. Wenn wir Währungsunion gehabt hätten, wenn wir eine erwachsene Außen- und Sicherheitspolitik hätten, dann wäre es so dass viele sich nicht auf Nebenkriegsschauplätzen herumtreiben würden, deshalb ist eine Heranführung an stärker, an besser definierte Kernbereiche europäischer Politik das beste Mittel, um uns davon abzuhalten uns auf Nebenkriegsschauplätzen und in Seitengassen dauernd aufzuhalten.

Regierungsfähig sein, heißt auch sich den Kompetenzen die man hat, voll zustellen – statt immer nur über neue Kompetenzen zu reden, die mal ausüben die man hat, wenn man sich darauf verständigt hat. Ein Beispiel: die Währungsunion. Es steht im Vertrag, dass es auch so etwas wie Koordinierung der Wirtschaftpolitik geben muss. Die gibt es aber nicht. Da fehlt es nicht an Instrumenten, da fehlt es nicht an Beschlüssen, die Beschlusslage ist reich, das Instrumentarium ist gut bestückt, aber wir machen das nicht – und wundern uns über so manches was unleserlich erscheint an europäischer Wirtschafts- und Währungspolitik. Für mich ist das ein sehr interessanter Vorgang gewesen, das wird mir ja nur Ärger bringen wenn man das nach draußen berichtet. Ein sehr ärgerlicher Vorgang war gewesen, dass die französische Regierung, die in Sachen der Koordinierung der Wirtschaftspolitik immer sehr konsistente Reden vorgetragen hat, die uns eigentlich zum Koordinieren prügeln wollten so als ob die Anderen zum Koordinieren hätten getragen werden müssen; Mittwochs eine Absenkung der Mineralölsteuer beschließt und Samstag im ECOFIN-Rat beschließen lässt, dass man das nicht tun sollte.

(Zwischenruf)

Ja, ich rede ja in Berlin lieber von den Franzosen. Aber ich kann vielleicht ein deutsches Beispiel anfügen, was aber nicht nur deutsches Beispiel ist, sondern ein generelles. Wir haben alle im Sommer quitsch fidel, und ohne uns auch nur in Grundzügen abzustimmen, Steuerreformen in Europa angekündigt. Wir haben darüber nicht miteinander geredet. Ist es sinnvoll, vernünftig, verantwortlich in 8, 9 Ländern vor allem in den drei Grossen, bruttosozialproduktmässig betrachtet großen Euro-Ländern, Steuerreformen auf den Weg zu schicken, ohne sich im Detail zuüberlegen wie wirkt sich dies in den anderen Mitgliedsländern des Eurolandes aus, und was könnte ich so tun dass dem anderen geholfen ist mit einer bestimmten Aktion, die er dann nicht zu unternehmen braucht, weil er vielleicht mehr Talent und mehr Geschick hat und mehr Finanzmasse zur Verfügung hat, um etwas anderes zu machen. Dies ist nun wirklich eine Unterlassung die ich hier kritisieren möchte weil ich auch als noch amtierender Finanzminister regelmäßig daran beteiligt bin.

Akzeptanz heißt auch, wenn man in einer Währungsunion ist, sich dieser Währungsverantwortung kollektiv und solidarisch zustellen, und dann auch die zur verfügungsstehenden Politikmittel einzusetzen. Koordinierung heißt ja nicht, die selbe Wirtschaftspolitik überall sondern mit Blick auf das gesamte Euroland, entscheiden gemeinsam wobei die letzte Entscheidung die nationale Regierungen im Parlament selbstverständlich vorbehalten sein muss. Was, Wo, Wann zum Besseren des Grossen und Ganzen passieren muss.

Nun stört mich an Europa am meisten, dass wir keine Grundsatzdebatten führen. Ich meine jetzt nicht die vom französischen Staatspräsidenten und von Joschka Fischer angestoßenen Debatten, die führen wir eigentlich intensiver als die Debatte über das was jetzt bis Nizza zu geschehen hat. Dabei sind diese längerfristigen perpektivischen Debatten absolut notwendig in Europa, damit das was an Europa lebendig bleiben soll, nicht abstirbt.

Aber so richtige Grundsatzdebatten führen wir keine in Europa, über die Inhalte der Politik. Wo gab es dieses europäische Gespräch, es sei dann in rhetorischen Beiträgen zu denen wir, wie die heutige Veranstaltung zeigt, ja fähig sind. Wo hat die Debatte über das europäische Sozialmodel stattgefunden. Wo? Das wird angemahnt und jeder versteht ja darunter etwas anderes. Ich bin ja auch nicht verdrießlich darüber, dass jeder etwas anderes darunter versteht. Aber wie intensiv wir uns diesen Debatte stellen, wird daran deutlich, dass wir im Vollzug nie in der Lage sind zu erklären, dass wir dieses oder jenes getan hätten weil wir uns im Grundsatz konsensmässig über bestimmte politische Marschrichtungen verständigt hätten.

Mir ist es beispielsweise schleierhaft aber ich weiß, dass dies hier auch Widerspruch im Saal hier findet, wenn man eine Währungsunion hat, wenn wir seit nun mehr 15 Jahren an einem europäischen Binnenmarkt und dessen Ausgestaltung arbeiten – wieso wir dann in den sozialen Fragen die Binnenmarkt relevant sind, zur keinen Beschlussfassungen kommen. Vor allem in Grenzbereichen, da bin ich auch ein Fachmann denn in Luxemburg ist man immer sehr schnell an der Grenze, das heißt man sieht schnell was in Grenzregionen stattfindet.

Wieso können wir uns nicht darauf verständigen einen Mindestsockel an Arbeitnehmerrechten in Europa auf die Beine zu stellen. Dies heißt nicht, dass alle Sozialleistungen die wir in Deutschland, die wir in Luxemburg oder sonst wo haben allgemein verbindlich für Europa erklärt würden. Aber dies heißt ganz einfach, dass es einen Sockel geben muss der nicht nach unten durchbrochen werden kann, weil dies die Akzeptanz der Menschen stört, weil sie nämlich das Gefühl haben werden, dass weil es Währungsunion gibt, weil es Binnenmarkt gibt, dass jetzt die sozialen Standards vor allem im arbeitsrechtlichen Bereich nach unten einknicken müssen.

Man muss sich mit der Frage nicht beschäftigen, man kann das auch rein ordnungspolitisch angehen und derartige Einwände als Arbeiterromantik abtun, ich sage ihnen nur, dies wird so nicht gehen, wenn wir auf Dauer nicht sicher stellen, dass alle Menschen mit an Bord genommen werden und dieses Gefühl verschwindet, was diffus vorhanden ist, als ob die europäische Veranstaltung eigentlich nicht eine Veranstaltung der kleinen Leute wäre. Ich sage das nicht despektierlich, mit kleinen Leute meine ich auch die, die mich auf die Welt gesetzt haben.

Insofern bin ich der Meinung, dass man zum Beispiel in derartigen Fragen Grundsatzdebatten in Europa braucht, weil wenn wir die Fragen nicht behandeln werden die Fragen uns behandeln und mir wäre es lieber wir behandeln sie. Nur wird es jede Menge institutionelle Reformen bis Nizza geben und dazu noch ein kurzes Wort.

Mich stört an der aktuellen institutionellen Debatte sehr, dass man so tut als ob die Institutionen Selbstzweck wären; Institutionen dienen bestimmten Politiken. Wir brauchen mehr Klarheit über das was wir politisch inhaltlich wollen, bevor wir eigentlich in aller Gelassenheit entscheiden können, was wir mit Mehrheit und was wir mit Einstimmigkeit beschließen wollen. Wenn wir den Kurs kennen würden, wenn wir genau wüssten bis wo uns eine bestimmte europäisch initiierte Initiative tragen kann, dann wäre es auch einfacher in den Frage Einstimmigkeit oder qualifizierte Mehrheit so oder so zu entscheiden.

Wichtig wird sein bei den institutionellen Reformvorhaben, dass man das Dreieck Kommission – Parlament –Rat nicht fundamental stört. Es ist aber schon einigermaßen gestört worden, weil das europäische Parlament im Rahmen eines informellen institutionellen Hegemonialismus sich immer mehr auf Kosten der europäischen Kommission in Szene gesetzt hat, dies muss wieder in Ordnung gebracht werden. Ich höre, alle sind ja für eine starke.....

Ende Seite A (Kassette) Seite B (Kassette)

Aber wenn ich mir Vorschläge im Detail ansehe, worin denn die Stärkung der Kommission bestehen sollte, dann fällt mir im Regelfall zur Zeit nur auf, dass man denkt, die Zahl der Kommissare müsste nach unten revidiert werden.

Das Thema möchte ich hier nicht auswalzen, weil ich dazu schon soviel gesagt habe, dass es mich und andere inzwischen sowieso langweilt. Aber die Stärkung der Kommission wird man nicht durch die Verkleinerung ihrer Mitgliedszahl erreichen. Die Stärkung der Kommission wird man dadurch erreichen, dass man ihr Zentralbedeutung dort gibt wo sie Zentralbedeutung braucht. Zentralbedeutung braucht sie dort, wo die Kommission und nur sie, a priori, das allgemeine Interesse der europäischen Union definieren kann. Es wird dann Sache der Mitgliedsstaaten, Sache des europäischen Parlamentes sein, in einen edlen Wettbewerb mit der Kommission über diese von ihr so definierten gemeinsamen Anliegen zu treten. Und deshalb bin ich der Meinung, dass bei der verstärkten Zusammenarbeit beispielsweise, die Kommission der auslösende Moment sein muss. Wenn es zu einer verstärkten Zusammenarbeit im ersten Pfeiler kommt, bei klassischen EU-Politiken, dann soll nicht eine bestimmte Anzahl von Mitgliedsstaaten die originäre Initiative ergreifen können, sondern dann sollte die Kommission die das allgemeine Interesse im Augen haben muss, die Initiative, wenn ich das salopp formulieren und so sagen darf, lostreten dürfen.

Im zweiten Pfeiler, im dritten Pfeiler dort wo es gemischte Initiativerechte zwischen Mitgliedsstaaten und Kommission gibt, bin ich sehr einverstanden mit dem deutsch-italienischen Vorschlag der in dieser Beziehung gemacht wurde. Wir brauchen eine Neugewichtung der Stimmen im Rat, einige Grosse diskutieren so als ob die Kleinen sich dagegen sperren würden, das tun sie nicht. Alle Mitgliedsstaaten sind der Auffassung, dass wir eine Neugewichtung der Stimmen im Rat brauchen. Die kleinen Mitgliedsstaaten haben die sogenannte „doppelte Mehrheit“ vorgeschlagen, wenn ich richtig verstanden habe, könnte die Bundesregierung, die Deutschen, mit einem derartigen Ansatz auch leben, gut leben.

Ich glaube aber nicht, dass die französische Regierung damit gut leben wird. Ich weiss also, dass der französische Staatspräsident, der französische Premierminister und der deutsche Bundeskanzler sich irgendwann, wenn sie es denn nicht schon getan haben, darauf verständigen wollen, dass es eine einfache Stimmenneugewichtung gibt und, dass es dann so sein muss, dass Deutschland nicht mehr Stimmen im Rat hat als Frankreich, und ich sage hier so wird das nicht gehen.

Weil wenn wir in der unteren Liga, in der Regionalliga der Kleingewichte, wenn wir aus 6 Millionen Niederländer die es mehr gibt als Belgier, ganz einfach weil die Niederländer demographisch aktiver waren seit Gründung der europäischen Union als die Belgier, die Belgier haben 9 Millionen jetzt haben die Niederländer 16 Millionen. So wenn aus diesen 6 Millionen Stimmengewichtungskonsequenzen gezogen werden, dann sage ich auch ja , dann muss man auch in der ersten Liga Konsequenzen aus 20 Millionen Differenz ziehen. Wer diese Debatte nicht will, sollte sich dem Vorschlag anschließen „doppelte Mehrheit“ dort wird es ein einfach demographisches Korrektivum geben, das wird nicht apparent gemacht, dass es diese Unterschiede gibt. Aber so diese Einigungen im stillen Kämmerlein zwischen Deutschen und Franzosen, um des lieben Friedenswillen, machen wir dies und jenes unter uns und die Anderen denen setzen wir das auf den Teller und die nehmen das beim Hauptgang mit, ohne, dass sie merken, dass die Soße nicht stimmt, das wird diesmal nicht gehen und ich sage das hier, weil ich es anderenorts auch schon gesagt habe.

Ja, und dann wäre es gut wenn man die Kommission und die europäische Union auch dadurch stärken würde, dass man um der Glaubwürdigkeitswillen so viele Bereiche wie nur möglich von Einstimmigkeit in qualifizierte Mehrheit bringt, was voraussetzt dass es so etwas wie Debattenkultur in Europa geben wird. Es geht nicht, dass man einfach nur feststellt die qualifizierte Mehrheit ist da und das ist jetzt so beschlossen. Nein, Demokratie meint Debatte und dann Abstimmung.

Ich habe den Vorsitz im EU-Ministerrat drei mal gemacht und ich weiß wie man das macht im Vorsitz mit der qualifizierten Mehrheit. Wenn man sie hat hält man sie fest und man schließt die Debatte ab. Wer die Mehrheit hat, hat noch nicht unbedingt Recht. Politik ist mehr als nur die logische Schlussfolgerung ziehen die sich aus dem Mehrheitsverhältnissen ergibt, und wenn man um Akzeptanz bemüht ist muss man auch lange mit dem reden der nicht einer und derselben Meinung ist wie die anderen Mitgliedsstaaten der europäischen Union und dann kommt man wesentlich besser vom Fleck.

Glaubwürdig wäre das Ganze nur, wenn alle erklären würden in Nizza, dass es den Kompromiss von Luxemburg nicht mehr gibt. Dass man jetzt sagt, es muss möglich viel mit Mehrheit entschieden werden – ja , aber wenn man dann so beschließt, dann müssen auch alle darauf verzichten den Kompromiss von Luxemburg – 65 war das, anzurühren. Wenn der Kompromiss von Nizza den Kompromiss von Luxemburg ersetzt, dann sind wir ein gutes Stück weiter gekommen. Wer eine Stärkung der Kommission anmahnt, wer eine Stärke der Effizienz der Entscheidung im Rat anmahnt, und wer mehr qualifizierte Mehrheit in möglichst vielen Teilbereichen der europäischen Politik anmahnt, der muss auch bereit sein darauf zu verzichten, vitales Interesse anzurufen wenn er das Risiko einer Überstimmung läuft.

Aber vielleicht hätte ich den letzten Teil meiner Rede in der Sprache Voltaire’s vortragen sollen.

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