Europa - einig Steuerland? Rede von Premierminister Jean-Claude Juncker Symposium über europäische Steuerharmonisierung

Textfassung der frei gehaltenen Rede

Sur invitation de l'université Johann Wolfgang Goethe de Francfort, le Premier ministre Jean-Claude Juncker a participé le 28 juin 2001 à la table ronde „Europa - einig Steuerland?". La table ronde a été ouverte par Dr. Helmut Kohl, doyen du département de droit de l'université Johann Wolfgang Goethe. Le ministre allemand des Finances Hans Eichel a également participé à la table ronde.

Sehr verehrter Herr Bundesfinanzminister, lieber Hans, Herr Doktor Kohl, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Luxemburg gilt in der veröffentlichten öffentlichen Meinung der Bundesrepublik, besonders wenn sie sich überregional artikuliert, als Steueroase. Insofern mangelt es der Frankfurter Uni und der Dresdner Bank nicht an Humor, den luxemburgischen Premierminister zu diesem Gespräch eingeladen zu haben. Weil aber an einer Uni die Probleme von der wissenschaftlichen Seite betrachtet werden, ist für die Wissenschaft jedenfalls klar - dem Bundesfinanzminister vielleicht weniger - dass Luxemburg eben keine Steueroase ist. Insofern ist die Einladung in vollem Umfang berechtigt.

Ich möchte zu den Thesen, die vorgebracht wurden, einige Hintergrundelemente liefern und einige weiterführende Elemente beisteuern. Zum einen bin ich der Auffassung, dass die Steuerfrage sich in Europa völlig neu stellt, seit wir uns seit Mitte der achtziger Jahre auf den Weg gemacht haben, einen europäischen Binnenmarkt vollumfänglich zu gestalten. Ein Binnenmarkt ohne gemeinsames Regelwerk ist in der Endkonsequenz nicht vorstellbar. Und wenn dieser Binnenmarkt logischerweise durch eine Währungsunion verlängert wird, kommt der Steuerfrage eine doppelte neue Dimension zu. Binnenmarktgründe und Währungsunionsgründe plädieren eindeutig dafür, dass man in Steuerfragen mit nationalen Sonderwegen Europa nicht wird gestalten können. Über dieses Prinzip sind wir uns heute morgen vielleicht schneller einig als wir uns in der Europäischen Union über die notwendigen Schlussfolgerungen, die sich aus Binnenmarkt und Währungsunion ergeben, einig sind.

Schon zu Anfang des Eintrittes in den Binnenmarkt, Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre haben wir uns sehr intensiv an die Harmonisierung indirekter Steuern herangewagt. Sehr oft lese ich, höre das auch aus meistens unberufenem politischen Munde, dass es dringend Zeit würde, dass man die Mehrwert- und die Konsumsteuern in Europa harmonisiert, weil der Binnenmarkt danach schreit. Er hat geschrieen, und er wurde auch gehört. Er wurde gehört am 24. Juni 1991. Um viertel vor acht abends haben die Finanzminister der Europäischen Union - ich hatte den Vorsitz, deshalb weiß ich das noch sehr genau – Mehrwert- und Konsumsteuern harmonisierend aufeinander zugeführt dadurch, dass wir einen Regelsatz im Mehrwertsteuerbereich von 15% beschlossen und im Konsumsteuerbereich auch dementsprechende Mindestsätze vorgesehen haben.

Dort brauchen wir also nicht mehr zu harmonisieren, dort wurde harmonisiert. Deutschland hat damals die Mehrwertsteuer von 14 auf 15% im Regelsatz anpassen müssen. Luxemburg musste seinen Regelsatz von 12 auf 15% anheben. Wer dies einmal aus europäischen Gründen tun muss, weiß wie beliebt dass europäische Steuerharmonisierung beim nationalen Publikum ist. Ich kann mich im übrigen an keine Oppositionspartei, weder im luxemburgischen noch im deutschen Parlament, erinnern, die dem massiv zugestimmt hätte. Damals gab es Bedenken gegen diese Art des Harmonisierens nach oben für Deutschland, Luxemburg, Portugal und Spanien. Im übrigen auch verbunden mit den dementsprechenden Inflationsschüben, die es in diesen Wirtschaftsräumen in dem Moment gegeben hat, was man dadurch zu korrigieren versuchte, dass man bei den ermäßigten Steuersätzen einiges an zusätzlichen Margen in die Gesamtlösung hat einfließen lassen. Eine große Aktion in Sachen Harmonisierung indirekter Steuern ist eigentlich sofern Mehrwert- und Konsumsteuern betroffen sind, nicht angesagt. Hier wartet Überprüfungsarbeit auf uns, nicht Gründerarbeit.

Bei den direkten Steuern, wo die Beweisführung im übrigen etwas schwieriger ist als im indirekten Binnenmarktsteuerbereich, ist aber auch, wie ich finde, energisches Handeln angesagt. Das Steuerpaket vom 1. Dezember 1997 zerlegt sich eigentlich in zwei Teile: Was machen wir in Sachen Kapitalertragsbesteuerung und wie gehen wir an das Thema Unternehmenssteuer heran? 1997 haben wir in Sachen Unternehmensbesteuerung festgelegt, dass wir einen Verhaltenskodex gegen unfairen Steuerwettbewerb beschließen. Den haben wir beschlossen. In punkto Kapitalertragsbesteuerung (Kapitalerträge müssen in jedem Land der Europäischen Union besteuert werden und darüber hinaus im übrigen auch) haben wir uns auf ein sogenanntes Koexistenzmodell geeinigt, das in der Substanz besagt, dass die Länder, die über ein Bankgeheimnis verfügen - dies ist in Luxemburg der Fall - über eine Quellensteuerregelung ihrer steuerharmonisierenden Pflicht und Schuldigkeit nachkommen sollten, und dass die Länder, die eben kein Bankgeheimnis haben, über Informationsaustausch untereinander ihrer Pflicht nachkommen sollten.

Dieser Beschluss von 1997, der sehr ausgewogen war, zu ausgewogen nach dem Geschmack vieler, wurde anlässlich der europäischen Räte von Helsinki und von Feira in Portugal substantiell gekippt. Dort haben wir uns darauf verständigt, dass es innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zum allgemeinen Informationsaustausch innerhalb der Europäischen Union kommen sollte, was heißt, dass Bankgeheimnisse dort, wo es sie gibt, abgeschafft werden müssen, jedenfalls für sogenannte Steuerausländer oder nichtgebietsansässige europäische Steuerzahler. Luxemburg wie andere auch hat dieses verbunden mit dem Hinweis auf die notwendige Einbringung der sogenannten Drittstaaten, wie der Schweiz, Liechtenstein, und anderen auch, die nach Verhandlungen die gleiche Steuerregelung erlassen müssen wie die Europäische Union oder - wie Hans Eichel sagen würde - eine „gleichwertige Steuerregelung“. Luxemburg hat eine dementsprechende Protokollerklärung abgegeben. Gleichwertig heißt gleich. Insofern ist deutlich, dass für Luxemburg jedenfalls der Eintritt in den Informationsaustausch nur denkbar ist, wenn die Schweiz gleich intensive Schritte unternehmen würde, wobei es mit der Schweiz nicht reichen würde. Es gibt andere Finanzzentren in Europa und außerhalb Europas, die sich in direkter Konkurrenzlage zu den europäischen Finanzzentren befinden.

Was die Kapitalertragsbesteuerung anbelangt, haben die Gespräche mit der Schweiz und mit anderen Drittstaaten begonnen, im übrigen auch mit den assoziierten und abhängigen Territorien der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Beides geht schleppend, wobei ich schon zur Kenntnis nehme, dass die Schweiz Interesse bekundet hat, an einer gesamteuropäischen Lösung teilzunehmen, allerdings ausschließt, dass dies über den Weg eines Einstieges in den Informationsaustausch geschehen könnte. Insofern zeichnet sich ab, dass wir noch muntere Diskussionsrunden im Kreise der europäischen Finanzminister haben werden, über die genaue Interpretation dessen, was die Schweiz zu tun bereit wäre unter der Maßgabe, dass Luxemburg, Österreich und andere eigentlich nicht bereit sind, sich im Verhältnis zur Schweiz in eine ungünstige Lage bringen zu lassen.

Mein Vorschlag war, wäre, wird sein - und so wird es auch kommen - dass wir uns in Sachen Kapitalertragsbesteuerung, wenn wir zu handfesten, verbindlichen Vereinbarungen in der Europäischen Union kommen möchten, in letzter Analyse an dem inspirieren sollten, was eben hier vorgetragen wurde, nämlich an einer europaweit geltenden minimalen Abgeltungssteuer. Minimal heißt nicht mit möglichst niedrigem Niveau, sondern ein Mindestsatz unter Form einer Abgeltungssteuer, die in allen europäischen EU-Mitgliedstaaten anzuwenden wäre. Dies würde auch den Umgang, die Verhandlung und die Regelung mit der Schweiz und mit anderen interessierten, respektiv desinteressierten Finanzzentren und Finanzplätzen europaweit und in anderen Teilen der Welt erleichtern.

Bei der Unternehmensbesteuerung bin ich absolut der Meinung, dass wir Mindeststeuersätze brauchen, aus dem ganz einfachen Grund, dass im Binnenmarkt mehr als in der Währungsunion ein Standortwettbewerb ausgebrochen ist, der sich tendenziell immer mehr auf die steuerpolitische Ebene verschiebt, weil das Währungsventil als ausgleichender Faktor national-ökonomischer Ungleichgewichte seit Eintritt in die Währungsunion entfällt. Insofern wird es immer wieder die Versuchung geben, steuerpolitisch zu korrigieren, indem man die Steuersätze auf fast null oder deutlich unter eine Zahl, die nicht weit von null entfernt ist, absenkt. Und es wird den Versuch geben - das gehört mit in diese Debatte - dass man versucht die Sozialniveaus, vor allem die arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen, so abzusenken, dass man über den Umweg, auch wieder Wettbewerbsfähigkeit herstellen könnte.

Man kann nicht über Steuerharmonisierung reden, ohne nicht gleichzeitig über die Frage zu reden, ob wir einen Mindestsockel an europaweit verbindlichen Arbeitnehmerrechten mit in die Zukunft nehmen. Es kann ja nicht so sein, dass wenn die Währungskorrektur entfällt, wir das steuerpolitische Korrektiv einigermaßen in einen Korridor einzuweisen versuchen, und sich dann der gesamte Ausgleichungsdruck auf die soziale Ebene verschiebt. Wobei ich hier schon gerne anmerken möchte, dass ich nicht im Sinne habe, die Alterssicherungssysteme aneinander anzugleichen oder dort harmonisierend tätig zu werden. Dies würde die Leistungsfähigkeit und die Vorstellungskraft der Europäischen Union bei weitem übersteigen. Aber dass man im arbeitsrechtlichen Bereich einige Mindestregelungen erlässt, die sich nicht an deutschen oder luxemburgischen Niveaus inspirieren sollten, sondern an Niveaus deutlich unter diesen, aber so, dass die von nationalen Regierungen nicht nach unten durchbohrt werden dürfen, ist mir schon ein Anliegen, das in diesen Harmonisierungskomplex hineinwirkt. Bemessungsgrundlagen wird man harmonisieren müssen, und ich mache mir gerne die Formel zu eigen, weitgehend harmonisieren zu müssen.

Es gibt Volkswirtschaften, sofern es überhaupt noch nationalökonomische Gebilde in Europa gibt, die einen erheblichen Investitionsnachholbedarf haben. Es müsste auch nach der Festlegung der Bemessungsgrundlage Margen genug für Volkswirtschaften geben, die sich noch im Rückstand befinden, die es erlauben, aus strukturpolitischen Gründen im investitionsfördernden Bereich einige Sonderregelungen ins Auge zu fassen. Was wir nicht über die Steuermargen bei der Bemessungsgrundlagen-Festlegung zulassen, werden wir zu einem erhöhten, aber weniger überprüfbar und weniger zielorientierten Preis im Bereich der Strukturpolitik bezahlen müssen. Insofern macht es Sinn, nationale Gestaltungsinstrumente steuerlicher Natur zur Investitionsförderung zuzulassen, was keine Absage an die Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen ist, sondern eine Nuance, wie man dies denn tun sollte.

Ansonsten brauchen wir Mindestsätze, nicht einheitliche Sätze. Dabei sollten wir uns nicht dem Trugschluss hingeben, dass wer einheitlich festgelegte Mindestsätze hat, also nominal harmonisiert hat, nicht im Endeffekt im realen durchschnittlichen Besteuerungsmaß durchaus unter diesen nominalen Sätzen landen könnte. Daher die Wichtigkeit in Sachen Bemessungsgrundlage soviel wie möglich zu harmonisieren, damit der nominale Satz nicht nach unten korrigiert und durch Ausnahmen bei den realen Bemessungsgrundlagen unterlaufen werden kann.

Was ist unser Problem in Europa? Körperschaftsteuerrecht ist zuerst nationales Recht. Zweitens: Koordinierung, Zusammenarbeit, Harmonisierung in abgestufter Form und mit unterschiedlicher Intensität, muss es in den verschiedenen Steuerarten, die verschiedenen Einkommensarten betreffend, geben können. Steuerdumping entsteht eigentlich dort, wo für die nationalen Betriebe ein bestimmter Steuersatz und eine bestimmte Steuerregelung gilt, wo aber für die aus dem Ausland sich ins eigene Land zubewegenden Betriebe eine förmlich andere Besteuerung gilt, sehr oft auch im Bereich der Bemessungsgrundlage. Dort entsteht Wettbewerbsverzerrung, unfairer Steuerwettbewerb und Steuerdumping.

Was wir in Europa tun, ist uns mit dem Thema zu beschäftigen, nämlich genau darauf zu achten ob deutsche Betriebe in Deutschland genau die Steuer wie französische Betriebe in Deutschland zahlen? Und wenn es für Franzosen, Briten, Luxemburger und Belgier günstigere Regelungen gibt als für die einheimischen und ansässigen Betriebe, dann schreiten wir ein - müssen wir auch.

Aber die eigentliche, weiterführende Debatte ist die, ob es nicht einen Mindestsatz geben muss, der nicht nach unten korrigiert werden darf. Heute haben die Iren einen Körperschaftssteuersatz für ausländische Investoren von 12%. Nationale Betriebe zahlen mehr. Morgen - so ist das in Dublin geplant – wird der allgemeine Körperschaftssteuersatz bei 12% liegen, sowohl für einheimische wie für ausländische Unternehmen. Gerade diesen Innerstaaten-Vergleich wagen wir nicht in Europa, weil uns dazu die Kraft fehlt. Aber genau das müssen wir wagen, um in Sachen Mindeststeuersätze vom Fleck zu kommen. Wer aber den Iren jetzt sagt, so würde das in Zukunft gehen, dem wünsche ich viel Glück bei der zweiten Volksabstimmung in Irland.

Vielen Dank!

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