Interview de Xavier Bettel avec la Revue

"Das Land neu aufstellen"

Interview: Revue

Revue: Bei Ihrer Rede zur Lage der Nation haben Sie gesagt, dem Land ginge es besser als noch vor zwei Jahren. Haben Sie das Bild nicht ein bisschen zu positiv dargestellt?

Xavier Bettel: Das ist nicht meine eigene Darstellung, sondern die Lage, wie sie durch Zahlen belegt wird. Wenn ich mir die Arbeitslosenquote und die Wirtschaftszahlen anschaue, sprechen diese ihre ganz eigene Sprache und zeigen, dass wir auf dem Weg in die richtige Richtung sind. Neue Betriebe siedeln sich hier im Land an, Arbeitsplätze werden geschaffen und die Arbeitslosigkeit sinkt. Das Wachstum liegt bei fast fünf Prozent. Die meisten europäischen Kollegen beneiden mich um solche Werte. Leider gibt es hierzulande bei manchen die Tendenz, alles schlechtzureden. Unnötige Schwarzmalerei verunsichert die Menschen, dabei soll man sich über solche Zahlen freuen.

Revue: Die Zahlen spiegeln allerdings immer nur die Durchschnittswerte wider?

Xavier Bettel: Ja, und man darf nicht vergessen, dass es auch in Luxemburg Menschen gibt, die am Ende des Monats Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen. Diesen Menschen muss gezielt geholfen werden. Selbst wenn ein Großteil der Bevölkerung ein gutes Leben führen kann, darf man die nicht vergessen, denen es nicht gut geht.

Revue: Das Armutsrisiko ist in den letzten Jahren sogar noch gestiegen...

Xavier Bettel: In Luxemburg kann man trotz eines geregelten Einkommens arm sein, weil die Nebenkosten extrem hoch sind. Deshalb ist es zum Beispiel sehr wichtig, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Es kann nicht sein, dass - wenn man seine Miete oder seinen Kredit bezahlt hat - kein Geld mehr vom Lohn übrig bleibt. Leider ist das in Luxemburg aber für viele Menschen eine Realität. Deshalb muss genau hier der Hebel angesetzt werden, um Menschen in einer solchen Situation zu helfen.

Revue: Nach zweieinhalb Jahren Amtszeit dieser Regierung ist in diesem Bereich aber noch nicht viel passiert.

Xavier Bettel: Diese Kritik kann ich nicht gelten lassen. Bei Amtsantritt wusste ich, dass in diesem Bereich Handlungsbedarf besteht. Deshalb wurde Marc Hansen bereits früh als Staatssekretär an die Seite von Maggy Nagel gestellt, um in diesem Bereich noch besser voranzukommen. Wir haben als Regierung auch schon eine ganze Menge an Projekten realisiert, und die Zahl der geplanten Wohnbauprojekte substanziell erhöht. Ein rezentes Beispiel ist das Abkommen mit ArcelorMittal, infolgedessen 1.500 Wohnungen gebaut werden. Aber es stimmt, dass viele Flächen noch ungenutzt sind. Ich kann aber auch keinen Grundstückseigentümer auffordern, unter Wert zu verkaufen, um billigeren Wohnungsraum zu schaffen. Wir müssen als Staat selbst dafür sorgen, dass das Angebot an Wohnraum steigt. Dies tun wir durch direkte Maßnahmen und durch indirektes Handeln, also indem wir auf eine dynamische Wohnungsbaupolitik setzen, mit möglichst wenigen administrativen Hürden. Wohnungsbaupolitik funktioniert nur, wenn alle Beteiligten wie der Staat, die Gemeinden, die Architekten und die Bauunternehmer zusammenarbeiten. Die Größe des Landes gibt uns Rahmenbedingungen vor und wir brauchen von allem etwas, Industriezonen ebenso wie Wohngebiete und natürlich auch Naturgebiete, die nicht genutzt, sondern erhalten werden müssen. Alles zubetonieren geht nicht.

Revue: Die von der Regierung vorgeschlagene Arbeitszeitreform wird von den Arbeitgebern stark kritisiert. Sind sie OGBL-hörig geworden?

Xavier Bettel: Die Regierung hat eine Entscheidung getroffen, nachdem die Sozialpartner nach vier Jahren Notlösung und Stillstand immer noch keine Einigung finden konnten. Man wirft mir vor, ich sei nicht liberal genug. Liberal steht aber insbesondere für Freiheit. Und für Freiheit stehe ich auch selbst sehr wohl, und im Sinne der Freiheit steht auch diese Regelung, was die Arbeitszeiten betrifft. Der Unternehmer kann nämlich entscheiden, ob er mehr Flexibilität möchte oder nicht und auf wie viele Monate er diese anwenden möchte. Wenn liberal bedeuten sollte, dass man gegen die Arbeitnehmer ist, dann kann ich mich nicht damit identifizieren. Mir als Regierungschef und als Liberaler geht es darum, alles zu tun, damit Betriebe gut funktionieren können und die Arbeitsbedingungen stimmen. Man ist nicht automatisch OGBL-hörig, wenn man eine solche Position vertritt, genauso wenig, wie es einem Liberalen egal sein kann, was mit Arbeitnehmern in den Betrieben passiert. Das Patronat hat die Flexibilität der Arbeitsstunden eingefordert, dabei ist es glasklar, dass, wenn man mehr Flexibilität von den Arbeitnehmern fordert, dies nicht zum Nulltarif passieren kann. Deshalb kann ich die Kritiken der Arbeitgeber nicht ganz nachvollziehen.

Revue: Bei der Reform des "Conge parental" hagelte es ebenfalls Kritik vonseiten der Arbeitgeber...

Xavier Bettel: Und diese ist ebenso unberechtigt. Diese Reform geht nicht auf Kosten der Betriebe. Die Flexibilisierung des Elternschaftsurlaubs geht in den einzelnen Fällen sowieso nur mit dem Einverständnis des Arbeitgebers, das vergisst das Patronat aber zu erwähnen und tut so, als würden wir etwas vorschreiben. Im Jahr 2016 sollte es eigentlich jedem möglich sein, Arbeit und Familie auf befriedigende Art und Weise unter einen Hut zu bringen. Wenn ein Arbeitnehmer zufrieden ist mit seiner Lebenssituation, kommt dies auch dem Arbeitgeber zugute.

Revue: Verschärfen die aktuellen Kritiken den Sozialdialog nicht noch zusätzlich?

Xavier Bettel: Der Sozialdialog ist in letzter Zeit unabhängig von rezenten Entwicklungen nicht ganz einfach gewesen. Man kann aber als Regierung nicht regungslos zuschauen, ohne eine Entscheidung zu treffen, nur weil der Sozialdialog in der Sackgasse steckt. Ich wurde gewählt und habe deshalb auch eine gewisse Verantwortung. Ich übernehme diese, mit gesundem Menschenverstand. Auf vielen thematischen Feldern funktioniert der Sozialdialog übrigens hervorragend. Punktuell ist es tatsächlich schwieriger.

Revue: Die Kindergeldreform geht vor allem zu Lasten der Familien mit vielen Kindern...

Xavier Bettel: Diese Behauptung ist schlicht falsch. Es wird keiner Familie eine Zulage gestrichen. Keiner verliert etwas und wir nehmen keinem etwas weg. Es geht um zukünftige Familien mit zukünftigen Kindern. Deshalb haben wir auch eine neunmonatige Frist eingehalten. Insbesondere ist es aber so, dass die Familien in Zukunft viel mehr gefördert und unterstützt werden als es heute der Fall ist. Eine kostenlose Betreuung während der Unterrichtsstunden ist nur ein Beispiel dieser neuen Politik der Sachleistungen anstelle von Geldleistungen.

Revue: Sie haben aber dennoch verschiedene Zulagen gestrichen.

Xavier Bettel: Ja, weil diese Zulagen eigentlich nur einen kurzfristigen Effekt hatten, der sich langfristig sogar eher negativ auswirkt. Wir müssen wie gesagt, dahin kommen, dass man nicht vor der Wahl stehen muss zwischen Familie oder Job, sondern beides gemeinsam muss möglich sein. Mit den Zulagen war es ganz oft so, dass Frauen ihren Job an den Nagel gehängt haben. Um in den Genuss einer Zulage zu kommen, durfte man nämlich keinen Arbeitsvertrag haben. Dies führt zu einer gewissen Abhängigkeit vom Partner. Wenn man sich aber vor Augen führt, wie viele Ehen in die Brüche gehen, dann soll man niemanden dazu ermutigen, den Beruf komplett aufzugeben. Kinder kriegen darf nicht gleichbedeutend sein mit dem Ende des Berufslebens.

Revue: Von der Opposition gab es ziemlich viel Kritik an der Steuerreform.

Xavier Bettel: Sie nennen es Kritik. Auf der einen Seite heißt es, wir würden nicht weit genug gehen, und auf der anderen Seite, wir würden zu weit gehen. Es ging vor allem darum, die Kaufkraft zu stärken. Das Zukunftspaket war nicht beliebt, aber es war mehr als nötig. Wir hatten eine Krise, und es galt, den Haushalt zu konsolidieren, das Ungleichgewicht zwischen Staatsausgaben und Einnahmen zu bremsen. Es ging auch beispielsweise darum, das Triple A beizubehalten. Wir haben eine Reihe von Institutionen und Finanzhäuser hier, weil wir eine stabile Wirtschaftslage vorweisen können und eben ein Triple-A-Rating. Die Schulden hatten sich in den Jahren zuvor verdreifacht. Wenn wir so weitergemacht hätten, hätten wir mit unseren Schulden die Marke von 30 Prozent des Bruttoinlandprodukts überschritten. Mit dem Zukunftspaket konnten wir unsere Schulden stabilisieren. Sicherlich ist es nicht alles unser Verdienst, dass es dem Land so gut geht, sondern auch der internationale Kontext. Aber nun ist es Zeit, die Kaufkraft zu stärken.

Revue: Der Regierung wehte schon nach kurzer Zeit ein heftiger Wind entgegen. Hatten Sie das erwartet?

Xavier Bettel: Es gibt die Maxime, dass wir bleiben wollen, was wir sind. Es gibt Leute, die sagen, das Bankgeheimnis hätte im Interesse des Finanzplatzes bestehen bleiben müssen. Aber wir können nicht auf Sand bauen. Und wenn man etwas verändert, macht man sich oft unbeliebt. Nicht selten sind auch Dinge behauptet worden, die schlicht falsch waren. Zum Beispiel warf man mir immer wieder vor, ich hätte zu persönlichen Zwecken die Homo -Ehe eingeführt. Dabei war der Gesetzestext schon vorher fertiggestellt. Hätte ich die Prozedur verschleppen sollen, nur weil ich selbst betroffen war? Sicher haben wir auch Fehler gemacht. Ich bin schließlich nicht als Premier zur Welt gekommen. So brauchte ich auch meine Zeit, zu lernen. Ich würde gerne an unseren Resultaten gemessen werden, an den Entscheidungen, die wir getroffen haben. Und dass die Menschen wissen, welche Situation wir vorgefunden haben und welche wir hinterlassen.

Revue: War das Referendum ein Fehler?

Xavier Bettel: Nein, keineswegs. Es war wichtig, diese Fragen zu stellen und die Luxemburger damit zu befassen. Ich muss das Resultat respektieren, obwohl ich ein anderes bevorzugt hätte. Das Referendum war eine wichtige demokratische Erfahrung. Wir haben es aber nicht gut genug vorbereitet und werden daraus für das Verfassungsreferendum lernen. Aber ich bereue es nicht, dass wir es durchgeführt haben. Manche hätten es lieber nicht gehabt. Die Luxemburger haben ihre klare Meinung abgegeben. Noch nie zuvor wurde so viel über Politik diskutiert.

Revue: Aber das Ergebnis war ein Rückschlag für Sie?

Xavier Bettel: Jedenfalls keine Sternstunde.

Revue: In Europa haben rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien einen enormen Zulauf. Wie schätzen Sie diese Gefahr ein?

Xavier Bettel: Solange wir in Europa nicht in der Lage sind, Lösungen für unsere Probleme zu finden, wissen die Leute, dass Europa nicht gebraucht wird und suchen Extreme. Wenn wir aber Solidarität beweisen und eine gemeinsame Immigrationspolitik haben, dann zeigen wir, dass Europa die Lösung ist und dass die demokratischen Parteien eine Antwort auf die Probleme haben. Denn wir sollten die Lösung sein, und nicht das Problem. Ich muss als Demokrat auf ganz einfache Fragen komplizierte Antworten haben, während ein Populist auf komplizierte Fragen einfache Antworten hat.

Revue: In der Flüchtlingspolitik setzt die EU auf einen Deal mit der Türkei, obwohl dort wesentliche demokratische Werte nicht respektiert werden.

Xavier Bettel: Die Türkei allein ist sicherlich nicht die Lösung, sondern ein Teil der Lösung - wie übrigens auch andere Staaten, wie der Libanon und Jordanien zum Beispiel.

Revue: Was zählen Sie zu Ihren Erfolgen?

Xavier Bettel: Der größte Erfolg dieser Regierung ist, dass wir es fertigbringen, das Land neu aufzustellen und auf die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft vorzubereiten. Dies meine ich wirtschaftlich, finanzpolitisch, aber auch gesellschaftspolitisch. Ich bin der Meinung, dass die Steuerreform ein Erfolg ist, weil sie mehr Gerechtigkeit herstellt und die Kaufkraft stärkt. Es gibt darüber hinaus viele kleine Veränderungen, die aber eigentlich viel bedeuten. Ein Beispiel ist die Einführung einer zivilen Zeremonie zum Nationalfeiertag. Die wirklichen Erfolge dieser Regierung können Sie, wie eingangs schon erwähnt, an den Zahlen festmachen. Obwohl man nicht vergessen darf, dass hinter den Zahlen menschliche Schicksale stecken.

Revue: Sie sprachen den Nationalfeiertag an. Wie weit ist die Trennung von Kirche und Staat?

Xavier Bettel: Der Gesetzestext ist eingereicht. Wir haben das Gutachten vom Staatsrat bekommen. Auch bei diesem Gesetz geht der Text den einen zu weit und den anderen nicht weit genug. An uns liegt es nicht, zu sagen, welche Religion maßgeblich ist. Religion ist Privatsache. Der Staat liefert die Rahmenbedingungen und respektiert die Menschen, die glauben, ebenso wie jene, die nicht glauben.

Revue: Die Regierung steckt eine Zeit lang im Umfragetief. Wie beeinflusst einen das?

Xavier Bettel: Selbstverständlich freuen einen gute Umfragewerte. Als Bürgermeister hatte ich z.B. über 80 Prozent Zustimmung. Aber wenn man Entscheidungen treffen muss, gefällt es den einen und den anderen nicht. Wenn es in der Politik nur darum ginge, gut bei Umfragen abzuschneiden, würde ich keine Politik machen. Auf dem ersten Parteikongress als Premier sagte ich, dass meine Umfragewerte fallen würden, aber dass ich mich freuen würde, wenn die Arbeitslosigkeit zurückginge.

Revue: Der Regierung haftete schon früh die Verschwörungstheorie an, die vor allem von der CSV in die Welt gesetzt wurde. Wie gehen Sie damit um?

Xavier Bettel: Sie versuchte es auch wieder letzte Woche. Das ist dieses Calimero-Prinzip, sich immer als Opfer zu fühlen. Dabei sollte sich die CSV die Frage stellen, warum niemand mit ihr eine Regierung bilden wollte. Aber anscheinend hat sie es immer noch nicht gelernt.

Revue: Was bedeutet das für die Parlamentswahlen 2018?

Xavier Bettel: Es ist der Wähler, der darüber entscheidet. Wenn man Demokrat ist, respektiert man das.

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