Interview von Xavier Bettel mit dem Lëtzebuerger Journal

"Ich bin noch nicht fertig"

Interview: Lëtzebuerger Journal (Claude Kariger, Pascal Steinwachs)

Lëtzebuerger Journal: Vorletzte Woche waren Sie beim letzten EU-Gipfel für dieses Jahr. Brexit, Zoff mit Ungarn, Erfolge für populistische und anti-europäische Parteien: Es war ein "annus horribilis" für die EU. Wie packt sie es aus der Krise?

Xavier Bettel: Es war sicher kein einfaches Jahr für die EU, es gab massive Divergenzen und gemeinsame Politiken sind gescheitert, weil für manche die Solidarität weniger zählt. Das betrübt mich, denn wir brauchten eigentlich heute ein Maximum an Solidarität, um die großen Herausforderungen zu meistern, vor denen die Union steht.

Wir dürfen nicht vergessen, dass die Solidarität und das gegenseitige Vertrauen die europäischen Errungenschaften erst möglich gemacht haben. Ich hatte mal etwas provokativ vorgeschlagen, die Grenzen für einen Tag zu schließen, um den Bürgern vor Augen zu führen, was die EU ihnen täglich bringt und dass nur gemeinsame Lösungen Erfolge bringen.

Ständig mit dem Finger auf Brüssel zu zeigen und nicht selbst etwas zu diesen Lösungen beizutragen, ist falsch.

Lëtzebuerger Journal: Jedenfalls scheint eine gemeinsame Flüchtlingspolitik gescheitert zu sein. Aber gibt es auch Lichtblicke für die EU?

Xavier Bettel: Es sind natürlich immer die Divergenzen, die medial in den Vordergrund gerückt werden. Aber es gab auch Fortschritte in zahlreichen technischeren Dossiers. Wir haben uns zum Beispiel auf den Ausbau der Grenzschutzagentur Frontex geeinigt.

Der EU-Assoziierungsvertrag mit der Ukraine kann endlich unterzeichnet werden. Das sind wichtige Etappen, die nicht einfach waren. Zudem gab es Fortschritte in vielen Bereichen, wie etwa der Vervollständigung des digitalen Binnenmarkts und in Sachen Effizienzsteigerung der Funktionsweise der EU.

Lëtzebuerger Journal: Ist Jean-Claude Juncker der Mann, der die EU aus der Krise führen könnte?

Xavier Bettel: Er ist als überzeugter Europäer, der entscheidend an der Union mitgebaut hat, absolut der richtige Mann auf diesem Posten. Wir tauschen uns übrigens sehr regelmäßig über die EU aus.

Lëtzebuerger Journal: Die EU blickt mit Sorge in Richtung USA, wo ein neuer Präsident die Zügel übernimmt, welcher offensichtlich wenig zu Diplomatie und Konsenslösungen geneigt ist. Was erwarten Sie sich von Donald Trump?

Xavier Bettel: Donald Trump hat während seiner Kampagne vieles Beängstigendes gesagt. Aber seine erste Rede als "President-elect" war bereits viel ausgewogener. Ich warte nun auf sein Programm. Wir sollten ihm eine Chance lassen.

Lëtzebuerger Journal: Zurück nach Luxemburg: Was würden Sie als ihren größten politischen Erfolg in diesem Jahr bezeichnen? Die Steuerreform?

Xavier Bettel: Ja, aber ich würde auch die Familienpolitik nennen, in der es wesentliche Fortschritte gibt mit den Reformen bei Familienleistungen und Elternurlaub. Wir sind auch im Dossier Trennung von Staat und Kirche vorangekommen.

Und unsere Staatsfinanzen sind solide, die Arbeitslosigkeit geht zurück. Sie wissen, dass diese Regierung 2013 einer schwierigen budgetären Ausgangslage entgegen sehen musste und gleich darauf die "LuxLeaks"-Affäre losbrach, die uns einen heftigen Image-Schaden bereitete. Nun, wir haben es geschafft, schnell da raus zu kommen und uns in vielen Bereichen als "First movers" zu positionieren, was uns große internationale Anerkennung gebracht hat. Aber Finanzen und Wirtschaft sind das eine. Dafür zu sorgen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt wird, ist für mich eine viel größere Herausforderung. Ich glaube, dass wir über die selektivere Sozialpolitik für die Bürger mit wenig Einkommen hinaus noch viele Debatten zu führen haben über unsere Sprache, aber auch über die Integration der Menschen, die bei uns Zuflucht suchen.

Lëtzebuerger Journal: Böse Zungen behaupten, der Kitt zwischen den Koalitionspartnern werde weicher, je näher die nächsten Wahlen rücken...

Xavier Bettel: Den bösen Zungen kann ich nur sagen, dass der Zusammenhalt und die Atmosphäre in dieser Koalition nach wie vor extrem gut sind und dass im gegenseitigen Respekt an der Umsetzung unseres Regierungsprogramms intensiv weiter gearbeitet wird.

Natürlich haben die Parteien oft unterschiedliche Meinungen und natürlich gehen innerhalb der Parteien die Meinungen auseinander. Aber dann diskutiert man die kollegial aus und kommt zu einem Kompromiss. Diese Koalition funktioniert nicht nach dem hierzulande lange gepflegten Prinzip von Senior- und Juniorpartner, sondern alle Partner sind auf Augenhöhe.

Lëtzebuerger Journal: International scheinen Ihre Außen- und Wirtschaftsminister mehr im Rampenlicht zu stehen als sie selbst. Stört Sie das nicht ein wenig?

Xavier Bettel: Also ich bin froh, dass wir mit Jean Asselborn einen erfahrenen und international respektierten Chefdiplomaten haben.

Und ich bin froh, dass unsere wirtschaftlichen Projekte wie etwa das "Space Mining" oder neue digitale Lösungen international so große Resonanz finden. Es sind immer Vorhaben, die von der ganzen Regierung ausgearbeitet und getragen werden.

Lëtzebuerger Journal: Als Sie frischgebackener Premier waren, luden Sie noch jede Woche zum Pressebriefing ein. Inzwischen haben Sie locker Juncker-Niveau erreicht, und laden auch nur noch alle paar Monate zu einem Briefing ein. Ist die Begeisterung der ersten Monate verflogen, oder warum?

Xavier Bettel: Nach drei Jahren Regierungserfahrung kann ich Herrn Juncker verstehen. In den Regierungsräten kommen sehr viele technische Dossiers zur Entscheidung, die man nicht unbedingt in einem kurzen "Briefing" abhandeln kann. Da ist es dann besser, wenn die Fachminister nach dem Regierungsrat oder ein paar Tage danach eine Pressekonferenz organisieren, wo sie die Maßnahmen ausführlich erklären und auf die Fragen der Journalisten antworten können.

Lëtzebuerger Journal: Eine Frage an den Kulturminister Bettel: Wie beurteilen Sie jetzt, mit einem gewissen zeitlichen Abstand, die Affäre Lunghi? Wurde hier nicht unnötig viel Porzellan zerbrochen, und erlitt Luxemburgs kulturelles Image durch diese Affäre nicht immensen Schaden?

Xavier Bettel: Die Kameras von RTL haben einen Vorgang festgehalten, der für einen Beamten nicht akzeptabel ist, da sind sich alle einig, auch der Betroffene selbst.

Als zuständiger Minister habe ich reagiert und gemäß Beamtengesetz ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Hätte ich das nicht, wäre mir vorgeworfen worden, die Hände in den Schoß zu legen, besonders von der größten Oppositionspartei, die meinte, ich hätte Enrico Lunghi zunächst anhören sollen und demnach offensichtlich nicht mehr weiß, welche Beamtengesetze sie ausgearbeitet hat. Ich habe mir hier nichts vorzuwerfen.

Die Frage, wie RTL den Vorfall rüber gebracht hat, ist eine andere, zu der ich mich nicht äußern möchte. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass der Verwaltungsrat nun ein Ethikkomitee eingerichtet hat.

Lëtzebuerger Journal: Wer wird eigentlich neuer RTL Luxemburg-Chef?

Xavier Bettel: Das weiß ich nicht. Sicher wissen Sie aber, dass RTL ein Privatunternehmen ist, auf das ich keinen Einfluss habe.

Lëtzebuerger Journal: Wie verbringt Xavier Bettel die Feiertage zu Jahresende?

Xavier Bettel: Ganz gemütlich mit meinem Mann, der Familie und Freunden. Ich hoffe, dass ich endlich dazu komme, ein paar Krimis zu lesen.

Lëtzebuerger Journal: Was haben Sie sich für sich persönlich vorgenommen für 2017?

Xavier Bettel: Auf jeden Fall mehr Bewegung und daher mehr Trainingseinheiten auf dem Crosstrainer. Ich sehe aber schon kommen, dass das wieder schwierig wird (lacht).

Lëtzebuerger Journal: Und politisch in einem Jahr, das von den Gemeindewahlen geprägt sein wird?

Xavier Bettel: Die Regierung wird ihre Reformagenda weiter durchziehen. Es kommen noch eine Menge dicker Brocken auf uns zu, wie etwa die Pflegeversicherung, aber auch wichtige bildungspolitische Reformen, und wir müssen natürlich weiter für eine bessere Lebensqualität der Bürger im Land sorgen und für die Nachhaltigkeit unserer Staatsfinanzen und unserer Wirtschaft. Ich bin noch nicht fertig und bin voll motiviert, um die Herausforderungen anzupacken.

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