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"Ich muss dafür sorgen, dass wir auf einen Krieg vorbereitet sind”
Interview: Luxemburger Wort (Julien Carette)
Luxemburger Wort: Yuriko Backes, was würde passieren, wenn Russland ein NATO-Land wie Polen oder einen baltischen Staat angreift? Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Donald Trump jetzt im Weißen Haus sitzt.
Yuriko Backes: Es ist nicht zu leugnen, dass Russland eine Bedrohung darstellt. Und es ist nicht allein, denn es wird vom Iran und von Nordkorea unterstützt, das Truppen auf europäischem Boden stationiert hat, um den Russen beizustehen. Ganz zu schweigen von China, das zwar schwer einzuordnen ist, von dem man aber weiß, dass es massiv in seine Verteidigung investiert. Angesichts all dessen ist es meiner Meinung nach keine verantwortungsvolle Reaktion, einfach zu hoffen, dass nichts passiert. Um den Frieden zu bewahren, müssen wir uns auf den Krieg vorbereiten.
Um zu Ihrer Frage zu kommen: Artikel 5 des Nordatlantikvertrags, der sich mit der kollektiven Verteidigung befasst, ist immer noch in Kraft.
Das einzige Mal, dass der Artikel 5 seit der Gründung der NATO aktiviert wurde, war nach dem 11. September. Damals standen alle NATO-Staaten den USA bei. Wenn es zu einem Konflikt kommen sollte, werden die Amerikaner das hoffentlich nicht vergessen. Pete Hegseth, Donald Trumps neuer US-Verteidigungsminister, stellte bei einem Treffen die Existenz der NATO jedenfalls nicht infrage. Er bezeichnete das Bündnis als "relevanter denn je". Neben dem Artikel 5 gibt es in den europäischen Verträgen auch Artikel 42.7, der sich auf die kollektive Verteidigung bezieht. Dieser besagt, dass, wenn ein Mitgliedstaat einem bewaffneten Angriff auf sein Hoheitsgebiet ausgesetzt ist, "die anderen Staaten ihm Hilfe und Beistand mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln schulden".
Luxemburger Wort: Sie haben keine Zweifel daran, dass die USA im Falle eines Angriffs eingreifen würden?
Yuriko Backes: Man weiß nie, wie sie reagieren könnten. Aber eines scheint mir klar zu sein: Die Amerikaner haben kein Interesse an einem starken Russland und einem schwachen Europa. Ihr oberstes Ziel scheint es zu sein, ihre Wirtschaft am Laufen zu halten. Und dafür benötigt man ein internationales System, in dem das Recht respektiert, die territoriale Integrität gewahrt wird. Das ist nicht einfach. Eine internationale Unordnung wird langfristig nicht zu den wirtschaftlichen Interessen der USA beitragen.
Luxemburger Wort: Wäre die NATO ohne das militärische Potenzial der USA in der Lage, mit der russischen Armee zu konkurrieren?
Yuriko Backes: Wir sollten uns selbst nicht unterschätzen. Was wir auf europäischer Ebene zur Verfügung haben, ist schon beachtlich, denn auch ohne die USA haben wir in der EU und in der NATO-Atommächte. Es ist erfreulich, dass es in letzter Zeit zu einer Zusammenarbeit zwischen verbündeten Ländern auf dieser Ebene gekommen ist, insbesondere mit Großbritannien. Ob wir uns ohne die USA verteidigen können? Ja, das können wir.
Luxemburger Wort: Beim NATO-Gipfel in Den Haag im Juni wird das Bündnis festlegen, was es zu seinem Schutz benötigt. Was erwarten Sie von diesem Gipfel?
Yuriko Backes: Wie alle vier Jahre werden dort die Kapazitätsziele der NATO festgelegt. Ich erinnere daran, dass die Allianz bei der letzten Runde im Jahr 2021 von Luxemburg und Belgien die Aufstellung des binationalen Kampf-Aufklärungsbataillons gefordert hatte. Auch dieses Mal wird es um die Analyse der Bedrohung gehen und darum, was die Mitglieder des Bündnisses benötigen, um sich gegen diese Bedrohung zu verteidigen. Oder besser gesagt: Was notwendig sein wird, um ihr gegenüber als ausreichend abschreckend zu erscheinen. Anschließend werden die Aufgaben unter den Mitgliedstaaten aufgeteilt.
Luxemburger Wort: Angesichts der aktuellen russischen Bedrohung kann man davon ausgehen, dass die jeweiligen Anforderungen an die NATO-Mitgliedsstaaten stark ansteigen werden?
Yuriko Backes: Ich erwarte in der Tat sehr ehrgeizige Ziele. Und zwar für jedes Mitglied der Allianz.
Luxemburger Wort: Russland investiert acht Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Verteidigung. Sind die Anstrengungen der europäischen Länder oder der NATO vor diesem Hintergrund ausreichend?
Yuriko Backes: Ich halte es für schwierig, das zu vergleichen. Was sind die acht Prozent des russischen BIP, wenn man bedenkt, in welchem Zustand sich die russische Wirtschaft befindet? In der Europäischen Union liegt der Durchschnitt pro Land bei 1,9 Prozent. Einige Länder, insbesondere diejenigen, die näher an der russischen Grenze liegen, investieren mehr. Andere liegen darunter. Wie zum Bei spiel Luxemburg.
Luxemburger Wort: Belgien hat bereits beschlossen, seine Kriegsanstrengungen über die von der NATO geforderten zwei Prozent des BIP hinaus zu erhöhen. Hat Luxemburg dies auch in Erwägung gezogen?
Yuriko Backes: Das belgische Regierungsabkommen sieht zwei Prozent bis 2029 und 2,5 Prozent bis 2034 vor. Derzeit liegen unsere Nachbarn je doch mit 1,3 % mehr oder weniger gleichauf. Bei uns wird in der Regierung tatsächlich über eine Beschleunigung gesprochen. Ich glaube, es wäre gegenüber unserer Bevölkerung, aber auch unseren Verbündeten in der NATO gegenüber kaum verantwortbar, wenn wir unseren Beitrag nicht etwas schneller erhöhen würden. Die Verteidigungsdirektion hat daher einige Möglichkeiten ausgearbeitet. Und meine Vorrechte sind es, der Regierung Vorschläge zu unterbreiten, wie man dorthin kommt und wo man in die Verteidigung investieren soll. Denn diese Investitionen müssen auch sinnvoll sein.
Luxemburger Wort: Wo sollen diese zusätzlichen Mittel herkommen?
Yuriko Backes: Das sind Diskussionen, die wir derzeit in der Regierung führen. Ich kann unseren Finanzminister (Gilles Roth von der CSV, Anm. d. Red.) zitieren, wenn er sagt, dass unsere öffentlichen Finanzen gesund und wir nicht überschuldet sind. In dieser Hinsicht haben wir noch etwas Spielraum, ohne unseren "Triple-A-Status" zu gefährden. Dies scheint mir ein guter Ansatzpunkt zu sein. Die Aufrüstung wird auf jeden Fall nicht auf Kosten der Sozialhilfe gehen. Das ist eine Sache, die ausgeschlossen ist.
Luxemburger Wort: Sie sagten, dass Investitionen in die Verteidigung sinnvoll sein müssen.
Yuriko Backes: Wir haben in Luxemburg keine große Rüstungsindustrie, im Gegensatz zu unseren Verbündeten. Wenn sie in ihre Verteidigung investieren, unterstützen sie damit ihre eigene Wirtschaft. Im Koalitionsvertrag dieser Regierung ist jedoch festgelegt, dass unsere Investitionen einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ertrag erbringen müssen.
Genau daran arbeite ich seit meinem Amtsantritt und insbesondere an der Einrichtung einer Arbeitsgruppe, die in der Lage ist, dies auf professionelle Weise zu bewältigen. Das Wirtschaftsministerium, die Außenhandelsdirektion, die Forschung und Luxinnovation sind aktiv in diese Arbeiten eingebunden.
Unsere Investitionen im Verteidigungsbereich sollten eine Kombination aus Industrie, Spezialisierung auf Cybersicherheit und dem Raumfahrtsektor sein. Dabei prüfen wir, wo wir luxemburgische Unternehmen stärker in die Wertschöpfungskette der Verträge einbinden können.
Luxemburger Wort: Sie erwähnten die "Cyberverteidigung" und den Satellitensektor, das sind die beiden Sektoren, die am häufigsten im Zusammenhang mit Investitionen auf Verteidigungsebene in Luxemburg genannt werden.
Yuriko Backes: Cyber und Weltraum sind zwei Bereiche, in denen wir sehr wichtige Projekte haben. Im Übrigen machen sie im Durchschnitt al lein fünf und zehn Prozent des Verteidigungshaushalts aus. Ein Beispiel dafür ist die Luxembourg Cyber Defence Cloud. Eine Investition von mehr als 250 Millionen Euro (über zwölf Jahre), die in der Lage sein wird, sowohl klassifizierte als auch nicht klassifizierte Informationen zu speichern, mit einem Schutzstandard, der den höchsten internationalen Standards entspricht. Dadurch wird unseren Verbündeten eine hochsichere Rechen- und Speicherkapazität zur Verfügung gestellt. Eine Cloud, wie es sie noch nicht gibt - und die es ermöglicht, von einem soliden Ökosystem zu profitieren, das bereits in Luxemburg präsent ist. Im Satellitenbereich haben wir mit Hilfe von SES bereits Govsat 1, einen geostrategischen Kommunikationssatelliten, in die Umlaufbahn gebracht. Außerdem werden wir in den nächsten Wochen oder Monaten einen Satelliten zur Erdbeobachtung (LU XEOSys) starten. Ein weiterer Vorteil, den wir mit unseren Verbündeten teilen können.
Luxemburger Wort: In den kommenden Jahren wird der Verteidigungshaushalt stark ansteigen. Will Luxemburg versuchen, Akteure aus der Rüstungsindustrie anzuziehen?
Yuriko Backes: Dafür ist das Wirtschaftsministerium zu ständig. Ich glaube aber, dass dies in Zukunft möglich sein wird, ja. Es gibt Akteure, die sich beispielsweise für den Bau von Drohnen in Luxemburg interessieren. Wir sehen der zeit in der Ukraine und in Russland, wie sehr das zu einem unverzichtbaren Werkzeug geworden ist. Natürlich würden wir lieber in "positivere" Sektoren investieren, aber wir haben die Verpflichtung, unsere Verteidigung aufzubauen. Und das ist Teil meiner "Jobbeschreibung". Ich muss dafür sorgen, dass wir auf einen Krieg vorbereitet sind. Wie ich schon eingangs sagte: Wenn wir Frieden wollen, müssen wir uns auf den Krieg vorbereiten.
Leider.
Das Interview erschien zuerst auf Virgule. Übersetzung und Bearbeitung: Jan Kreller.