Luxemburgs "Daten- Schatz" heben

Interview mit Stéphanie Obertin im Télécran

Interview: Télécran (Jeff Karier)

Télécran: Frau Obertin, wir befinden uns am Ende des Sommers. Ich nehme daher an, dass Sie Ihren Sommerurlaub bereits hinter sich haben. Wo haben Sie diesen verbracht?

Stéphanie Obertin: Ja, genau. Ich bin vor wenigen Wochen aus meinem Urlaub in den Bergen zurückgekehrt. Ich bin jemand, der gerne Aktivurlaub macht, mit viel Bewegung. Am liebsten auch an einem Ort, der etwas ruhiger und kühler ist. Daher sind die Berge für mich optimal, um Energie zu tanken.

Télécran: Das heißt, im Sommer kommt ein Strandurlaub eher nicht infrage?

Stéphanie Obertin: Doch, solange es eben ein aktiver Urlaub ist und ich nicht die ganze Zeit nur an einem Ort verbringen muss. Bei der Gegend oder Region bin ich generell anpassungsfähig.

Télécran: Wenn Sie Urlaub machen, läuft die Planung eher digital ab oder doch noch analog?

Stéphanie Obertin: Das Digitale ist in meinem Urlaub sicherlich weniger präsent als in meinem Alltag. Ich bin im Urlaub eben viel draußen unterwegs, weshalb ich dann eher selten das Handy in der Hand habe. Man sollte sich je nach Aktivität eher auf das konzentrieren, was man gerade tut. Ich bin also eher analog unterwegs und lasse die Natur auf mich wirken.

Télécran: Beim Wandern etwa setzen Sie also nicht unbedingt auf eine entsprechende Wander-App, um sich zu orientieren?

Stéphanie Obertin: Nein, ich habe meist eine grobe Idee, wo ich hinmöchte, laufe dann sozusagen drauflos und orientiere mich wie vor den Zeiten des Handys an den Schildern.

Télécran: Der Urlaub ist vorbei, die Rentrée steht nun vor der Tür. Welche Themen werden Sie dabei als Erstes angehen?

Stéphanie Obertin: Im Ministerium für Forschung und Hochschulwesen wird es der Gesetzesvorschlag zur Anpassung der Studienbeihilfen sein. Im Ministerium für Digitalisierung bleibt der Gesetzesvorschlag im Rahmen des "Once only"-Prinzips zur Vereinfachung von Verwaltungsvorgängen wichtig. Da sind wir auf dem Instanzenweg und bereiten die technische Umsetzung vor, damit Ministerien, Verwaltungen und Gemeinden auch direkt loslegen können, wenn das Gesetz verabschiedet wird.

Télécran: Vor einigen Monaten haben Sie die nationale Datenstrategie vorgestellt. Welchen langfristigen Nutzen erwarten Sie für Bürger und Unternehmen?

Stéphanie Obertin: Wir verfügen im Grunde über sehr große Mengen an Daten, die oft ungenutzt bleiben. Diese sind dabei eine Art Rohstoff, ein Schatz, auf dem wir sitzen. Und in jedem Moment werden weitere Daten gesammelt. Ein Gedanke ist also, dass die Daten, die wir sammeln, einen Nutzen für die Bürger, Unternehmen, Forschung und Innovation haben sollen, um Luxemburg voranzubringen.

Télécran: Dabei wird dann auch KI eine wichtige Rolle spielen?

Stéphanie Obertin: Genau. KI kann dabei helfen, große Datenmengen schnell zu analysieren und zu verarbeiten. In dem Zusammenhang ist wichtig zu erklären, dass wir eine globale Herangehensweise haben. Neben der Datenstrategie haben wir auch die XI-Strategie, kombiniert mit der Quantentechnologie-Strategie, vorgestellt. Als Land sind wir mit Blick auf diese kombinierte Ausarbeitung Vorreiter, weshalb auch insgesamt vier Ministerien beteiligt waren. Grund für diese Herangehensweise ist der Umstand, dass KI ohne Datengrundlage nicht funktionieren kann. Es bestehen generell transversale Interessen zwischen den drei Strategien. Ferner werden Quantentechnologien in Zukunft eine essenzielle Rolle spielen, um etwa KI richtig anwenden zu können, und sie werden auch im Bereich Sicherheit bedeutend sein.

Télécran: Wie soll dieser zentralisierte, sichere Umgang mit Daten zwischen den Ministerien aussehen?

Stéphanie Obertin: Daten aus den verschiedenen Ministerien werden in einem sicheren Umfeld, das vom CGPD, dem Regierungskommissariat für Datenschutz beim Staat, garantiert wird, verarbeitet. Die Resultate werden weitergegeben, die Daten aber nicht, sondern gehen wieder an die jeweiligen Ministerien zurück. Die Idee ist, dass nicht nur die Daten vom Staat so genutzt werden können, sondern auch aus der Privatwirtschaft, die sich somit hier kreuzen können. Luxemburg ist hierbei Vorreiter, weil wir als kleines Land viel agiler und schneller dies umsetzen und nutzen können, wodurch wir auch für die Forschung und Unternehmen als Standort interessanter werden.

Télécran: Viele Bürger schauen wegen der Angst vor Jobverlusten mit gemischten Gefühlen auf das Thema KI. Wie begegnen Sie diesen Sorgen?

Stéphanie Obertin: Ich glaube, jede disruptive Technologie kreiert Verunsicherung, bis diese ihren Nutzen unter Beweis gestellt hat. Man muss bei Innovationen aber immer zwischen Risiko und Nutzen abwägen. Deswegen müssen wir bei der Anwendung auch sicherstellen, entsprechende Rahmenbedingungen zu setzen, damit etwa die Privatsphäre geschützt ist. Ängste müssen ernst genommen werden, weshalb sowohl Kommunikation mit dem Bürger als auch die Weiterbildung der Beamten wichtig ist, damit eine verantwortungsvolle Nutzung von KI gewährleistet ist. In dem Zusammenhang wollen wir auch ein Register schaffen, in dem jede von Ministerien und Verwaltungen genutzte KI sowie ihr Einsatzgebiet aufgelistet werden. Diese Idee haben wir vor Kurzem im Regierungsrat vorgestellt. Was die Angst vor Jobverlusten betrifft, soll die KI niemanden ersetzen, sondern in den unterschiedlichsten Berufsfeldern bei der Arbeit helfen.

Télécran: Wie stellen Sie sicher, dass keine unsicheren XI-Tools verwendet werden, die Daten nach außen tragen?

Stéphanie Obertin: Wir setzen viel Wert auf die Souveränität der Daten. Daher nutzen wir bereits eine sogenannte GovCloud, eine Cloud, die vom Internet abgekapselt ist. So können Daten gar nicht erst über KI im öffentlichen Netz landen.

Télécran: Als Ministerin für Forschung verfolgen Sie sicher auch die Entwicklungen in den USA. Wie positionieren Sie Luxemburg im internationalen Wettbewerb um wissenschaftliche Talente?

Stéphanie Obertin: Wir haben in Luxemburg ein sehr internationales Forschungs-Ökosystem und einige Programme, die internationale Talente anziehen. Das ist auch eine strategische Priorität. Da sind etwa die Programme Pearl und Attract beim FNR (Fonds National de la Recherche, Anm. d. Red.), die es erlauben, sowohl erfahrene und renommierte Forscher aus verschiedenen Gebieten anzuziehen als auch junge, vielversprechende Forscher. Weiterhin nehmen wir aktiv an europäischen Initiativen wie Euraxess oder den Finanzierungsprogrammen des European Research Council teil Mit Blick auf die rezenten Entwicklungen in den USA haben wir jedoch nicht wie andere Länder spezifische Programme gestartet, um Forscher, die die USA verlassen wollen, zu rekrutieren.

Télécran: Wie gestaltet sich die internationale Zusammenarbeit im Bereich Forschung abseits der EU und den USA?

Stéphanie Obertin: Auch mit Ländern aus anderen Teilen der Erde läuft eine Reihe an Kooperationen zwischen luxemburgischen Forschungsinstituten und dortigen Einrichtungen. Ich selbst war dieses Jahr etwa mit einer Wirtschaftsmission nach Japan. Dabei haben wir versucht, die bestehenden Verbindungen mit Japan zu stärken und weiter auszubauen. Da wäre etwa das Riken Institut zu nennen, das mit der Universität Luxemburg und dem Luxembourg Institute of Health zusammenarbeitet. Im letzten Jahr waren wir auch in Südkorea, um dort unsere Kooperationen zu stärken und neue zu schließen. Abgesehen davon arbeiten wir im Bereich Forschung auch mit anderen Nicht-EU-Ländern eng zusammen, etwa der Schweiz, Großbritannien oder der kanadischen Region Quebec.

Télécran: Der Transfer von Forschungsergebnissen in die Wirtschaft ist ein zentrales Ziel. Welche Hebel sind dabei besonders wichtig?

Stéphanie Obertin: Es ist sehr wichtig, dass solche Spin-offs, also Unternehmen, welche aus der hier betriebenen Forschung entstanden sind, auch im Land Fuß fassen können. Allerdings scheinen diese oft das Problem zu haben, nicht langfristig überleben zu können. Um herauszufinden, wo genau die Probleme liegen und wie in Zukunft die Chancen verbessert werden können, haben wir eine Arbeitsgruppe mit den Forschungsinstituten, dem Wirtschaftsministerium, Luxinnovation und Technoport gegründet.

Télécran: Haben Sie bereits mögliche Gründe im Verdacht? Ich denke da etwa an die hohen Kosten hier im Land...

Stéphanie Obertin: Das ist sicherlich ein Faktor von vielen. Wobei es etwa über Luxinnovation bereits jetzt große Hilfen gibt, damit auch kleinere Unternehmen starten können. Außerdem gibt es das House of Start-ups. Wo man vielleicht auch ansetzen muss, sind verstärkt Kurse für Unternehmertum anzubieten, da Forscher oft zwar in ihrem Feld hervorragend sind, aber eben keine geborenen Unternehmer sind.

Télécran: Sehen Sie den Weltraumsektor als einen Bereich mit großem Potenzial für Luxemburg?

Stéphanie Obertin: Es besteht durch das "Interdisciplinary Centre for Security, Reliability and Trust" und die Fakultät für Naturwissenschaften, Technologie und Medizin der Universität Luxemburg und der Ingenieure-Abteilung durchaus eine sehr enge Zusammenarbeit mit Unternehmen im Bereich Robotik oder auch Satellitenkommunikation. Mit dem "European Space Resources Innovation Centre", einer Initiative des "Luxembourg Institute of Science and Technology" (LIST) sowie der "Luxembourg Space Agency" (LSA) wird der Sektor weiter unterstützt und ausgebaut. Wir sind also hier bereits gut aufgestellt, müssen aber auch weiter in die Forschung, sei es am LIST oder der Universität, investieren.

Télécran: Vor einigen Wochen hat die Pariser Universität Sorbonne entschieden, keine Medizinstudenten der Universität Luxemburg für dieses Jahr aufzunehmen. Wie haben Sie diese Entscheidung wahrgenommen?

Stéphanie Obertin: Da wir aktuell keinen vollständigen Medizinstudiengang haben, sind wir auf Konventionen mit unseren Nachbarländern angewiesen. So können die hiesigen Medizinstudenten nach ihrem ersten Jahr an mehrere Universitäten in Belgien, Deutschland und Frankreich wechseln. Dort haben wir feste Plätze, die für unsere Studenten reserviert sind, was ein Privileg ist. So hält zum Beispiel Frankreich, gemäß einem entsprechenden Abkommen, 34 Plätze nach dem ersten Jahr sowie nochmal 25 Plätze nach dem dritten Jahr bereit, die auf folgende vier Universitäten verteilt werden können: Uni Straßburg, Uni Lorraine, Paris Sorbonne und Paris Cité. Nun hat die Sorbonne im Juli der Universität Luxemburg mitgeteilt, dass die vorgesehenen zehn Plätze für jene, die das erste Studienjahr abgeschlossen hatten, nicht zur Verfügung stünden. Das hat uns tatsächlich etwas kalt erwischt und wir wissen auch bis heute nicht genau den Grund für diese Entscheidung. Zunächst war es wichtig für die Uni Luxemburg, kurzfristig sicherzustellen, dass die Studenten, die nach dem ersten Studienjahr ihre Studien in Frankreich fortsetzen wollten, an den drei anderen Partneruniversitäten einen Studienplatz erhalten. Das hat auch für alle 28 Studenten, die nach Frankreich wollten, geklappt. Im Herbst ist geplant, dass ich nach Paris reisen und dort mit den Verantwortlichen der Sorbonne das Gespräch suchen werde.

Télécran: Haben Sie einen Verdacht, warum die Sorbonne so entschieden hat?

Stéphanie Obertin: Dass wir diese Plätze bekommen, ist wie gesagt ein Privileg. Besonders angesichts des Umstandes, dass die Anzahl an Medizinbewerbern in Frankreich immens hoch ist. Zugleich erlebt auch Frankreich einen Mangel an medizinischen Fachkräften, so dass es für sie wichtig ist, die eigenen Mediziner auszubilden. Dabei ist ein Studienplatz außer dem ein Kostenpunkt für die Universitäten und das jeweilige Land, da diese Ausbildung ja auch später in den Krankenhäusern stattfindet. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass auch wir unsere Mediziner in Zukunft selbst ausbilden können.

Télécran: Wie ist es denn um dieses Vorhaben bestellt? Wie ist der aktuelle Stand des Ausbaus des Medizinstudiums in Luxemburg?

Stéphanie Obertin: Der Medizin-Bachelor besteht hier an der Uni nun seit 2020, ist also noch ein recht junger Studiengang. Die ersten Studenten, die den Bachelor durchlaufen haben, sind vor Kurzem fertig geworden. Daher sind wir aktuell dabei, zu schauen, wo noch nachgebessert werden muss. Kommen sie in ihrem vierten Jahr im Ausland gut zurecht? Sind sie auf einem ähnlichen Niveau wie die Kommilitonen von anderen Universitäten? Wir möchten zunächst sicherstellen, dass unser Bachelorstudiengang qualitativ denen im Ausland entspricht, bevor wir uns an die Umsetzung des Masterstudiengangs machen. Diese externe Evaluation ist jetzt abgeschlossen und die Resultate sollten im Oktober vorliegen.

Télécran: Und wie soll es dann mit dem Master weitergehen?

Stéphanie Obertin: Mit Blick auf den Masterstudiengang ist seit Anfang dieses Jahres eine Arbeitsgruppe, in der neben Vertretern der Ministerien auch Experten aus den jeweiligen Feldern sitzen, dabei zu schauen, was gebraucht wird, um diesen in einigen Jahren anbieten zu können. Die Studierenden werden hierbei zu 50 Prozent in den Kliniken ausgebildet, weshalb auch da die Zusammenarbeit und Koordination funktionieren muss. Hier stellen sich Fragen des Budgets, der nötigen Strukturen und des Personals. Mein Wunsch ist es, dass wir in den kommenden Jahren einen Medizin-Master an der Universität Luxemburg bekommen werden. Mir ist es dabei aber wichtig, dass am Ende auch die Qualität stimmt, und nicht, dass hier etwas übers Knie gebrochen wird.

Télécran: Frau Obertin, ich danke Ihnen für das Gespräch.