Interview von Jean Asselborn im Donaukurier

"Spiel mit dem Feuer"

Interview: Donaukurier (Tobias Schmidt)

Donaukurier: Herr Asselborn, EU-kritische Parteien triumphieren bei der Parlamentswahl in Italien. Ein Alarmsignal für Europa?

Jean Asselborn: Die Migration war das entscheidende Thema in den Wochen vor der Wahl. Italien hat 600 000 Flüchtlinge aufgenommen. Das unsolidarische Verhalten der EU gegenüber Italien, und insbesondere die Verweigerungshaltung einiger osteuropäischer Staaten, haben eine katastrophale Wirkung gehabt. Die Italiener fühlen sich im Stich gelassen. Das war das Öl, das die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung ins Feuer gießen konnten, um daraus Kapital zu schlagen und von der Enttäuschung über die EU zu profitieren. Victor Orban in Ungarn und Jaroslaw Kaczynski in Polen sind mitverantwortlich für das politische Beben in Italien. Wer die Solidarität in der EU aufkündigt, muss sich über solche Wahlergebnisse nicht wundern. Womöglich ist die Schwächung Europas aber auch die Strategie von Orban und Kaczynski. 

Donaukurier: Muss sich die EU stärker gegen Migranten abschotten, um den Aufstieg der Rechtspopulisten zu stoppen?

Jean Asselborn: Nein! Die Europäische Union muss ihren Auftrag erfüllen: Der Rat der Innenminister kann eine gemeinsame und solidarische Flüchtlingspolitik beschließen. Der Europäische Gerichtshof hat die Pflicht zur Aufnahme von Flüchtlingen bestätigt und Polen und Ungarn ermahnt, die Beschlüsse umzusetzen. Es darf nicht sein, dass die Nationalstaaten dies ignorieren und jede Solidarität aufgekündigt wird. Wer das zulässt, riskiert, dass die EU-Gegner immer mehr Zulauf bekommen. Das ist ein Spiel mit dem Feuer. 

Donaukurier: Die Fünf-Sterne-Protestbewegung ist stärkste Kraft geworden, die fremdenfeindliche Lega holt fast 18 Prozent. Fällt das EU-Gründungsmitglied Italien jetzt als Partner aus?

Jean Asselborn: Für die EU kann der Wahlausgang gefährlich werden. Die Spannungen zwischen nördlichen und südlichen Mitgliedstaaten drohen mit aller Wucht wieder aufzubrechen. Auch in der Euro-Politik könnten alte Wunden aufreißen. Es ist verheerend, dass in Italien der Eindruck entstehen konnte, dass die EU die Menschen dort mit ihren Sorgen im Stich lässt. 

Donaukurier: Die Briten verlassen die EU. Könnte Italien folgen?

Jean Asselborn: Wir dürfen jetzt nicht Schwarzmalen und in Panik verfallen. Zunächst gilt es abzuwarten, welche Regierung sich in Italien findet. Von ihrem ursprünglichen Plan für ein Referendum über einen EU-Austritt hat die Fünf-Sterne-Bewegung offenbar Abstand genommen. 

Donaukurier: In Deutschland steht nach langer Hängepartie die nächste große Koalition. Wie groß ist die Erleichterung in Brüssel und Luxemburg darüber?

Jean Asselborn: Es gibt zum Glück gute Nachrichten aus Deutschland. Die SPD-Mitglieder haben gezeigt, dass sie das Land über die Partei stellen. Die neue Bundesregierung kann viel tun, um Europa zu stärken.

Donaukurier: Was erwarten Sie von Berlin?

Jean Asselborn: Das Koalitionsprogramm ist ein Programm für Europa. Die Stärkung der EU steht ganz vorne, das ist ein wichtiges Signal. In dem Vertrag wurden auch viele sozialpolitische Ansätze festgeschrieben. Wenn diese umgesetzt werden, ist das auch gut für die Europäische Union.

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