Interview von Pierre Gramegna im Lëtzebuerger Journal

"Ich blicke stets nach vorne"

Interview: Lëtzebuerger Journal (Claude Karger)

Lëtzebuerger Journal:  Herr Gramegna, die Haushaltskonsolidierung stand zu Beginn der Legislatur ganz oben auf der Agenda. Vizepremier Étienne Schneider hat das "Zukunftspak", das die Regierung geschnürt hat, um die staatlichen Ausgaben zu reduzieren, mal als "Fehler" bezeichnet. War es das? 

Pierre Gramegna: Nein. Schneider war eher dafür, die Konsolidierung über Steuererhöhungen zu erreichen. Die DP stand indes für ein ausgewogenes Sparpaket, das dann auch geschnürt wurde. Es ging nicht nur darum, die Ausgaben zu reduzieren, sondern auch darum, die Art und Weise zu überholen, wie der Staat Geld ausgibt. Die Funktionskosten des Staates sind in den letzten Jahren nur gering gestiegen. Heute kann ich sagen: das "Zukunftspak" war ein Erfolg und von größter Notwendigkeit, um ein Klima des Vertrauens zu schaffen. 

Vergessen wir die Ausgangslage nicht: Die Konjunkturaussichten waren mau, das Defizit beim Zentralstaat war erheblich, die Schulden stiegen und wir sahen durch den Paradigmenwechsel bei der Besteuerung elektronischer Transaktionen einem Milliardenloch im Budget entgegen. Zudem war ziemlich unklar, wie es nach dem Wegfall des Bankgeheimnisses und der Einführung der neuen Transparenzregeln beim Austausch von Steuerinformationen weitergehen würde mit dem Finanzplatz. Wir mussten sehr schnell handeln, ohne Wachstum abzuwürgen. Das "Zukunftspak" war die richtige Dosierung in dieser Lage. 

Lëtzebuerger Journal: Nun nahm die Konjunktur ab 2013 wieder Fahrt auf und die Regierung beschloss, das mittelfristige Ziel für das strukturelle Saldo von +0,5 Prozent des BIP auf -0,5 Prozent zu revidieren. Das wurde Ihnen als Wortbruch angelastet und als Versuch, Spielraum für eine großzügige Steuerreform zu schaffen... 

Pierre Gramegna:  Erstens haben wir uns lediglich an die Empfehlungen der EU-Kommission, die eine Reduzierung von +0,5 auf -0,5 ausrechnete, gehalten, und zweitens liegt das strukturelle Saldo heute und auch in den kommenden Jahren stets im positiven Bereich, deutlich über dem -0,5 Prozent-Ziel und das sogar unter Einberechnung der Steuererleichterungen. 2017 lagen wir bei +2,2 Prozent, dieses Jahr bei +1,2 Prozent. Der Spielraum für eine Steuerreform war durch die Konjunkturerholung und die Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen da. Es gab also keinen Grund, die im Regierungsprogramm angekündigte Steuerreform aufzuschieben. 

Lëtzebuerger Journal: Sie hatten einmal eine "kopernikanische Revolution" bei der Budgetaufstellung angekündigt. Von einem "Kassensturz" ging die Rede und von einem zielgebundenen Haushalt. Gemäß dem Prinzip des "zero base budgeting" sollte jede Ausgabe jedes Jahr in Frage gestellt werden. Die Revolution blieb aber aus, oder? 

Pierre Gramegna:  Das "zero base budgeting" ist in der Tat schwierig umzusetzen und wir sind noch nicht so weit, die OECD-Empfehlung für ein "budget par objectifs" umsetzen zu können. Das heißt aber nicht, dass nichts unternommen wurde: Wir haben eine Vereinfachung des Haushalts vorgenommen und rund 100 Posten rausgestrichen. 

Lëtzebuerger Journal: Wurde auch bei den staatlichen Eigentümern und den Sozialleistungen ein "Kassensturz" vorgenommen? 

Pierre Gramegna:   Wir haben die Sozialleistungen analysiert und geschaut, wie wir Menschen in schwierigeren Situationen besser unter die Arme greifen können. Dabei war eine politische Priorität dieser Regierung weniger auf Geld- als auf Sachleistungen zu setzen. Zum Beispiel über den Weg von Gratis-Betreuungsstunden für Kinder oder kostenlose Schulbücher. Wir haben zudem die Mietsubventionen eingeführt, um bedürftige Mieter zu entlasten. Bei den staatlichen Ausgaben für Gebäude hat sich herausgestellt, dass es auf lange Sicht günstiger wird, zu kaufen, anstatt zu mieten. 

Lëtzebuerger Journal: A propos OECD. Die Organisation für Entwicklung und Wirtschaftszusammenarbeit hat ja in punkto Steuertransparenz ordentlich Druck auf Luxemburg ausgeübt. Wie konform ist das Land heute zu diesen Regeln? 

Pierre Gramegna: Wir sind zu 100 Prozent im Einklang mit den internationalen Transparenzregeln. Diese Regierung wollte die steuerliche Nischenpolitik nicht mehr weiterführen und den Informationsaustausch nicht mehr behindern, um sie zu schützen. Luxemburg soll für Transparenz stehen und sogar Vorreiter sein. Und wir gehören zu den "early adopters" der OECD -Regeln. Die Schweiz beispielsweise hat noch ein Jahr gewartet, bis sie diese umsetzte. 

Lëtzebuerger Journal: Als Ende 2014 die "Luxleaks"-Bombe explodierte, stand das Großherzogtum allerdings zunächst einmal wieder international in der Riege der undurchsichtigsten Steueroasen... 

Pierre Gramegna: Dass das unserer Arbeit nicht förderlich war ist klar. Aber die OECD und andere internationale Instanzen hatten zu diesem Zeitpunkt unsere Bemühungen längst anerkannt. Luxemburg ist bei der Steuertransparenz Teil der Lösung und nicht Teil des Problems. 

Lëtzebuerger Journal: Trotzdem ficht es Entscheidungen der EU-Kommission an, die verschiedene Steuervorbescheide - die berühmten "Rulings” - für illegal erklärt, weil sie diese als verkappte Subventionen einstufen. Warum ziehen Sie in den Fällen vor den Europäischen Gerichtshof? 

Pierre Gramegna:  Auch wenn diese "Rulings" heute so nicht mehr möglich wären, so waren sie zu dem Moment, da sie beschlossen wurden, legal. Und aus diesem Grund zieht Luxemburg, in diesen Fällen heute vor den Europäischen Gerichtshof. Es geht also hier vor allem darum, die Rechtsstaatlichkeit des Luxemburger Staates zu verteidigen. Das Prinzip der Steuervorbescheide selbst wird übrigens von der Kommission nicht in Frage gestellt. Wir haben den "Rulings" endlich eine gesetzliche Basis gegeben und den Austausch mit anderen Gerichtsbarkelten unterstützt. Heute gibt es weniger Steuervorbescheide. 

Lëtzebuerger Journal: A propos Transparenz. Sie hatten im Rahmen der Steuerreform eine Art Fiskalamnestie für Steuersünder angekündigt. Was kam dabei heraus? 

Pierre Gramegna: Es war keine Amnestie, sondern eigentlich ein Strafminderungsangebot. Wer seine Schuld gegenüber den Steuerverwaltungen meldete, kam 2016 mit einer Strafe von zehn Prozent des Rückstands davon und 2017 mit 20 Prozent und entging so strafrechtlicher Verfolgungen. Das bescherte dem Staat bislang zwischen 40 und 50 Millionen Euro Mehreinnahmen. Es soll niemand mehr sich seiner Steuerpflicht entziehen können, denn sie dient schließlich der Allgemeinheit. Deshalb und weil der Kreis der Steuerpflichtigen sich erheblich vergrößert hat sowie das fiskalische Umfeld immer komplexer wird, haben wir die Steuerverwaltungen auch erstmals seit 20 Jahren reformiert und aufgestockt. Rund 200 Beamte sind dazu gekommen. 

Lëtzebuerger Journal: Konnte der berühmte "Mittelstandsbuckel", die verhältnismäßig höhere Steuerlast, die Haushalte mit einem Durchschnittseinkommen zu tragen haben, abgebaut werden? 

Pierre Gramegna: Auf jeden Fall wurde er durch die Maßnahmen der Steuerreform abgeflacht, die den Empfängern kleiner und mittlerer Einkommen entgegen kommen. Wir haben zum Beispiel den Steuerkredit erhöht und bei Alleinerziehenden sogar verdoppelt. 

Lëtzebuerger Journal: Haben Sie vergessen, die Steuerklasse 1a abzuschaffen? Besonders LSAP-Politiker sehen hier eine gewisse Dringlichkeit... 

Pierre Gramegna:  Für jede Maßnahme gibt es immer eine Erklärung. Die Steuerklasse 1a wurde seinerzeit eingeführt, um zu vermeiden, dass Geschiedene und Verwitwete gleich in die belastendste Steuerklasse 1 fallen. Es ist ziemlich simplistisch, zu behaupten, dass die Abschaffung einer Steuerklasse das System gerechter machen würde. Wäre es gerecht gegenüber Junggesellen in Steuerklasse 1, dass Geschiedene in der günstigsten Steuerklasse 2 verbleiben können? Ich glaube, die Steuerindividualisierung ist ein besserer Weg. 

Lëtzebuerger Journal: Die Unternehmensbesteuerung soll weiter runter auf den OECD-Durchschnitt von insgesamt 21 Prozent, meint IDEA, der "Think Tank" der Handelskammer. Wie sehen Sie das? 

Pierre Gramegna: Indem wir die Körperschaftssteuer in Etappen auf 18% gesenkt haben, haben wir es geschafft, den globalen Unternehmenssteuersatz von 29 auf 26 Prozent zu senken. Ich meine aber, dass wir weiter in Richtung OECD -Durchschnitt arbeiten müssen. Es ist eine wichtige Frage für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. 

Lëtzebuerger Journal: Wie wettbewerbsfähig ist der Finanzplatz? 

Pierre Gramegna:  Ich muss den Akteuren des Sektors wirklich gratulieren. Sie haben schnell und zukunftsweisend auf Änderungen bei Bankgeheimnis und anderen Regularien, aber auch technischen Innovationen reagiert. Die Diversifizierung ist fortgeschritten. Dies kann man vor allem im "Private Banking" erkennen, das sich gut entwickelt hat. Bei den Fonds sind wir weiterhin Führer und rund 300 der neu geschaffenen "Reserved Alternative Investment Funds" wurden bereits aufgelegt. In zwei Bereichen hat der Finanzplatz sich in den letzten Jahren jedoch sehr stark entwickelt: Im Bereich Fintech sind wir sehr gut aufgestellt und Luxemburg hat sich als weltweites Zentrum der "green finance" etabliert. Kürzlich haben wir noch das Instrument der grünen Pfandbriefe geschaffen. Der Brexit hat gezeigt, dass der luxemburger Finanzplatz sehr wettbewerbsfähig ist. Während sich mittlerweile, die größten "Private Equity"-Fonds hier angesiedelt haben, konnten wir in dieser Legislatur auch vier zusätzliche chinesische Banken begrüßen. Auch das Versicherungsgeschäft steht sehr gut da. Das alles kommt freilich nicht von selbst: Der Finanzplatz muss sich dauernd in der Welt zeigen. Ich bin jedes Jahr mindestens einmal mit Delegationen nach China und in die USA gereist und fast jedes Jahr nach Japan, in die Schweiz, nach Südamerika, in die Emirate... Wir haben unser Netzwerk an "Trade and Investment Offices" ausgebaut und sind weltweit sehr präsent. 

Lëtzebuerger Journal: Zum Abschluss noch zwei kurze Fragen: welcher war der positivste Moment für Sie in dieser Legislatur und welcher der negativste? 

Pierre Gramegna: Der positivste Moment war das grüne Licht für die Steuerreform im Parlament, die ein großer und anstrengender Wurf war. Der negativste... nun ja, "Luxleaks". Rückblickend hat es aber auch vieles beschleunigt, das Luxemburg half, seinen Ruf schnell wiederaufzubauen. Am Ende sind wir gut aufgestellt und haben allen Anlass dazu, optimistisch nach vorne zu schauen.

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