"Die Kultur ist für mich eine Herzensangelegenheit"

Interview von Sam Tanson im Luxemburger Wort

Interview: Luxemburger Wort (Daniel Conrad & Marc Thill)

Luxemburger Wort: Sam Tanson, wie wollen Sie zeigen, dass Sie die Person sind, die dann auch tatsächlich Lust auf den Job des Kulturministers hatte?

Sam Tanson: Ich wollte unbedingt dieses Ministerium. Die Kultur insgesamt und die Kulturszene in Luxemburg - beides sind für mich Herzensangelegenheiten. Ich habe privat immer gerne Ausstellungen und Theatervorführungen besucht, nun gehört es auch zu meinem Job. Das freut mich. Die Teilnahme am kulturellen Leben wird ein Aspekt meiner Arbeit sein, ein anderer wird der Dialog mit den Kulturschaffenden sein, den ich bewusst suchen werde.

Luxemburger Wort: Mit dem Wechsel im Ministerium hat sich das Dekor bereits verändert. Die Bilder und Skulpturen aus der Kunstsammlung Ihres Vorgängers sind verschwunden. Welche kulturellen Präferenzen haben denn Sie?

Sam Tanson: Es ist hier tatsächlich leer geworden. Ich werde in den kommenden Tagen mein Büro neu ausstatten. Präferenzen habe ich eigentlich keine, ich mag alles, und es gibt keinen kulturellen Bereich, der mir persönlich lieber wäre als ein anderer.

Luxemburger Wort: Der Luxemburger will Sie näher kennenlernen. Sagen Sie uns: Für was schlägt Ihr kulturelles Herz?

Sam Tanson: (lacht) Ich habe das Interview mit meiner Vorvorgängerin bei ihrem Amtsantritt noch in Erinnerung, deshalb muss ich nun über diese Frage schmunzeln. Aber nochmals: Es gibt nichts Kulturelles, was ich nicht mag. Meine Liebe zur Kultur kommt von zu Hause. Als Kind habe ich sehr viel gelesen, wurde auf eigenen Wunsch hin mit Büchern überhäuft, und habe mit meinem Vater Ausstellungen besucht. Zur zeitgenössischen Kunst fand ich während meiner Studienzeit in Paris, zum Theater vor allem in Luxemburg, insbesondere durch den früheren Theaterdirektor Frank Feitler und seiner Programmierung. Nur die Musik kommt privat - wie ich finde - zur Zeit etwas zu kurz. Wegen der Kinder höre ich viel Kindermusik.

Luxemburger Wort: Neues Dekor, neues Kabinett: Wie organisieren Sie Ihr Ministerium?

Sam Tanson: Es ist zu früh, und ich denke nicht, dass man mit vorgefasster Meinung hier reinplatzen kann. Ich weiß aber, dass innerhalb des Ministeriums der Wunsch besteht, die Aufgaben deutlicher als bisher zu definieren. Was die Aufteilung meiner Person auf die beiden Ressorts Kultur und Wohnungsbau betrifft, so werde ich versuchen, meine Zeit gleichermaßen aufzuteilen.

Luxemburger Wort: Zentrales Element in der Kulturpolitik ist der Kulturentwicklungsplan (KEP). Es komme schon, so Jo Kox, der den Plan für das Ministerium aufstellte, auf zentrale erste Maßnahmen im Kulturministerium selbst an - sonst werde jeder weitere Punkt schwierig...

Sam Tanson: Das ist richtig. Um die ambitionierte Politik umzusetzen, muss es klare Aufgabenziele geben. Jeder, muss wissen, für was genau er zuständig ist. Also wird eine meiner ersten Missionen sein, Strukturen, die sicher nicht mit einem Zauberstab gemacht werden können, zu verändern.

Luxemburger Wort: Ist der KEP quasi eine Bürde?

Sam Tanson: Überhaupt nicht. Ich bin froh, dass er als Instrument da ist. Dessen Umsetzung war eine der Prioritäten im Regierungsprogramm. Diese Arbeit, die meine Vorgänger in die Wege geleitet haben, ist wertvoll und eine Basis, auf der wir jetzt arbeiten können.

Luxemburger Wort: Wird die Arbeit denn mit Jo Kox weitergeführt werden?

Sam Tanson: Im Budget ist ein Posten vorgesehen, um weiter an dem Plan zu arbeiten. Ich hoffe, dass Jo Kox auch bereit ist, daran mitzuarbeiten. Es hängt aber nicht alleine an ihm, sondern an uns im Ministerium und an der ganzen Szene, dass wir Resultate aufweisen werden können.

Luxemburger Wort: Es wird zur Umsetzung auch ein weit größeres Budget und mehr Personal im Ministerium brauchen. Haben Sie sich bereits bei Pierre Gramegna blaue Flecken eingehandelt?

Sam Tanson: Jeder weiß, was es bedeutet, wenn wir den Entwicklungsplan umsetzen wollen. Das heißt, wir brauchen auch die nötigen Mittel - finanziell und personell - um den Plan umzusetzen. Bei der Schlüsselübergabe des Ministeriums sagten Xavier Bettel und Guy Arendt, sie hätten schon ordentlich um eine Erhöhung des Budgets 2019 gestritten. Ich meine, man sollte das auch nicht an irgendeinem Prozentsatz ausmachen. Der Plan weist aus, dass es - je nachdem, was alles hinzu- oder nicht einberechnet wird - letztlich darauf ankommt, was finanziell machbar ist. Noch ist ja nicht bei jedem Punkt des Plans, der definitive Zeitpunkt und das notwendige Budget dazu bekannt. Etwa beim Punkt, „Luxembourg Afts Council" oder „Luxembourg for Culture". Wir müssen sehen, wie weit genau wir damit gehen. Ist er nur ein Förderinstrument oder ein Instrument, über das alle Konventionen laufen? Und das führt dann auch zu unterschiedlichen Budgetierungen.

Luxemburger Wort: Wie sieht denn Ihre Wunschvorstellung für diesen „Council" aus?

Sam Tanson: Wichtig ist, dass wir uns ein einheitliches Instrument für die Förderung geben müssen. Einheitlich heißt nicht, dass eine Person für jede einzelne Kunstsparte zuständig ist, sondern es Strukturen sind, in denen man auf die Erfahrungswerte von dem ein oder andern zurückgreifen kann. Ich möchte auch eine Analyse, inwieweit wir die Subsiden mit in diese Struktur nehmen können; beziehungsweise ob wir ein „Guichet Unique" für alle Anträge mit in diesen Council legen können.

Luxemburger Wort: Das „Guichet Unique" soll die administrativen Hürden für die Kulturtreibenden reduzieren. Müssten nicht auch die Prozeduren zur Bewilligung von Anträgen vereinfacht werden?

Sam Tanson: Wenn jemand ein Theaterstück auf die Beine stellen will, muss erstens an verschiedene Stellen laufen und immer andere unterschiedliche Anfragen stellen, für die er gerne ein bis zwei Tage allein mit einer Anfrage und dem Ausfüllen von Formularen verbringt. Man muss schauen, wie man das vereinfachen kann. Es gibt aber den Bedarf, die Informationen zu Rechten und Pflichten oder was an Eingaben benötigt wird, zu bekommen. Wir haben dazu schon im Ministerium einen Posten. Das muss man vielleicht neu strukturieren, ausbauen und an einen Council anschließen. Aber darauf will ich mich noch nicht im Detail festlegen.

Luxemburger Wort: Es ist weder eine Frage des Angebots noch des Geldes - dennoch finden einige in Luxemburg nicht zur Kultur. Wie wollen Sie da vorgehen?

Sam Tanson: Die Schule spielt eine wichtige Rolle. Das Angebot ist tatsächlich vorhanden, aber es gibt Schulkinder, die mehr, und andere, die wenige davon profitieren. Man kann da schon konkret einwirken, vor allem regional, wo das Angebot manchmal auch geringer ist als im städtischen Raum. Auch das Lehrpersonal ist manchmal mehr und manchmal weniger affin für kulturelle Aktivitäten in der Schule. Wir müssen sie sensibilisieren. Insgesamt muss die Kultur in der Schule mehr Raum bekommen. Wir wollen die Plattform kulturama.lu weiterentwickeln, damit Künstler flächendeckend in die Schulen gelangen.

Luxemburger Wort: Verlangt die Gesellschaft heutzutage überhaupt Kultur? Gibt es nicht doch eine Nivellierung nach unten? Viele lassen sich doch zu dem Überflüssigen und Oberflächlichen hinreißen.

Sam Tanson: Ich sehe das nicht so negativ. Ja, wir leben in einer Fast-Food-Gesellschaft, aber es gibt auch neue Formen der Kultur, die digitale Welt etwa, die dazu führt, dass man Kultur entdecken kann, die man eigentlich nicht so anvisiert hatte.

Luxemburger Wort: Stichwort niedriger Mehrwertsteuersatz auf kulturellen Dienstleistungen. Wie viel Prozent und ab wann?

Sam Tanson: Wir haben diesen Punkt im Koalitionsabkommen festgehalten. Es ist aber nicht so einfach wegen der europäischen Steuergesetzgebung. Ich möchte sofort eine klare Analyse davon, was wir wie machen können. Ich will wissen, ob es nicht vielleicht eine ähnlich gelagerte Leistung mit niedrigem Mehrwertsteuersatz gibt, an die wir die kulturellen Dienstleistungen mit dem entsprechenden Steuersatz anbinden könnten. Wenn das nicht der Fall ist, möchte ich erfahren, welche Möglichkeiten es noch gibt.

Luxemburger Wort: Die Theaterwelt fordert Unterstützung für die administrative Arbeit in den kleinen Theaterhäusern. Kommen Sie diesem Wunsch entgegen?

Sam Tanson: Ja, denn es ist eine berechtigte Forderung. Die staatlichen Subventionen für das Theater sind ganz gewiss nicht die größten und wir müssen diesem Kulturzweig entgegenkommen.

Luxemburger Wort: Der Wohnungsbau, Ihr zweites Aufgabenfeld, ist ein Schlüsselproblem der Luxemburger Gesellschaft. Ein Haus, eine Künstlerwerkstatt, ein Proberaum - all das geht richtig ins Geld. Muss man ein ärmliches Leben führen, will man in Luxemburg kreativ sein?

Sam Tanson: Nein, das darf nicht so sein. Künstler haben in der Regel viel studiert und steigen oftmals aus finanzieller Not aus ihrer Künstlerkarriere aus, um einem besser bezahlten Job nachzugehen. Das ist bedauerlich. Wir wollen das Künstlerstatut nochmals überarbeiten. Wir können auch Einfluss nehmen auf die Gagen der Künstler über die Subventionierung der kulturellen Häuser, die sie beschäftigen. Die Bedingungen innerhalb des Künstlerstatuts müssen angepasst werden. Wir wollen auch den Congé culturel wieder einführen.

Luxemburger Wort: Als zuständige Ministerin für den Wohnungsbau und die Kultur wird das Thema Patrimoine auch ein Aspekt, der in beiden eine Rolle spielen wird. Wird das nicht eine schwierige Gratwanderung?

Sam Tanson: Nein, ich meine nicht. Das eine schließt das andere ja nicht aus. Das Gesetz zum Patrimoine - und wir brauchen ein modernes Denkmalschutzgesetz - muss auf den Instanzenweg kommen, genügend Vorarbeit ist dazu geleistet worden. Es laufen allerdings noch Debatten zwischen den Ministerien. Das Kataster, das festlegt, welche Immobilien geschützt werden müssen und nach welchen Kriterien zukünftig entschieden wird, muss allein schon wegen der nötigen Klarheit für alle geschaffen werden. Gerade weil Gemeinden und Privatleute nicht unbedingt wissen, wie der Stand der Dinge ist.

Luxemburger Wort: Warum sind die Erstellung des Katasters und der Prozess um das Denkmalschutzgesetz so schwerfällig?

Sam Tanson: Es kommen einfach viele Interessen zusammen. Und so ein Kataster aufzustellen braucht schlicht „Manpower".

Luxemburger Wort: Transparenz ist wichtig. Wird es nicht auch Zeit, die Entscheidungen der „Commission des Sites et Monuments" (Cosimo) transparent zu machen?

Sam Tanson: Das kann ich noch nicht sagen. Ich frage mich aber, ob nicht schon durch das anstehende Gesetz zur Transparenz von Verwaltungsdokumenten auch die Kommissionsarbeit davon betroffen sein wird.

Luxemburger Wort: Zur Nationalgalerie, ein Kind ihres Vorgängers. Eine gute oder vielleicht doch eine nicht so gute Sache?

Sam Tanson: Das Allerwichtigste bei der Nationalgalerie ist das Dokumentationszentrum. Wir müssen aufarbeiten, was an Kunst in Luxemburg besfeht - dafür brauchen wir aber nicht unbedingt ein Gebäude, wir können das schneller in Angriff nehmen.

Luxemburger Wort: Sind Sie gewillt eine persönliche Note in dieses Projekt reinzubekommen? Sie hatten mal eine Künstlerresidenz in Erwägung gezogen, die man in der Galerie unterbringen könnte.

Sam Tanson: Meine beiden Ressorts, Kultur und Wohnungsbau, fließen in diesem Punkt zusammen. Ich hatte vor den Wahlen die Frage aufgeworfen, warum die oberste Etage der Nationalgalerie in der ehemaligen Nationalbibliothek als Wohnraum genutzt werden sollte. Gewiss, das Stadtzentrum braucht auch Wohnraum für junge Leute, aber ich erkenne da keine Kohärenz. Ich werde mir ein Bild machen, wie dieses Projekt in Zukunft angepackt werden kann.

Luxemburger Wort: Die Nationalgalerie arbeitet in die Vergangenheit. Wie aber steht es bei der Kunst um die Zukunft? Warum nicht eine Kunsthochschule in der alten Nationalbibliothek einrichten?

Sam Tanson: Der entscheidende Punkt für eine Politik soll nicht die Räumlichkeit sein. Wenn ein Gebäude im Stadtzentrum plötzlich leer wird, kommen viele Ideen auf. Zu Ihrer Frage: Ich kann mir auch vorstellen, dass man mehr kulturelle Bildung an der Uni Lëtzebuerg anbieten sollte. Das ist aber nicht meine Kompetenz, dennoch mein Wunsch.

Luxemburger Wort: Bleiben wir bei den Einrichtungen. Was soll aus dem Auditorium der Villa Louvigny werden?

Sam Tanson: Es wichtig, das Auditorium zu nutzen. Auch hier mein Wunsch: kulturelles Leben in die Villa Louvigny und in den Park einbringen. Man könnte dort die Luxemburger Musik und das Radio, die beide an die Villa geknüpft sind, würdigen.

Luxemburger Wort: Esch 2022 - ein schwieriger Anfang, was aber nun?

Sam Tanson: Es ist mir wichtig, dass das Kulturhauptstadtjahr funktioniert und jeder dahintersteht. Es ist für Luxemburg und vor allem für den Süden Luxemburgs ein symbolträchtiges Projekt, mit dem man wieder eine neue Dynamik in das Kulturleben einbringen kann. Wenn man sieht, was die vorherigen Kulturjahre uns gebracht haben, dann muss auch Esch 2022 unbedingt ein Erfolg werden. Ansonsten haben wir ein echtes Problem. Ich werde das Büro von Esch 2022 so schnell wie möglich treffen, und bin überzeugt, dass mit Nancy Braun und Christian Mosar ein kompetentes Führungsduo dort an der Spitze steht.

Luxemburger Wort: Was soll mit der Gebläsehalle und anderen Industriebrachen passieren?

Sam Tanson: Wir müssen das bestehende Industrieerbe erhalten. Experten haben in einer Konferenz zur Gebläsehalle gezeigt, wie man sie in Kombination mit Büros, Wohnraum und kulturellen Aktivitäten nutzen könnte. Aber es muss nicht Kultur sein, es gibt viele Modelle. Es soll jedenfalls kein Projekt gegen ein anderes ausgespielt werden.

Luxemburger Wort: Filmfund und Creative-Cluster - zwei kulturelle Bereiche, die nicht unter Ihrer Obhut sind. Ist das nicht doch für die Kulturministerin frustrierend?

Sam Tanson: Nein, auch wenn meine Partei vor den Wahlen vorgeschlagen hatte, diese Bereiche in das Kulturresort zu überführen, ist es für mich absolut kein Problem, wenn anderswo auch Kultur stattfindet. Was den Film anbelangt: Wir unterstützen das Filmfestival, und wir helfen den Luxemburger Filmen, die keine Produzent haben.

Luxemburger Wort: Wo wollen Sie Akzente setzen, an denen man später Ihre Arbeit im Ministerium erkennen wird?

Sam Tanson: Ich will alles durchsetzen, alles was im Koalitionsabkommen steht. Wenn ich 90 Prozent davon schaffe, bin ich zufrieden. Mir ist es vor allem aber wichtig, dass die Verbindung zwischen Ministerium und Künstlerwelt existiert, dass wir ein offenes Haus sind für Kulturschaffende, und dass die Kultur die Bedeutung bekommt, die sie auch verdient.

 

Zum letzten Mal aktualisiert am