Gehören die Autobauer an die Kette, Herr Minister?

Interview von François Bausch mit t-online.de

Interview: t-online.de (Markus Abrahamczyk)

t-online.de: Herr Bausch, Dieselkrise, Feinstaub, Tempolimits — was denken Sie als Nachbar über unsere aktuellen Diskussionen?

François Bausch: Sie erstaunen mich. Nehmen wir das Tempolimit. Es ist in ganz Europa eine Normalität. Und es hat in der Verkehrssicherheit viel gebracht. Deshalb wundert mich, wie emotional darüber in Deutschland diskutiert wird. Gestritten wurde etwa eine Woche lang. Dann erklärte die Bundesregierung die Diskussion für beendet. Das Ergebnis: Alles bleibt, wie es ist. Selten hat man in Berlin eine so schnelle Entscheidung erlebt wie in dieser Frage. Die Sicherheit ist neben der Umweltproblematik das wichtigste Thema auf unseren Straßen. Wir haben in Europa etwa 26.000 Verkehrstote pro Jahr, weltweit fast 1,4 Millionen. Straßenverkehr wird immer mehr zur Todesursache. Das ist ein sehr ernstes Problem. Und das sollte man auch ernst angehen.

t-online.de :Bundesverkehrsminister Scheuer bezeichnete Tempolimits kurzerhand als "gegen jeden Menschenverstand". Dabei stammte der Vorschlag von einer Kommission, die das Verkehrsministerium selbst eingesetzt hatte. Besonders ernsthaft wirkte die Reaktion nicht.

François Bausch: Stellen Sie sich einfach mal vor: Wir würden die Nachricht bekommen, dass in diesem Jahr 26.000 Menschen in Europa an einer Epidemie sterben könnten. Dann würden wir alles mobilisieren, um diese Epidemie einzudämmen. Die Epidemie der Toten im Straßenverkehr haben wir bereits. Dagegen müssen wir angehen. Zu hohe Geschwindigkeit ist eine der Hauptursachen. Und deshalb gibt es in Europa überall Tempolimits auf den Autobahnen — nur nicht in Deutschland.

t-online.de: Deutlich länger als über Tempolimits wird schon über Stickoxide und Feinstaub diskutiert. Und deutlich länger lassen hier die Ergebnisse auf sich warten.

François Bausch: Diese Debatte führt ganz Europa. Da geht es aber um viele wichtige Punkte, die ineinander greifen — Gesundheit etwa und verkehrspolitische Ambitionen. Aber nirgendwo wird das alles so negativ diskutiert wie in Deutschland. Denn im Einhalten der Grenzwerte stecken enorme Chancen: Wir können neue Formen von Mobilität entwickeln. Wir können Vorreiter werden. Schade, dass das in Deutschland immer nur vom Negativen her gesehen wird.

t-online.de: Riskiert Deutschland dadurch diese Chancen zu verspielen?

François Bausch: Ja, denn Deutschland ist eines der weltweit führenden Länder in der Mobilität. Vor allem seine Automobilindustrie hat bis jetzt den Ruf, hohe Qualitätsstandards zu setzen. Und sie hatte immer einen großen technologischen Vorsprung. Ich habe den Eindruck, dass durch diese negative Debatte und die Verweigerung auch im Automobilsektor die Vorteile, die Deutschland hatte, verloren gehen. Das ist nicht gut. Denn wir müssen die europäische Automobilindustrie fit bekommen oder fit halten, um auch in der Zukunft zu bestehen.

t-online.de: Sie empfehlen also ein Umdenken im Kopf, wie es bei Opel mal hieß.

François Bausch: So kann man es sagen. Man sollte die Normen und Regeln, die jetzt diskutiert werden, nicht nur als Schikane und als Hemmnis für die Entwicklung sehen. Denn sie bringen auch große wirtschaftliche Potentiale mit sich.

t-online.de: Diese Meinung teilen in Deutschland nur wenige. Nehmen wir mal die Stickoxide. Hier wird eher gefordert, Grenzwerte anzuheben oder auszusetzen. Ihnen wiederum sind die Stickoxid-Grenzwerte eher noch zu hoch.

François Bausch: Ja, denn ich glaube, wenn man die gesundheitlichen Aspekte dahinter sieht, dann waren die Grenzwerte hoch angefegt. Andererseits will ich aber nicht, dass sie jetzt in kürzester Zeit noch strenger gemacht werden.

t-online.de: Das Problem macht ja vor Ihrer Landesgrenze nicht Halt. Wie geht Luxemburg damit um?

François Bausch: Wir als Regierung haben immer gesagt: Wir tun alles, um die Grenzwerte einzuhalten. Deshalb haben wir unsere Ausgaben in eine neue Richtung gelenkt. Wir investieren enorme Summen in die Bahn, haben die Netzkapazität ausgebaut. Wir haben mit viel Geld einen ganzen Schub in das Thema Mobilität gebracht. Jetzt sind wir ein Schaufenster für moderne Mobilitätskonzepte im Ausland. Das heißt: Unser Plan wird auch den Standort Luxemburg attraktiver machen.

t-online.de: Die Konzepte der Bundesregierung wiederum scheitern nicht nur in Brüssel, sondern auch vor deutschen Gerichten. Deshalb steht uns ein Jahr der Fahrverbote bevor. Welchen Rat haben Sie für Ihren Amtskollegen Andreas Scheuer von der CSU?

François Bausch: Es ist sicherlich nicht meine Aufgabe, dem deutschen Minister Ratschläge zu erteilen. Zwei Dinge sind für mich persönlich wichtig: zum Einen, ein großes Mobilitätskonzept zu entwerfen, das nicht nur auf dem Auto basiert, sondern auch alle anderen Verkehrsträger einschließt.

Und zum Zweiten: Natürlich schärfer an die Autoindustrie herangehen. Es muss viel deutlicher gemacht werden, dass wir dringend einen Innovationsschub brauchen. Außerdem müssen die Autobauer Konsequenzen ziehen und größere finanzielle Beiträge leisten, damit man das verlorene Vertrauen zurückgewinnt.

t-online.de: Verschont Ihr Kollege stattdessen die Autoindustrie zu stark?

François Bausch: Es geht ja nicht darum, der deutschen Autoindustrie Schaden zuzufügen — ganz im Gegenteil: Das Vertrauen der Konsumenten kommt nicht zurück, indem man immer nur nachgibt und allem zustimmt, was die Autobauer kurzfristig verlangen. Denn, und das ist ein generelles Problem: Die Autoindustrie ist zu kurzsichtig in ihrem Handeln. Sie unterschätzt die Dynamik und die anstehenden Aufgaben. Sie erkennt nicht, dass man die Probleme auch positiv lösen und darin Chancen entdecken kann.

t-online.de: Was das für Folgen haben kann, erleben wir gerade. Sie sagen also, man müsste die Autobauer an die Kette legen?

François Bausch: Ich würde eher sagen: Man muss sie an die Hand nehmen. Und Hilfestellung leisten, damit die Autobauer zusammen mit der Politik in eine Richtung gehen, die zukunftsfähig ist. Das ist derzeit leider nicht der Fall.

t-online.de: Drei von vier Autos, die in Deutschland gebaut werden, gehen ins Ausland, pro Jahr weit über vier Millionen. Dort hören ja die Probleme nicht auf: Schweden etwa, ein wichtiger Abnehmer, hat das Aus des Verbrennungsmotors bereits besiegelt. Dort wird man dann Benziner und Diesel nicht mehr abnehmen.

François Bausch: Und noch viel mehr ist auf dem Weltmarkt in Bewegung. Ein Großteil der deutschen Exporte etwa geht nach China. Dort ist das Problem mit schmutziger Luft noch viel größer. Und die Regierung hat strenge Maßnahmen beschlossen. In Indien ist es das Gleiche. Das sind die ganz großen Märkte. Dort müssen sich die deutschen Autobauer behaupten. Deshalb müssen sie und die Regierung ein Interesse haben, innovativ zu sein, diese Krise ernst zu nehmen und sie eben als Chance zu sehen, um einen Erneuerungsprozess einzuleiten.

t-online.de: Saubere Autos für die Zukunft sind ja eine schöne Sache. Noch fragen sich aber — nicht nur in Deutschland — sehr viele geprellte Kunden, was aus ihnen und ihren alten Autos wird.

François Bausch: Zum einen bestätigt die Diesel-Problematik: Wir brauchen ein europäisches Sammelklagerecht, ähnlich wie es das in den USA schon gibt. So können Kunden besser gegen Konzerne vorgehen.

Aber vor allem brauchen wir eine Lösung für die Dieselfahrer auf europäischer Ebene. Das würde sehr viel Vertrauen in die EU schaffen und in das Projekt eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes. Europa muss hier seine Verantwortung übernehmen. Dazu hatte übrigens die europäische Wettbewerbskommissarin Vestager für den Dezember 2018 eine Sitzung einberufen. Die muss aber nachgeholt werden, weil sie damals nicht stattfinden konnte.

t-online.de: Warum nicht?

François Bausch: Einige Kollegen, darunter der deutsche Verkehrsminister, waren verhindert, aber es ist unumgänglich, dass wir in einer nächsten ressortübergreifenden Ministerratssitzung zusammen mit der EU-Kommission eine Lösung im Interesse der Konsumenten finden.

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