Interview von Pierre Gramegna im Luxemburger Wort

"Innovationen kann man nicht stoppen"

Interview : Luxemburger Wort (Patrick Besch)

Luxemburger Wort: Pierre Gramegna, wie geht es einem als Finanzminister mit vollen Taschen?

Pierre Gramegna: Der Ausdruck von vollen Taschen vermittelt den Eindruck, dass wir im Überschuss leben.
Das ist jedoch leider nicht der Fall. Wir befinden uns zurzeit eher im Gleichgewicht. 2019 soll sich laut Budget nach das Defizit im Zentralstaat auf rund 600 Millionen Euro belaufen. Dazu erwirtschaften wir einen Überschuss im Gesamtstaat. Laut jetzigen Stand werden die Einnahmen etwas höher ausfallen, sodass wir uns dem Gleichgewicht nähern, eine Situation, die sich nicht als volle Taschen bezeichnen lässt. Unser Ziel ist eine gute Verwaltung der öffentlichen Finanzen, die zu keiner weiteren Verschuldung führt.

Luxemburger Wort: Die Situation ist aber durchaus besser als jene zu ihrem Amtsantritt 2013.

Pierre Gramegna: Absolut. Damals war uns bewusst, dass wir uns aus finanztechnischer Sicht auf der falschen Bahn befanden. Es bestand sogar die Gefahr, dass Luxemburg die Kriterien des Wachstums- und Stabilitätsprogrammes nicht mehr erfüllen würde. Damals war der Ausgangspunkt also bedeutend schwieriger.

Luxemburger Wort: Die Ausgangposition ist also unterschiedlich, das Ziel aber fast ähnlich, denn erneut steht eine Steuerreform für Sie auf der Tagesordnung. Wie weit sind Sie mit dem Vorhaben?

Pierre Gramegna: Tatsächlich hatten wir auch vor sechs Jahren eine Steuerreform angepeilt, die wir dann umgesetzt haben. Sie trat von 2017 an schrittweise in Kraft. Auch dieses Mal streben wir eine erneute Reform an. Wir befinden uns jedoch erst am Anfang der Legislaturperiode, sodass noch viel Arbeit vor uns liegt. Die Vorbereitungen im Finanzministerium und in der Steuerbehörde sind jedoch schon angelaufen. Die Steuerreform, die 2016 von der Chamber verabschiedet wurde, ist dabei als Wegbereiter für unsere künftigen Ziele zu sehen. 2016 haben wir den Globalsteuersatz für Unternehmen von 21 auf 18 Prozent gesenkt. Dieses Jahr haben wir sie weiter nach unten geschraubt, auf 17 Prozent. Diesen Weg in Richtung Kompetitivität wollen wir auch bei der kommenden Reform weiterschreiten. Der Hauptakzent wird jedoch auf der Besteuerung von physischen Personen liegen.

Bekanntlich peilen wir das Prinzip der Individualbesteuerung an, einen Prozess, für welchen wir die Weichen schon 2016 gestellt haben.-Ist die Möglichkeit der individuellen Besteuerung bis jetzt optional, so wollen wir in Zukunft ganz auf dieses System übergehen. Es handelt sich also um eine tief greifende Reform, die sehr gut vorbereitet werden muss. In diesem Zusammenhang muss man sich auch mit den gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit auseinandersetzen.

Luxemburger Wort: Zum Thema Individualbesteuerung: Vor dem Wahlkampf wurde oft betont, niemand müsse finanzielle Einbußen durch die Reform befürchten. Jetzt hat LSAP-Präsident Franz Fayot jedoch das Gegenteil behauptet. Wer hat Recht?

Pierre Gramegna: Im Koalitionsabkommen haben die drei Parteien die Individualbesteuerung in Aussicht gestellt, ein Prozess, der nur mithilfe von Übergangsprozeduren gelingen kann. Für eine definitive Bewertung der Reform ist es jedoch zu früh, da ihre genauen Ausmaße überhaupt noch nicht zu erkennen sind. Ein kurzer Blick auf andere Länder lässt erkennen, dass die Umsetzung solcher tief greifender Reformen sich oft über mehrere Jahre, ja gar Jahrzehnte erstreckt.
Um solche Reformen bewerten zu können, braucht man also viel mehr Informationen. Solche Aussagen sind also immer mit Vorsicht zu genießen. Die Regierung strebt die erneute Reform dabei aus mehreren Gründen an. Erstens hat sich die Gesellschaft stark verändert. Viele Paare wollen zum Beispiel gar nicht mehr heiraten, andere haben sich nach der Heirat geschieden, wiederum andere möchten ledig sein. Die Lebensformen haben sich also geändert, entsprechen nicht mehr der bisherigen Tradition. Das Besteuerungssystem soll und muss diesem Wandel gerecht werden.
Genau dieses Ziel verfolgt die Regierung mit der angekündigten Reform.

Luxemburger Wort: Ein anderes Stichwort ist eine nachhaltige Steuerpolitik. Mit der Erhöhung der Akzisen auf Treibstoffen hat die Regierung einen ersten Schritt getan. Dieser wurde jedoch von vielen Seiten als reine Symbolpolitik verurteilt. Wie sehen Sie das? Muss die Regierung nicht stärker zum Beispiel gegen den Tanktourismus vorgehen, will sie ihre klimapolitischen Ziele erreichen?

Pierre Gramegna: Neben der Individualbesteuerung wird sich die Steuerreform zwei weiteren Schwerpunkten widmen, der Wohnungsproblematik sowie dem Umweltschutz.
Die Erhöhung der Akzisen auf Treibstoffe ist dabei ein erster Schritt. Jenen, die diese Maßnahme als Tropfen auf den heißen Stein bezeichnen, fehlt es meiner Meinung nach an der nötigen Weltsicht, handelt es sich etwa um die erste Erhöhung der Akzisen seit 2012. Des Weiteren muss man festhalten, dass das Transportwesen in Luxemburg für fast zwei Drittel aller CO2-Emissionen verantwortlich ist. Unsere Maßnahme hat also eine direkte Auswirkung auf den Bereich, der am meisten Impakt auf die Umwelt hat. Genau aus diesem Grund kann man unser Vorgehen nicht kleinreden. Es handelte sich zudem um einen mutigen Schritt, denn beim kleinen Verbraucher stößt man mit solchen Erhöhungen nicht unbedingt auf Begeisterung. Wollen wir unsere Klimaziele erreichen, müssen wir in genau diesen Bereichen handeln.
Diese Botschaft müssen wir auch den Bürgern vermitteln.

Luxemburger Wort: Sie können sich also auch eine CO2-Steuer vorstellen?

Pierre Gramegna: Zuerst einmal muss man sich mit dem Begriff CO2-Steuer auseinandersetzen. Es handelt sich um einen Sammelbegriff, der zahlreiche Facetten beinhaltet.
Die Akzisen auf Diesel oder Benzin, die es hierzulande schon seit langem gibt, kann man zum Beispiel als eine solche Steuer sehen.
Jetzt muss man sich fragen, ob man diese Steuer noch auf andere Produkte ausweitet. Die Erhöhung der Akzisen ist also schon ein erster Schritt zur Reduzierung der CO2-Emissionen. Ich wünsche mir dabei von der neuen EU-Kommission, dass sie die Frage der CO2-Steuer auf europäischer Ebene löst. Derzeit steht ja schon eine Plastiksteuer zur Diskussion. Die luxemburgische Regierung unterstützt solche Vorschläge, da es uns lieber ist, die EU regelt diese Probleme zusammen anstatt dass jeder seinen eigenen Weg geht.

Eine europäische CO2-Steuer wird also nicht an Luxemburg scheitern, denn es ist besser, solche globalen Phänomene werden auf internationaler Ebene angegangen. Das Prinzip des Level Field Playing, also dass jeder sich auf der gleichen Spielwiese mit den gleichen Spielregeln wiederfindet, ist mir also wichtig.

Luxemburger Wort: Auch der Finanzplatz soll begrünt werden. In welche Richtung müssen sich die Banken- und Dienstanbieter bewegen?

Pierre Gramegna: Bis vor ein paar Jahren war das Hauptanliegen aller Investoren und Konsumenten das, was für sie herausspringt, also wie viel Geld sie verdienen. Diese Betrachtungsweise hat sich angesichts der globalen Klimakrise jedoch stark verändert. So fragen sich viele Menschen immer stärker, welche Konsequenzen ihr Handeln auf die Umwelt und somit auf ihr eigenes Leben hat. Der Profit wird also nicht mehr nur noch am reinen finanziellen Gewinn gerechnet, sondern auch an den Schäden, welche man der Umwelt zugefügt hat. Angesichts dieser Erkenntnis kann die Politik die Banken und Finanzdienstleister dazu bringen, Produkte zu entwickeln, die den Klimazielen gerecht werden. Im Bereich der nachhaltigen Mikrofinanzen und Investitionsfonds (ESG Funds) gehört das Großherzogtum schon zu den weltweiten Führungskräften. Im Vergleich zum globalen: Umsatz der Investmentfonds-Industrie steckt dieser Zweig jedoch noch in den Kinderschuhen. Wir sehen hier ein großes Potenzial, welches wir konsequent fördern müssen.

Aus diesem Grund habe ich in den vergangenen Jahren eine Reihe von Initiativen für diesen Bereich getätigt, dies in enger Zusammenarbeit mit Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi - Gréng). Zudem werde ich auch am Weltklimagipfel im kommenden Dezember im Chile teilnehmen. Zum einen will ich dort zeigen, was Luxemburg im Bereich der grünen Finanzen macht. Zum anderen will ich mich auch darüber informieren, was andere Länder machen, und dieses Wissen dann zurück nach Hause bringen.

Luxemburger Wort: Haben Kryptowährungen eine Zukunft in Luxemburg?

Pierre Gramegna: Bei den Kryptowährungen handelt es sich ein relativ neues Thema. In Luxemburg sind wir der Meinung, dass der der Umgang mit Kryptowährung geregelt werden muss, deshalb wurden hier die bestehenden europäischen Zahlungsrichtlinien angewendet. Man muss beim Thema Kryptowährungen unterstreichen, dass Innovationen und Fortschritt wie Kryptowährungen nicht aufgehalten werden können. Es wäre also falsch, oder sogar unmöglich, sich Kryptowährungen zu verschließen. Man kann keine Mauer um neue innovative Produkte die auf den Markt kommen bauen.

Deshalb versuchen wir, unseren gesetzlichen Rahmen an diese Neuerungen anzupassen. Zudem müssen wir die Stabilität aller Währungen, und auch Kryptowährungen garantieren. Darum kümmern sich vor allem die Zentralbanken.

Luxemburger Wort: Eine andere Spielwiese ist das Brexit-Spektakel, das immer bunter wird. Ist Luxemburg auf alle Szenarien vorbereitet?

Pierre Gramegna: Die Brexit-Situation ist an Tragik kaum zu überbieten. Es liegt dabei im Interesse beider Parteien, eine gut organisierte Trennung vorzubereiten. Neben dem ausgehandelten Deal zwischen den 27 Mitgliedern der Union und Großbritannien hat die Kommission jedes Land dazu angehalten, nationale Maßnahmen zu treffen, die sie auf einen No-Deal-Brexit vorbereiten. Das haben wir getan.
Wir sind also, soweit man es überhaupt voraussehen kann, auf den Brexit vorbereitet.

Luxemburger Wort: Zurück auf die nationale Spielwiese. Nach dem Budget ist vor dem Budget. Vor einigen Monaten haben sie den diesjährigen Haushalt vorgestellt, gleich kommt der nächste dran. Können sie schon einige Details verraten?

Pierre Gramegna: Zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch zu früh, um genaue Zahlen vorzustellen. Die Richtung, in welche der Haushalt steuert, ist jedoch schon zu erkennen, und sie stimmt uns positiv. Da die Ausgaben für 2019 mit den Voraussagen übereinstimmen und die Einnahmen wahrscheinlich sogar etwas höher ausfallen werden, können wir den Haushalt für das kommende Jahr sehr optimistisch angehen.

Luxemburger Wort: Müsste die Regierung auch nicht mehr in den Zukunftsfonds investieren? 50 Millionen Euro scheinen eher bescheiden.

Pierre Gramegna: Tatsächlich haben wir uns auch schon mit dieser Frage auseinandergesetzt, zuletzt während der Budgetdebatte 2019. Alle Parteien waren sich darüber einig, dass in wirtschaftlich guten Zeit mehr Geld in den Zukunftsfonds fließen müsste. Der Fonds souverän könnte zum Beispiel mit unerwarteten Überschüssen des Haushaltes gespeist werden.

Luxemburger Wort: Die Krise ist längst überwunden, was noch immer steht ist die Solidaritätssteuer. Zeit für ein Umdenken?

Pierre Gramegna: Natürlich kann man die Solidaritätssteuer angesichts der verbesserten Budgetlage in Frage stellen, man darf jedoch die Gesamtlage nicht aus dem Blickfeld verlieren. Schließlich fließen die Einnahmen der Solidaritätssteuer in den Beschäftigungsfonds. Und in Anbetracht der Herausforderungen, die wegen der Digitalisierung in diesem Bereich auf uns zukommen, ist es mehr als wichtig, genug Geld auf der Seite zu haben, das man zum Beispiel in die Aus- und Fortbildung von Arbeitnehmern investieren kann.

Luxemburger Wort: Ganz akut hingegen ist die Krise auf dem Wohnungsmarkt. Was kann der Finanzminister hier bewirken?

Pierre Gramegna: Wie schon erwähnt ist das Wohnungswesen einer der Hauptpunkte der anstehenden Steuerreform. Unser Ziel ist es, Maßnahmen zu nehmen, die das Angebot auf dem Markt steigern.
Viele der in der Vergangenheit getroffenen Maßnahmen sind zwar dem Käufer entgegengekommen, gleichzeitig haben sie aber auch die Preise steigen lassen. Das muss sich ändern. Die hohen Preise auf dem Wohnungsmarkt sind jedoch nicht nur ein spezifisch luxemburgisches Problem. Grund hierfür sind die niedrigen Zinsen, denn sie machen aus Wohnungen das ideale Investitionsobjekt, was die Preise in Höhe schießen lassen.

Luxemburger Wort: Nicht die Steuern selbst, sondern auch die Steuerklärung hat in den vergangenen Tagen wieder für Schlagzeilen gesorgt. Wie sieht es hier mit der Digitalisierung aus?

Pierre Gramegna: In den vergangenen Jahren hat sich die Anzahl an Unternehmen und Einwohnern in Luxemburg enorm gesteigert. Die Anzahl an Steuerbeamten konnte diesem Wachstum, trotz vieler Einstellungen, nicht standhalten. Wir arbeiten deshalb mit Hochdruck daran, das Steuersystem zu digitalisieren, somit auch zu vereinfachen.

Zum letzten Mal aktualisiert am