Interview von Claude Meisch im Forum

"Wir müssen jungen Menschen heute vor allem die Kompetenz vermitteln, sich immer wieder neu zu erfinden"

Interview: forum (Sandra Cindrak)

Forum: Herr Meisch, in der öffentlichen Wahrnehmung treten Sie als Hochschulminister kaum in Erscheinung, man kennt Sie hauptsächlich in Ihrer Funktion als Bildungsminister.

Claude Meisch: Ich bin zwei Mal wöchentlich im Hochschulministerium, davon gelegentlich auch halbtags, wenn ich repräsentative Verpflichtungen wahrnehmen muss. Ich bin in der vergangenen Legislaturperiode in der Außenwahrnehmung kaum als Hochschulminister in Erscheinung getreten, da ich durch den delegierten Hochschulminister Marc Hansen vertreten wurde, der sämtliche Aufgaben in aller Autonomie übernommen und ausgeführt hat. Das ist in dieser Legislaturperiode anders. Ein weiterer Grund ist sicherlich, dass das Hochschulwesen weniger mediatisiert ist. Als Bildungsminister bin ich der größte Arbeitgeber des Landes, der Hochschulbereich hingegen unterliegt der Selbstverwaltung. Wenn in irgendeiner Schule des Landes ein Mitarbeiter ein Problem hat, kann das ganz schnell schon mal auf meinem Schreibtisch landen. An der Uni sind Rektor und Aufsichtsrat die Arbeitgeber. Wenn dort Kollektivvertragsverhandlungen zu führen sind, wie ich sie mit Lehrergewerkschaften zu führen habe, werden die vom Rektorat übernommen, dort bin ich nicht anwesend. Wenn Sie sich anschauen, worüber berichtet wird, sind das ganz oft solche Auseinandersetzungen, wenn es sich allerdings um Dossiers handelt, die extrem wichtig sind, aber weniger Streitpotenzial bergen, wird auch kaum berichtet.

Forum: Woran arbeiten Sie gerade im Hochschulbereich?

Claude Meisch: Bis Ende letzten Jahres war die nationale Forschungs- und Innovationsstrategie eine der Prioritäten des Hochschulministeriums, die eine nicht unwesentliche Koordinationsarbeit mit anderen Ministerien verlangt hat. Wir sehen uns als Sprachrohr der gesamten Regierung und nehmen Forschungsbedürfnisse anderer Ministerien in einer Gesamtstrategie auf und sorgen in Zusammenarbeit mit der Universität und den anderen Forschungsinstitutionen dafür, dass diese auch umgesetzt werden. Das war eine Fleißarbeit, die uns viel Koordination und Struktur abverlangte, da wir nicht alles umsetzen können, sondern Schwerpunkte definieren müssen, die für die Entwicklung des Landes sinnvoll sind. Ein wichtiger Moment ist auch die Mid-Term Review der Vierjahresverträge, den wir mit der Universität und den Forschungszentren abschließen, weil die Welt so schnelllebig ist, dass wir nicht alles vorhersehen können, was in vier Jahren passieren soll. Alle zwei Jahre wird also eine Zwischenbilanz gezogen und ggf. nachverhandelt. Diese Arbeit haben wir vor kurzem abgeschlossen. Der nächste Schwerpunkt wird die Frage sein, wie wir das University of Luxembourg Competence Centre, das in der letzten Legislaturperiode auf Initiative des Hochschulministeriums geschaffen wurde, als eigenständiges Zentrum neben der Uni breiter aufstellen können, um über diese Struktur im Bereich des Lifelong Learning zusätzliche universitäre Weiterbildungsmaßnahmen, also nicht nur vollwertige Bachelor-, sondern auch Masterabschlüsse, anbieten zu können. Das sieht das Gesetz bisher nicht vor. Aber auch im Bereich der Kurzzeitausbildungen wollen wir zusätzliche Angebote schaffen, die die Möglichkeit bieten, ECTS-Punkte zu akkumulieren und diese ggf. später in einen akademischen Grad zu überführen. Mein Wunsch ist, das in enger Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftlichen Akteuren, die im Bereich der Weiterbildung aktiv sind, umzusetzen. Ich denke da etwa an die Berufskammern.

Forum: Das Uni-Gesetz (loi du 27 juin 2018) garantiert die "liberté académique" sowie die "autonomie pédagogique" der Universität Luxemburg, gleichzeitig steht die Universität unter der Aufsicht des Ministers. Welche konkreten Verpflichtungen und Aufgaben hat der Hochschulminister gegenüber der Universität Luxemburg?

Claude Meisch: Ich darf gelegentlich am Anfang des neuen akademischen Jahres eine Rede halten oder bei der feierlichen Abschlussfeier Diplome überreichen. Zuweilen werde ich von einzelnen Fakultäten oder Studiengängen zu bestimmten Anlässen eingeladen. Der Hochschulminister wird überwiegend zu feierlichen Anlässen an die Universität geladen — Einladungen, denen ich gerne nachkomme.

Forum: Sie werden wohl kaum nur eine repräsentative Rolle ausüben?

Claude Meisch: Eigentlich schon, zumindest was meine Funktion an der Universität selbst anbelangt. Aus der Verwaltung der Universität hält sich das Hochschulministerium heraus, dort waltet die Autonomie der Universität, die sie laut Gesetz hat und die sie haben muss, um ihre akademischen und wissenschaftlichen Aktivitäten auf möglichst hohem Niveau ausüben und weiterentwickeln zu können, um gegenüber anderen Universitäten und Forschungszentren international kompetitiv zu bleiben. Die Kompetenz des Hochschulministeriums besteht eher in der Koordination der gesamten Hochschullandschaft. Wir arbeiten das Uni-Gesetz aus und können darüber z.T: bestimmte Abläufe an der Universität sowie ihre Ausrichtung mitbestimmen. Die Universität Luxemburg sowie andere öffentliche Forschungszentren werden zum größten Teil vom Hochschulministerium finanziert, viel mehr noch als das in anderen Ländern der Fall ist. Das veranlasst uns dazu, die Universität sowie die Forschungszentren dazu aufzufordern, sich stärker um Drittgelder zu bemühen. Dies können europäische Forschungsgelder sein, die sie kompetitiv akquirieren können und müssen, das können aber auch private Gelder sein. Insofern kann es Aufgabe des Ministeriums sein, Anreize zu geben, damit sich die anderen Akteure in bestimmte Richtungen entwickeln. Dies wiederum kann dadurch geschehen, dass das Ministerium beispielsweise für die erfolgreiche Akquise einer privaten Finanzierung eine zusätzliche öffentliche Finanzierung in Aussicht stellt — um nur ein mögliches Beispiel zu nennen, wie wir uns als Hochschulministerium verstehen. Für mich ist einerseits die Autonomie der Universität wichtig, um Qualität und Exzellenz erreichen zu können, andererseits haben wir in Luxemburg eine spezifische Situation, weil wir nur eine Universität haben, sodass ich nicht in der gleichen Situation wie Kollegen aus anderen Ländern bin. Wenn beispielsweise der Bildungsminister eines deutschen Bundeslandes Forschung in einem bestimmten Bereich braucht, schreibt er ein Forschungsprojekt aus, woraufhin Universitäten eigene Programme entwickeln, mit denen sie sich auf die Ausschreibung bewerben, um letztlich gegeneinander um die Forschungsgelder zu konkurrieren. Diesen Weg können wir in Luxemburg mit nur einer Universität nicht gehen. Dennoch können wir als kleines Land, gerade weil wir so viel öffentliche Gelder in Universität und Forschung investieren, nicht alles über die Autonomie der Universität laufen lassen und behaupten, das Land habe keine eigenen Interessen an der Forschung — doch, die haben wir.

Forum: Können Sie als Minister einen solchen Forschungsschwerpunkt bestimmen, ohne die Autonomie der Universität einzuschränken?

Claude Meisch: Ich stehe im Austausch mit der Universität, es finden sowohl bei offiziellen Treffen mit dem Präsidenten des Verwaltungsrates der Universität als auch bei informellen Treffen mit dem Rektorat Gespräche statt. Dies kann aber auch im Rahmen der Mehrjahresvereinbarungen, die wir alle vier Jahre mit der Universität Luxemburg abschließen, festgeschrieben werden. Darin ist auch ein finanzielles Budget festgelegt, das wir der Uni über vier Jahre zur Verfügung stellen, sodass eine gewisse Planungssicherheit, insbesondere für neue Programme, gewährleistet werden kann. In diesem Vertrag sind allerdings auch enorme Entwicklungen vorgesehen. Die Uni Luxemburg ist eine junge Universität, die sich noch immer im Aufbau befindet, sodass wir das Budget nahezu jedes Jahr um etwa zehn Prozent erhöhen müssen. Allerdings hat die Situation 2016/17 auch dazu geführt, dass die finanzielle Entwicklung eine uniinterne Konsolidierung erforderte. Wenn das Budget jedes Jahr um zehn Prozent erhöht wird, passt man möglicherweise weniger auf das Budget auf als wenn eine Null aufgerundet werden muss. Nichtsdestotrotz kann es nur im Sinne der gesamten Regierung sein, dass die Uni Luxemburg sich entwickeln kann, weshalb entsprechende Gelder zur Verfügung gestellt werden. Der Vierjahresvertrag mit der Universität Luxemburg bietet die Gelegenheit, in Verhandlung zu treten, um bestimmte Anliegen der Regierung anzustoßen. So ist etwa aus den Gesprächen zwischen der Regierung und der Uni Luxemburg die gemeinsame Entscheidung gereift, ab dem kommenden Studienjahr ein Bachelorstudium in Medizin sowie drei Spezialisierungen anzubieten. Dabei handelt es sich beispielsweise um eine größere strategische Entscheidung, mit der auf ein ganz konkretes Bedürfnis des Landes reagiert wurde und die einen entsprechend großen finanziellen Impakt haben wird.

Forum: Wie definieren Sie die Bedürfnisse des Landes, und welche Prioritäten setzen Sie dabei?

Claude Meisch: Wir sind gerade dabei, die Bedürfnisse systematischer zu erfassen. Dabei können wir uns nicht nur auf die Informationen der Adern beziehen, weil deren Zahlen sich überwiegend aus aktuellen Engpässen bei Stellenbesetzungen bzw. unbesetzten Stellen zusammensetzen, die von Unternehmen oder Verwaltungen gemeldet werden. Wenn wir an der Universität aber einen neuen Studiengang einführen wollen, müssen wir uns an möglichen Bedürfnissen kommender Jahrzehnte orientieren. Um diese Voraussicht gewährleisten zu können, wollen wir ein Observatoire des compétences schaffen, das sicherlich den aktuellen Bedürfnissen des Arbeitsmarktes Rechnung tragen wird, andererseits aber auch aufspüren muss, in welche Richtung sich Wirtschaft, Gesellschaft und Technologie entwickeln und welche neuen Profile entstehen werden. Was immer wie eine nette Floskel klingt, birgt einen Kern Wahrheit: Wir müssen junge Menschen heute schon auf Berufe vorbereiten, die es noch nicht gibt. Gleichzeitig laufen durch den technologischen Fortschritt 75% aller Berufe, die es heute gibt, Gefahr, in rund zehn Jahren obsolet zu werden. Es geht also darum, ein prospektives Element in diese Analyse einzuführen, so dass sich der gesamte Hochschulbereich an den Prognosen dieses Observatoriums orientieren und seine Entscheidungen daran ausrichten kann. In der letzten Sitzung des Regierungsrates vor den Feiertagen wurde eine nationale Strategie für Forschung und Innovation verabschiedet, in der wir mit dem technologischen Wandel sowie den Herausforderungen in den Bereichen Gesundheit, Nachhaltigkeit und Bildung nicht nur vier große Schwerpunkte definiert haben, in denen Forschungsbedarf besteht, sondern auch festgehalten haben, wie diese sich konkret in den unterschiedlichen Sektoren und Forschungsprojekten niederschlagen sollen. Als Sprachrohr der Luxemburger Gesellschaft arbeitet die Regierung ein solches Dokument aus, das sowohl der Uni, den unterschiedlichen Forschungszentren als auch dem Fonds National de la Recherche (FNR) zugänglich ist. Als Hauptgeldgeber für Forschung in Luxemburg besteht mit letzterem eine entsprechende Vereinbarung, die die Vergabe von Forschungsprojekten an diese Prioritätenliste koppelt. Ich will der Universität Luxemburg nicht vorschreiben, wen sie als Forscher oder Professor berufen, wie sie sich intern strukturieren oder das Budget verwalten soll, dennoch muss das Hochschulministerium ein Mitspracherecht in Sachen Forschungsrichtung haben. Wenn die Universität aus öffentlicher Hand finanziert wird, muss sie dem Land eine Gegenleistung erweisen. Insofern empfinde ich es als absolut legitim, dass wir diese Bedürfnisse nicht nur artikulieren, sondern in dem Vertrag festschreiben.

Forum: Gehören Kooperationen mit dem Finanzdienstleistungsunternehmen PayPal oder dem internationalen Stahlkonzern ArcelorMittal zu einem solchen "Nutzen" für das Land? Sehen Sie die Autonomie der Forschung nicht gefährdet, wenn die Geldgeber dieser Forschung aus der Privatwirtschaft stammen?

Claude Meisch: Die Akquise von Drittgeldern geschieht im Rahmen der Autonomie der Uni, rein theoretisch wäre sie dementsprechend auch frei, eine solche Kooperation abzulehnen, sofern deontologische Widersprüche vorliegen sollten. Das Hochschulministerium verpflichtet die Universität nicht dazu, solche Gelder anzunehmen, dennoch wäre es nicht wünschenswert, wenn der Staat der einzige Geldgeber der Uni bliebe. Die Universität Luxemburg hat einen gesellschaftlichen Auftrag, sie muss sich vernetzen und kann dementsprechend auch gesellschaftliche Aufträge annehmen. Dies kann in meinen Augen Forschungsaktivitäten umfassen, die sowohl von privaten als auch von sozialen oder anderen öffentlichen Akteuren finanziert werden, die als Geldgeber sicherlich Eigeninteressen verfolgen werden, über diesen Weg aber eben auch in die Entwicklung eines Landes oder einer Gesellschaft investieren. Ich habe mir die Zusammenarbeit mit PayPal angeschaut und glaube nicht, dass sie dem Finanzsektor einen Eins-zu-eins-Nutzen bringen wird, dennoch geht es dabei um die Frage, wie die Digitalisierung es möglich machen kann, dass Geldströme in Zukunft anders fließen. Selbstverständlich gehört diese Frage zum Kerngeschäft von PayPal, das Unternehmen finanziert über seine Forschung aber auch etwas, was anderen Akteuren zugutekommen wird. Insofern stehe ich dieser Sache eher unaufgeregt gegenüber. Nichtsdestotrotz dürfen wir nicht nur utilitaristisch denken. Es liegt in der Autonomie der Universität, auch solche Forschung zu betreiben, die weder in konkreten Kategorien messbar ist noch einen direkten ökonomischen Nutzen bringt.

Forum: Auch Luxemburg muss immer häufiger auf Arbeitskräfte fernab der Grenzregionen zurückgreifen. Wieso schafft es das hiesige Bildungswesen nicht, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?

Claude Meisch: Unser Arbeitsmarkt ist kein nationaler Arbeitsmarkt. Jedes Unternehmen in Luxemburg geht in seiner Anwerbung von Arbeitskräften über die Landesgrenzen hinaus. Als kleines Land erfahren wir im extremen Maße, dass wir in Sachen Personalbeschaffung nicht autark sind, was einige Sektoren dazu zwingt, ihre Fühler EU-weit auszustrecken, weil es nun mal nicht genug Fachkräfte gibt. Die Inadäquatheit zwischen den Kompetenzen vieler junger Menschen heutzutage und dem, was die Wirtschaft braucht, ist allerdings nicht nur hierzulande feststellbar. Die gesamte westliche Welt muss sich inzwischen der Herausforderung stellen, für Nachwuchs in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) zu sorgen. Ich will die Bedeutung der Geisteswissenschaften an dieser Stelle keinesfalls unterbewerten, weil ich mir ihres Beitrags gerade für eine komplexe Gesellschaft wie die unsere durchaus bewusst bin, befürchte aber, wenn wir es nicht schaffen, auch genügend junge Menschen für besagte MINT-Fächer zu begeistern, wir Gefahr laufen, im internationalen Vergleich zurückzubleiben. Deshalb sehe ich in meiner anderen Funktion als Bildungsminister die Verantwortung darin, wissenschaftliche Fächer anders zu unterrichten, sie spannender und konkreter zu gestalten. Wir mussten feststellen, dass Problemlösungskompetenzen und algorithmisches Denken nicht ausreichend gefördert werden. Aus diesen Überlegungen heraus ist beispielsweise das Luxembourg Science Center gegründet oder Codieren als Schulfach eingeführt worden. Auch die Einrichtung von "Maker-spaces", in dem Schülerinnen und Schülern technisches Material zur Umsetzung eigener Projekte zur Verfügung steht, reiht sich in die Bemühungen ein, junge Menschen verstärkt an MINT-Fächer heranzuführen, weil die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich für ein Studium in besagten Fächern entscheiden, sehr gering ist, wenn sie sie nicht kennenlernen. Ich hoffe, dass diese Maßnahmen Früchte tragen werden. Von der Uni Luxemburg habe ich zumindest die Rückmeldung erhalten, dass zum Wintersemester 2019/20 mehr Einschreibungen für naturwissenschaftliche und technische Fächer verzeichnet wurden. Trotzdem werden diese Bemühungen kurz- und mittelfristig noch nicht ausreichen, sodass wir auch in Zukunft auf die Unterstützung von außen angewiesen sein werden. In diesem Zusammenhang wird sich sicherlich auch die Frage stellen, ob wir nicht mehr Menschen von außerhalb der EU die Chance geben sollten, sich hierzulande eine Existenz aufzubauen und ihr Leben zu bestreiten.

Forum: Absolvent*innen der Universität Luxemburg müssen sich später auf dem hiesigen Arbeitsmarkt gegen international stark ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland durchsetzen. Kann die Universität Luxemburg die Kompetitivität ihrer Absolvent*innen auf dem luxemburgischen Arbeitsmarkt gewährleisten?

Claude Meisch: Wenn ich auf die Rankings schaue, bin ich zufrieden mit dem Renommee, das sich die Universität Luxemburg im Vergleich zu anderen jungen Universitäten aufbauen konnte. Diesen Erfolg hat sie sicherlich der Qualität ihrer Forschung zu verdanken, dennoch ist es ein ausdrücklicher Wunsch, dass auch die Lehre an der Universität Luxemburg diesem Niveau entspricht. Das geht jedoch oft Hand in Hand: Wenn eine Universität keine guten Wissenschaftler hat, leidet auch die Qualität der Lehre. Dies wiederum führt dazu, dass sie vielversprechende Studierende nicht halten kann, die späterhin in die Forschung gehen und durch weiterführende Studien und Qualifikationen wie einem PhD die Forschungsaktivität des Landes unterstützen könnten. Gerade im Kontext des sogenannten brain drain spricht es für die Universität Luxemburg, dass sie inzwischen drei Viertel der Studierenden aus dem Ausland anziehen konnte. Das Hochschulministerium selbst gibt in regelmäßigen Abständen eine externe Evaluierung in Auftrag. Die letzte hat die Leistungen der unterschiedlichen Forschungszentren untersucht, die kommende wird sich mit der Qualität der Lehre an der Uni Luxemburg beschäftigen. Wenn die Ergebnisse dieser Evaluierung vorliegen, gehen wir sie Punkt für Punkt mit der Uni durch. Die Institute sind sehr offen und dankbar für die externe Evaluierung, in die sie stark eingebunden sind. Sie nehmen ihre Empfehlungen ernst und erkennen an, wo Entwicklungspotenzial besteht.

Forum: Das Renommee innerhalb der Wissenschaft entspricht allerdings nicht immer der öffentlichen Wahrnehmung.

Claude Meisch: Die Rückmeldung, die ich regelmäßig von den unterschiedlichen Akteuren erhalte, ist nicht, dass wir qualitativ, sondern viel eher quantitativ unzureichend ausbilden. Eine universitär-akademische Ausbildung kann nicht auf einen spezifischen Job vorbereiten wie das eine Berufsausbildung tut. Studierende akquirieren in erster Linie Fachkompetenz in verschiedenen Bereichen. Ich selbst habe damals in Trier Mathematik und Wirtschaftswissenschaften studiert und wurde nach einem Praktikum in Luxemburg auch sofort eingestellt, allerdings hatte das, was ich letztlich beruflich machen sollte, kaum noch etwas mit dem zu tun, was ich an der Uni studiert hatte. Nicht weil es nicht ausreichend spezialisiert, sondern weil es weit von der Praxis entfernt war. Die Herausforderung von heute ist es, die Kompetenz zu besitzen, sich möglichst schnell in andere Bereiche einzuarbeiten, schließlich können die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes in fünf Jahren wiederum ganz andere sein. Aus diesem Grund dürfen wir junge Menschen heutzutage nicht auf eine spezifische Berufsaktivität vorbereiten, stattdessen müssen wir heute vor allem verstärkt die Kompetenz vermitteln, sich immer wieder neu zu erfinden und sich in einer schnell verändernden Welt zurecht zu finden.

Forum: Der allseits gelobte Sprachenvorteil luxemburgischer Absolvent*innen scheint sich auf dem luxemburgischen Arbeitsmarkt, der in bestimmten Bereichen inzwischen sehr gut nur mit Englisch auskommt, kaum mehr zu bewahrheiten.

Claude Meisch: Ich habe meinen Sekundarabschluss 1990 gemacht, 1992 kam es zur Öffnung des Europäischen Binnenmarktes. Damals hat man vor der großen Konkurrenzsituation gewarnt, die uns bevorstehen sollte. Heute ist die Situation um ein Vielfaches komplexer. Ich vermittle jungen Menschen nicht den Eindruck, dass sie einen sicheren Vorsprung gegenüber anderen haben, dadurch, dass sie das luxemburgische Schulsystem absolviert haben oder in Luxemburg aufgewachsen sind. Es ist sicherlich von Vorteil, allerdings sind wir dabei, die Schullaufbahnen über die üblichen Schulsprachen Deutsch, Französisch und Englisch hinaus zu diversifizieren. Wir können inzwischen davon ausgehen, dass die digitalen Hilfsmittel bald schon fehlerfreie, nahezu druckreife Simultanübersetzungen in allen Sprachen der Welt ermöglichen und diese vermutlich alle Übersetzungen übertreffen werden, die wir selbst je hätten leisten können. Das wiederum kann uns aber nicht davon abhalten, weiterhin Sprachen zu unterrichten und zu erlernen, genauso wenig wie uns digitale Taschenrechner davon abgehalten haben, Mathematik zu lernen. Es geht insofern weniger um den Erwerb von Sprachkenntnissen als um den Erwerb von Sprachenkompetenz und deren kultureller Dimension. Wenn Sie mehrere Sprachen beherrschen und Ihr Gegenüber verstehen, haben Sie eine höhere Sensibilität für andere Kulturkreise. Gerade in der heutigen globalisierten Arbeitswelt, in der Sie mit anderen Menschen aus dem EU-In- und Ausland zusammenarbeiten, ist dies ein enormer Vorteil. Ich glaube, dass genau diese Kulturkompetenz, die oft abwertend als Soft Skills bezeichnet wird, gerade im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung immer wichtiger werden wird. Wertvoll werden in erster Linie die Kompetenzen sein, die eine Maschine oder ein Roboter nicht besitzen.

Forum: Experten gehen davon aus, dass der Arbeitsmarkt der Zukunft auf lebenslange Weiterbildung wird setzen müssen, sodass sich die Erwerbstätigkeit eines Menschen durch immer häufigere Unterbrechungen zu Weiterbildungs- und Umqualifizierungszwecke kennzeichnen wird. Immer mehr Länder treffen bereits Vorkehrungen, um diese Unterbrechungsphasen sozial und finanziell aufzufangen. Gibt es in Luxemburg auch Überlegungen zu möglichen Finanzierungsmodellen von Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen?

Claude Meisch: Für diesen Bereich bin ich in der Regierung nicht direkt zuständig, es wird diesbezüglich in Zukunft vermutlich aber Diskussionsbedarf geben. Ich teile die Ansicht, dass wir im Laufe einer Berufslaufbahn immer wieder Zeit finden müssen, um uns fortzubilden oder umzuorientieren, um reskilling und upskilling zu erreichen. Dazu müssen wir vor allem aber auch qualitativ hochwertige Ausbildungen und Formeln anbieten können, die nicht nur mit dem Berufs- und Privatleben des einzelnen Menschen, sondern auch mit seinen finanziellen Verpflichtungen vereinbar sein müssen. Überlegungen, das Angebot breiter aufzustellen und anders auszurichten, finden derzeit am University of Luxembourg Competence Centre statt.

Forum: Angebote, vollwertige Masterabschlüsse berufsbegleitend nachzuholen, gibt es bereits, leider kosten flexible, berufsbegleitende Modelle zwischen 6000 und 30.000 Euro.

Claude Meisch: Im Regierungsprogramm wurde festgehalten, dass die finanzielle Unterstützung für Studierende überarbeitet werden soll. Der Bereich, den Sie gerade beschreiben, ist bisher tatsächlich noch sehr beschränkt. Der Staat bietet finanzielle Unterstützung für ein volles Bachelor- und Masterstudium, darüber hinaus ggf. noch für einen weiteren Abschluss an. Wer diese Angebote bereits ausgeschöpft hat, im Berufsleben steht und ein eigenes Einkommen bezieht, kommt im Prinzip für weitere anfallende Ausbildungskosten selbst auf. Die Überarbeitung des Stipendiengesetzes würde die Möglichkeit bieten zu überprüfen, ob und inwiefern man auch erwachsenen berufstätigen Studierenden ggf. noch weitere Hilfeleistungen bieten könnte. Trotzdem bewegt sich die Hauptherausforderung zunächst noch auf der Ebene des Angebots. Dort befinden wir uns in einem Entwicklungsprozess um adäquate Formeln und entsprechende Lernrhythmen. Die Aufgabe des Hochschulministeriums wird es in diesem Zusammenhang sicherlich auch sein, zu gewährleisten, dass jeder Bachelor- und Masterabschluss, unabhängig vom Anbieter des Studienprogramms, egal ob staatlich oder privatrechtlich, tatsächlich auch dem gleichen Leistungsaufwand entspricht. Die Schwierigkeit besteht darin, die Äquivalenz eines fünfjährigen Vollzeitstudiums zu einem entsprechenden berufsbegleitenden Studium sicherzustellen, da späterhin keinerlei Unterscheidung zwischen den Diplomen vorgenommen wird. In diesem Kontext wird es sicherlich auch darum gehen, neue Formen der Wissensvermittlung und des Lernens auszuloten. Wenn jemand den Lernstoff beispielsweise durch E-Learning autonom aufarbeitet und von einer Hochschule in einer anderen Art des Lernens begleitet wird, dann wird dafür auch ein anderer Zeitaufwand als bei einem klassischen Studium veranschlagt. Dieser ganze Bereich befindet sich derzeit sicherlich noch in der Transition und bedarf entsprechender Instrumente, Inhalte und Formeln, die noch ausgearbeitet werden müssen.

Forum: Die Universität Luxemburg ist eine junge Uni, die sich fortschrittlich und zukunftsweisend gibt. Ihr klassisch lineares Studiencurriculum spiegelt die Forderungen nach Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Wandelbarkeit allerdings kaum wider. Müsste die Universität nicht auch ihre strukturelle Ausrichtung überdenken und flexiblere Studienmodelle anbieten?

Claude Meisch: Ich bin sicherlich nicht der Sprecher der Universität Luxemburg, allerdings erlauben mir meine Erfahrungen als Bildungsminister — und zwar noch mehr als die, die ich als Hochschulminister gesammelt habe —, einen kritischen Blick auf die Dinge zu werfen. Wir hatten vor fünf Jahren zusammen mit der Universität Luxemburg eine berufsbegleitende Ausbildung für Lehrbeauftragte ohne Grundausbildung, dafür aber mit langjähriger Berufserfahrung im Grundschulwesen, entwickelt, damit diese den Bachelor in Erziehungswissenschaften nachholen können. Wenn Sie diese Menschen heute nach ihren Erfahrungen befragen würden, würde Ihnen wohl keiner zu dieser Maßnahme raten, weil die Entbehrungen und Einschränkungen, die Sie im Privatleben hinnehmen müssen — kein Urlaub, kaum Zeit für familiäre Verpflichtungen, geringer finanzieller Mehrwert — zu hoch sind. Selbst für Menschen, die sich aus Eigeninitiative und Eigeninteresse weiterentwickeln wollen, bergen diese Programme nach wie vor zu viel Abschreckungspotenzial, weil sie kaum an die Lebensrealität angepasst sind. In diesem Zusammenhang könnte eine weitere Option die Validierung von Berufserfahrung (validation des acquis d'expérience professionelle) sein, die ich sehr begrüße, da sie die Möglichkeit eröffnet, X Jahre Berufserfahrung in einem bestimmten Bereich als äquivalent zu X ECTS-Punkten anerkennen zu lassen. Auch diesen Bereich gilt es sicherlich weiterzuentwickeln.

Forum: Auch möglichst fließende Umqualifizierungsmöglichkeiten in fachfremde Bereiche gehören zu den unbedingten Anforderungen der Zukunft. Wie durchlässig ist das luxemburgische Hochschulsystem? Sind Konversions-Studiengänge nach dem englischen/amerikanischen Modell nicht auch in Luxemburg notwendig?

Claude Meisch: Ich weiß nicht, ob ein solches Modell mit unserer Kultur vereinbar wäre. In Europa haben sich im Zuge des Bologna-Prozesses neue Möglichkeiten ergeben, an ein spezifisches Bachelorstudium ein Masterstudium in einem anderen Fach anzuschließen. Das wiederum hängt maßgeblich von den Hochschulen ab, die eigenständig über ihre Zulassungsbedingungen entscheiden. Wir stellen auch die zunehmende Tendenz zu kombinierten Studiengängen fest. Gleichzeitig können wir uns inzwischen an den Entwicklungen in der Wissenschaft orientieren, die sich längst nicht mehr in Einzeldisziplinen aufteilt. Wenn ich mir z. B. das Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB) anschaue, sehe ich unterschiedlichste Profile von Forschern und Wissenschaftlern, die z.T. zwei unterschiedliche Studienfächer oder Kombinationsstudien absolviert haben.

Forum: Herr Meisch, was würden Sie heute studieren?

Claude Meisch: Ich würde sicherlich Bioinformatik studieren, einerseits, weil es meinen Interessen entspricht, andererseits aber auch, weil ich in diesem Bereich ein enormes Potenzial sehe. Ich habe seinerzeit schon ein Kombinationsstudium in Wirtschaftsmathematik abgeschlossen, das damals bereits praxisrelevanter ausgerichtet sein sollte. Ich bin immer schon ein Mensch gewesen, der sich für viele Dinge interessiert hat, vielleicht habe ich es deswegen auch nie lange in einem Job ausgehalten.

Forum: Der Ministerposten scheint Sie zumindest schon eine Weile halten zu können...

Claude Meisch: Das stimmt, allerdings habe ich da auch nur einen befristeten Arbeitsvertrag.

Forum: Dann werden Sie sicherlich Interesse daran haben, dass sich der Bereich der Weiterbildung und Umqualifizierung weiterentwickelt, falls Sie sich irgendwann beruflich selbst neu orientieren müssen. Vielen Dank für das Gespräch! • Wir müssen junge Menschen heute schon auf Berufe vorbereiten, die es noch nicht gibt.

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