Interview mit Claude Meisch im Tageblatt

"Normaler Schulanfang am 15. September"

Interview: Tageblatt (Marco Goetz)

Tageblatt: Claude Meisch, eire Fragen, drei kurze Antworten. Am 15. September läuft in den Schulen wieder alles normal?

Claude Meisch: Ja, wir setzen alles dran, dass das so sein wird.

Tageblatt: Es gibt bereits einen Exit-Plan, also einen Plan, der festlegt, wer zuerst zurück auf die Schulbank darf?

Claude Meisch: Pläne gibt es viele. Aber keinen konkreten Plan. Die Situation ist heute einfach noch nicht klar abzuschätzen. Es wäre müßig, heute zu sagen, was in drei Wochen sein wird, wenn wir es heute nicht voraussehen können. Wir bereiten uns aber auf alles vor und verfolgen viele Möglichkeiten. Es gibt viele Ideen, die alle aber auch in einem Gesamtkontext betrachtet und umgesetzt werden müssen. Wenn wir beispielsweise wieder mehr Geschäfte und Betriebe öffnen, müssen wir gleichzeitig die Kinderbetreuung garantieren.

Tageblatt: Ist es leiden auf hohem Niveau, wenn das Krisenmanagement der Schule heute übertrieben infrage gestellt wird?

Claude Meisch: Die gegenwärtige Situation ist neu, anders. Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es hierzulande nichts Vergleichbares. Vieles, was jetzt so ist, wie es ist, ist so, weil wir das nicht voraussehen und planen konnten und wir aber recht zeitnah, eben in einem Notfall, entscheiden mussten. Es dürfte also einleuchten, dass nicht alles perfekt ist. Aber auch da: Wir arbeiten dran.

Tageblatt: Nicht alle Schüler, Lehrkräfte und Eltern glauben daran, dass es am 4. Mai wieder losgeht?

Claude Meisch: Ich wäre froh, wenn ich sagen könnte, dass es am 4. Mai sicher so sein wird, dass alle Schüler zurückdürfen. Ich weiß das aber nicht. Das ist ja auch keine wissenschaftlich untermauerte Angabe. Wir wissen jetzt, und das haben wir als Ministerium mitteilen wollen, das bis zum 4. Mai keine Schule sein wird. Das wollten wir auch vor den Osterferien machen, um für eine gewisse Klarheit zu sorgen. Bis zum 4. Mai werden wir die Lage aber im Blick behalten, um einschätzen zu können, was je nach Entwicklung der Bedrohung durch das Virus möglich und zu verantworten ist.

Tageblatt: Es könnte also auch durchaus steter. werden?

Claude Meisch: Es könnte auch später werden, ja. Sagen wir auch, dass das aktuelle Modell der "Schoul doheem" recht gut sogar bis Pfingsten funktionieren kann. Ab dann wird es schwieriger, unserem Anspruch gerecht zu werden, dieses Schuljahr trotz Krise einigermaßen korrekt abzuschließen, um im September wieder normal zu starten.

Tageblatt: Stichwort. Planungssicherheit. Wissen, was ist, was kommt, wie man reagieren muss. Das kennen wir aus der Wirtschaft. Die Realität im Bildungswesen sieht zurzeit etwas anders aus, oder wie würden Sie die aktuelle Planungssicherheit heute beschreiben?

Claude Meisch: Es geht darum, dieses Schuljahr so abzuschließen, dass wir nicht auch nächstes Jahr noch Ungewissheit haben. Wir geben unser Bestes, um irgendwann einen Schlussstrich ziehen und normal weitermachen zu können. Aber es bleibt schwierig, Planungssicherheit festzulegen angesichts einer Situation, die wir nicht gänzlich ein- und abschätzen können. Heute mehr zu versprechen, als was wir sicher einhalten können, wäre nicht ehrlich. Wir setzen alles daran, dass es bestmöglich funktioniert. In allen Bereichen der Aus- und Weiterbildung. Pragmatisch. Deshalb eben auch das Datum vom 4. Mai.

Tageblatt: Lassen Sie uns versuchen, die Lage anders zu bewerten. Positiver. E-Learning funktioniert?

Claude Meisch: Ja, aber unterschiedlich. Es funktioniert gut, dort, wo Schüler und Lehrer bereits dran gewöhnt waren und wo alle Voraussetzungen gegeben sind, damit es klappt. Dort aber, wo Schüler nicht vernetzt sind und beispielsweise kein informatisches Material zu Hause haben, dort läuft es weniger gut. Trotzdem wird im Großen und Ganzen vom Lehrpersonal versucht, mit allen Unzulänglichkeiten klarzukommen und - wenn es sein muss - Briefumschläge mit Aufgaben bei den Schülern zu Hause in den Briefkasten zu werfen.

Tageblatt: Es ist also eigentlich ein guter Test, um zu sehen, was moderne Technologien leisten können und wo noch nachgebessert werden muss?

Claude Meisch: Die informatischen Mittel sind jetzt in der Krise in den Vordergrund gerückt worden. Es zeigt sich auch, dass wir recht gut aufgestellt sind. Die Hemmschwelle bei Lehrern und Schülern ist kleiner geworden. Was heute von der Mehrheit im Alltag be- und genutzt wird, war vor der Krise bei weitem nicht so verbreitet. Das gefällt mir. Ich sage aber auch, dass nichts die Schule in der Schule, also den physischen Kontakt zwischen Schüler und Lehrer oder zwischen Klassenkameraden, ersetzen kann. Wenn mehr Digitalisierung kommen wird, dann soll es eine menschliche Digitalisierung sein mit direkten Kontakten und mit Stimulierung aller Sinne.

Tageblatt: Selbstständigkeit bedeutet Denken, Nachdenken und kritisch sein. Geht das in der gegenwärtigen Situation nicht etwas verloren?

Claude Meisch: Ich wünsche mir wirklich, dass das Thema mit den Schülern altersgerecht thematisiert und diskutiert wird. Da bieten sich ja viele Fächer an. Zum Beispiel auch um die Frage zu stellen, wie zulässig diese ganzen Einschränkungen in einer demokratischen Gesellschaft sind. Wenn wir beispielsweise Schulen und andere Bereiche des öffentlichen Lebens schließen, um ältere und anfällige Personen besser schützen zu können. Diese und andere Fragen sind perfekt dazu geeignet, um Schüler zum Denken anzuregen, aber auch um ihnen gleichzeitig zu helfen, die Situation, von der sie selbst stark betroffen sind, unter der sie vielleicht leiden, besser zu verstehen.

Tageblatt: Einige Fragen bleiben offen. Zum Beispiel was den Übergang von der Grundschule in den Sekundarunterricht anbelangt?

Claude Meisch: Das ist eigentlich kein wirkliches Problem. Eltern dürften ihre Kinder und Lehrer ihre Schüler kennen, um zu wissen, was Sache ist. Bei Streitigkeiten kann auch in Krisenzeiten immer noch eine Spezialkommission angerufen werden. Eine saubere Orientierung ist also immer noch möglich.

Tageblatt: Dann die Abiturklassen. Es soll, Sie sagen und wiederholen es, beim 25. Mai als Start für die Abiturexamen bleiben. Das heißt aber dann, dass alle Schüler wie gehabt im großen Festsaal dicht an dicht gedrängt ihre Prüfungen schreiben?

Claude Meisch: Wir halten am Datum vom 25. Mai fest. Wenn die Einschränkungen aufgehoben sind, werden zu dem Moment alle Schüler normal zur Schule gehen können. Das Examen könnte also dann auch unter bislang gewöhnten Umständen stattfinden - außer natürlich, die Situation würde sich jetzt dramatisch verschlimmern.

Tageblatt: Eben. Und wenn es nicht so normal läuft, wenn nicht alle Schüler zurück auf die Schulbank dürfen, was dann?

Claude Meisch: Dann soll immer noch am Datum fürs Examen festgehalten werden, nur dass wir dann vielleicht den freien Raum in der Schule anders nutzen, um bei Wahrung aller Sicherheitsmaßnahmen ein reguläres Examen abhalten zu können. Zudem hätten wir ja dann auch ausreichend Lehrpersonal, um die Aufsicht sicherzustellen.

Tageblatt: Wäre es dann abwegig, jetzt bereits zu sagen, dass alle Schüler außer den Primanern erst nach den Abiturprüfungen zurück in die Schule sollen?

Claude Meisch: Ich will nicht spekulieren. Wir wägen Fakten ab und entscheiden über eine Strategie. Ziel des Bildungsministers ist es jedenfalls, alle Schüler schnellstmöglich und bei hundertprozentiger Gewährleistung ihrer Gesundheit zurück in die Schule zu bringen. Wie das zu gegebener Stunde geschehen wird, darüber denken wir nach. Bis zum 25. Mai ist es allerdings noch über einen Monat. Und vor Ablauf dieser Frist werden wir uns melden und kommunizieren. Es hat jetzt keinen Sinn, über mögliche und unmögliche Szenarien zu reden und zu spekulieren. Also abwarten. Den Abiturienten möchte ich aber nochmals sagen, dass ihr Examen stattfindet.

Tageblatt: Und es wird nur das geprüft, was bis zum 13. März im Unterricht durchgenommen wurde?

Claude Meisch: Genau. Die rund 1.000 Lehrkräfte, die eine Abiturklasse haben, arbeiten gemeinsam mit den Examenskommissionen am Fragebogen, der den Schülern vorgelegt wird und der ihrem jeweiligen Wissensstand vom 13. März Rechnung tragen wird.

Tageblatt: Es wird also ein ganz normales Abitur werden?

Claude Meisch: Ja. Jeder soll faire Chancen haben. Aber niemand bekommt sein Examen geschenkt. Der Wert dieses Examens soll durch die Krise nicht gemindert werden. Besonders nicht in Hinblick auf weiterführende Studien, für die vielleicht ein Numerus Clausus vorgesehen ist.

Tageblatt: Wird es im nächsten Schuljahr eine vorgeschriebene. Reihenfolge geben, wie Lehrer das Abiturprogramm abzuarbeiten haben?

Claude Meisch: Nein, wohl kaum. Ich denke, dass die Flexibilität der Lehrkräfte eine Stärke unseres Schulsystems ist. Die Fähigkeit, unterschiedlich auf verschiedene Schüler, ihr Wissen, ihre Talente, Stärken und Schwächen reagieren zu können, ist wichtig und das wollen wir auch beibehalten. Wir vertrauen dem Lehrpersonal und wollen nicht vorschreiben, wie das Programm abgearbeitet werden soll.

Tageblatt: Auch wenn es trotz reduzierten Programms ein normales Abiturexamen sein soll, wird es nicht trotzdem zu Schwierigkeiten kommen, bei Aufnahmeexamen an weiterführenden Schulen, im Ausland, aber auch hierzulande?

Claude Meisch: Zum einen bleiben wir in Luxemburg ja im vorgesehenen Zeitfenster. Das dürfte also kein Problem sein, wenn die Einschreibetermine bleiben, wie sie angekündigt wurden. Umso weniger, wenn sie verlängert werden. Thema bleibt aber in der Tat, dass unsere Abiturschüler dieses Jahr vielleicht nicht alles gesehen haben, was normalerweise auf ihrem Programm steht. Das könnte ein Problem werden. Deshalb werden wir nach dem Abitur fakultative Kurse anbieten, um das nachzuholen. Zurzeit laufen Gespräche mit Lehrern, wie das organisiert werden kann. Darüber werden wir nächstens kommunizieren.

Tageblatt: Zum Abschluss nochmals, auf einer Skala von 0 bis 10: Wird es im September normal Schule geben?

Claude Meisch: 10 dafür, dass es weitergeht. Jeder wird dann wieder zur Schule gehen. Was die Normalität anbelangt, würde ich mich unter einer 8 nicht zufriedengeben.

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