Interview mit Claude Meisch in der REVUE

"Kein Zwischenweg"

Interview: REVUE (Hubert Morang)

REVUE: Wie viele Stunden arbeiten Sie eigentlich aktuell pro Woche?

Claude Meisch: (lacht) Der Aufwand ist zwar eigentlich vergleichbar mit den Zeiten vor der Pandemie, aber aktuell ist das Thema zu hundert Prozent Corona-Krise. Vorher war es breiter gefächert, auch was die Aktivitäten angeht. Von Versammlungen über repräsentative Funktionen bis hin zum Regierungsrat. Wenn jetzt Regierungsrat ist, dreht sich auch dort alles um Corona.

REVUE: Wo lagen die organisatorischen Hauptschwierigkeiten, um die Schulen wieder öffnen zu können?

Claude Meisch: Es war natürlich eine Riesenherausforderung, denn auch wenn die Schulen jetzt wieder progressiv öffnen, kann man noch nicht von einem normalen Schulalltag sprechen. Es ist ein kleiner Schritt in diese Richtung, allerdings werden die Schulen völlig anders funktionieren, als noch vor der Schließung. Es wird nur halbe Klassen geben, Abstand muss eingehalten werden, Schüler sollen sich in den Fluren nicht kreuzen, Kantinen bleiben zu, der Schülertransport muss anders organisiert werden, Pausen werden nicht zeitgleich sein, es gibt bis in den Klassensaal hinein eine Maskenpflicht... Kurzum, es ist ein anderer Schulalltag, als den, den wir bisher kannten. Es ist nicht die Form von Schule, die wir uns wünschen. Es ist die Form von Schule, welche momentan möglich ist. Wir müssen die sanitären Vorgaben respektieren, parallel die Gesundheit von Schülern und Lehrern schützen und müssen, in diesem eng gesteckten Rahmen, versuchen, sinnvoll zu unterrichten. Es bleibt zu hoffen, dass am 15. September pünktlich zum nächsten Schulanfang sich die Lage normalisiert hat.

REVUE: Den Fall gesetzt, es kommt zu einer Neuinfektion in einer Schule, was passiert dann?

Claude Meisch: Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es natürlich, nie. Wenn man hunderttausend Schüler mobilisiert, selbst abwechselnd, wie es der Fall ist, muss man fast davon ausgehen, dass der eine oder andere infiziert ist. Wir haben auch deshalb, mit den freiwilligen Tests für Schüler und Lehrer der Abschlussklassen versucht, das Risiko weiter zu minimieren. Alle Maßnahmen wurden ergriffen, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Aber man kann in den Schulen, genauso wenig wie zu Hause, bei der Arbeit, im Supermarkt oder in den Geschäften, nicht garantieren, dass es zu keiner Ansteckung kommen kann. Die Maßnahmen, die wir treffen, sind nicht unbedingt, weil das Virus besonders gefährlich für die Schüler ist, sondern es geht nach wie vor darum, die verletzlichen Personen in einem gewissen Alter oder mit Vorerkrankungen, für die das Virus richtig gefährlich ist, zu schützen.

REVUE: Was passiert, wenn bei den aktuellen freiwilligen Tests ein Schüler einer Abschlussklasse positiv getestet wird, das Examen verpasst?

Claude Meisch: Wenn jemand aufgrund einer Covid-19-Erkrankung nicht an dem Examen teilnehmen kann, werden dieselben Regeln angewendet, wie bei allen anderen Krankheitsfällen auch. Allerdings will ich bemerken, dass, wenn man sich letzte Woche hat testen lassen und das Resultat positiv war, dann ist man in Normalfall für den Beginn des Examens schon wieder aus der Quarantäne raus.

REVUE: Sowohl Lehrer, als auch Schüler haben sich darüber beklagt, dass sie sich nicht ausreichend informiert fühlen. Wo liegen hier die Schwierigkeiten?

Claude Meisch: Es ist in meinen Augen nicht unbedingt eine Sache der Kommunikation. Ich kann aber nachvollziehen, dass viele Akteure aus dem Schulmilieu sich noch Fragen stellen. Das liegt ganz einfach daran, dass es immer noch Fragen gibt, auf die wir noch keine Antworten haben. Zum Beispiel laufen für die Grundschulen aktuell noch Diskussionen mit den einzelnen Gemeinden und jede davon hat ihre eigene Spezifität. Wir müssen die meisten Dinge momentan ganz schnell abarbeiten, aber wir müssen Entscheidungen erst treffen, bevor wir kommunizieren können. Wenn ich aber die internationalen Medien so verfolge, glaube ich, dass wir im Vergleich zum Ausland gar nicht so schlecht organisiert sind.

REVUE: Weshalb wurde auf eine "fakultative Rentrée", wie sie von vielen Akteuren gefordert wurde, verzichtet?

Claude Meisch: Schule ist definitionsgemäß hierzulande nicht etwas, was fakultativ ist. Sie ist obligatorisch. Es ist glasklar: Entweder haben wir die Bedingungen, dass jeder zur Schule gehen kann und damit muss, oder wir haben diese nicht, und dann geht eben keiner zur Schule. Einen Zwischenweg gibt es da nicht. Diese Entscheidung, ob es jetzt sicher ist, zur Schule zu gehen oder nicht, kann man in meinen Augen nicht den Eltern oder den Schülern überlassen.

REVUE: Dies erklärt also auch, wieso Schüler der Abschlussklassen auch noch Schulstunden in Fächern wahrnehmen müssen, die sie gar nicht im Examen belegen?

Claude Meisch: Uns war es wichtig, dass das Abitur in diesem Jahr seinen Wert behält und, dass nicht der Eindruck vermittelt wird, dass dieses Jahr weniger wert wäre. E geht vor allem darum, einen Abschluss zu mache] und dass sich die Diplomierten nicht sagen lasse] müssen, sie hätten weniger geleistet. Auf den anderen Klassen ist es wichtig, dass die Schule nochmal anfängt, vor allem und nicht das kommende Schuljahr von Anfang an zu "hypothekieren". Das war aber der Fall, wenn die Entscheidung ob jemand zur Schule geht oder nicht, bei den Eltern oder de] Schülern liegen würde.

REVUE: Die Programme auf den einzelnen Klassen müssen also nicht für den nächsten Schulanfang angepasst werden?

Claude Meisch: Wir müssen sicherlich schauen, wo es punktuell noch Nachholbedarf gibt. Deshalb wollen wir di, Nachhilfe, welche für Nachexamen angeboten wird breiter aufstellen. Grundsätzlich haben wir schon di, Ambition, dass das Wichtigste von den Programmen noch in diesem Jahr vermittelt wird, so dass das neu, Schuljahr auf einer neutralen Basis beginnen kann Es ist nämlich unmöglich in einem Schuljahr das Programm von anderthalb Schuljahren durchzunehmen

REVUE: Wie sieht es in eigentlich in den Kindertagesstätten und den unteren Schulzyklen in der Grundschule aus. Da dürfte ein Umsetzen der Sicherheitsmaßnahmen aufgrund des Alters der Kinder schwieriger sein, oder?

Claude Meisch: Wir müssen uns hier etwas andere Regeln geben. Wir werden sehr kleine Gruppen machen, die isoliert voneinander sind, sodass ein kindgerechter und familiärer Umgang innerhalb dieser Gruppen möglich ist. Wir warten allerdings noch auf einen Avis von den zuständigen Gesundheitsbehörden, vor allem weil das Verhalten des Virus bei Kindern scheinbar nochmal ein anderes ist. Unabhängig davon arbeiten wir an einer "bonne pratique", wie man in Kindertagesstätten oder in den unteren Schulzyklen mit den Kindern arbeiten kann. Eine Anweisung wird sicherlich die sein, dass möglichst viel im Freien passieren soll. Alles in allem, glaube ich, dass wir leider lernen müssen mit dem Virus zu leben, weil Impfstoffe oder Medikamente noch auf sich warten lassen. In den Schulen müssen wir uns deshalb Regeln geben, wie man trotz Präsenz des Virus Unterricht halten kann.

REVUE: Welche Bilanz ziehen sie vom "Home-Teaching"?

Claude Meisch: Ich glaube, alle Akteure haben sich ganz viel Mühe gegeben. Viel Engagement und Verantwortungsbewusstsein wurde, sowohl von den Lehrern wie auch den Eltern, an den Tag gelegt. Wir haben sicherlich in Sachen digitaler Wissensvermittlung viel in dieser Zeit dazu gelernt und die Hemmschwelle in Bezug auf das digitale Lernen ist sicherlich gesunken. Allerdings wissen wir auch, dass das digitale Lernen kein Wundermittel ist und es ist sicherlich nicht besser als das klassische "zur Schule gehen" ist. 

 

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