Interview von Carole Dieschbourg in der Revue

"Uns läuft die Zeit davon"

Interview: Revue (Stefan Kunzmann)

Revue: Im Dezember hat das Parlament das neue Klimaschutzgesetz verabschiedet. Klimaschutz sei Gesetz, heißt es jetzt. Es gab aber auch Kritik: Die Regierungskoalition würde den Klimaschutz mit den Füßen treten, behauptet der Mouvement écologique. Kränkt Sie das?

Carole Dieschbourg: Es ist klar, dass manche im Umweltschutz aktive Nichtregierungsorganisation enttäuscht sind, dass nicht noch mehr dabei herausgekommen ist. Als wir im Oktober 2019 den Gesetzentwurf in die Prozedur gaben, waren darin auch mehrere Prinzipien vorgesehen, um die Klimakrise als Krise anzuerkennen und dringlich zu behandeln. Im Laufe des politischen Prozesses sind diese Prinzipien aus dem Text gestrichen worden. Ein Gesetz ist immer ein Kompromiss. Dennoch ist das Resultat eine gute Ausgangsposition: nicht nur durch unsere Ambitionen vorn 2030 er Ziel, wo wir unseren Reduktionslevel für Treibhausgase von 40 auf 55 Prozent anheben, sondern auch mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050, für das wir uns mit dem Gesetz nun einen Rahmen schaffen, innerhalb dessen wir zusammen mit den Bürgern, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft Klimaschutz machen, uns dabei wissenschaftlich begleiten lassen und dies dann finanzieren wollen. Zudem ist es eine Umsetzung von europäischen Direktiven. Ich verstehe, dass die eine oder andere NGO mehr will, aber nur wenn wir das damit vergleichen, wo wir 2015 waren.

Revue: Bei dem Weltklimagipfel von Paris.

Carole Dieschbourg: Ja. Als Europa mit einem Reduktionsziel von 40 Prozent bis 2030 Vorreiter war. Nach fünf Jahres hieß es, wir müssten unsere Ambitionen hochschrauben. Das hat Luxemburg mit den 55 Prozent getan. Wir haben sektorielle Ziele. Diese Sektoren sind klar definiert.

Revue: Allerdings fehlen verbindliche Reduktionsziele für die einzelnen Sektoren.

Carole Dieschbourg: Dafür bedarf es eines großherzoglichen Reglements, das von einem interministeriellen Komitee erarbeitet wird. Es steht noch Arbeit aus.

Revue: Ist das Gesetz im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf nicht verwässert worden?

Carole Dieschbourg: Das sehe ich nicht so. Wie bereits erwähnt, hatten wir, angelehnt an internationale Abkommen, wie das Pariser Abkommen, einige Grundprinzipien im Gesetz, zum Beispiel die Gerechtigkeitsfrage, die integrierte CO2-Reduktion, die gewährleistet, dass wir andere Umweltziele nicht schädigen. Diese Prinzipien haben wir in unserem Gesetz nicht mehr, werden uns als Regierung aber weiterhin dazu verpflichten.

Revue: Im Entwurf standen sechs Prinzipien. Nur eines ist übrig geblieben, der Verzicht auf Atomenergie.

Carole Dieschbourg: Wo Luxemburg aber Vorreiter ist. Kein anderes Land, in Europa, mit Ausnahme von Österreich, hat sich so klar positioniert. In unserem Gesetz haben wir ganz klar zum Ausdruck gebracht, dass Luxemburg in Zukunft ohne Nuklearenergie sein wird. Diese ist ganz klar als Lösung für Klimaschutz ausgeschlossen worden. Das ist ein überparteilicher Konsens. Wir haben in diesem Gesetz eine klare Zielsetzung. Es sagt uns, wie viel an Treibhausgasen wir reduzieren wollen. Das haben wir auch permanent auf europäischer Ebene gesagt. Ich verrate Ihnen aber noch einen Vorteil: Indem wir ein großherzogliches Reglement für die sektoriellen Ziele festschreiben, haben wir mehr Flexibilität in der Ausgestaltung dieser Ziele. Die Landwirtschaft zum Beispiel hat ganz andere Voraussetzungen und Herausforderungen als die Industrie oder das Transportwesen. Wir müssen ja nach dem Potenzial differenzieren. Ja, wir haben etwas an Text verloren, aber das war nicht auf Wunsch der Regierung, sondern des Staatsrats. Dem haben wir. Rechnung getragen. Das Gesetz ist dennoch ein Meilenstein. Luxemburg ist in mancherlei Hinsicht sogar Spitzenreiter, nicht nur durch den Ausschluss von Atomenergie, sondern auch durch das Gesetz an sich.

Revue: In welcher Hinsicht?

Carole Dieschbourg: Zum Beispiel bei der internationalen Klimafinanzierung und nachhaltigen Finanzen. Wir gehen neue Wege, zum Beispiel im "De-Risking", der Risikominderung mit der EIB.

Revue: Wie ist der Stand der Dinge bei den sektoriellen Reduktionszielen?

Carole Dieschbourg: Neben dem Klimaschutzgesetz, das den Rahmen vorgibt, haben wir im "Nationalen Energie- und Klimaplan" (PNEC) bereits grob festgelegt, welcher Sektor wieviel reduzieren muss und wer wo daran arbeitet. Das interministerielle Komitee soll im Januar zusammenkommen. Dann soll auch das Reglement grand-ducal präsentiert werden, in dem die einzelnen Ziele pro Sektor Mobilität, Wohnen, Innovation und Forschung, Land- und Forstwirtschaft, etc. — festgelegt sind. Einige machen etwas mehr, andere etwas weniger. Das Reduktionspotenzial in der Landwirtschaft liegt etwa bei 20 Prozent, im Transport anders. Außerdem wird ein wissenschaftliches Gremium geschaffen sowie eine Plattform für das Klima mit Gewerkschaften, schaften, Wirtschaft, Gemeinden und Bürgern. Dritter großer Punkt ist die Frage, wie wir in Zukunft unsere nationalen Pläne machen und umsetzen. Einige Ziele des PNEC haben wir zeitgleich schon in die Realität umgesetzt — mit der grünen Komponente von "Neistart Letzebuerg", wie etwa bei der Erhöhung der Auto- und Fahrrad-Prämien, bei der wçitreichenden Unterstützung für Häusersanierungen und Heizungsaustausch, bei der Subvention für private Ladestationen, für Solarinstallationen, bei der Flächenprämie für Waldbesitzer etc. Wir haben also konsequent im letzten Jahr diese Dinge, die im PNEC für Privatleute und Gemeinden vorgesehen sind, umgesetzt, um Anreize zu schaffen und schneller voranzukommen.

Revue: Das eine sind Anreize, also das Geben, das andere wäre das Nehmen, zum Beispiel die CO2-Steuer. Sind die Klimaziele zu erreichen? Luxemburgs CO2-Emissionen sind aufgrund der Verbrennung fossiler Energieträger 2019 im Vergleich zum Vorjahr um 7,5 Prozent gestiegen.

Carole Dieschbourg: Zwischen 2013 und 2017 hatten wir aber eine klare Reduktion, wo wir sogar im Vergleich zu unseren Vorgaben "überperformed" haben. Wir schafften es, Wachstum von CO2-Emissionen zu entkoppeln, was an den Pro-Kopf-Zahlen zu sehen ist. Trotz mehr Einwohnern, großer Autos und vieler Bauaktivitäten. Im vergangenen Jahr hatten wir eine starke Reduktion, auch aufgrund von Corona, wobei ich sagen muss, dass 68 Prozent unserer Emissionen auf den Transportsektor zurückzuführen sind. In diesem Jahr 2020 werden wir eine Punktlandung machen, was die Klimazahlen angeht. Ich bin auch guter Dinge, was die Wirtschaft betrifft: Viele große Unternehmen haben sich den Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben. Auch im Handwerk. Die Zeichen der Zeit sind längst erkannt worden. Die Aufgaben des Klimaschutzes bleiben dennoch schwierig, weil wir uns in allen Bereichen, die uns als Gesellschaft betreffen, ob als Konsumenten, Produzenten oder andere Akteure, Fahrpläne erstellen und Ziele setzen müssen.

Revue: Wurde auf internationaler Ebene nicht viel Zeit verloren seit dem Pariser Abkommen 2015?

Carole Dieschbourg: Ganz sicher. Deshalb ist es so wichtig jetzt voranzukommen. Wir hatten in Paris 2015 eine Koalition der ambitionierten Staaten gegründet, die sich auch heute noch regelmäßig über Videokonferenzen trifft. Natürlich müssen wir schneller sein. Letztes Jahr war wieder eines der wärmsten. Uns läuft die Zeit davon. Wir spüren die Auswirkungen. Auf der anderen Seite habe ich international wieder Hoffnung, wenn die USA an den Verhandlungstisch zurückkehren. Auch China hat angekündigt, wieder einen Zahn zuzulegen. Einige Länder bremsen. Brasilien zum Beispiel ist ein Querschläger wegen der Abholzung. Von diesen Störfaktoren hatten wir in den letzten fünf Jahren so einige. Aber die Zeichen für die Zukunft sind wieder positiver. Die Pandemie hat uns einiges gelehrt, was wichtig ist. Wenn wir das klug nutzen und dies in Resilienz und Nachhaltigkeit verwandeln.

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