Interview mit Taina Bofferding im Tageblatt

"Neues Gemeindegesetz vor den Wahlen: Es könnte eng werden"

Interview: Tageblatt (Philip Michel)

Tageblatt: Ihr Ministerkollege François Bausch hat vom Stress gesprochen, dem die Regierungsmitglieder seitdem Ausbruch der Pandemieausgesetzt sind. Genervt sei auch er von Corona. Wie geht es Ihnen momentan?

Taina Bofferding: Es ist zurzeit ein stressiger Job und dazu kommen die Einschränkungen im Privatleben. Ich bin ein sozialer Mensch und das Gemeinschaftliche bleibt komplett auf der Strecke. Das ist belastend. Da muss man sich dann Auszeiten nehmen. Ich gehe momentan viel mitmeinem Mann im Wald wandern. Das hilft mir, abzuschalten, weil man ansonsten permanent mit der Pandemie konfrontiert ist, beruflich und privat. Davon braucht man Pausen.

Tageblatt: Sind Sie eigentlich geimpft?

Taina Bofferding: Noch nicht, aber ich stehe auf der AstraZeneca-Liste und habemeinen Termin (das Interview wurde vergangenen Freitag geführt, am Montag wurde Taina Bofferding ein erstes Mal geimpft; d. Red.).

Tageblatt: "Déi Lénk" aus der Stadt hat juristische Schritte gegen den Einsatz von privaten Sicherheitsleuten auf dem Gebiet der Hauptstadt angekündigt. Sie halten sich da raus?

Taina Bofferding: Nein, ich habe von Anfang angesagt, dass ich das nicht gutheißen kann. Die Überwachung vom öffentlichen Raum darf nichtausgelagert werden. Ich habe der Bürgermeisterin gesagt, dass das so nicht geht. Genau wie Polizeiminister Henri Kox ("déi gréng") und Justizministerin Sam Tanson ("déi gréng") auch. Wenn der Schöffenrat meint, er müsse den Vertrag mit der Sicherheitsfirma verlängern, dann muss er ihn ändern und die Aufgaben der Firma anders formulieren. Das ist geschehen. Wir geben den Gemeinden mit der Erweiterung der Kompetenzen der "agents municipaux" andere Möglichkeiten. Siemüssen nicht auf private Firmenzurückgreifen.

Tageblatt: Sie sind also klar der Meinung, dass die Sicherheit im öffentlichen Raum den Autoritäten vorbehalten sein soll?

Taina Bofferding: Ja, absolut. Die Wahrung von Sicherheit, Sauberkeit und Ruhe ist Aufgabe der Gemeinden. Das sind öffentliche Dienstleistungen, die kann man nicht an Dritte "outsourcen". Gemeinden können punktuell auf private Sicherheitsdienste zurückgreifen, z.B. bei einem größeren Event. Wir wollen keine zweite Polizei. Das ist übrigens auch nicht das Ziel bei der Kompetenzerweiterung der "Agents municipaux". Es geht nicht darum, lokale Sheriffs auszubilden, sondern komplementär zur Polizei zu agieren. Für mich ist das eine "Win-win"-Situation, weil Polizei und auch Justiz dadurch unterstützt und entlastet werden.

Tageblatt: Bei der Erweiterung der Kompetenzen geht es darum, den Gemeinden zu erlauben, besser gegen die sogenannten Inzivilitäten vorgehen zu können. Sie haben das Projekt vor rund einem Monat vorgestellt, wie waren die Reaktionen, auch und v.a. von den "Pecherten" selber?

Taina Bofferding: Gut, wir haben eng mit der Gewerkschaft zusammengearbeitet. Und das geht weiter, denn ein wichtiger Teil ist jetzt die Weiterbildung der Beamten.

Tageblatt: Viele "Pecherten" freuen sich, weil ihr Beruf aufgewertet wird. Andere haben aber auch Zweifel, weil es verstärkt zur direkten Konfrontation mit den Bürgern kommt. Und die reagieren mitunter ziemlich dünnhäutig. Wie treten Sie solchen Ängsten entgegen?

Taina Bofferding: Wie gesagt, durch die Weiterbildung der sozialen Kompetenzen. Natürlich sind da noch viele Fragen offen. Zuerst einmal muss das Gesetz durch das Parlament und dann schauen wir gemeinsam mit ihnen, wie diese Weiterbildung genau aussehen soll. Wo die Reaktionen ein wenig negativer waren, war in den sozialen Netzwerken. Weil die Menschengemeint haben, wir würden neue Sanktionen einführen. Das ist aber nicht der Fall. Wir wollen die Menschen weder stärker sanktionieren noch überwachen. Das ist wichtig zu betonen, denn momentan sind die Menschen in ihren Freiheiten so eingeschränkt, dass solche Ankündigungen weitere Ängste schüren können.

Tageblatt: Nehmen wir ein Beispiel aus Ihrer Heimatstadt Esch, das Radfahrern in der Alzette-Straße. Das Verbot konnte nie kontrolliert bzw. sanktioniert werden, weil das nur die Polizei durfte. Und die hat andere Dinge zu tun. Mit der Erweiterung der Kompetenzen der "Pecherten" soll es nun besser werden. Aber: Minderjährige sind von den administrativen Strafen durch die "Pecherten" ausgeschlossen. Sie sind es jedoch hauptsächlich, die mit den Rädern dort unterwegs sind. Warum wurden Minderjährige ausgenommen?

Taina Bofferding: Juristisch war es nicht möglich, Jugendliche einzubinden. Der Staatsrat hatte formellen Einspruch eingelegt.

Tageblatt: Also hat ein "Pechert" keine Handhabe, wenn er Jugendliche bei etwas erwischt?

Taina Bofferding: Nein, hat er nicht, er kann nurauf die Regeln aufmerksam machen. Der "Pechert" hat auch nicht das Recht, z.B. den Personalausweis zu verlangen. Das darf nur ein Polizist.

Tageblatt: D.h. er kann nur die Polizei rufen. Bekommt er denn vielleicht andere Möglichkeiten, jemanden festzuhalten? Handschellen z.B.?

Taina Bofferding: Nein, da sind wir direkt bei den Aufgaben der Polizei. Es ergibt keinen Sinn, eine Kompetenzerweiterung zu beschließen, die auf dem Papier gut aussieht, aber in der Praxis nicht umsetzbar ist. Wir haben uns an Belgien orientiert. Dort legt man sehr viel Wert auf die Weiterbildung der Beamten. Und auf die Prävention, also den nicht-repressiven Bereich. Sie haben kaum Erfahrungen mit nicht-kooperativen Menschen gemacht.

Tageblatt: Da wir gerade bei Esch waren, der Streit um die Wohngemeinschaften hat landesweit für Schlagzeilen gesorgt. Wie sieht es mit dem PAG aus?

Taina Bofferding: Der ist bei uns in der Prozedur. Wir haben bei der Gemeindeeine Stellungnahme zu den Reklamationen angefragt. Das ist der normale Weg. Danach wird das Dossier noch einmal analysiert. Am Prinzip ändert das nichts: Wenn Vorgaben im PAG stehen, die illegal sind, dann lasse ich die herausnehmen.

Tageblatt: Wann ist mit einer Entscheidung zu rechnen?

Taina Bofferding: Das kann recht schnell gehen. Wir warten auf die Stellungnahme und dann wird zeitnah eine Entscheidung fallen.

Tageblatt: Letztes Jahr mehr oder weniger um diese Zeit haben Sie das "Circulaire" herausgegeben, wo es um die Mindereinnahmen der Gemeinden wegen der Corona-Krise ging. Worauf müssen sich die Gemeinden nach dem Minus von schlussendlich 335 Millionen Euro jetzt einstellen?

Taina Bofferding: Weniger, die letzten Prognosen gehen von minus 217 Millionen Euro aus. Aber die Auswirkungen sind da und die Gemeinden kommen nicht daran vorbei, ihre Projekte zu priorisieren. Wichtig ist dabei, dass sie weiter investieren. Deshalb sind auch die Subventionen für öffentliche Einrichtungen erhöht worden. Bei der Reform der Gemeindefinanzierung wurden die Beträge näher an die Staatsfinanzen gekoppelt. Und die sind nun malkonjunkturabhängig. Wir haben im Innenministerium Beamte freigestellt, um quasi als Finanzberater für die Gemeinden zur Verfügung zu stehen. Um ihnen zu zeigen, welche Möglichkeiten sie überhaupt haben. Unsere Politik ist so aufgebaut, dass das Innenministerium ein starker Partner der Gemeinden sein soll.

Tageblatt: Sie sagen, das Innenministerium lasse seine Gemeinden nicht allein. Der eine oder andere behauptet aber genau das. U.a. sagte Schifflingens Bürgermeister Paul Weimerskirch (CSV) im Gemeinderat, er hätte sich vom Innenministerium mehr Unterstützung gewünscht. Er hätte gehofft, dass jemand sich bei ihm meldet. Was antworten Sie darauf?

Taina Bofferding: Ehrlich gesagt war ich extremwütend über diese Aussagen, weil es einfach nicht stimmt. Als sich die Pandemie im vergangenen Jahr zugespitzt hat und wir im Lockdown waren, wollte ich wissen, wie es den Gemeinden geht. Also habe ich bei allen 102 Bürgermeistern und Bürgermeisterinnenangerufen. Da hatte ich auch den Schifflinger Bürgermeister am Telefon. Schon im März haben wir eine Hotline eingerichtet, die24 Stunden besetzt ist. Also ist meine Antwort: Wenn man die Innenministerin kritisieren will, dann soll man sich an die Faktenhalten und nicht vergessen, dass man mit seiner Kritik alle anderen im Innenministerium mit attackiert. Und das sind Leute, die viel gearbeitet haben, um für die Gemeinden da zu sein. Der Schifflinger Bürgermeister hat selbst oft die Hotline genutzt. Zusammenfassend muss ich sagen, dass ichvon solchen parteipolitischen Spielchen nichts halte.

Tageblatt: Wenn Luxemburg in Sachen Gemeindefusionen vorankommen würde, dann hätten Sie nicht ganz lange Zeit am Telefon verbracht. Es geht schleppend voran, auch beider Nordstad …

Taina Bofferding: Nordstad ist natürlich ein ambitioniertes Projekt. Ich unterstütze das, so gut ich kann. Jetzt waren die Workshops mit den Bürgern und die Gemeinden haben mir eine Liste mit Projekten eingereicht. Die nächste Fusion, die ansteht, ist aber Grosbous/Wahl. Im Januar haben wir die Toolbox in Sachen Gemeindefusionen vorgestellt, die Reaktionen darauf waren gut.

Tageblatt: Wie viele Gemeinden sind für Luxemburg realistisch, wie viele Gemeinden wären gut?

Taina Bofferding: Ich will mich da nicht auf eine Zahl festlegen, weil für mich wichtig ist, dass der Wille zu einer Fusion von den Gemeinden ausgeht. Es gab einmal eine Partei, die Zahlen genannt hatte (Innenminister Jean-Marie Halsdorf und seine CSV strebten 71 Gemeinden an; d.Red.). Ich sehe mich jedenfalls nicht die Landkarte neuzeichnen. Im Gegenteil. Eine Fusion wird ja für die Bürger vollzogen, also soll man sie auch mit ihnen zusammen machen. Wir haben die Toolbox, um die Gemeinden, wenn man so will, auf den Geschmack zu bringen und ihnen die nötige Unterstützung zugeben. Auch hier will das Innenministerium als Partner agieren. Zwangsfusionen bringen nichts.

Tageblatt: Die spektakulärste Fusion ist die Nordstad. Unlängst wurde zusätzliche finanzielle Hilfe vom Innenministerium gefordert. Bekommen sie die?

Taina Bofferding: Wie gesagt, die Liste ist da und sie wird jetzt ganz genau analysiert. Sie reden von über 100Millionen Euro, was extrem viel ist, vor allem in diesen Zeiten. Um ein komplettes Gesamtbild zu erhalten, müssen noch die anderen Investitionen, die die Regierung in der Nordstad plant, dazu genommen werden. Und weil es eine riesengroße Fusion ist, die größte, die wir jemals im Land hatten, muss man schauen, wie die Unterstützung aussehen soll. Nicht nur die finanzielle. Aber natürlich braucht man Geld, um die Fusion umzusetzen. Die Festlegung der finanziellen Unterstützung ist jedenfalls die nächste Etappe, die für die Regierung ansteht.

Tageblatt: Ihr größtes Dossier ist aber die Reform des Gemeindegesetzes von 1988. Heute findet dazu eine Orientierungsdebatte im Parlament statt. Kann das neue Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden?

Taina Bofferding: Ich setze zumindest alles dran, dass das in dieser Legislaturperiode noch was wird. Natürlich hat uns Covid da vor große Herausforderungen in puncto Timing gestellt, weil wir stark mit der Pandemie beschäftigt waren. Wir haben aber immer am Dossier weitergearbeitet und ich tue alles, um wenigstens das Gesetzesprojekt vor dem Ende meiner Mandatsperiode deponieren zu können. Das ist das Ziel, an dem ich festhalte. Ob es bis zu den Gemeindewahlen (im Juni2023; d.Red.) verabschiedet und in Kraft ist? Das könnte eher engwerden. Wir warten jetzt z.B. seit fast 15 Monaten auf die Stellungnahme des Staatsrats zur "tutelle administrative".

Tageblatt: Wie sieht der Fahrplan genau aus?

Taina Bofferding: Beim Gemeindegesetz sind wir im Moment in der zweiten Etappe. Die erste war die Analyse des Ist-Zustands, also die Konsultationen mit den Amtsträgern, mit den Gemeindebeamten und natürlich mit den Bürgern. Daraus sind zehn Themenbereiche entstanden, woraus sich wiederum drei große Ziele ableiten lassen: Die Gewählten sollen die politische Richtung angeben und Entscheidungen treffen. Die Beamten und Beamtinnen setzen sie um und die Bürger und Bürgerinnen sollen dabei eingebunden werden. Bei den Mandatsträgern werden Themen wie der "congé politique" und der "statut social" diskutiert. Zum Beispiel die Frage, wie ein Schöffenpostenmit einem Schwangerschafts- oder Elternurlaub zu vereinbaren ist. Dieser gesetzliche Rahmenfehlt. Oder das Beispiel des Bettemburger Bürgermeisters, der seine Arbeit verliert. Das sind Entwicklungen, auf die wir eine Antwort geben müssen. Deswegen muss ein sozialer Status für gewählte Mandatsträger eingeführt werden, damit sie eine gewisse Sicherheit haben. Zweiter Hauptpunkt ist die Organisation des Personals. Wie können interne Prozeduren vereinfacht werden, wie kann die Rekrutierung von Personal anders organisiert werden? Und schlussendlich müssen die Prozesse verschlankt werden, einfacher gemacht werden. Stichwort "simplification administrative". Und dann muss nicht mehr Zeitgemäßes abgeschafft werden. Zum Beispielmuss ein Gemeinderat die Zustimmung vom Innenministeriumhaben, wenn er in einem anderen Saal tagen will. Ein weiteres großes Stichwort ist die Digitalisierung. Es soll eine Art "guichet unique" für die Gemeinden entstehen. Moderne Gemeinden brauchen moderne Prozesse. Der Apparat muss modernisiert werden, damit die Gewählten auch Zeit haben, sich auf ihre Politik zu konzentrieren. Sie sollen die Zeit haben, um zu gestalten, und sich nicht im Mikromanagementaufreiben.

Tageblatt: In Belgien werden Gemeinden wie ein Betrieb geführt, mit einem Finanzdirektor und einem administrativen Direktor zum Beispiel. Ist das ein Weg, den man auch hierzulande einschlagen könnte?

Taina Bofferding: Ja, absolut. Es geht darum, dem Schöffenrat mehr Assistenz zugeben. Er soll verschiedene Aufgaben delegieren können und nicht jeden Tag mit dem Alltagsgeschäft konfrontiert sein, so dass seine Projekte zu kurz kommen.

Tageblatt: Ein Problem ist vielleicht auch die zahlenmäßige Zusammensetzung der Gemeinderäte. Ist es noch zeitgemäß, dass eine Gemeinde wie Esch mit ihren36.000 Einwohnern von 19Räten repräsentiert wird? Und ist das ein Thema im neuen Gemeindegesetz?

Taina Bofferding: Eine große Nachfrage danach gab es nicht. Das Thema, das immer wieder aufkommt, ist der "congé politique". Der wird ebenfalls nach der Größe der Gemeinde berechnet. Es ist keine Selbstverständlichkeit, Beruf und politisches Mandat zu kombinieren. Wenn man sein Mandat ernsthaft ausfüllen will, dann braucht man auch Zeit dafür. Die aktuelle Regelung lässt das nicht immer zu und deswegen ist es klar, dass an dieser Schraube gedreht wird.

Tageblatt: Braucht es in den größeren Gemeinden Fulltime-Bürgermeister?

Taina Bofferding: Ich bin da mit meiner Partei auf einer Linie, was den "anti-cumul" betrifft. Wir müssen uns hierzulande die Zeit nehmen, diese Diskussion zu führen. Und wenn man über den Fulltime-Bürgermeisterredet, dann muss man auch darüber reden, wie weit man bei der Frage der Doppelmandate gehen soll. Eine komplette Trennung zwischen Parlament und Gemeinderat oder eine Trennung zwischen Parlament und Exekutive? Und die Frage ist wichtig, wie man sonst die Expertise aus dem Gemeindesektor in die nationale Politik bringt. Geht das über eine Art Berufskammer der Lokalpolitiker? Jedenfalls scheinen sich die Parteien alle nicht so sehr einig zu sein, was Doppelmandate angeht. Bei einer so großen Reform ist es aber wichtig, dass ein großer Konsensdahinter steht. Ich mache jetzt im Rahmen des Gemeindegesetzes das, was ich machen kann. Deswegen will ich wenigstens den "statut social" einführen, weil ich nichtdenke, dass wir schon morgen die Diskussion über Doppelmandate bzw. den Vollzeitbürgermeister abgeschlossen haben. Ich drehe an den Schrauben, an denen ich drehen kann.

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