Interview mit Franz Fayot im Tageblatt

"Manchmal gleicht es einem Teufelskreis"

Interview: Tageblatt (Armand Back)

Tageblatt: Wieso leisten wir überhaupt Entwicklungshilfe?

Franz Fayot: Wir leisten Entwicklungszusammenarbeit. Dass wir das nicht mehr Entwicklungshilfe nennen, hat seinen Grund. Zusammen mit unseren Partnerländern identifizieren wir die Bedürfnisse. Dann überlegen wir, wie wir diese Entwicklung unterstützen können.

Tageblatt: Okay, wieso leisten wir denn Entwicklungszusammenarbeit?

Franz Fayot: Länder wie Luxemburg sind in der Pflicht zu helfen. Auch weil wir durch unsere Kolonialgeschichte eine Mitschuld am Zustand unterentwickelter Länder haben. Für Luxemburg mag das etwas weniger der Fall sein, aber zusammen mit Belgienwaren auch Luxemburger im früheren Kongo. Vor allem aber ist es eine Frage der internationalen Solidarität und der Menschlichkeit, dass einem als reiches Land nicht egal ist, was im globalen Süden passiert. Und es ist auch in unserem eigenen Interesse, arme Länder hochzubringen. Aus Gründen der Sicherheit, wenn sie in unserer Region liegen. Aber auch aus Sorge um den Planeten. Wir wissen, dass der Klimawandel im globalen Süden am härtesten einschlagen wird und es schon tut.

Tageblatt: Was erwidern Sie bei der Kritik, das blieben trotzdem nur Almosen und ohne faireren Handel habe das alles keinen Sinn?

Franz Fayot: Wir sind eines der wenigen Länder, die ein Prozent des Bruttonationaleinkommens in die Kooperation stecken. Das sind rund 400 Millionen Euro im Jahr, das ist nichtwenig für ein Land wie Luxemburg. Wir beschäftigen uns aber auch mit einem Lieferkettengesetz für international tätige Unternehmen. Und wir schauen, dass Bauern faire Preise bekommen. Das beginnt bereits in Luxemburg mit Sensibilisierungskampagnen für fairen Handel. In der Kooperation gibt es nie eine einzige Lösung. Und man wird immer wieder zurückgeworfen. Dramatisch ist es jetzt mit der Coronakrise. Aber auch Regierungsumstürze, Terrorismus, Klimakatastrophen werfen einen unglaublich zurück. Kooperation ist eine Sisyphusarbeit.

Tageblatt: Wer entscheidet letzten Endes, was mit den 400 Millionen Euro jährlich aus Luxemburg geschieht?

Franz Fayot: Die ersten Grundbedürfnisse abzusichern, war immer eine unserer Stärken. Auch deshalbsind wir vor allem in die am wenigsten entwickelten Länder gegangen. Sie sagen uns, was siebrauchen, wir schauen, ob und wie wir ihnen das am schnellsten liefern können.

Tageblatt: Wir sprechen jetzt von Entwicklungszusammenarbeit und nicht mehr von Entwicklungshilfe – aber wir bauen trotzdem noch Brunnen?

Franz Fayot: Diese Prioritäten bleiben, wenn man in den am wenigsten entwickelten Ländern unterwegs ist. Da führt kein Weg dran vorbei. Da gibt es immer noch Bedarf nachsauberem Wasser, sanitären Anlagen, im Bereich Bildung und der Gesundheitsversorgung. Was den Bedarf angeht, bleibt man in diesen Staaten relativ konstant. Allerdings sind neue Schwerpunktehinzugekommen wie die Stärkung der Rolle der Frau. Frauen können durch Mikrokredite arbeiten und unabhängiger werden. Das gibt ihnen eine neue Rolle in der Familie und in der Gesellschaft. Und die Instrumente haben sich geändert. Luxemburg ist digital starkaufgestellt. Diese Stärke wollen wir in der Kooperation einsetzen. Man kann weiter Schulen bauen. Man kann aber auch digitale Instrumente für das Homeschooling nutzen. Telemedizin kann in entlegenen Regionen sehr wichtig sein. Mit Drohnen oder Satellitenlassen sich Überschwemmungen oder Dürren beobachten. Über Finanzinstrumente wie Versicherungen lassen sich Ernteausfälle abfedern. Da lassen sich viele neue Wege gehen – und das wollen wir machen.

Tageblatt: Sie waren gerade in Ruanda im Osten Afrikas. Das ist kein Partnerland der Luxemburger Kooperation. Wieso die Reise? Wird es eins?

Franz Fayot: Ruanda war Partnerland bis2013. Die erinnern sich noch gut an uns. Das Land hat eine klare Vision und will ein internationales Finanzzentrum werden für die Region Ostafrika. Da kennen wir uns aus und das macht eine Zusammenarbeit natürlich sinnvoll. Als Kooperationsminister war ich wegen der Mikrofinanz-Woche in Ruanda. Wir arbeiten auch in einem Projekt zur Entsorgung von Elektromüll zusammen. Das Land ist in manchen Bereichen weit fortgeschritten, in anderen nicht. Der geschaffene Reichtum wird noch sehr ungleich verteilt. Der Staat verfolgt aber eine ambitionierte Klimapolitik und hat auch eine Weltraumagentur. Wahrscheinlich werden wir wieder enger mit Ruanda zusammenarbeiten. Dort lassen sich neue Sachen probieren.

Tageblatt: Senegal, Mali, Niger und Burkina Faso liegen im Westen Afrikas in der Sahel-Zone. Das Terrorproblem in der Region scheint unaufhaltsam zuwachsen. Lässt sich dort noch arbeiten?

Franz Fayot: Die ganze Region wird immer gefährlicher. Zum Terror kommender Klimawandel und humanitäre Krisen hinzu. Für unsere Agentur LuxDev wird die Arbeit dort immer schwieriger. Die Projekte laufen weiter, aber langsamer und komplizierter in der Umsetzung. Immer weniger Regionen sind sicher, in einige kann man überhaupt nicht mehr hin. Aber wir müssen gerade auch in diesem Kontext weiterarbeiten und haben kürzlich ein neues Rahmenabkommen mit Niger getroffen. Mali ist extrem kompliziert. Dort haben wir nach zwei Staatsstreichen keinen Ansprechpartner, den wir akzeptieren könnten. Die Grundbedingungen sind immer dieselben: Essen, sauberes Wasser, ein bisschen Hoffnung. Manchmal gleicht es einem Teufelskreis. Nur wenn junge Menschen eine Perspektive haben, kann sich ein Landstabilisieren. Wer keine Zukunft für sich sieht, ist ein gefundenes Fressen für Dschihadisten, radikale Bewegungen und kriminelle Banden. Zuerst braucht es also eine gewisse wirtschaftliche Entwicklung, um diese Länder aus der extremen Armut zu ziehen. Das ist auch Kampf gegen den Terrorismus – nicht mit Waffen, aber mit Unterstützung für die Menschen.

Tageblatt: Sie reisen nun nach Senegal, das Tageblatt und andere Medien werden Sie begleiten. Welche Rolle spielt das Land in der Luxemburger Kooperation und damit Außenpolitik?

Franz Fayot: Senegal ist ein wichtiger Partner und wir arbeiten bereits langezusammen. Es ist der einzige Sahel-Staat, der so stabil ist. Trotzdem kämpft das Land mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit. Luxemburg wird dort auch am Aids-Gipfel der Vereinten Nationen teilnehmen.

Tageblatt: Luxemburg diskutiert über Impfverweigerer, in Afrika gibt es kaum Impfstoff. Luxemburg hatte über die Impfstoffinitiative Covax350.000 Dosen als Spende versprochen. Geliefert wurde aber noch nichts, oder?

Franz Fayot: Von Impfstoffen, die bereits bei uns im Land waren, haben wir 56.000 Dosen des Herstellers AstraZeneca an Cabo Verde gespendet. Die wären hier sonst abgelaufen.

Tageblatt: Das lief über den "European Civil Protection Mechanism" ab, nicht über Covax.

Franz Fayot: Richtig, das lief über den europäischen Verteilungsmechanismus ab. Wir haben auch schon Schnelltests, Kühlschränke und Ventilatoren nach Nepal, Tunesien und in den Sudan geliefert. Kommende Woche werden wir weitere Kühlschränke nach Burkina Faso fliegen. Covax funktioniert anders. Die Staatenbestellen bei den Produzentendirekt für Covax, das die Dosen dann dort abruft. Man kann dann ein bevorzugtes Zielland angeben, Covax aber entscheidet je nach weltweitem Bedarf. Den Covax-Mechanismus hatten wir bereits mit zwei Millionen Eurounterstützt. Gavi, die Organisation, die hinter Covax steht, hat uns nun mitgeteilt, dass die ersten Dosen verschickt werden –12.000 von AstraZeneca nach Ruanda und 100.000 von Pfizer nach Vietnam.

Zum letzten Mal aktualisiert am