Interview mit Claude Haagen im De Letzeburger Bauer

"Politik muss Lösungen anbieten"

Interview: De Letzeburger Bauer (Laurent Schüssler)

De Letzeburger Bauer: Claude Haagen, ich stelle Ihnen zu Beginn die gleiche Frage, die ich auch bereits ihrem Vorgänger vor einem Monat als erste gestellt habe: Ist der Nationale Strategieplan bereits in Brüssel bei der EU-Kommission hinterlegt worden?

Claude Haagen: Nein, noch nicht, doch dieser Termin steht unmittelbar bevor. Diese Verzögerung erklärt sich zum Teil dadurch, dass ich selbst noch einmal einen Blick auf das arbeitsintensive Werk werfen wollte. An diesem Freitag (heute, die Red.) wird er im Regierungsrat vorgestellt. Ich beabsichtige dann, ihn kommende Woche in der für die Landwirtschaft zuständigen Kommission der Abgeordnetenkammer zu präsentieren. Doch selbst wenn wir den Plan in die Brüsseler Hände geben, ist dies noch kein Abschluss an sich. Wir erhalten dann in fünf bis sechs Monaten eine Rückmeldung über jene Punkte, bei denen wir eventuell noch nachlegen müssen. Letztes Mal waren dies rund 300 Anmerkungen. Das sind keine Fehler, die behoben werden müssen, sondern formelle Bemerkungen. Parallel dazu laufen hierzulande aber auch bereits die vorbereitenden Arbeiten am neuen Agrargesetz an.

De Letzeburger Bauer: Verschiedene Stimmen wollen wissen, dass diese Verspätung (eigentlicher Abgabetermin war der 1. Januar 2022, die Red.) auf einen Regierungspartner zurückzuführen ist, dem der Nationale Strategieplan in seiner ursprünglichen Form nicht gepasst hat?

Claude Haagen: Das stimmt so nicht. Aber es gab eine Diskussionsrunde zwischen den drei Regierungspartnern, die jetzt abgeschlossen ist. Es hat aber niemand wissentlich versucht, den Strategieplan zu verzögern.

De Letzeburger Bauer: Bleiben wir bei Europa und bei Brüssel: Am Montag nahmen Sie erstmals am europäischen Agrarrat teil. Welche Eindrücke haben Sie mit zurück nach Luxemburg gebracht?

Claude Haagen: Ich war nicht der einzige Neuling im Agrarrat. Wir waren zu viert. Unter anderem haben Deutschland mit Cem Özdemir und die Niederlande mit Henk Staghouwer ebenfalls neue Verantwortliche für die Landwirtschaft. Ich habe übrigens die Gelegenheit genutzt, um mit Herrn Özdemir einige Worte zu wechseln, da ich mich in Zukunft öfters und regelmäßig mit meinen Amtskollegen aus den direkten Nachbarländern auch abseits der Brüsseler Bühne austauschen will. Ich denke, dies ist eine wichtige Sache, da viele europäische Themen uns gleichermaßen betreffen. In Brüssel wurde auch die Krise im Schweinesektor ein weiteres Mal angesprochen. Die EU tut sich schwer damit, zusätzliche finanzielle Unterstützung bereit zu stellen... Die Krise im Schweinesektor bereitet in der Tat Sorgen, sie ist aber eine strukturelle, keine konjunkturelle. Eine Lösung scheint schwierig, doch alle Mitgliedsstaaten der EU sind der Meinung, dass die Politik aktiv werden muss. Dies haben wir auch den zuständigen EU-Agrarkommissar wissen lassen, der sich allerdings noch bedeckt hält. Die einzelnen Staaten wollen jedoch zumindest die Hilfen, die im Rahmen der Covid-Pandemie zur Verfügung standen, weiter bis Ende des ersten Semesters 2022 anbieten. Dazu benötigen wir die Unterstützung des Agrarkommissars nicht. Natürlich wäre eine gezielte Unterstützung des Sektors besser, doch ich bin zufrieden, dass überhaupt etwas unternommen wurde, um zu helfen.

De Letzeburger Bauer: Wieso will oder kann das Luxemburger Landwirtschaftsministerium den Schweinebauern nicht selbst unter die Arme greifen?

Claude Haagen: Meine Mitarbeiter im Landwirtschaftsministerium beobachten den Schweinemarkt ganz aufmerksam. In der zweiten Februarhälfte werden wir uns mit der für die Landwirtschaft zuständigen Kommission der Abgeordnetenkammer zusammensetzen und schauen, an welchem Punkt wir stehen und wie wir weiter vorgehen können. Ich will nicht ausschließen, dass zu jenem Zeitpunkt entschieden wird, finanzielle Mittel locker zu machen. Versprechen kann ich dies aber nicht. Und selbst wenn es der Fall sein sollte, so müsste dies im Rahmen der bestehenden Reglemente und Gesetze passieren.

De Letzeburger Bauer: Dem Landwirtschaftsministerium wird nachgesagt, es sei kein "einfaches" Ministerium. Der Spagat zwischen den Wünschen der Bauern und den Erwartungen von Teilen der Bevölkerung, die die Natur vor die Lebensmittelproduktion setzen, ist enorm. Wie wollen Sie diese Herausforderung meistern?

Claude Haagen: Jeden zufriedenzustellen, ist sehr schwer. Das habe ich als Politiker bereits gelernt (lacht). Ich denke, dass es eher auf die Differenz zwischen extensiv-konventioneller und Bio-Landwirtschaft hinausläuft. In den letzten Jahren kam auch die sogenannte solidarische, Landwirtschaft auf, ein sehr interessantes Phänomen. Daraus können sich eventuell neue Absatzmöglichkeiten für die traditionelle Landwirtschaft eröffnen. Mir liegt am Herzen, die bestehenden Betriebe nicht im Regen stehen zu lassen, wenn sich die Marktsituation wieder einmal zum Schlechten wendet. Wir dürfen diese Menschen, diese Familien, nicht fallen lassen. Das Landwirtschaftsministerium steht mit seinen Mitarbeitern bereit, um diese Bauern zu unterstützen. Auch, oder gerade, im Hinblick auf eine neue Ausrichtung. Doch es reicht nicht aus, Bio-Lebensmittel zu produzieren: Wenn kein Markt vorhanden ist, kann man kein Produkt verkaufen. Dann gilt es zu analysieren, wieso der Konsument sich anders entscheidet. Zumeist wird der Preis als ausschlaggebender Faktor genannt. Doch das ist nicht immer der Fall. Es kann auch andere Gründe geben.

De Letzeburger Bauer: Auch in Luxemburg rutschen immer mehr Menschen unter die Armutsgrenze. Wie wollen Sie in diesem Zusammenhang eine Verteuerung der Lebensmittel verantworten?

Claude Haagen: Die Preisproblematik reduziert sich nicht alleine auf Lebensmittel. Ein Lösungsansatz und eine Hilfestellung für die Landwirtschaft könnte eine vermehrte Verwendung lokaler Produkte durch den Staat sein, in staatlichen Kantinen beispielsweise. Wenn wir den Landwirten empfehlen wollen, mehr Bio-Produkte anzubauen, dürfen wir sie doch nicht ins Messer laufen lassen, indem sie keinen Absatzmarkt vorfinden! Es liegt meines Erachtens nicht an der Landwirtschaft, sich Gedanken über die Preisgestaltung zu machen. Das muss auf einer anderen Ebene entschieden werden. Zu analysieren bleibt auch, welche Produkte die Luxemburger Bauern anbieten können; welche bescheren ihnen die besten Einkommen? Da sind wir wieder bei der Krise im Schweinesektor, wo die Preise so niedrig sind, dass der gesamte Bereich zu sterben riskiert. In den Discountern, auch knapp über die Landesgrenzen hinweg, können die Konsumenten Fleisch teils zu Dumpingpreisen kaufen... Das ist natürlich eine Frage der Qualität. Aber auch der Vermarktung. Ich erinnere an den Werbespruch "Geiz ist geil", der vielleicht das Schlechteste war, was in dieser Hinsicht in den vergangenen Jahren kreiert wurde. Wir als Landwirtschaftsministerium versuchen den Konsumenten bei seinen Einkaufsgewohnheiten zu beeinflussen, mehr ist nicht möglich. Mir versuchen dies über diverse Veröffentlichungen zu erreichen beziehungsweise mit Kampagnen gegen Lebensmittelverschwendung oder für gesünderes Essen. Wenn ein Produzent hingegen von konventioneller zu Bio-Landwirtschaft wechseln will, können wir als Ministerium konkreter in den Prozess eingreifen und ihn in den verschiedensten Bereichen unterstützen, beraten und begleiten. Das Gleiche gilt, wenn junge Menschen einen Betrieb übernehmen wollen. Die Bauern benötigen Sicherheit, die die Politik ihnen geben muss. Ein Geschäftsplan, der heute perfekt zu sein scheint, ist das vielleicht nicht mehr in fünf oder zehn Jahren, weil sich der Markt geändert hat. Dann müssen wir den Bauern die Möglichkeit bieten, ihre Produktion anzupassen. Und entsprechende Anreize bieten können. Dabei spielen noch eine ganze Reihe weiterer Eventualitäten mit. Die Herausforderung ist groß.

De Letzeburger Bauer: Sie haben eine ganze Reihe Unabwägbarkeiten angesprochen. Diese Unsicherheit gehört zum täglichen Brot der Bauern. Können Sie vor diesem Hintergrund verstehen, dass eine gewisse Nervosität herrscht, weil noch nicht gewusst ist, wie das neue Agrargesetz ausfallen wird?

Claude Haagen: Das Agrargesetz basiert auf der Gemeinsamen Agrarpolitik und damit auch auf dem Nationalen Strategieplan. Es soll am 1. Januar des kommenden Jahres in Kraft treten, das wird eine sehr sportliche Angelegenheit. Es reicht ja nicht, dass das Landwirtschaftsministerium die Arbeiten abschließt, danach wird es in der Abgeordnetenkammer debattiert und gestimmt, der Staatsrat bekommt es vorgelegt usw. Möglicherweise fließen ja auch noch Bemerkungen aus Brüssel zum Nationalen Strategieplan in die Überlegungen mit ein. Wir hoffen, realistisch betrachtet, dass das Gesetz im Frühjahr 2023 abgeschlossen ist.

De Letzeburger Bauer: Eine abschließende Frage, die ich auch ihrem Vorgänger gestellt habe: Wir haben in diesem Interview fast nur über Probleme gesprochen, denen sich die Bauern ausgesetzt sehen. Wie wollen Sie jemanden motivieren, sein Glück in der Landwirtschaft zu suchen?

Claude Haagen: Ich denke, die erfahreneren Landwirte wissen, wie sie mit den Marktschwankungen umgehen müssen und sich am besten dagegen wappnen können. Ich spreche daher in Richtung der jüngeren: Als Bauer ist man täglich im Kontakt mit der Natur, mit den Menschen. Man arbeitet in dem Bereich, den man liebt. Natürlich muss man eventuell im Verlaufe der Zeit Anpassungen vornehmen. Das gilt aber auch für andere Berufe. Es gibt ja heutzutage kaum noch jemanden, der sein ganzes Berufsleben am selben Arbeitsplatz verbringt. Viele orientieren sich nach einigen Jahren völlig um. Das gilt auch für die Landwirtschaft, selbst wenn der Einfluss des Marktes hier größer ist als in anderen Bereichen. Das kann nervenaufreibend sein, ist sicherlich aber auch spannend. Ich persönlich denke, dass es auch innerhalb der Landwirtschaft sehr interessant sein kann, seine Ausrichtung einmal zu verändern. Das Landwirtschaftsministerium kann dabei mit Rat und Tat zur Seite stehen. Wenn es sinnvoll ist und wenn es im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben passiert, versteht sich.

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