Interview mit François Bausch im Tageblatt

"Dat steet alles op ganz wackelege Féiss"

Interview: Tageblatt (Sidney Wiltgen)

Tageblatt: Frankreich hat angekündigt, sich aus Malizurückziehen zu wollen. Kam die Ankündigung überraschend, oder hatte sich Macrons Entscheidung in den vergangenen Wochen und Monaten bereits angedeutet?

François Bausch: Der Rückzug der Franzosen hat sich bereits in den vergangenen Wochen angedeutet. Die Entscheidung liegt in den Problemen der Franzosen mit der jetzigen Militärjunta begründet. Es hat bereits mehrere Zwischenfälle mit dem französischen Botschafter vor Ortgegeben. Dadurch, dass Frankreich mit der Operation "Barkhane" auch offensive Missionszieleverfolgt hat, hatte Frankreich von Anfang an eine ganz andere Stellung. Frankreich hat die meisten Soldaten bei seinen Einsätzen verloren. Wegen der anhaltenden Probleme mit der Militärjunta, hat Frankreich sich nun für den Rückzug entschieden. Dieser Konflikt hat eine andere Qualität als die Gespräche, die auf UNO- oder EU-Ebene im Zusammenhang mit den russischen Söldnertruppen im Mali geführt werden.

Tageblatt: Luxemburg ist ebenfalls an mehreren Missionen in Malibeteiligt. Was hat der Rückzug der französischen Truppen für einen Impakt auf das Luxemburger Kontingent?

François Bausch: Es muss zunächst einmal zwischen den verschiedenen Missionen unterschieden werden. Frankreich ist mit zwei Missionen in Mali, der "Operation Barkhane" und der "Takuba"-Taskforce. Das sind offensive Missionen, im Rahmen derer die französischen Truppen auch aktiv an Anti-Terror-Einsätzen teilgenommen haben.

Tageblatt: An denen waren die Luxemburger Einsatzkräfte aber nicht beteiligt?

François Bausch: Die Luxemburger Einsatzkräftebeteiligen sich an der UN-Mission "Minusma" und der EU-Ausbildungsmission EUTM. Das Camp, in dem die Ausbildungsmission stattfindet und Luxemburger Soldaten stationiert sind, liegt etwa 50 Kilometer von der malischen Hauptstadt entfernt. Dort haben wir unter andere meine Einsatztruppe, die anhand von Drohnen die Sicherheit des Camps gewährleistet. Diese Mission ist nun infrage gestellt, da die Militärjunta den Fahrplanhin zu einer zivilen Regierung, die eigentlich im Frühjahr stehen sollte, nicht einhalten will. Die malischen Führungskräfte habenentschieden, dass dies erst in fünf Jahren der Fall sein werde und greifen jetzt auch auf russische Söldner zurück. Das ist für die europäische Mission natürlich nicht akzeptabel. Die Wagner-Gruppe, die die Söldner zur Verfügung stellt, wird nämlich vom Kreml aus gesteuert– auch wenn der russische Staatspräsident Wladimir Putin das natürlich bestreitet. Wir sehen uns also mit russischen Interferenzen konfrontiert. Für Europa ist es aber ohnehin undenkbar, mit Söldnertruppen zusammenzuarbeiten, die keine ethischen Standards haben und keinem staatsrechtlichen Rahmen unterliegen. "Dat ass e ganz kriddelege Punkt."

Tageblatt: Das heißt?

François Bausch: Wenn die Militärjunta in dem Punkt nicht nachgibt, sehe ichschwarz für die EUTM-Mission. Da bin ich ganz bei der deutschen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Es wird aber noch weitere Gespräche in den nächsten Wochen geben.

Tageblatt: Dann gibt es noch die UN-Mission...

François Bausch: Die UN-Mission ist wesentlich komplexer. Die Vereinten Nationen haben mehrere Hilfsprogramme im Mali, die von Blauhelmen beschützt werden. In dem Kontext sichern wir die Kommunikation zwischen den einzelnen Camps ab.

Tageblatt: Sie haben die russischen Söldner erwähnt. Diese habenschon zu Zwischenfällen mit den französischen Einsatzkräften vor Ort geführt. Haben diese Söldner auch schon in Missionen interferiert, bei denen Luxemburger beteiligt waren?

François Bausch: Nein, das habe ich mir noch einmal bestätigen lassen. Unsere Soldaten sind allerdings auch nicht in dem Gebiet aktiv. Die russischen Söldner haben im Norden des Landes Fuß gefasst – dem Gebiet also, aus dem sich die französischen Truppen zurückgezogen haben. Ich will aber nicht ausschließen, dass es mittlerweile auch einige Söldner in die Hauptstadt geschafft haben. Die Situation ist aber noch relativ ruhig und es gab bisher keinen Moment, wo unsere Soldaten einemerhöhten Risiko ausgesetzt waren.

Tageblatt: Die deutsche Verteidigungsministerin Lambrecht meinte, dass die ganze Region durch den Rückzug der französischen Truppen destabilisiert werden könnte. Wie lautet Ihre Einschätzung?

François Bausch: Der Einschätzung schließe ich mich an. Die Franzosen habendurch ihre Präsenz einen Großteil des schweren Kriegsmaterials gestellt. Das kann für die UNO schon zum Problem werden, wenngleich die Franzosen der UNO logistische Unterstützung zugesichert haben. Nächste Woche fliegt eine Mission des Hohen Kommissariats der EU nach Mali, danach herrscht mehr Klarheit. "Dat steet alles op ganz wackelege Féiss den Ament."Das Mandat für die EU-Mission läuft noch bis Ende Juni, danach muss das Mandat vom Luxemburger Parlament erneuert werden. Eigentlich wollte ich schon in der Chamber vorstellig werden – ich warte aber jetzt damit ab, wie sich die Situation entwickelt. Ich hätte aber gerne bis April Klarheit, wie wir im Maliweiter verfahren wollen, weil wir dann irgendwann auch eine Entscheidung treffen müssen. Wenn aber über die Fortführung der Mission entschieden wird, werden wir das mit allen europäischen Partnern gemeinsam tun. Sollten wir uns zurückziehen müssen, wird das aber nicht weiter kompliziert.

Tageblatt: Die deutsche Verteidigungsministerin spricht von Tiger-Kampfhubschraubern, Sie sprechen von logistischer Unterstützung?

François Bausch: Das Problem ist, dass die UNO kein schweres Kampfmaterial vor Ort hat und die Ausrüstung komplett auf Selbstverteidigung ausgerichtet ist. Es ist jedoch wichtig, dass die UN-Truppen Unterstützung aus der Luft erhalten. Die Terroristen arbeiten mit Überraschungsangriffen, Sabotageakten und legen Minen – da sind die Beobachtung aus der Luft und die Kommunikation extrem wichtig. Deshalb ist unsere Präsenz vor Ort auch essenziell, da zwischen den UNO-Stützpunkten sonst die Kommunikationsinfrastruktur fehlen würde. Die Präsenz in der Luft ist aber enorm wichtig, um die UNO-Truppen bei ihren Hilfsmissionen zu unterstützen.

Tageblatt: Zwei dieser Terrorgruppierungen, der Islamische Staat in der größeren Sahara (ISGS) und die "Groupe de soutien à l'islam et aux musulmans"(GSIM), bekämpfen sich im Niger. Mittlerweile breiten sich deren Aktivitäten aber auch auf den Senegal, Benin, Togo und die Elfenbeinküste aus. Riskiert Frankreich mit dem Abzug seiner Truppen nicht noch eine weitere Destabilisierung der Region?

François Bausch: Es ist noch ein bisschen früh, um ein endgültiges Fazit zu ziehen. Die EU hat zwei Interessen, die die Politik und den Wunschnach einer stabilen Sahelzone bestimmen. Wenn sich die Lageweiter verflüchtigen sollte und es möglicherweise zu einem Bürgerkrieg in der Region kommt, werden riesige Flüchtlingsströme entstehen, die sich Richtung Europa aufmachen werden. Wir haben auch eine kollektive Verantwortung gegenüber den Menschen, die dort wohnen. Deshalbbetreibt Luxemburg auch eine 3D-Politik (Diplomacy, Development cooperation und Defence policy) in der Region. Die Sahelzone ist die Region, in der wir mitunserer Kooperationshilfe am stärksten vertreten sind. Der zweite Punkt ist: Wenn wir Europäer uns heute zurückziehen, sind die Russen morgen da. Sie betreiben eine Art hybride Kriegsführung in der Region, um Europa zu destabilisieren. Das ist auch der Grund, warum die russische Söldnertruppe im Malivertreten ist – die Sowjetunionhatte an Afrika und insbesondere an der Sahelzone nie großes Interesse gezeigt. Jetzt aber wollen sie ganz gezielt Fuß fassen. Eine ähnliche Situation hat es bereits im Mosambik gegeben, wo die Wagner-Truppen aber mithilfe der ruandischen Armee vertrieben werden konnten.

Tageblatt: Sie haben die 3D-Politik erwähnt. Wie kann die Kooperationspolitik ohne Verteidigungspolitik gesichert werden?

François Bausch: Wir versuchen momentan alles, um das 3D aufrechtzuerhalten, weil es die einzige Garantie für einen mittelfristigen Erfolg darstellt. Luxemburg alleine ist aber zu klein und zu schwach, um das alleine garantieren zu können. Deshalb brauchen wir unsere europäischen Partner. Jedoch hat jeder seine Schmerzensgrenze– und die scheint mit dem Auftauchen der Söldnertruppe erreicht zu sein. Die Militärjunta wurde vor diesem Schritt gewarnt. Wir wissen nicht genau, wie stark der Kontakt zwischen der Militärjunta und Russland ist. Eine Aussage des malischen Außenministers hat mich jedoch in dem Kontext schockiert. Auf die Frage in einem Interview, warum die Söldnertruppen engagiert wurden, antwortete er, dass die Russen Waffen im Kampf gegen den Terrorismus bereitstellen würden – ein Punkt, in dem sich die Europäer sträuben würden. Die Aussage irritiert mich, da es doch darauf hindeutet, dass mit Waffengewalt Ordnung im Land hergestellt werden soll. Unter dem Vorwand des Terrorismus darf es aber nicht zu Verfolgungen oder Tötungen kommen. Die Sicherheit der Bevölkerung ist ja eines unserer Ziele im Mali.

Tageblatt: Gestern hat ein Treffen der NATO stattgefunden. Wurde am Rande auch über den Konflikt in Mali diskutiert?

François Bausch: Ich habe mich kurz mit meinen französischen und deutschen Amtskolleginnen konsultiert. Ein wichtiges neues Moment wird aber erst die EU-Mission nächste Woche liefern, wenn eine Delegation nach Mali fliegt.

Tageblatt: Beim Treffen der NATO ging es hauptsächlich um den Konflikt mit Russland. Wie hat sich die Lage in der Ukraine entwickelt?

François Bausch: In all den Jahren habe ich noch keine so große Einigkeit in der NATO erlebt. Wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, kommt das mit einem hohen Preis. Putin hat die NATO in dem Punkt zusammengeschweißt. Wir haben deshalb entschieden, die Grenzen der Europäischen Union an der Grenze zur Ukraineabzusichern. Es wurden Truppen in Rumänien und den baltischen Staaten positioniert. Besonders die baltischen Länder sind – natürlich auch historisch bedingt – extrem nervös. Wir hatten für die gestrige Sitzung auch Vertreter Schwedens und Finnlands eingeladen – auch sie sind besorgt und haben die NATO um ein deutliches Zeichen gebeten. Wir können als NATO natürlich nicht in der Ukraine eingreifen, das würdewohl zu einem Dritten Weltkrieg führen. Die NATO hofft natürlich weiterhin auf eine diplomatische Lösung. Der amerikanische Außenminister hat sich deshalb auch bereit erklärt, sich noch einmal mit dem russischen Außenminister zu treffen – unter der Voraussetzung, dass es zu keinen weiteren Zwischenfällen kommt. Dennoch bereitet uns die Lagenatürlich große Sorgen.

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