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RADFAHREN IN LUXEMBURG "Von schwerfälligen Prozeduren und altem Lagerdenken"
Interview: Tageblatt (Cédric Feyereisen, Philip Michel)
Tageblatt: Im vor zehn Tagen von Ihnen vorgestellten nationalen Mobilitätsplan 2035(PNM2035) haben Sie extremehrgeizige Ziele für das Landvorgegeben. Wie optimistisch sind Sie, dass diese auch erreicht werden können?
François Bausch: Ich bin sehr optimistisch, unter der Voraussetzung, dass die Gemeinden mitziehen. Der Staat macht in der Förderung des Fahrrads große Anstrengungen, indem er das nationale Radwegenetz ausbaut. Wenn die Gemeinden innerorts den Zubringer dazu nichtorganisieren, dann erreichen wir nicht das Maximum. Ich bin aber optimistisch, denn die im PNM vorgestellten Zahlen machen deutlich, dass es an der Infrastruktur fehlt. Und man sieht es ja überall: Wenn ein guter Radweg gebaut wird, dann wird er auch sofort benutzt. In der Luxmobil-Studie 2017 kam die Infrastruktur als erste Antwort auf die Frage, weshalb die Leute das Fahrrad nicht als Transportmittelnutzen. Sie fühlen sich unsicher, wollen nicht im Verkehr fahren. Das muss in den Gemeinden in die Köpfe rein. Ich sage den Verantwortlichen dann immer, dass sie sich bewusst sein müssen, dass das Fahrrad ein Riesenthema bei den Gemeindewahlen im kommenden Jahr sein wird. In der Zwischenzeit werde ich auch immer optimistischer, weil der Druck größer wird. Durch die vielen Raddemonstrationen zum Beispiel. Es gibt inzwischen eine große Lobby für das Fahrrad. Aber klar, die Gemeinden müssen ihre Verantwortung übernehmen.
Tageblatt: Die Infrastruktur ist also entscheidend. Sie haben bei der Vorstellung auch gesagt, dass eine Infrastruktur nur dann sicher ist, wenn sie vom restlichen Verkehr getrennt ist. Ist es denn realistisch, überall separate Radwege hinzubekommen, vor allem in den Innenstädten?
François Bausch: Ich denke schon. Jedoch muss man dann auch den Mut haben, unbequeme Wege zu gehen und keine Angst vor Konfliktsituationen haben. Ich denke daran, Parkstreifen zugunsten eines Radwegs zu opfern. Es gibt zwei Möglichkeiten für die Städte: Auf stark befahrenen Straßen einen getrennten Radweg, aber auch die Verkehrsberuhigung innerhalb der einzelnen Viertel, dann muss es aber eine richtige Verkehrsberuhigung sein. Das ist ja auch das Ziel des PNM, den Transitverkehr aus den Ortskernen herauszunehmen. Dann hat man auch die Möglichkeit, mehr Radstraßen einzurichten. Momentan wird das in einigen Gemeinden (v.a. Stadt Luxemburg; Anm. d. Red.) versucht, aber das ist mir zu minimalistisch.
Tageblatt: Wie genau wollen Sie den Gemeinden helfen, den Transitverkehr aus den Ortskernen zu verbannen? Geht es da in erster Linie um Umgehungsstraßen?
François Bausch: Ja. Aber natürlich bauen wir jetzt nicht überall Umgehungsstraßen. Beispiel Stadt Luxemburg. Die hat eine Umgehung, die nicht ganz geschlossen ist und auch nicht ganzgeschlossen werden kann. Man kann aber das fehlende Stück durchpunktuelle Straßenbauprojektekompensieren, durch eine Art Binnenring zum Beispiel. Das ist auch die Idee für die Stadt. Auf derN7 in Höhe von Beggen eine Stichstraße, größtenteils unterirdisch, die am Waldhaff rauskommt. So wird der Verkehr aus dem Alzettetal, der gar nicht in die Stadt will, auf das Autobahnnetz geleitet. Das erlaubtdann eine ganz andere Konzeption der Beggener Straße, mitsamt Radweg. Und die Stadt Luxemburgkann ihr Projekt der Neugestaltung der place Dargent endlich vorantreiben.
Tageblatt: Es ist aber schon so gedacht, dass das mit dem Transitverkehr für sämtliche Ortschaften im Land gilt, nicht nur für die größeren?
François Bausch:Ja. Wir wollen das staatliche Straßennetz so organisieren, dass das Auto den Ortskern zwar noch erreicht, aber nicht immer auf dem direkten Weg. Deswegen werden die Modalfilter (ein Straßendesign, das die Durchfahrt bestimmter Fahrzeugtypen einschränkt, z.B. Poller; Anm. d. Red.) eingebaut. Dann bleibt der Transitverkehr weg, was den Gemeinden ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten für die sanfte Mobilität bietet.
Tageblatt: Wie bekommt man die Gemeinden dazu, das auch zu machen?
François Bausch: Wir haben durchwegs positive Erfahrungen gemacht bei unseren großen Projekten. Die Gemeinden sind inzwischen bereit, den Weg mitzugehen. Vor allem, wenn der Staat ohnehin ein Projekt dort hat, was er finanziert. Sie können dadurch ihren Ortskern neu gestalten. Die Qualität des Wohnens innerhalb der Ortschaften wird ebenfalls ein großes Thema bei den Gemeindewahlen sein, davon bin ich überzeugt.
Tageblatt: Man hat aber schon das Gefühl, dass sich viele Gemeinden schwertun, eine anständige Infrastruktur für Fahrradfahrer zu schaffen. Kann ein Mobilitätsminister die Kommunen dazu zwingen, mehr zu tun?
François Bausch: Wir kümmern uns um die Organisation des Straßennetzes. Seiteiniger Zeit ist es möglich, die nationalen Radwege (PC) durch die Ortschaften zu legen. Das haben wir jetzt verstärkt mit den Hauptachsen in der Hauptstadt gemacht.
So haben wir jetzt auch eine Lösung für den Pont Buchler gefunden, wobei die Stadt Luxemburg da noch mitziehen muss. Jedenfalls gibt es eine Perspektive auf einen guten Weg von dort bis zur Cloche d'Or, mit einer spektakulären Brücke am Kreisverkehr Gluck. Das machen wir, weil die beiden Rad-Expresswege aus dem Süden dort ankommen. Und weil uns die Lösungen auf der Cloche d'Or nicht gefallen. Nachher haben wir eine Achse von der Cloche d'Or bis auf den Kirchberg geschaffen, von wo aus der Radweg nach Echternachgeht. Dann müssen wir noch über eine Ost-West-Verbindung nachdenken und der Rest liegt dann bei der Gemeinde. Da müssen die Verbindungen innerorts aus den Vierteln auf die großen Achsensichergestellt werden.
Tageblatt: Genau, aber da gibt es für Sie keine wirkliche Handhabe, das zu pushen?
François Bausch: Wir probieren, zu pushen. Jeder Anschluss wird mit 30 Prozentdurch den Staat subventioniert. Aber ja, es liegt in der Kompetenz der Gemeinden.
Tageblatt: Kann man die Gemeinden nicht irgendwie zu ihrem Glück zwingen, durch eine Gesetzesänderung zum Beispiel?
François Bausch: Nein, das ist Gemeindeautonomie. Wenn ich ein Gesetz machen würde, um die Gemeinde zu zwingen, wäre der formelle Einspruch des Staatsrats sicher.
Tageblatt: Vielleicht geht es ja mit mehr Geld?
François Bausch: Wir sind da ja schon extremgroßzügig. Wenn wir beim Beispiel Hauptstadt bleiben: Die Verbreitung der Passerelle hat der Staat finanziert. Die Brücke gehört zwar dem Staat, die Anschlüsse aber nicht. Trotzdem haben wir den Radwegweiter gebaut. Wie gesagt, ich bin optimistisch, denn je mehr Menschen Rad fahren, desto größer wird der Druck auf die Gemeinden. Deshalb ist es so wichtig, dass der Staatseine Hausaufgaben macht. Anderes Beispiel: Esch. Wenn die spektakuläre Radverbindung zwischen Belval und Esch fertig ist, dann macht das automatisch Druck auf die Escher Gemeinde, für einen anständigen Anschluss zu sorgen. Wir haben in Luxemburg leider 15 bis20 Jahre Verspätung, aber jetzt liegen die Zahlen und Fakten auf dem Tisch. Es liegt nicht an den Menschen, sondern an der Qualität der Infrastruktur.
Tageblatt: Um bei Esch zu bleiben: Bürgermeister Georges Mischo hat im Tageblatt-Interview gesagt, dass aufseiten des Staates auch nicht immer alles klappt, zu komplizierte und langwierige Prozeduren und Reglementierungen bemängelte er.
François Bausch: Ja, es wird dann immer gesagt, dass es mit den Genehmigungen zulange dauert. Das ist aber nicht ganzrichtig. Ich will nicht behaupten, dass es solche Fälle nicht gibt. Die Prozedur ist zum Teil noch immer schwerfällig. Sie ist schon ein wenig vereinfacht worden, könnte es aber noch mehr sein.
Tageblatt: Ist denn eine weitere Vereinfachung in Planung?
François Bausch: Ich muss mit Innenministerin Taina Bofferding darüber reden, wie man die Prozeduren beschleunigen kann. Da ist ganz sicher Luft nach oben. Es kommt aber auch häufig zum "Konflikt" mit dem Umweltministerium. Auch dafür gibt es Lösungen, z.B. unterschiedliche Beläge für alle Begebenheiten. Natürlich kann man keinen Radweg mittendurch ein Vogelschutzgebiet ziehen. Aber man kann vieles mehrmachen als für ein Auto, schließlich gibt es keine Abgase und kein Lärm. Mit Camille Gira hatte ichdamals eine "Cellule de facilitation" gegründet, die ist nach seinem Tod etwas eingeschlafen, wurde mit Carole Dieschbourg aber wiederbelebt. Das große Problem zwischen den Ministerien ist die Kommunikation. Warum liegt der PNM jetzt vor uns? Weil wir es in den letzten Jahren fertiggebracht haben, dass all die Riesenverwaltungen aus meinem Ministerium zusammenarbeiten und nicht aneinander vorbei.
Tageblatt: Das heißt, die Dauer einer Genehmigung hängt von der Kommunikation zwischen den Ministerien ab?
François Bausch: Das beste Beispiel ist der neue Radweg in Dommeldingen auf dem Arcelor Mittal-Gelände. Da wollten wir loslegen, mussten aber zwei Jahre auf verschiedene Umweltstudien warten, weil immer wiederetwas Neues entdeckt wurde. Es muss doch möglich sein, dass alles mit einer Studie abgedeckt wird. Das war eine Frage der Kommunikation, die nicht gut funktioniert hat. Als ich mich mit Carole Dieschbourg zusammengesetzt habe, um die "Cellule" zu reaktivieren, war die Situation schnell enteist. Einen ähnlichen Konflikt gab es bei Clerf-Ulflingen, bei dem das Projekt fertig ist, aber einige Naturschutzfragen zu lösen sind. Da sind wir jetzt auch auf einem guten Weg.Was extrem wichtig ist, denn wenn die Verlängerung der Vennbahn fertig ist, dann kommt man von Ulflingen bis in den Süden des Landes. Es ist also eine Sache des Willens, der Kommunikation und der transversalen Zusammenarbeit. Ich muss aber auch sagen, dass das Umweltministerium nicht immer schuld ist. Ab und zu sind es Verwaltungen, oder die Gemeinden. Ab und zu wird sich das Leben ein wenig einfach gemacht, aber es geht hier nicht um Schuldzuweisung.
Tageblatt: Wissen Sie zufällig, wie viele Radprojekte momentan im Ministerium auf ihre Zustimmung warten?
François Bausch: Die Gesamtziffer weiß ich nicht, aber es sind viele. Kreuz und quer durchs Land.
Tageblatt: Könnte das Problem mit mehr Personal gelöst werden?
François Bausch: Das ist ein Teil des Problems. Carole Dieschbourg hat die Genehmigungszelle reformiert, die Strukturen wurden geändert, um eine Beschleunigung in den Prozeduren zu erreichen. Nehmen Sie als Beispiel den Ettelbrücker Bahnhof, auch wenn der jetzt nichts mit dem Fahrrad zu tun hat. Die CFL möchte den Bahnhof abreißen, dann wird gesagt, da lebt eine seltene Art von Schwalben. Okay, das muss also kompensiert werden, mit Türmen, um die Schwalben anzuziehen. Die CFL macht das, ist Mitte Februar fertig und ruft bei der Forstverwaltung wegen der Abnahme der Kompensationsmaßnahmen an, um die Erlaubnis zu kriegen, die Schwalbennester wegzunehmen. Das muss bis zum1. April geschehen sein, weil dann kommen die Schwalben wieder. Das ist dann eine Sache von den Verwaltungen. Da gibt es noch ein wenig das alte Lagerdenken, zum Beispiel zwischen Straßenbau und Umweltverwaltung. Genau das muss aufgebrochen werden.
Tageblatt: Wir haben über die Reglementierung der Radinfrastrukturen gesprochen. Sind da neue Impulse zu erwarten, zum Beispiel was den Farbeinsatz angeht?
François Bausch: Ja. Ein Beispiel sind die "rues cyclables". Wir sind nicht ganz zufrieden damit und wollen da noch ein bisschen mehr Regeln hineinbringen. Was die Farbe angeht, so machen es z.B. die Niederländermit System. Anderes Beispiel sind die Fahrradrouten außerorts, die für den motorisierten Verkehr eine geringe Bedeutung haben.
Da wird die Geschwindigkeit auf50 heruntergesetzt und Fahrradstreifen in roter Farbe in beide Richtungen eingezeichnet, auch wenn die Autos jetzt nur in eine Richtung fahren dürfen. Alleine durch die Farbe und die Konfiguration der Straße weiß der Autofahrer, dass es sich um eine Fahrradroute handelt.
Tageblatt: Es geht also in die Richtung, dass in Zukunft jeder Radweg im Land rot eingefärbt wird?
François Bausch: Heute gibt es technisch gesehen viele Möglichkeiten, Straßen einzufärben. Ich kann mich noch guterinnern, welch ein Kampf es war, die rote Farbe bei Kreuzungen einzusetzen. Nun ist es aber so, dass der Autofahrer dadurch sofort erkennt, dass da ein Radfahrer kommen könnte. Also haben wir uns gesagt, dass wir eine Art Werkzeugkasten zusammenstellen müssen, wann was eingesetzt werden kann und soll. Das muss jetzt aber auch verstärkt in der Praxis angewandt werden.
Tageblatt: Was spielt in diesem Werkzeugkasten noch eine Rolle?
François Bausch: Ampeln z.B. Die Stadt Luxemburg ist ja momentan die erste Gemeinde, die es mit Abbiegeampeln für Radfahrer probiert. Aber natürlich auch bauliche Maßnahmen. Eine Tempo-30-Straße ist ja für Radfahrer gut, aber die Straße muss so konzipiert sein, dass auch30 gefahren wird.
Tageblatt: Laut PNM2035 sollen auf weiteren Hauptachsen sogenannte "Itinéraires cyclables performants à dominante pendulaire" entstehen, z.B. von Petingen oder Steinfort in Richtung Hauptstadt. Erhalten jetzt alle Hauptachsen in Richtung Stadt Radstreifen oder gar einen getrennten Radweg?
François Bausch: Radstreifen, wenn es Straßensind, wo kein Hauptverkehr drauf ist. Sonst biete ich eine falsche Sicherheit an. Bei viel befahrenen Hauptstraßen sind nur getrennte Radwege möglich. Sonst bringt man den Radfahrer in unnötige Gefahr und provoziert den Zorn des Autofahrers.
Tageblatt: Auf der Karte im PNM sind Radwege auf den großen Achseneingezeichnet. Das sind dann alles abgetrennte Radwege?
François Bausch: Ja, zumindest was die staatlichen Straßen anbelangt.
Tageblatt: Wie sehr in Stein gemeißelt ist das alles? Etwas provokant gefragt: Wenn jemand anderes an die Regierung kommt und das Mobilitätsministerium übernimmt, können die geplanten Maßnahmen dann gestoppt werden?
François Bausch: Eine neue Regierung kann allesändern, was sie will. Das ist klar. Ich persönlich meine aber, dass das ein Fehler wäre. Denn die Regierung, die das stoppt, die muss sich bewusst sein, dass sie ein großes Problem für die Entwicklung des Landes schafft. Das ist das eine. Das Zweite ist, dass in den letzten acht bis zehn Jahren wirklich viele Zeichen gesetzt wurden, die in die richtige Richtung gehen. Wenn jetzteiner kommt, der sagt, ich mache jetzt das Gegenteil, der muss sich auf viel Widerstand gefasst machen. Davon bin ich überzeugt. Ich spüre bei den öffentlichen Versammlungen viel Zuspruch von den Bürgern.
Tageblatt: Neu für Luxemburger werden die drei Rad-Schnellwege sein. Wie sieht es mit dem Timing aus?
François Bausch: Bettemburg wird recht schnellfertig werden. Da gibt es noch einige Fragen in der Gegend Kockelscheuer zu klären. Das Projekt ist übrigens ein gutes Beispiel, Sachenschnell voranzubringen. Denn der Weg entsteht im Grunde genommen auf der Baustellenstraßeneben der neuen Eisenbahntrasse. D.h., es wurden sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. In zwei Jahren sollte siekomplett fertig sein.
Tageblatt: Und der Expressweg nach Esch, wird der multimodale Korridorwie geplant 2028 fertig?
François Bausch: Um ehrlich zu sein, glaube ich beim multimodalen Korridor mitsamt der schnellen Tram nach Esch eher an 2030. Das Problem ist, dass sehr viele große Baustellenlaufen, wie der Tramausbau in der Stadt. Die muss man zuerst alle bewältigen. Da die Straße aber als Erstes ausgebaut wird, könnte der Rad-Expressweg ein wenig früher fertig werden, also 2028.
Tageblatt: Und der in die "Nordstad"?
François Bausch: Das sollte auch recht schnellgehen, da das ganze Projekt ja an den Ausbau der N7 gekoppelt ist. Also ich würde sagen, der nächste Minister hat Glück, er wird viel einweihen können.
Tageblatt: Das sind Sie nicht?
François Bausch: Nein, ganz sicher nicht. (siehe Kasten)
Tageblatt: Dann ist es ja schon fast Zeit, Bilanz zu ziehen.
François Bausch: Noch nicht, es sind noch unheimlich viele Projekte unterwegs.
Entweder in der Planung oder im Vorprojekt. Und ich werde auch noch ein paar einweihen, z.B. die Brücke in Esch. Es ist lange unterschätzt worden, was solche spektakulären Projekte bewirken. Denn man setzt ein Zeichen damit. Beispiel Passerelle in der Stadt, der Radweg unter dem Pont Adolphe oder der Lift in den Pfaffenthal.
Von der Symbolik ist das wichtig, weil es einen richtigen Push für das Fahrrad in der Stadt gebracht hat. Die Menschen haben gemerkt, auch für das Fahrrad werden außergewöhnliche Infrastrukturen gebaut. Natürlich braucht es dafür auch politischen Mut. Heute ist so etwas aber einfacher zu realisieren als noch vor 15 bis 20 Jahren.
Tageblatt: Sind Sie der Meinung, dass dieser Mut in einigen Gemeinden fehlt? Haben Sie vielleicht ein Beispiel im Kopf? Oder konkret gefragt: Was halten Sie von der Fahrradpolitik in Esch?
François Bausch: Es ist nicht meine Art, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Ich könnte es mir ja jetzt einfach machen und mir eine Gemeinde aussuchen, in der keine Grünen in der Verantwortung sind. Was Esch betrifft, da sind die Grünen ja im Schöffenrat. Sie haben das Mobilitätsressort zwar nicht, aber das soll keine Ausrede sein. Ich denke schon, dass Esch mehr für das Fahrrad machen könnte. Damit will ich jetzt aber nicht die Escher Gemeinde stigmatisieren.
Ich habe solche Beispiele in vielen Kommunen. Es gibt allerdings auch viele Gemeinden, die große Anstrengungen zugunsten des Rads unternehmen. Und da sind ganz unterschiedliche Parteien am Ruder, es liegt also nicht an der politischen "Farbe". Was den politischen Mut angeht: Man muss sich ab und an auch ein bisschen mit den Leuten anlegen, das ist eben so. Von alleine geht es nicht.
Tageblatt: Sie sagen, es liegt nicht an einer Partei, also eher an der Person, am Politiker selber?
François Bausch: Ja, es liegt an der Person. Wieso vieles in der Politik. Wenn man jemanden irgendwo sitzen hat, der nur verwaltet, ansonsten Angst hat und an die nächsten Wahlen denkt, dann geschieht nichts.
Tageblatt: Thema Baustellen: Man hat das Gefühl, dass hier nie an den Radfahrer gedacht wird. Kann man da nicht irgendetwas machen, zum Beispiel einen Gesetzestext, dass wenn ein Radweg wegen einer Baustelleverschwindet, eine Alternative angeboten werden muss?
François Bausch: In der Stadt Luxemburg hatte ich das zum Schluss so durchgesetzt. Beispiel: die große Baustelle des Viadukts Pulvermühle. Dort sollte der PC3, eine wichtige Verbindung bis nach Hesperingen und mit der beste Radweg, den es in der Stadt gibt, zwei Jahre langgesperrt werden. Ich sagte aber, dass dort an einer provisorischen Lösung gearbeitet werden müsse. So ist die temporäre Brücke über den Schrebergärten entstanden. Der Weg war nicht perfekt, aber wir haben es hingekriegt. Die Leichtigkeit, mit der heute entschieden wird, wegen einer Baustelle den Radweg zu opfern, die gibt es beim Auto nicht, das würden wir uns nicht erlauben.
Tageblatt: Ist das denn nicht etwas, was Sie beeinflussen können?
François Bausch: Doch. Ich denke, wir müssen da Regeln aufstellen. Bei staatlichen Straßen achten wir darauf. In den Gemeinden funktioniert das aber nicht immer, übrigens auch nicht für den Fußgänger. Oft wird die einfachste Lösung gewählt. Ich nehme das Beispiel "Stäreplaz". Da steht ein Schild:"Vélo à la main s.v.p." Sagen wir das denn auch beim Auto: Aussteigen, Auto "unter den Arm geklemmt" und drei Meter zu Fuß gehen? Das ist doch lächerlich. Da hält sich doch kein Menschdran, und ich verstehe das. Ein solches Schild gibt es übrigens im "Code de la route" überhaupt nicht. Es ist Quatsch, der Radfahrer wird für dumm verkauft.
Tageblatt: Wünschen Sie sich, dass es radtechnisch gesehen hier in Luxemburg einmal so aussieht wie in den Niederlanden?
François Bausch: Ja. So richtig begeistert bin ich aber schon seit ewig von Kopenhagen. Die Lebensqualität dort ist enorm. Deswegen sage ich immer: Es hat nichts damit zu tun, gegen das Auto zu sein, sondern für eine andere Lebensqualität. In welche Städte gehe ich gerne in Ferien? Ich habe doch keine Lust in eine Stadt zu reisen, wo es nur so von Autos wimmelt, wo ich im Verkehr untergehe, wo viel Lärm ist. Nein, ich möchte dahin, wo viel Lebensqualität ist. Und Lebensqualität bedeutet, dass die Stadt den Menschen gehört. Und in so einer Stadt muss das Fahrrad eine wichtige Rolle spielen.
Tageblatt: Wie weit ist Luxemburg denn auf dem Weg dorthin?
François Bausch: Ich würde sagen, das Glas ist halb voll.