Interview mit Georges Engel im Luxemburger Wort

"Der Aufsteiger"

Interview: Luxemburger Wort (Michèle Gantenbein)

Luxemburger Wort: Georges Engel, haben Sie sich im Arbeitsministerium gut eingelebt?

Georges Engel: Ja, die Arbeit ist vielseitig und spannend. So langsam habe ich mich in die Dossiers eingearbeitet und fühle mich zunehmend wohler - in beiden Ressorts.

Luxemburger Wort: Die Arbeitslosenquote liegt bei 4,7 Prozent. Das ist der niedrigste Stand seit Ende 2008. Die ADEM meldete knapp 12 000 offene Stellen und 14 800 Arbeitsuchende. Fast die Hälfte der Arbeitsuchenden sind Langzeitarbeitslose. Wie wollen Sie Abhilfe schaffen?

Georges Engel: Seit ich Arbeitsminister bin, gehen die Arbeitslosenzahlen zurück (lacht). Das hat aber nichts mit mir zu tun, sondern mit der Konjunktur. Nun könnte man sagen: Wir besetzen die 12 000 Stellen und es bleiben nur noch 3 000 Arbeitsuchende. So einfach ist es aber leider nicht. Wir haben rund 7 000 Langzeitarbeitslose. Sie sind schwer in Beschäftigung zu bringen, allein wegen ihrer physischen Verfassung, aber auch wegen ihres Alters. Wir versuchen sie mit Weiterbildung, Reskilling- und Upskilling-Maßnahmen fit für den Arbeitsmarkt zu machen.

Luxemburger Wort: Angebot und Nachfrage passen oft nicht zusammen...

Georges Engel: Es stimmt, dass die Kompetenzen der Arbeitsuchenden oft nicht mit den Kompetenzen übereinstimmen, die auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden. Das hat eine rezente Studie der ADEM bestätigt. Wir müssen diese Profile schaffen, das tun wir über Weiterbildung, Reskilling und Upskilling. Wir erweitern die Studie jetzt auf die Bereiche Soziales und Gesundheit.

Luxemburger Wort: Ihr Vorgänger Dan Kersch hatte im Parlament die Schaffung von sogenannten Nouveaux emplois d'insertion pour chômage de longue durée (EMI) angekündigt. Im Staatshaushalt 2022 sind 400 Posten vorgesehen. Wie viele Posten wurden bisher geschaffen und in welchen Bereichen?

Georges Engel: Seit das Gesetz 2017 in Kraft getreten ist, wurden 747 Personen eingestellt, bei Vereinigungen, Gemeinden oder Beschäftigungsinitiativen. Die ADEM hat 2022 bisher 82 Dossiers behandelt, 30 Posten wurden bis dato besetzt.

Luxemburger Wort: Die Pandemie hat dem Land zugesetzt, nun befinden wir uns wegen des Ukraine-Kriegs in einer weiteren Krise. Ist mit einem erneuten Anstieg der Kurzarbeit zu rechnen?

Georges Engel: Wir wissen nicht, wie es in der Ukraine weiter gehen wird. Vieles hängt davon ab, wie die Energie-und Rohstoffpreise sich entwickeln. Deutschland erwartet für kommendes Jahr wegen der Preissteigerung eine Krise im Bausektor. Unklar ist auch, inwiefern der Leitzins in Europa erhöht wird. Wie sich das alles auf den Arbeitsmarkt auswirken wird, steht in der Glaskugel. Auf jeden Fall tragen die 225 Millionen Euro aus dem Solidaritéitspak und die Index-Verschiebung dazu bei, dass speziell die energieintensiven Betriebe nicht sofort zusammenbrechen.

Luxemburger Wort: Die Flüchtlinge aus der Ukraine haben einen direkten Zugang zum Arbeitsmarkt und können sich bei der ADEM melden. Liegen dazu schon Zahlen vor?

Georges Engel: Aktuell sind 292 Ukrainer bei der ADEM eingeschrieben, sieben arbeiten für ein Zeitarbeitsunternehmen und vier für eine Beschäftigungsinitiative. Diese Zahlen bilden aber nur einen Teil der Realität ab.

Luxemburger Wort: Organisationen wie Passerell oder ASTI kritisieren, dass andere Flüchtlinge, zum Beispiel aus Afghanistan oder Syrien, diesen Zugang zum Arbeitsmarkt nicht haben und benachteiligt werden...

Georges Engel: Das war von Anfang meine Sorge, als die Diskussion über den vorübergehenden Schutzstatus begann. Die Prozedur wurde ja vorher noch nie angewandt. Ich habe sofort vor einer Zwei-Klassen-Gesellschaft bei den Flüchtlingen gewarnt. Die Kritik ist berechtigt, aber die Bestimmungen sind nun einmal wie sie sind. Wir haben den Zugang aber schon erleichtert, indem wir die Regelung fallen gelassen haben, wonach hier lebende Arbeitsuchende bei der Besetzung von Arbeitsplätzen Vorrang haben. Wir haben 12 000 offene Stellen. Jeder, der hier lebt und arbeiten möchte, sollte die Gelegenheit dazu haben. Wir werden diesen "test du marché" gesetzlich abschaffen.

Luxemburger Wort: Im Arbeitsressort stehen noch einige Dossiers an. Was ist der aktuelle Stand?

Georges Engel: Der Entwurf zum Recht auf Abschalten liegt beim Staatsrat, das Gutachten zum Mobbing-Gesetz liegt seit zwei Tagen vor. Ich werde demnächst zwei Gesetzentwürfe einbringen, einen über die Work-Life-Balance und einen über den Vaterschaftsurlaub für Freischaffende und homosexuelle Paare. Ich arbeite an einem Text über die Plattformarbeit und habe mich mit dem Comité permanent du travail et de l'emploi (CPTE) zum Thema Weiterbildung getroffen. Wir haben den Entwurf der ITM-Reform überarbeitet und den Bemerkungen des Staatsrats Rechnung getragen. Das Reclassement-Gesetz wird noch eine Weile auf sich warten lassen, es ist ein schwieriges Dossier.

Luxemburger Wort: Wie sieht es bei der Telearbeit aus?

Georges Engel: Der parlamentarische Unterausschuss Télétravail befasst sich mit einer ganzen Reihe von Fragen. Wir müssen auf Basis des Kommissionsberichts schauen, was wir noch gesetzlich regeln müssen. Ich persönlich denke, dass ein Maximum von zwei von fünf Arbeitstagen machbar sein müsste, mit einem festen Wochentag, an dem alle präsent sein müssen. Die Arbeit hat auch eine soziale Funktion, der Austausch und die Kollegialität sind wichtige Aspekte.

Luxemburger Wort: Sie haben rezent eine Studie zur Arbeitszeitverkürzung angekündigt. Was hat es damit auf sich?

Georges Engel: Man könnte es auch Arbeitszeitflexibilisierung nennen. Es geht darum, zu prüfen, was das für den Arbeitgeber und was es für den Arbeitnehmer bedeutet. Müssen wir 40 Stunden die Woche arbeiten? Leidet die Produktivität, wenn wir weniger Stunden arbeiten? Was sind die positiven und die negativen Aspekte? Ich möchte eine Faktenlage schaffen, um die Debatte zu objektivieren. Es geht um Reduzierung, Flexibilisierung und die Organisation von Arbeitszeit. In Luxemburg arbeiten die Menschen pro Jahr 26 Tage mehr als in Belgien. Nun kann man aber nicht behaupten, dass Belgien ökonomisch am Boden liegt. Das Ziel ist ganz klar eine Arbeitszeitreduzierung. Zu klären bleibt, wie sie gestaltet wird.

Luxemburger Wort: Die Pandemie und der Solidaritéitspak belasten den Staatshaushalt schwer. Sind Steuererhöhungen unvermeidbar?

Georges Engel: Unvermeidbar ist in jedem Fall eine Debatte über Steuern und Steuergerechtigkeit. Die LSAP ist in den Augen vieler eine Partei, die den Menschen das Geld aus der Tasche ziehen möchte. Ja, wir wollen denen Geld aus der Tasche ziehen, die so viel haben, dass sie auf einen Teil verzichten können, und es denen geben, die nicht so viel haben. Luxemburg liegt mit einer Schuldenlast von rund 25 Prozent des BIP gar nicht so schlecht. Es bleibt also noch Luft nach oben.

Luxemburger Wort: Was schwebt Ihnen an Steuererhöhungen vor?

Georges Engel: Man könnte den Spitzensteuersatz erhöhen oder die Gewinne bei Bauland- und Immobilientransaktionen stärker besteuern. Wer mehr arbeitet und deshalb mehr Geld verdient, der soll etwas davon haben. Wer aber ohne einen Finger krumm zu machen ein Baugrundstück nach Jahren gewinnbringend verkauft, der sollte auf dem Gewinn Steuern zahlen.

Luxemburger Wort: Wie soll diese stärkere Gewinnbesteuerung konkret aussehen?

Georges Engel: Wir werden ein Gesamtpaket vorlegen, aus dem man nicht einzelne Elemente herausnehmen sollte. Das Package ist stimmig und wird eine ganze Reihe von Steuerzahlern entlasten, andere viel weniger, und noch andere werden stärker belastet, weil wir der Meinung sind, dass sie mehr belastet werden können. Wir werden das Package anlässlich der parlamentarischen Steuerdebatte präsentieren.

Luxemburger Wort: Enthält das Package auch eine Vermögenssteuer?

Georges Engel: Wir warten mal ab.

Luxemburger Wort: Wie sieht es mit einer Erhöhung der Solidaritätssteuer aus?

Georges Engel: Die Solidaritätssteuer ist ein gutes Modell für sehr schwierige Zeiten. Aktuell aber sehe ich nicht, dass man sie erhöhen sollte.

Luxemburger Wort: Sie waren auf der 1.-Mai-Feier des OGBL. In ihrer Rede ging die Vorsitzende Nora Back hart mit der Regierung ins Gericht und hat sie als patronatgesteuert bezeichnet. Wie haben Sie das empfunden?

Georges Engel: In Ihrer Zeitung stand, ich hätte nicht applaudiert. Das stimmt nur zum Teil. Ich habe an manchen Stellen applaudiert, zum Beispiel als Nora Back vom Krieg in der Ukraine sprach. An vielen Stellen habe ich nicht applaudiert, weil ich mit den Aussagen nicht einverstanden war. Es ist falsch zu behaupten, die Regierung sei patronatgesteuert. Hätten wir dem Patronat zugehört, hätten wir zwei Index-Tranchen ohne Kornpensierung fallen lassen. Die erste wurde im April ausbezahlt, die zweite wird verschoben und kompensiert. Der 1. Mai ist ein spezieller Tag mit einer speziellen Rhetorik, die so ist wie sie ist, die mir aber nicht gefällt. Die Rhetorik hat mich noch nie beeinflusst, weil ich mich lieber auf Fakten basiere als auf martialische Begriffe. Im Übrigen waren alle Gewerkschaften mit dem Verschieben einer Index-Tranche, also mit dem "Geschenk" an alle Unternehmen - auch Amazon - zunächst einverstanden. Die Knackpunkte waren die Verschiebung einer weiteren Tranche und die Höhe der Kompensierung. Ich stehe zu der Höhe der Kompensierung. Wir waren der Ansicht, dass wir den Kaufkraftverlust bei den niedrigen Gehältern stärker kompensieren sollten und dass ab einer gewissen Gehaltshöhe nicht mehr kompensiert werden sollte.

Luxemburger Wort: Nora Back bezeichnete das Verschieben von Index-Tranchen als Gießkannenpolitik für die Unternehmen. Der Index ist auch Gießkannenpolitik - in dem Fall für die Arbeitnehmer...

Georges Engel: Ganz klar. Alle bekommen 2,5 Prozent mehr Gehalt. 2,5 Prozent von 10 000 Euro aber sind mehr als 2,5 Prozent von 2 000 Euro.

Luxemburger Wort: Die Gewerkschaften haben Kompensierungen bis zu 160 000 Euro Jahresgehalt gefordert...

Georges Engel: Ja, das war zu Beginn, letztendlich aber ging es in der Diskussion um 135 000 Euro. Das sind über 10 000 Euro monatlich. Wir können es in diesen Zeiten gut verantworten, einem Mindestlohnempfänger mehr zu geben und jemandem mit 10 000 Euro monatlich weniger oder gar nichts. Der LSAP wird ja ständig vorgeworfen, sie sei nicht mehr die Partei der kleinen Leute. Wir haben bewiesen, dass wir die Partei der kleinen Leute sind.

Luxemburger Wort: Können Sie den OGBL nach diesem Manöver überhaupt noch ernst nehmen?

Georges Engel: Für mich bleibt der OGBL ein Diskussionspartner wie alle anderen Gewerkschaften auch. Manchmal verfährt man sich eben in einer Diskussion. Allerdings steht der OGBL jetzt ziemlich isoliert da. Das ist nicht gut für die gewerkschaftliche Geschlossenheit, die stets bestand. Wenn man in einer Sache nicht einer Meinung ist, bedeutet das aber nicht, dass man nicht über andere Dinge diskutieren kann. Deshalb war mir auch wichtig, nach der Tripartite im CPTE mit den Sozialpartnern über die betriebliche Weiterbildung zu diskutieren und zu sehen, dass ein Austausch auf anderer Ebene und in anderen Bereichen möglich ist.

Luxemburger Wort: Welches Zeichen wollten Sie mit Ihrer Präsenz bei der 1.-Mai-Feier des OGBL setzen?

Georges Engel: Der Arbeitsminister muss bei solchen Veranstaltungen präsent sein.

Luxemburger Wort: Sie hätten auch zur Feier des LCGB gehen können...

Georges Engel: Ich war dieses Jahr beim OGBL. Das bedeutet aber nicht, dass ich als Arbeitsminister nicht auch einmal zum LCGB gehen werde. Ich bin zu denen gegangen, die nicht mit dem Abkommen einverstanden waren, um mir noch einmal anzuhören, was sie zu sagen haben.

Luxemburger Wort: Mussten Sie sich vorwurfsvolle Kommentare von Gewerkschaftsmitgliedern anhören?

Georges Engel: Nein, aber Vertreter von anderen Parteien haben mir Vorwürfe gemacht. Damit muss man klarkommen. Es gibt Parteien (Déi Lénk, Anm.d.Red.), die dem OGBL nahe stehen und einen großen Einfluss auf die Tripartite-Diskussionen hatten, der nicht immer der beste ist, um zu einer Einigung zu finden.

Luxemburger Wort: Die LSAP hatte zuletzt gute Umfragewerte und möchte bei den nächsten Wahlen stärkste Partei werden. Da kommt Ihnen der Querschuss des OGBL aber nicht unbedingt gelegen, oder?

Georges Engel: In der Politik muss man tun, was man für richtig hält und nicht fünf Jahre lang das nächste Wahlresultat vor Augen haben. Ich habe ganz fest den Eindruck, dass die Mehrheit der Bürger mit den Tripartite-Maßnahmen absolut einverstanden ist. Und ich kenne eine ganze Reihe von OGBL-Mitgliedern, die auch LSAP-Mitglieder sind und die Position des OGBL nicht teilen. Sie treten deshalb aber weder aus dem OGBL, noch aus der LSAP aus. Natürlich wäre mir ein Abkommen mit allen Gewerkschaften lieber gewesen, aber ich denke nicht, dass das jetzt die allgemeine Arbeit der LSAP runterzieht. Angesichts der Mobilisierung des OGBL zur Protestaktion am L Mai hätte man 10 000 Teilnehmer erwarten müssen. Die waren aber nicht da. Es waren auch keine 5 000, wie Nora Back gesagt hat. Man soll nicht von 5 000 Teilnehmern sprechen, wenn alle sehen, dass es keine 5 000 sind. Das diskreditiert alle weiteren Aussagen.

Luxemburger Wort: Die LSAP verdankt ihren Umfragehöhenflug Paulette Lenert. Sie steht aber auch in der Kritik, zuletzt wegen ihrer Haltung in Sachen IRM. Befürchten Sie negative Folgen für die LSAP?

Georges Engel: Meine Antwort ist dieselbe wie vorhin. Es geht nicht um Angst vor negativen Konsequenzen oder darum, Dinge zu tun, die elektoral von Vorteil sind. Man tut, was man für richtig hält. Ich bin nicht Jurist, aber wenn die Gesundheitsministerin mir sagt, dass der Betrieb von IRM-Geräten außerhalb der Krankenhäuser nicht legal ist, dann glaube ich ihr das. Ich halte es für falsch und gefährlich, wenn überall im Land solche Pop-ups entstehen, mit Ärzten, die keinen Bereitschaftsdienst machen müssen und Krankenpflegern, die nicht unter demselben Kollektivvertrag arbeiten. Ohne Pandemie hätten wir diese Angelegenheit längst geregelt. In vielen Ländern ist die Sozialdemokratie auf dem Vormarsch. Wenn man dann auch noch eine Galionsfigur wie Paulette Lenert hat, die eine exzellente Arbeit geleistet hat, hilft das natürlich. Deshalb stehen unsere Chancen nicht schlecht, bei den nächsten Wahlen stärkste Partei zu werden.

Luxemburger Wort: Paulette Lenert hat eine Lösung im Streit um den IRM-Betrieb im Centre médical Potaschbierg angekündigt...

Georges Engel: Die Verhandlungen laufen noch. Aber das wird sich einrenken.

Luxemburger Wort: Das heißt?

Georges Engel: Wenn alles so umgesetzt wird, wie wir uns das vorstellen, wird der IRM-Betrieb genehmigt und die Kosten werden von der CNS übernommen.

Luxemburger Wort: Das bedeutet, dass IRM-Untersuchungen generell außerhalb der Krankenhäuser angeboten werden dürfen...

Georges Engel: Ja, sofern die Betreiber sich an bestimmte Bedingungen halten, die die beiden zuständigen Minister Paulette Lenert und Claude Haagen noch erläutern werden.

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